Mondkuss

von: Astrid Martini

Plaisir d'Amour Verlag, 2018

ISBN: 9783864953705 , 380 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 6,99 EUR

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Mondkuss


 

Kapitel Zwei


 

Leise schlich sich Rafael am nächsten Morgen aus Sarahs Wohnung. Er hatte rasch geduscht, sich angekleidet und wollte sie nicht wecken. Die Nacht auf Sarahs Couch war nicht besonders bequem gewesen, aber er hatte sein Versprechen gehalten und sie nicht allein gelassen. Nun war es Zeit, nach Hause zu gehen und sich für den Termin, der in zwei Stunden anstand, umzuziehen. Eine reiche Arztfrau – eine Stammkundin – hatte ihn für sinnliche Stunden gebucht.

Noch rasch ein paar Croissants und dann ab nach Hause.

Während er sich von seinem Lieblingsbäcker in ein Gespräch verwickeln ließ und die Tüte mit den noch warmen Croissants entgegennahm, ließ er seinen Blick durch das Schaufenster über die belebte Straße gleiten. Ohne großes Interesse beobachtete er die Menschen, die mehr oder weniger hastig vorübereilten.

Und dann durchzuckte es ihn wie ein Blitz. Seine Pupillen weiteten sich, sein Blick wurde wach und wie ein Magnet von einer dunkelhaarigen Frau mit schicker Hochsteckfrisur und elegantem Kostüm angezogen. Unwillkürlich stieß er einen anerkennenden Pfiff aus.

Eilig schob er seinem Gesprächspartner einen Geldschein zu, murmelte: „Stimmt so“ und eilte hinaus.

Rafael starrte gebannt auf die elegante Frau, die mit geschmeidigen Schritten auf der gegenüberliegenden Straßenseite entlangging. Er folgte ihr.

Sie trug ein mokkafarbenes edles Designer-Kostüm, setzte graziös einen Fuß vor den anderen, und Rafael war sich fast sicher, dass sie überall dort, wo sie sich gerade bewegte, eine Wolke blumigen Parfums hinterließ. Ihr dunkles Haar war zu einem kunstvollen Knoten aufgesteckt, der die zarte Linie ihres Halses betonte. Der knielange Rock gab den Blick auf ihre schmalen Waden und Fesseln frei. Fasziniert blickte er auf ihre Füße. Sie steckten in schokoladenfarbenen Wildlederpumps mit hohem, keilförmigem Absatz. Ihre Waden strafften sich bei jedem Schritt, schienen sich nach außen zu drücken, um ihrer perfekten Form den letzten Schliff zu geben.

Rafaels Augen tasteten sich dem Lauf ihrer Beine entlang, beginnend bei den Fesseln über die Knie, ignorierten den Saum des Rockes, der den Rest bedeckte und wanderten weiter hinauf bis zu der Stelle, an der sich ihr entzückend runder Po unter dem schmalen Rock abzeichnete.

Er pfiff leise durch die Zähne, genoss diesen verführerischen Anblick und folgte der Kontur ihres Körpers aufwärts zu ihrem keck nach vorn gerichteten Kinn. In seinen Augen blitzte Bewunderung auf. Diese elegante Frau hatte etwas an sich, was ihn unsagbar faszinierte. Ihn nicht losließ … in den Bann zog.

Mit gerader Haltung und stolz erhobenem Kopf schritt diese Person die Straße entlang wie eine Königin. Eine hübsche, interessante und keineswegs affektierte Königin.

Da lief dieses bezaubernde Geschöpf nun in ihrem schicken Kostüm, den aufgesteckten Haaren und diesen Luxusschuhen an den Füßen und bezauberte Rafael mit jeder Sekunde mehr. Sie wirkte so feminin, selbstsicher und forsch, strahlte aus, dass sie sich ihrer Wirkung auf andere durchaus bewusst war … dass sie spürte, wie sie auf andere wirkte … denn da spielte dieses wissende kleine Lächeln um ihre Lippen … tanzte bis hin zu ihren dunklen Augen, die so selbstbewusst und gelassen in die Welt blickten. Einzelne Haarsträhnen, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatten, umspielten ihr herzförmiges Gesicht, das durch den wunderschön geschwungenen Mund so unsagbar sinnlich wirkte.

Rafael verspürte den brennenden Wunsch, an ihrem sicherlich wunderbar duftendem Haar zu schnuppern und seinen Zeigefinger der sanften Linie ihres Nackens entlangfahren zu lassen. Seine Augen verdunkelten sich, die Pupillen wurden weit und prickelnde Begierde stieg in ihm auf.

Welches Ziel mochte diese bemerkenswerte Frau haben? Wo kam sie her und welche Gedanken wanderten wohl durch diesen entzückenden Kopf?

Rafael wollte alles von ihr wissen, folgte ihr auf Schritt und Tritt, und als sie für einen Moment hinter einer Menschengruppe verschwand, breitete sich innere Unruhe in ihm aus. Er hatte Angst, sie aus den Augen zu verlieren. Sie womöglich nie wieder zu sehen, niemals zu erfahren, wer sie war, und wie sie lebte.

Rafael spürte ihre Energie, ihren Esprit und ihr Feuer, auch wenn sie nach außen hin kühl und unnahbar wirkte. Diese Mischung zog ihn magisch an, machte ihn schwindelig. Sein Blick bohrte sich förmlich in ihren Rücken, und als sie sich für einen Moment umwandte, um die Straßenseite zu wechseln, kreuzten sich ihre Blicke.

Er warf ihr ein Lächeln zu.

Sie erstarrte … dann drehte sie ihren Kopf ruckartig in die entgegengesetzte Richtung und überquerte die Straße, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen.

Rafaels Blick folgte ihrer Gestalt.

Dich lasse ich nicht entkommen! Mir wird schon das Passende einfallen, um den kleinen Moment des Interesses, den ich gerade eben in deinen Augen aufblitzen sah, zu verstärken.

Er folgte ihr.

Die oder keine!

Sie ging hastig. Rafael spürte, dass sie einen Teil ihrer Gelassenheit verloren hatte. Der Moment, als ihre Blicke sich kreuzten, hatte gereicht, um sie aus dem Konzept … aus der Fassung zu bringen.

Und nun lief sie förmlich vor ihm davon.

Es war etwas geschehen, als sich ihre Blicke trafen. Ein Funke war übergesprungen, und nun ergriff sie die Flucht, weil sie Angst vor dem Feuer hatte, welches einem derartigen Funken entspringen könnte.

Egal! Er würde nicht locker lassen und ihr, sollte es nötig sein, quer durch ganz Frankfurt folgen.

Es entsprach keineswegs Rafaels Naturell, fremden Frauen auf der Straße nachzustellen. Im Gegenteil: Er hatte dies überhaupt nicht nötig! Und wenn man bedachte, dass er sich von allen Sentimentalitäten in dieser Hinsicht losgesagt hatte, passte sein momentanes Verhalten ganz und gar nicht.

Aber eine unerklärliche Macht sagte ihm, dass er so handeln musste. Er durfte die Unbekannte nicht aus den Augen verlieren, musste ihr folgen …

Rafael beobachtete, wie sie in einer Galerie verschwand, näherte sich und stellte sich genau davor. Mit vor der Brust verschränkten Armen beschloss er zu warten. Früher oder später würde sie schon rauskommen.

 

Es war schwül und warm an diesem Morgen. Eine dicke Wolkendecke verhinderte, dass die schwüle Luft abzog. Marleen bog in eine Seitenstraße ab und betrat eine kleine Galerie. Die Stille und Kühle im Inneren waren so angenehm wie ein seidig frisches Gewand. Sie holte tief Luft.

Ihr Herz klopfte wild. Selbst über mehrere Meter Abstand hatte sie erkannt, dass der Blick dieses attraktiven jungen Mannes Interesse ausgedrückt hatte. Sein Lächeln war hinreißend – auch wenn die Entfernung zu groß war, um seine Augenfarbe erkennen zu können, so war doch unübersehbar gewesen, wie bewundernd es in seinen Augen aufgeblitzt hatte.

Wie gut, dass sie so geistesgegenwärtig war, sich sofort von diesem feurigen Blick zu lösen – andernfalls wäre sie dahingeschmolzen. Wie ein Stück Butter in der Sonne. Wie Wachs in den Flammen eines ausbrechenden Feuers.

Die offensichtliche Bewunderung, mit der dieser schöne, aber viel zu junge Mann sie angeblickt hatte, war ihr durch und durch gegangen. Und die sinnliche Linie seiner Lippen, die ihr sofort aufgefallen war, hatte sich unauslöschbar in ihr Gedächtnis geprägt. Sicher küsste er wie ein junger Gott.

Marleen seufzte leise. Dann schlug sie erschrocken die Hand vor den Mund.

Halt! Stopp!, schalt sie sich in ihren Gedanken. Genug jetzt. Was ist mit dir los? Jetzt sag bloß nicht, ein einziger Blick, ein unbedeutendes Lächeln bringt dich dermaßen aus der Fassung, dass du dich in Tagträumereien und lächerlichen Gedankenschwärmereien verlierst!! Zumal dieser Kerl mindestens zehn Jahre jünger ist als du. Also, lass diese albernen Anwandlungen und komm gefälligst wieder zu dir.

„Recht hast du, mein inneres Ich“, murmelte sie, atmete tief durch und schritt dann zielstrebig auf ein Gemälde in der hinteren Ecke der Galerie zu.

Eingehend betrachtete sie das Bild, auf dem sich eine Frau mit unstetem, gierigem Blick auf einem Himmelbett rekelte. Die rote Decke, die sie umgab, hatte beinahe die gleiche Schattierung wie die Vorhänge des Himmelbettes. Die unterschiedlichen roten Farbtöne, die das gesamte Bild dominierten, wirkten wie ein Magnet auf ihre Sinne. Ihr Blick wurde förmlich in das Gemälde hineingesogen, führte dort ein Eigenleben und schien in den einzelnen Pinselstrichen aufzugehen.

Sie trat einen kleinen Schritt zurück, um das Bild noch intensiver in sich aufzunehmen. Es trug den Titel „Todsünde“, und während sie die unterschiedlich schimmernden Töne von zart himbeerfarben bis fast schwarzrot mit ihrem Blick liebkoste, bekam sie eine Ahnung davon, wieso das Bild diesen Namen trug: Es strahlte eine Hitze aus, die bis zu ihr rüberschwappte … sich auf sie übertrug ... sündige Gedanken in ihr weckte.

Das Verlangen in den Augen der Dame auf dem Bild streckte seine Fangarme explosionsartig nach Marleen aus und ergriff von ihr Besitz. Glut … Feuer … Leidenschaft … Blut … Liebe … Schmerz. Das waren die Begriffe, die sie spontan mit diesem Anblick assoziierte.

„Kann ich Ihnen behilflich … ach … Marleen … du bist es. Schön, dich zu sehen.“

„Hallo, Ruth.“ Marleen wandte sich um und lächelte der Frau, die nun hinter sie getreten war, freundlich zu.

„Das Bild lässt dich nicht los, nicht wahr?“

„Oh ja. Es hat einen Zauberbann über mich geworfen, hält mich in seinem Netz wie eine Spinne...