Die großen Western 202 - Texas-Song

von: G.F. Waco

Martin Kelter Verlag, 2017

ISBN: 9783740919429 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Die großen Western 202 - Texas-Song


 

Sie liegen wie Brüder nebeneinander und handeln für eine gemeinsame Sache. Ive Torpin, der Mann aus Davenport, ist Deserteur der Nordstaatenarmee gewesen. Er hat noch vor einem Jahr gegen die Rebellen aus dem Süden gekämpft. Und Vic Roggers ist ein Rebell.

Vielleicht haben sie irgendwann früher aufeinander geschossen, aber das kümmert sie längst nicht mehr. Der Krieg ist vorbei.

»Pst!« zischt Torpin leise, und der schlanke Roggers wendet leicht den Kopf. »Du links – ich rechts, klar?«

»Klar«, sagt Roggers, dann kriecht er wie eine Schlange los. »Der arme Narr!«

Er meint den dritten Mann, der nicht ahnt, daß sich zwei andere ihm nähern. Er hat ein Gewehr unter dem Arm. Er raucht, kommt jetzt die Corralgasse hoch und blickt zum Himmel.

Im rechten Corral wandern die Pferde. Roggers kriecht an ihnen vorbei. Kaltblütig läßt er den Pferdewächter der Fields-Ranch herankommen. Roggers liegt im Schatten der Corralpfosten neben dem Gatter.

Weit hinter Roggers liegt der erste Schuppen der Ranch. Dort ist der Bach, und am Bach liegen die anderen. Einen Moment muß Roggers an seine wartenden Partner denken. Er stellt wieder einmal fest, daß Captain John Marlons Berechnungen auf die Sekunde stimmen.

Als der Posten genau drei Schritt vor dem Corralgatter ist, schiebt sich eine Wolke vor den Mond.

Der Pferdewächter wirft nun keinen Schatten mehr. Die dräuenden Wolken am Himmel haben die mondhelle Nacht schwarz werden lassen. Der Posten macht seine letzten vier Schritte.

An der anderen Seite der Corralgasse ist der Tränketrog für die Pferde. Dort preßt sich in diesem Augenblick der hagere Ive Torpin an das rauhe Holz.

Der Pferdeposten dieser Ranch, auf der das 3. Kavalleriekorps der US Army seine Pferde hält, lehnt sich an den Zaun. Der Mann kann den Trog in der Dunkelheit als länglichen Schatten mit leicht blinkendem Wasser sehen.

Wenn der mich sieht, schießt es Torpin durch den Kopf, heiliger Strohsack, wenn der Kerl, der verdammte…

Torpins Befürchtungen sind wie weggewischt, als der Mann ausspuckt und es im Wasser des Trogs über dem lauernden Torpin leicht klatscht. Dann geht der Posten weiter. Er hätte hundert Yards bis zum Bunkhaus zu gehen, in dem neun Ranchhelps schlafen. Im Haupthaus liegen ein Corporal der Armee und drei Mann. Die Ranch gehörte einmal Fields, doch der kam im Krieg um. Nach dem Krieg übernahm die Armee die Ranch und schuf sich hier ein Zweitgelände, auf dem Armeepferde gedrillt werden.

Als der Posten die nächsten beiden Schritte macht, windet sich Torpin wie ein Regenwurm um den Trog und schiebt sich unter der untersten Corrallatte durch in die Gasse.

Im gleichen Moment taucht von drüben lautlos wie eine heransegelnde Fledermaus auch schon Vic Roggers auf. Er kommt völlig geräuschlos hoch. Vic hat nur seine Hose und ein Hemd in dieser warmen Nacht an und über dem Kopf eine Kapuze, damit sein Gesicht in der Dunkelheit nicht als weißer Fleck zu erkennen ist.

Roggers kommt blitzartig auf die Beine. Dann nickt er unmerklich dem etwas langsamer aufstehenden Torpin zu. Yankee…, denkt Roggers, als er seinen ersten Satz macht und der Posten beim Knirschen des Sandes zusammenzuckt – zu spät, du verdammter Kerl!

Roggers springt auf den Wächter zu und schlägt den Colt herunter. Der Mann verdreht die Augen. Sein Mund öffnet sich in einem erstickten Laut.

Im gleichen Moment stürmt Torpin. Zielsicher stoßen seine Hände vor und packen das Gewehr. Dann rammt Torpin mit der linken Schulter den Rücken des Postens und umschlingt den Mann mit dem linken Arm. Im selben Augenblick packt auch Roggers zu.

Er stopft dem besinnungslosen Posten blitzschnell den Knebel zwischen die Zähne. Dann packt er ihn an den Beinen. Gemeinsam ziehen sie den Mann ein Stück weiter um die Corralecke. Sie legen ihn ab, binden ihn an die Stangen und sehen sich dann um.

Über die Corrals fällt wieder das Licht des Mondes.

»Nun?« fragt Marlon, als die anderen Männer erscheinen und sich sorglos, als gingen sie hier spazieren, zwischen den Corrals bewegen. »Keine Eile, sie lösen erst in anderthalb Stunden ab. Von Westen ziehen Wolkenfelder heran, sie werden in etwa einer Stunde für Dunkelheit sorgen. Bis dahin sind wir weit genug weg. Wird nicht ganz leicht sein, die Spuren zu verfolgen.«

Es ist kein Wunder, daß Marlon diese elf Mann starke Horde beherrscht.

Sie haben seinen überragenden Verstand längst erkannt und gehorchen ihm blindlings. Marlon macht nie einen Fehler. Seine Kühle, seine Ruhe und Umsicht haben auf die anderen abgefärbt. Sie werden uns nie erwischen, denkt Roggers zufrieden. Was John macht, das ist immer gründlich vorbereitet. Er hat im kleinen Finger mehr Verstand, als manch anderer hinter einer hohen Stirn.

»Captain, das war leicht«, meint Roggers und kichert. »Der Mann hat nichts gemerkt. Die werden fluchen, wenn sie keine Pferde mehr finden.«

»Vielleicht, Vic«, antwortet Marlon.

»Los, Kid, vorwärts, die Pferde heraus, immer nur zwei für jeden! Bringt sie hinter den Hang!«

Vic Roggers grinst, als er davonhastet. Er erinnert sich an die Steckbriefe allerorts. Manchmal machen sie sich einen Spaß daraus, den Steckbrief Max­wells und Marlons oder den von Torp irgendwo abzureißen. Man sucht sie seit Monaten und jenem Tag, an dem sie eine Nachschubkolonne der Armee überfielen und den Fahrern die neuen Henrygewehre abnahmen, sich mit Proviant und Munition versorgten und spurlos verschwanden.

Roggers sieht sich noch einmal um und betrachtet den großen schwarzhaarigen und kaltblütigen John Marlon mit offener Bewunderung. Marlon war im Krieg Captain der Südstaatenarmee. Als er nach Hause kam, fand er die Handels­agentur von einem Yankee besetzt. Der verdammte Kerl hatte sich die Agentur und Marlons Ranch an Land gezogen. Kriegsbeute nennt man das. Marlon stellte den Burschen zur Rede und erschoß ihn, als der seine Leute zur Hilfe rief und nach dem Revolver greifen wollte.

Seit jenem Tag ist John Marlon vogelfrei. Auf seiner Flucht fand er bald Gleichgesinnte, die irgendeine Rechnung mit den Besatzungstruppen zu begleichen hatten, Männer, die wegen irgendwelcher Dinge gesucht wurden. Nach Wochen hatte Marlon eine Gruppe um sich, die wie er weder Tod noch Teufel fürchtet. Sie alle verbindet der Haß auf die Yankees, die Leute aus dem Norden. Für Roggers sind Torpin, Chapman und dessen Partner Belmont zwar ehemalige Yankees, aber sie haben der Armee den Rücken gekehrt. Deserteure nimmt Marlon auch auf. So ist es zu der seltsamen Tatsache gekommen, daß acht Südstaatler gemeinsame Sache mit drei Yankeedeserteuren machen.

Elf Männer, elf gesuchte Banditen. Jetzt stehlen sie der US Army neunundvierzig Pferde.

Es ist John Marlons achter Schlag gegen die Yankees.

Und es wird nicht sein letzter sein…

*

Die Hufe klappern laut auf den Steinen. Pferde wiehern. Die Sonne steht schon schräg und wird in zwei Stunden versinken. Staub weht durch das enge Tal, als Maxwells scharfer Schrei John Marlon im Sattel zusammenfahren läßt.

Von hinten treibt Torpin im höllischen Galopp sein Pferd heran.

»Captain«, berichtet er keuchend, während ihm der Schweiß in kleinen Bächen über das Gesicht rinnt, »Verfolger – vier Mann! Sie haben unsere Fährte doch entdeckt.«

Maxwell, ein kräftiger grauköpfiger Mann, der zu Marlon gehört wie der Ast zu einem Baum, schließt die Augen zu schmalen Schlitzen. Dennoch zeigt sich keine Unruhe auf seinem Gesicht.

»So, haben sie?« fragt Marlon trocken. Sein hartes Gesicht mit den hellen Augen bleibt unbewegt. »Wie weit?«

»Zwei Meilen haben sie noch, Captain«, gibt Torpin heiser zurück. »Sie kommen schnell. Roggers fragt, was werden soll.«

Marlon bedeutet den anderen, weiterzutreiben, während er sein Pferd zur Seite lenkt und mit Maxwell hält.

»Es ist doch immer gut, eine Nachhut als Sicherung zu haben«, sagt Marlon dann. »Charles, mit Torpin zurück! Ihr blockiert ihnen den Weg durch dieses Tal! Nehmt den linken Hang, er ist flach genug, um gute Übersicht zu haben. Nicht auf den Mann schießen, nur auf die Pferde! Verstanden?«

»In Ordnung, John«, antwortet Charles Maxwell. »Ive, haben sie euch gesehen?«

»Hältst du uns für Trottel?« erkundigt sich Ive Torpin beleidigt. »Keine Sorge, Graukopf, sie haben nichts von uns entdeckt. Captain, sollen wir danach noch sichern? Es ist nicht mehr weit zur Grenze.«

»Sichern – rechts und links!« befiehlt Marlon scharf. »Keine Minute schlafen, verstanden?«

Für Marlon ist die Sache bereits gelaufen. Er war geschickt genug, ihre Fährte kurz vor dem Morgengrauen über das Gebiet der kahlen Felsen am Maravilla’s Canyon führen zu lassen. Dabei ritt er einige Meilen nach Süden, um dann wieder nach Osten abzubiegen. Dieser Trick hat sich bezahlt gemacht. Von all den ausgeschickten Suchtrupps scheint nur einer die wahre Fluchtrichtung Marlons erkannt zu haben. Aber dieser Trupp ist zu klein, um der Bande des Captains gefährlich zu werden. Keiner der beiden Vorreiter hat bis jetzt irgendwo Staubwolken gemeldet. Marlons Taktik, im steinigen Gelände zu bleiben, zahlt sich wieder einmal aus. Dennoch wird Marlon nicht leichtsinnig.

»Patty!«

Marlons scharfer Zuruf gilt einem der Reiter.

»Captain?«

»Reite voraus, den anderen Bescheid zu geben, Richtung Süden einschlagen!«

»Was? Captain, so kurz vor der Grenze…«

»Die Dämmerung kommt bald. Wenn jemand an der Grenze lauert, könnten ihn Schüsse aufmerksam machen. Wir weichen nach Süden aus und benutzen die Höhen am Beagan Canyon, verstanden? Ich kümmere mich selbst nachher darum....