Psychologie Heute 09/2020 - Meine Zeit kommt jetzt

Psychologie Heute 09/2020 - Meine Zeit kommt jetzt

von: Psychologie Heute Redaktion

Beltz - Psychologie heute, 2020

ISBN: E092003401677 , 108 Seiten

Format: PDF

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 6,99 EUR

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Psychologie Heute 09/2020 - Meine Zeit kommt jetzt


 

The young become the old, and mysteries do unfold“, singt Benard Ighner 1974 in seinem Song Everything Must Change. „Die Jungen werden alt. Und Geheimnisse entfalten sich.“ Eine sehr schöne und tiefe Beschreibung des Älterwerdens. Und wie viel poetischer als der Begriff „Midlife-Crisis“, der häufig für die Zeit verwendet wird, in der wir merken, dass die Jugend vorüber ist und wir langsam altern.

Die Lebensmitte ist eine Phase des Verlustes, das ist das Klischee. Es verkennt, welches Wachstum diese Zeit des Umbruchs ermöglicht: „Die Kernaufgabe besteht darin, die bis dahin zu wenig beachteten und auch unterdrückten Persönlichkeitsanteile mehr zum Leben zu bringen, mit diesen in Kontakt zu treten und eine Einseitigkeit, die sich oft entwickelt hat, aufzulösen“, sagt Volker Münch. Er ist Psychoanalytiker, Dozent am C.G. Jung-Institut München und Autor des Buches Krise in der Lebensmitte. „Es ist die große Chance, unserem eigenen Unbewussten gerechter zu werden“, so Münch. Konkret kann das heißen, dass wir in diesen Jahren unsere stilleren, zarteren Seiten anerkennen und ernst nehmen, dass wir erstmals die Schatten unserer Familiengeschichte anschauen oder dass wir wagen, uns mehr auf andere zu verlassen.

Carl Gustav Jung, der Begründer der analytischen Psychologie, habe zwei Archetypen beschrieben, zwischen denen sich in der Lebensmitte der Schwerpunkt verschiebe, erklärt Münch weiter: den Puer, den Jüngling, und den Senex, den weisen alten Mann. „Der Puer steht für das, was in der ersten Lebenshälfte von Bedeutung ist: nämlich den Aufbau eines eigenen Lebens, Unabhängigkeit erreichen, eigene Ideen umsetzen, Kreativität walten lassen. Und als Gegensatz – der auch schon in früheren Jahren wirksam sein kann – der Senex, der eher die reiferen Aspekte der Persönlichkeit betont.“ Der Senex richtet den Blick stärker nach innen, die Einsicht in die Bedeutung des Lebens wächst und mit der Verbundenheit mit sich selbst nimmt auch die Verbundenheit mit anderen Menschen zu.

Auch das Zeitgefühl verändere sich, sagt Volker Münch. Während in der ersten Lebenshälfte ein lineares Zeitverständnis vorherrscht – wir wachsen, wir bauen eine Karriere auf, alles entwickelt sich ständig weiter –, kann sich mit den Jahren ein zyklisches Verständnis von Zeit einstellen: dass auf den Winter ein Frühling folgt, auf eine Krise ein Neuanfang und vielleicht auf einen geliebten Freund, der stirbt, eine bezaubernde Enkelin, die geboren wird.