Dr. Stefan Frank 2401 - Gib nicht auf, Philine!

von: Stefan Frank

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2017

ISBN: 9783732547494 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Dr. Stefan Frank 2401 - Gib nicht auf, Philine!


 

„Hey, Tessa, wenn du schon in der Küche bist, dann bring doch auch gleich den Wein und was zu knabbern mit! Und beeil dich, die Sendung fängt gleich an!“

Ein bisschen unmutig räkelte sich Oliver Steinke bequem in seinem Sessel zurecht und griff dann zur Fernbedienung. Was hatte seine Lebensgefährtin nur vorhin so lange im Kinderzimmer gemacht?

Wahrscheinlich hatte sie der achtjährigen Philine mal wieder stundenlang diese altmodischen Märchen vorgelesen. Dabei wurden die Kinder Olivers Meinung nach dadurch nur verdummt, weil Märchen absolut nichts mehr mit der heutigen Zeit zu tun hatten und demzufolge nur Zeitverschwendung waren.

Und das, wo Tessa doch wusste, dass in wenigen Minuten sein Buch in der „Literarischen Runde“ besprochen wurde. SEIN Buch! Im Fernsehen! In nicht mal fünf Minuten!

Oliver zappte kurz durch die Kanäle und lehnte sich dann zufrieden in seinen Sessel zurück. Er war ein ansehnlicher Mann von zweiunddreißig Jahren, mit dunklen Haaren und braunen Augen, die er je nach Situation sanft oder feurig aufleuchten lassen konnte.

Sein Körper war muskulös und hatte kein Gramm Fett zu viel, und die Haut schimmerte auch im Winter in einem glänzenden, leicht bronzenen Ton. Jetzt, im Frühsommer, war er durch einige wenige Besuche im Sonnenstudio sogar schon wieder fast richtig braun.

Frauen waren von seiner Erscheinung im Allgemeinen sehr angetan, und seine Stelle als Marketingleiter bei der Brandner Meditech, einem großen Hersteller für medizinisches Gerät, war auch nicht die schlechteste Ausgangslage für ein sorgenfreies Leben. Oliver lächelte zufrieden. Er hatte allen Grund, stolz auf sich zu sein.

Vor knapp sechs Monaten war nun auch noch sein erstes literarisches Werk, ein gesellschaftskritischer Action- und Erotikkrimi, bei einem renommierten Verlag erschienen und hatte sofort eingeschlagen. Ein Freizeitschriftsteller auf Platz drei der Spiegel-Bestseller-Liste!

Offensichtlich hatte Oliver mit seinem Debüt den Nerv der Zeit exakt getroffen und das Bedürfnis des Publikums nach atemberaubender Action und heißen erotischen Szenen – schön ordentlich in ein intellektuelles Mäntelchen verpackt – punktgenau bedient.

Oliver lächelte herablassend. Die Leute waren ja so einfach zu durchschauen. So unfassbar leicht zu manipulieren. Selbst wenn man ihnen genau vor ihrer Nase ein X für ein U vormachte – sie wollten es einfach nicht wahrhaben.

Jetzt trat seine Lebensgefährtin Tessa Maiwald ins Wohnzimmer und stellte zwei Weingläser und ein nett dekoriertes Tablett mit Mangochips, Käsecrackern und Reiswaffeln auf den Tisch. Oliver beäugte sie kritisch.

Tessa war eine hübsche, schlanke, neunundzwanzigjährige Frau mit großen blauen Augen und langen blonden Haaren, die sie meist hochgesteckt trug. Mit einem Augenzwinkern drückte sie ihm jetzt die Flasche Rotwein und einen Flaschenöffner in die Hand.

„Hier, mach du! Ich trinke sowieso nur einen Schluck, sonst kriege ich wieder einen dicken Kopf, und das wäre schlecht, denn morgen fangen wir mit den neuen Kursen an. Ich vertrage Alkohol sowieso immer weniger, seit ich vegetarisch lebe. Eigentlich mag ich ihn gar nicht mehr besonders.“

„Pfffhh“, machte Oliver und musterte Tessa von oben bis unten. „Das kommt alles von deinem Gesundheitsspleen! Wirst sowieso immer dünner. Findest du nicht, dass du es langsam ein bisschen übertreibst?“

Nein, das fand Tessa nicht. Ganz im Gegenteil, seit sie mit Anfang zwanzig Yoga für sich entdeckt und kurz nach ihrer Entbindung eine Ausbildung zur zertifizierten Yoga-Lehrerin gemacht hatte, fühlte sie sich in ihrem Körper zum ersten Mal richtig wohl.

Natürlich hatte sie durch die Ausbildung zunächst einmal Gewicht verloren, aber schnell hatte ihr Körper begonnen, durch die anstrengenden Übungen wieder Muskelmasse aufzubauen. Jetzt war er straff und die Muskeln schön definiert, obwohl Tessa selten Fitnesstraining machte.

Nur joggen ging sie regelmäßig im Grünwalder Forst, und im Sommer ging sie so oft wie möglich in der Isar schwimmen, denn der Chlorgeruch in den öffentlichen Bädern war ihr zuwider. Aber klar, Fett suchte man an ihr vergeblich – leider auch an den Stellen, an denen es Frauen normalerweise recht gut stand.

Na ja, man konnte nicht alles haben. Tessa mochte ihr Spiegelbild so, wie es war. Und das war schon eine große Errungenschaft, denn in ihren Teenagerjahren hatte es Zeiten gegeben, wo sie am liebsten alle Spiegel verhängt hätte.

Nun aber kam sie mit ihrem Aussehen gut klar. Nur dass Oliver manchmal spitze Bemerkungen über ihre geringe Körbchengröße machte, fuchste sie. Immerhin hatte sie ja ihre Tochter, die schließlich auch sein Kind war, zur Welt gebracht und sogar fast ein ganzes Jahr lang gestillt.

Unter ihrer liebevollen Obhut und mütterlichen Fürsorge hatte sich Philine zu einem rundum gesunden, fröhlichen Kind von mittlerweile acht Jahren entwickelt.

Tessa war ungeheuer stolz auf ihre Tochter. Mit ihren süßen blonden Locken und dem zarten Gesicht war sie fast ein Ebenbild ihrer Mutter, auch wenn sie die tiefbraunen Augen von Oliver geerbt hatte und den schmachtenden Blick schon beinahe so perfekt beherrschte wie ihr Vater.

Philine würde später mal allen Männern den Kopf verdrehen, hatte Tessa schon mehr als einmal belustigt gedacht. Aber jetzt schlief der kleine Sonnenschein erst einmal den rechtschaffenen Schlaf der Erschöpften, und ihre Eltern schickten sich an, die kritische Besprechung von Olivers Buch im Fernsehen anzuschauen.

„… hat uns in diesem Quartal ein Erstlingswerk besonders überrascht“, sagte der Moderator gerade und hielt ein Buch mit grellrotem Umschlag in die Kamera, „dessen Autor es leider vorzieht, anonym zu bleiben und stattdessen unter einem Pseudonym zu schreiben. Aber vielleicht lässt sich ja trotzdem etwas über John The Shark sagen. Frau Holzinger?“

„Das lässt es sich allerdings“, sagte eine Frau mit hochtoupiertem Haar und blätterte in ihren Notizen. „Mister Shark verfügt über einen ausgesprochen guten Stil, denn er beschreibt mehrere Formen der Wirtschaftskriminalität sehr plastisch“, las sie vor. „Abgesehen davon wohnt er aber wohl nicht in den Niederlanden, wie sein Buch uns suggerieren möchte, obwohl er Amsterdam recht gut zu kennen scheint und sein Actionkrimi teilweise in dieser Metropole spielt.“

Sie lächelte routiniert in die Kamera.

„Aber das ist wohl eher dem Umstand geschuldet, dass man dort ohne Probleme an allerlei Drogen wie Marihuana, Ecstasy und Zauberpilze kommt – wodurch die Story natürlich von Anfang an sehr gut Fahrt aufnimmt.“

„Wieso hast du eigentlich nicht unter deinem richtigen Namen veröffentlicht?“, fragte Tessa und sah Oliver an. „Das wäre doch jetzt sicherlich von Vorteil, wo das Buch so gut ankommt.“

„Hätte ich wohl machen sollen“, stimmte Oliver zu. „Aber wer konnte denn ahnen, dass es dermaßen gut laufen würde?“ Scheinbar unschlüssig zuckte er mit den Schultern. „Beim nächsten Mal werde ich es wohl tun.“

„Und dann wird es hoffentlich auch ein besseres Honorar geben“, schob Tessa nach. „Diesmal war es ja ein bisschen mager, oder?“

„Hmmm“, brummte Oliver und legte ungeduldig den Finger auf seine Lippen. Dabei deutete er auf den Fernseher, um Tessas Aufmerksamkeit zurück auf das Studiogespräch zu lenken – vor allem aber, um in ihr gar nicht erst den Verdacht aufkeimen zu lassen, dass sie von der wirklichen Höhe des Honorars keine Ahnung hatte.

Tessa und Oliver führten nämlich getrennte Konten, auf das der jeweils andere keinen Zugriff hatte, und Tessa bekam jeden Monat nur einen bestimmten Betrag für Haushaltsführung, Philines Versorgung und eventuelle zusätzliche Ausgaben überwiesen.

Schon oft hatte es deswegen Streit gegeben, denn Tessa war der Meinung, dass sich bei der gemeinsamen Verantwortung für ein Kind ein gemeinsames Konto eigentlich von selbst verstand. Aber in diesem Punkt ließ Oliver nicht mit sich reden. Tessa schaute wieder auf den Bildschirm.

„… dessen großartiges Schreibtalent sich übrigens auch in der fantasievollen Ausgestaltung der erotischen Szenen zeigt“, sagte dort gerade einer der älteren Herren und nickte gewichtig in die Runde. Die anderen Herren pflichteten ihm mit leuchtenden Augen bei.

Tessa durchfuhr ein unangenehmes Gefühl. Natürlich hatte sie das Buch auch gelesen, aber wenn sie ehrlich war, hatten gerade die erotischen Szenen sie eher abgestoßen, denn die gingen schon recht stark ins Pornografische. Woher hatte Oliver diese Vorstellungen überhaupt genommen?

Tessa jedenfalls fühlte sich bei dem Gedanken, dass diese Bilder ja vorher in Olivers Kopf herumgeschwirrt sein mussten, äußerst unwohl. In ihrem Bett waren derlei Dinge niemals praktiziert worden.

Außerdem hatte sich Tessa auch an der Beschreibung der Kommissarin gestoßen, die mit feuerroter Mähne, wogendem Busen und unersättlichem Verlangen direkt einem Herrenmagazin entsprungen zu sein schien. Aber schätzungsweise war es genau das, was einen nicht geringen Teil des Verkaufserfolgs des Buches ausmachte.

Sex sells, dachte Tessa verärgert. Sex war eben immer noch ein todsicheres Verkaufsrezept.

Fast wäre sie durch das Buch emotional wieder in ihre unsportliche Teenagerzeit und die dazugehörigen schlimmen Gefühle des körperlichen Nichtgenügens zurückgefallen. Aber das war ein für alle Mal vorbei!

Vor fünf Jahren hatte sie hier in Grünwald, keine zehn Minuten vom Waldrand entfernt,...