Wo das Glück zuhause ist - Roman

von: Rachel Hore

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2017

ISBN: 9783732530984 , 416 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Wo das Glück zuhause ist - Roman


 

Zwei


Stef

Stef erwachte im Morgengrauen und wusste einen Moment lang nicht, wo sie war. Als sie den Kopf drehte, schoss ein glühender Schmerz durch ihren Nacken. Langsam, ganz langsam, setzte sie sich auf, und als sich die Farbwirbel vor ihren Augen legten, konzentrierte sie sich auf den Teebecher, den jemand auf dem Boden neben der Matratze abgestellt hatte. Die Tasse fühlte sich lauwarm an, und der Tee war stärker, als sie ihn mochte, aber sie trank ihn trotzdem und tastete nach den Schmerztabletten, die man ihr im Krankenhaus mitgegeben hatte. Nachdem sie ein paar davon geschluckt hatte, schlief sie noch ein wenig, und als sie wieder aufwachte, fühlte sie sich erfrischter. Das leise Klopfen an der Tür, das sie geweckt hatte, war erneut zu hören. Dann öffnete sich die Tür, und durch den Türspalt sah Rick sie besorgt an.

»Kann ich hereinkommen?«

»Warte mal. Ja.« Sie setzte sich auf und sah, dass er ihr auf einem Tablett das Frühstück brachte. »Oh, danke.«

»Leonie hat das Frühstück gemacht, aber sie hat gesagt, ich könnte es dir bringen.«

»Das ist sehr nett.« Sie sah zu, wie er das Tablett, das ausklappbare Beinchen hatte, neben ihrer Matratze abstellte. Darauf standen Orangensaft – frisch gepresst, so wie er aussah und roch –, Müsli und ein Kännchen Milch, ein Toastständer mit Vollkorntoast, winzige Tellerchen mit Butter und Marmelade und eine Kanne Tee.

»Leonie hofft, dass Tee in Ordnung ist. Es gibt aber auch Kaffee, falls du lieber Kaffee möchtest.«

»Tee ist prima«, erklärte sie und atmete den würzigen Duft ein, während sie ihn in eine zarte weiße Tasse goss. Kaffeegeschmack hätte sie überwältigt. Bei den seltenen Gelegenheiten, zu denen Oliver ihr das Frühstück brachte, war der Kaffee stark und dick, so wie er ihn liebte, sie aber nicht; und er tat es immer nur, wenn er Grund hatte, sich zu entschuldigen. Die Kaffeemaschine war sein ganzer Stolz, und er witzelte, dass er, wenn es brannte, eher die Maschine retten würde als sie.

Rick ging in die Hocke, legte die Hände auf die Oberschenkel und lächelte ihr zu. Sein Haar sah frisch gewaschen aus, aber er musste es mit dem Handtuch trocken gerieben und dann vergessen haben, es zu kämmen, denn einzelne Strähnen hatten sich aus dem Haargummi gelöst und fielen in sein Gesicht, was ihn ein wenig zerstreut aussehen ließ.

»Keine Sorge, ich bleibe nicht hier und sehe dir zu«, sagte er, während sie den Tee trank und den Becher mit beiden Händen festhielt. »Ich muss zur Arbeit; ich komme sogar zu spät, wenn ich jetzt nicht gehe. Aber ich wollte sehen, wie es dir geht.«

»Besser«, sagte sie. »Ich hab nur noch ein bisschen Kopfschmerzen.« Sie begann, Butter auf eine Scheibe Toast zu streichen.

»Hast du gut geschlafen?«

Sie nickte, aber davon tat ihr der Kopf weh, sodass sie aufhörte. »Und du?«, fragte sie noch schnell, während sie Marmelade von ihrem Finger leckte.

»Hier hat’s ein bisschen weh getan«, erklärte er und berührte seine Rippen. »Ich lasse dich dann mal allein.« Er stand mit einer ungelenken Bewegung auf, blieb dann aber unsicher stehen und steckte die Hände in seine Jeanstaschen. »Leonie sagt, du sollst herunterkommen, wenn du so weit bist. Es hat aber keine Eile. Ich bin am späten Nachmittag zurück.«

»Okay«, sagte sie, den Mund voll Toast. Die Butter schmeckte herrlich salzig.

Nachdem er weg war, fiel ihr auf, dass sie zu beschäftigt mit ihren eigenen Problemen gewesen war, um ihn zu fragen, was er arbeitete.

Als sie das Tablett nach unten in die Küche trug, war niemand da. Auf dem Tisch lag eine Zeitung, deren Seiten von einer Brise, die von der Hintertür kam, hochgeweht wurde. Sie stand offen und führte in einen schäbigen Wintergarten, von wo aus man durch eine Glastür, die ebenfalls halb offen war, in den Garten gelangte. Durch das Fenster über der Spüle sah sie Bäume und mit Wurmhäufchen übersätes Gras. Sie stellte das Tablett auf das abgegriffene hölzerne Abtropfbrett und warf einen Blick auf die Zeitung. Es war eine dieser Gratiszeitungen, die Oliver immer mit nach Hause brachte, aus seinem Aktenkoffer nahm und auf den ordentlichen Stapel in der Recycling-Kiste legte. Sie pflegte sie nie zu lesen; es standen immer nur schlechte Nachrichten darin. Heute wurde ihr Blick von einem Foto unten auf einer der Innenseiten angezogen. Es war eine Aufnahme vom Ort eines Fahrradunfalls. Eine gemusterte Reisetasche lag neben einem umgestürzten Fahrrad, und daneben lag – für alle sichtbar – ein bewusstloser Körper … Der Schock raste durch ihre Glieder, und einen Moment lang konnte sie es nicht fassen. Es war sie selbst. Sie zwang sich, den Bericht neben dem Foto zu lesen. Da stand ihr Name, Stephanie Anderson. Mit wachsender Empörung las sie die Unfallschilderung des Radfahrers. Fußgänger achten nicht auf Fahrräder, sagte er. Dass er mit hoher Geschwindigkeit über Rot gefahren war, erwähnte er nicht. Wütend starrte sie auf sein Gejammer, als sie ein Geräusch hörte, sich umdrehte und sah, wie sich die Tür zur Küche öffnete.

Sie rechnete damit, Leonie zu sehen, aber stattdessen trat ein schüchterner, kleiner Asiate mit einer prall gefüllten Supermarkttüte ein. Er war überrascht, sie zu sehen, und dann huschte ein besorgter Ausdruck über sein Gesicht.

»Tut mir leid, wenn ich störe«, sagte er und blieb zitternd auf der Türschwelle stehen. Er ist alt, dachte sie, aber sie hätte nicht sagen können, wie alt. Das silberne Haar war über seinen wohlgeformten Ohren kurz geschnitten, und sein schmales Gesicht sah sensibel aus.

»Nein, Sie stören wirklich nicht«, sagte sie nervös. »Ich hatte mich nur gefragt, wo Leonie ist.«

»Wahrscheinlich ist sie im Garten«, sagte er, kam in die Küche hinunter und zog die Tür zu. »Da ist sie oft.« Er ging zu einem hohen Kühlschrank, der in einer Ecke vor sich hinbrummte, öffnete ihn und begann, den Inhalt seiner Plastiktüte in die Fächer zu verteilen. Es schienen schrecklich viele Joghurts zu sein, bemerkte Stef fasziniert. Als er sich wieder zu ihr umdrehte, errötete sie, denn sie hatte ihn mit unverhohlener Neugier angestarrt.

Sie murmelte eine Entschuldigung und flüchtete durch die Hintertür. Der alte Wintergarten mit seinen Terrakottatöpfen voller Sukkulenten gefiel ihr. Er war mit bequem wirkenden Rattanstühlen möbliert, die vor Alter silbrig schimmerten. Es roch durchdringend nach Geranien. Die kühle Brise kam von der Glastür, die nach draußen führte. Durch sie trat sie auf eine Terrasse, die mit Mosaikpflaster ausgelegt war, das zahlreiche Sprünge hatte. Verblüfft stellte Stef fest, wie groß der Garten war. Er dehnte sich scheinbar endlos nach hinten aus, und die verwilderte Wiese fiel in Wellen zwischen Lorbeerhecken ab wie eine Reihe von Terrassen. Dort, wo sie das andere Ende zu erkennen glaubte, standen Bäume und ein Holzschuppen. Stef sah, wie Leonie mit einem Gartenrechen in der Hand daran vorbeiging, auf dem Weg zu etwas, das sie hinter dem Lorbeer nicht erkennen konnte. Stef lief den Weg in der Mitte hinunter. Bald hatten die dicken Tautropfen ihre Pumps durchnässt.

Wie sie feststellte, war das Areal um den Schuppen herum in einen Gemüsegarten verwandelt worden. Er war völlig verwildert, obwohl Leonie emsig daran arbeitete. Neben ihr lag ein Haufen Plastiknetze und Bambusstäbe, die sie offensichtlich gerade entfernt hatte, und sie harkte jetzt vertrocknete Pflanzenteile zusammen. Ein langer dunkler Streifen in dem Beet war jedoch schon frisch mit Setzlingen bepflanzt, und der Duft der Erde erweckte in Stef Erinnerungen an ihre lange zurückliegende Kindheit. Sehnsuchtsvoll atmete sie ihn ein.

»Erstaunlich, dass Sie mich hier gefunden haben«, sagte Leonie, richtete sich auf und lehnte ihren Rechen an den Zaun. »Wie geht es Ihnen jetzt, nachdem Sie ein bisschen geschlafen haben?« Sie schenkte Stef ein Lächeln, das verriet, dass sie sie gern mochte, und Stef dachte, wie bezaubernd Leonie mit ihrer kleinen Stupsnase und den lachenden Augen doch aussah. Heute trug sie eine Weste über einem blauweiß gestreiften Top und Jeans und hatte sich ein rotblau gemustertes Baumwolltuch um den Hals gebunden, das dem Ganzen eine kecke Note verlieh.

»Gut, denke ich. Ich habe noch ein wenig Kopfschmerzen, und mein Hals ist steif.«

»Das klingt, als sollten Sie es heute langsam angehen lassen.«

»Hmm«, meinte Stef und flocht die Finger ineinander. »Ich muss meine Handtasche im Krankenhaus abholen.«

»Kann das nicht jemand anderer für Sie erledigen? Rick vielleicht, wenn er von der Arbeit kommt?«

Darüber dachte Stef nach. »Vielleicht.« Ein Teil von ihr hätte sich am liebsten hier verkrochen und ausgeruht, aber das bedeutete, dass sie Zeit zum Nachdenken haben würde, und davor hatte sie Angst. Es wäre besser, etwas zu tun.

»Was bauen Sie denn hier an?«, fragte sie neugierig.

»Ich probiere fast alles aus. Kartoffeln gedeihen gut, und Kreuzblütler auch«, sagte Leonie. »Sie wissen schon, Kohl und grünes Gemüse«, fügte sie hinzu, als sie Stefs verwirrte Miene sah. »Hier möchte ich ein paar Zucchini pflanzen, und Zwiebeln und Salat, wenn die Setzlinge so weit sind. Und da drüben stehen Himbeeren, die im letzten Jahr nicht zurückgeschnitten worden sind.«

»Der Garten ist sehr groß!« Stef drehte sich um, um das Haus zu betrachten, und sah zum ersten Mal die ganze Reihe weißer Häuser, die sich nach rechts und links fortsetzten. Die Vormittagssonne spiegelte sich blitzend in den Fenstern. Nummer 11 war ohne Zweifel das ungepflegteste Haus. Die Nachbarhäuser waren frisch gestrichen und sahen auch sonst rundum saniert aus. Die Nachbarn rechts hatten zudem...