Cannabis und Führerschein

von: Theo Pütz

Nachtschatten Verlag, 2017

ISBN: 9783037882900 , 184 Seiten

2. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 10,99 EUR

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Cannabis und Führerschein


 

1.Cannabis und Führerschein – ein Dilemma

Seit Mitte der neunziger Jahre müssen immer mehr Cannabiskonsumenten zur Fahreignungsüberprüfung, da die Fahrerlaubnisbehörden davon ausgehen, dass bei einem Cannabiskonsumenten die Gefahr besteht, dass er unter Rauschwirkung am Kraftverkehr teilnimmt. Oft wird der Führerschein durch die Fahrerlaubnisbehörde entzogen, wenn bei einer Verkehrsteilnahme der Wirkstoff THC im Blutserum nachgewiesen wird. Aber nicht nur in Bezug auf eine vermeintliche «Drogenfahrt» laufen Cannabiskonsumenten Gefahr, ihre Fahrerlaubnis zu verlieren. Auch bei Besitzdelikten, selbst wenn es nur geringe Mengen Cannabis waren und das Strafermittlungsverfahren eingestellt wurde, muss grundsätzlich damit gerechnet werden, dass der Betroffene noch Post von seiner Führerscheinstelle erhält.

Die Auswirkungen eines Führerscheinentzugs sind für die Betroffenen enorm. Neben einem möglichen Arbeitsplatzverlust oder der Aufgabe einer selbstständigen Berufstätigkeit sind die Kosten für eine Wiedererteilung der Fahrerlaubnis sehr hoch und können ohne weiteres mehrere 1000 Euro betragen. Zudem muss ein Fahrzeuglenker damit rechnen, dass er mehrere Monate zu Fuß gehen muss, bevor er überhaupt die Möglichkeit hat, seine Fahreignung durch ein entsprechendes Gutachten nachzuweisen.

Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1994 (siehe auch Seite 48) wurde der Besitz geringer Mengen Cannabis für den Eigenbedarf ein Stück weit entkriminalisiert. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass aufgrund der vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse das Gefahrenpotenzial von Cannabis mit dem von Alkohol vergleichbar ist und in der Regel nicht über die Gefahren hinausgeht, die durch Alkohol zu erwarten sind. Genau diese vom Bundesverfassungsgericht angestoßene Entkriminalisierung des Cannabiskonsums führte aber auch dazu, dass sich der Verfolgungsdruck auf die Cannabiskonsumenten inzwischen in den Bereich der Verkehrssicherheit verschoben hat. Diese stehen oft da wie der Ochs am Berg, weil sie nicht nachvollziehen können, wieso von ihnen eine besondere Gefahr für die Verkehrssicherheit ausgehen soll, wenn sie im Straßenverkehr doch gar nicht aufgefallen und auch nicht unter der Wirkung von Cannabis gefahren sind. Hinzu kommt, dass die rechtlichen Möglichkeiten für die Betroffenen, sich gegen solche Vorwürfe zu wehren, im Bereich des Verwaltungsrechts äußerst begrenzt sind. So fühlen sie sich insbesondere den Verwaltungsbehörden und später der vermeintlichen Willkür der Begutachtungsstellen ausgesetzt.

Dabei haben sie sich häufig überhaupt nichts zuschulden kommen lassen, wenn man einmal davon absieht, dass der Besitz von Cannabis nach wie vor unter das Betäubungsmittelgesetz fällt und sie damit eine Straftat begehen, die allerdings eher im Bagatellbereich anzusiedeln ist. Deshalb scheitern Cannabiskonsumenten auch oft an der psychologischen Begutachtung bei der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU). Denn wie sollen sie sich kritisch mit einer vermeintlichen Drogenfahrt auseinandersetzen, die gar nicht stattgefunden hat oder bei der nach ihrem subjektiven Empfinden keine Rauschwirkung mehr vorlag?

Diese Problematik ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass die Wirkung des berauschenden Cannabiswirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) so lange anhält, wie er im Blut nachweisbar ist, und daher einen Null-Promille-Grenzwert eingeführt hat. Dieser wurde zwar zwischenzeitlich vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig verworfen; der Gesetzgeber hat es aber bisher nicht für nötig befunden, einen THC-Grenzwert zu normieren, und überlässt die THC-Grenzwertfindung der Rechtsprechung.

Die zuständigen Gerichte wiederum orientieren sich bei der Rechtsprechung am Grenzwertvorschlag einer Grenzwertkommission. Diese hat den rein analytischen Grenzwert von 1 Nanogramm pro Milliliter Blutserum als Entscheidungsschwelle vorgeschlagen. Dieser analytische Grenzwert ist allerdings nicht mit einer für den Betroffenen wahrnehmbaren und damit steuerbaren Wirkung gleichzusetzen – was dazu führt, dass der überwiegende Teil der betroffenen Cannabiskonsumenten bestraft wird, obwohl sie sich subjektiv an das Nüchternheitsgebot gehalten haben und nicht unter einer wahrnehmbaren Rauschwirkung gefahren sind.

Dass der Konsum von Cannabis Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit haben kann, ist keine Frage. Aus diesem Grunde ist auch überhaupt nicht zu kritisieren, dass der Gesetzgeber die rechtlichen Rahmenbedingungen so umgestaltet hat, dass auch eine Fahrt unter Cannabiseinfluss bestraft werden kann. Niemand wird behaupten wollen, dass Cannabis für die Verkehrssicherheit völlig ungefährlich wäre. Es ist auch nicht zu kritisieren, dass der Gesetzgeber vorschreibt, dass nur diejenigen Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen zugelassen werden können, welche über die dafür notwendige körperlich und geistige Leistungsfähigkeit verfügen. Dass die notwendige Leistungsfähigkeit bei einer Sucht- oder Abhängigkeitserkrankung möglicherweise nicht gegeben ist, ist ebenfalls nachvollziehbar. Insofern erscheinen die Rechtsnormen im Bereich des Verkehrsrechts an sich durchaus dazu geeignet, die Verkehrssicherheit zu gewährleisten.

Dass die neu geschaffenen Rechtsnormen und Verordnungen ausschließlich dem Ziel dienen, die Verkehrssicherheit zu gewährleisten, hat die Bundesregierung erst im Juni 2012 auf eine Anfrage der Linken im Bundestag bestätigt. Der drogenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Frank Tempel, stellte hierzu folgende Frage an die Bundesregierung:

Haben die Regelungen des StVG, des StGB, der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) oder anderer Rechtsnormen, die etwa zu Bußgeldern und Strafen, zum Verlust des Führerscheins oder der Verpflichtung zu einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) aufgrund des Konsums berauschender Substanzen führen, ausschließlich die Gewährleistung der Verkehrssicherheit zum Ziel?

Die Bundesregierung antwortete auf diese Frage:

Schutzgut der angesprochenen Normen ist ausschließlich die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs. Diesem Ziel dienen insbesondere die entsprechenden Regelungen des StVG, der FeV und der anderen Normen, indem die Eignung zum Führen eines KFZ zu gewährleisten ist.

Hiermit stellt die Bundesregierung unmissverständlich klar, dass die Rechtsnormen nicht etwa dazu dienen sollen, den Konsum von Cannabis als solchen zu bestrafen.

Im weiteren stellte Frank Tempel auch die Frage, inwieweit die Bundesregierung die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts von 2002 teilt, dass der Erwerb einer Fahrerlaubnis durch Grundrecht geschützt ist und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei allen Maßnahmen gewahrt bleiben muss. In ihrer Antwort bestätigt die Bundesregierung, dass der Erwerb der Fahrerlaubnis zu den Grundrechten zählt und ein Eingriff in dieses Recht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen und verfassungsrechtlichen Grundsätzen genügen muss:

Die entsprechenden Einschränkungen des Rechts zum Führen von Kraftfahrzeugen müssen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Sie müssen erforderlich geeignet und angemessen im engeren Sinne sein, um den Anforderungen der Verfassung gerecht zu werden.

Dass die erwähnten verfassungsrechtlichen Grundsätze in der Rechtspraxis bei Cannabiskonsumenten eingehalten werden, bezweifeln nicht nur unmittelbar Betroffene. Obwohl die Bundesregierung nachweislich beteuert, dass die Änderungen im Verkehrsrecht nicht dazu dienen sollen, den Konsum bzw. den Umgang mit Cannabis als solchen zu bestrafen, wird die Rechtspraxis durch die Betroffenen als Ersatzstrafrecht empfunden.

Betrachtet man die Rechtsentwicklung seit den neunziger Jahren etwas genauer, liegt der Verdacht nahe, dass der Gesetzgeber hier primär die Einschränkungen zu kompensieren sucht, die durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf Strafrechtsebene entstanden sind (Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz BetmG). Auch heute, über zehn Jahre nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, werden Fahreignungsüberprüfungen nach wie vor alleine aufgrund von Besitztatbeständen angeordnet, obwohl dies eindeutig verfassungswidrig ist.

Die Verlagerung des Verfolgungsdrucks vom Strafrecht auf das Verwaltungsrecht gibt den Betroffenen kaum eine Chance, selbst eindeutig rechtswidrige oder falsche Maßnahmen der Verwaltungsbehörden juristisch überprüfen zu lassen, ohne dass ihnen die Fahrerlaubnis vorher entzogen wird. Das juristische Kernproblem dabei ist, dass die Erteilung einer Fahrerlaubnis oder auch die Anordnung von Überprüfungsmaßnahmen über das Verwaltungsrecht geregelt sind, welches grundsätzlich anderen Spielregeln gehorcht. Hier geht es nicht wie im Strafrecht darum, ein Fehlverhalten zu beweisen und zu bestrafen. Die Beweislast ist umgekehrt: Gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde steht der Fahrerlaubnisinhaber oder Bewerber...