Hedwig Courths-Mahler - Folge 127 - Der Australier

von: Hedwig Courths-Mahler

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2016

ISBN: 9783732521586 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Hedwig Courths-Mahler - Folge 127 - Der Australier


 

Frau Ellen von Schönau hatte für das Gartenfest einige Dutzend elektrische Tischlampen mit großen roten Seidenschirmen von Berlin kommen lassen. Die Seidenschirme hatten originelle Formen, und es war ein hübsches Bild, wie die Lampen, gleich rot leuchtenden Riesenblumen, durch das dunkle Grün der Pflanzengruppen schimmerten, die auf der Terrasse vor dem Schönauer Herrenhaus aufgestellt waren.

Frau Ellen konnte mit der Wirkung zufrieden sein. Die Lampen hatten zwar eine hübsche Summe gekostet, und Geld dazu war nicht vorhanden gewesen. Aber wo man so viel schuldig blieb, kam es auf einige tausend Mark mehr auch nicht an. Die Hauptsache war für Frau Ellen, dass man ihr Fest reizend fand und ihr Talent, solche Feste zu veranstalten, bewunderte.

Natürlich glaubte man allgemein, dass Herr von Schönau über die nötigen Mittel verfügte, um solche Feste feiern zu können. Nur sehr wenige Menschen ahnten, dass er seit Jahren über seine Verhältnisse lebte, und dass ihm sozusagen kein Halm auf seinem Gut mehr gehörte. Ebenso allgemein war die Ansicht verbreitet, dass seine Stieftochter, Komtesse Dagmar Riedberg, eine reiche Erbin war. Sie sollte von ihrem verstorbenen Vater ein enormes Vermögen geerbt haben. Das hatte Herr von Schönau mehrmals selbst bekräftigt. Vielleicht hatte er das aber nur getan, um seinen Kredit zu heben. Er stellte gewissermaßen das Vermögen der Komtesse als eine Art Bürgschaft hinter sich. Und wer in der Gesellschaft so nachdenklich war, sich auszurechnen, dass ein Gut wie Schönau unmöglich die Mittel zu der prunkvollen Lebensführung des Herrn von Schönau und seiner Familie einbringen konnte, der sagte sich höchstens: „Da seine Stieftochter ein so großes Vermögen besitzt, wird ja auch ihre Mutter eine gute Mitgift in die Ehe gebracht haben. An Geld kann es in Schönau jedenfalls nicht mangeln.“

Diesen Anschein erweckte auch heute wieder das luxuriöse Gartenfest mit den „originellen Nuancen“, die Frau Ellens spielerisches Köpfchen erfand.

Man hatte ein opulentes Mahl eingenommen, mit den feinsten Delikatessen. Nun strömten die Gäste hinaus in die laue Frühsommernacht. Es stand zwar noch Frühling im Kalender, aber der Mai hatte schon sehr heiße Tage gebracht, und man fühlte sich bis in die Nacht hinein behaglich im Freien.

Frau Ellen, eine noch jugendlich aussehende, elegant gekleidete Dame am Beginn der Vierzig, die man aber bei Lampenlicht für zehn Jahre jünger hielt, bekam viele Komplimente über das reizende Arrangement des Festes. Sie quittierte mit einem charmanten Lächeln.

Ihr Gatte, Axel von Schönau, eine hagere, sehnige Sportfigur mit gelichtetem Haupthaar, ging durch die Reihen seiner Gäste und plauderte hie und da mit gezwungener Lustigkeit. Das unruhige Flackern seiner dunklen Augen und der zuweilen geistesabwesende Blick verrieten aber, dass diese Lustigkeit nicht echt war.

Er wusste, dass ihm das Wasser an der Kehle stand. Es war ihm in der letzten Zeit immer schwerer geworden, seine Gläubiger durch fantasievolle Versprechungen zu veranlassen, ihm eine weitere Gnadenfrist zu gewähren. Und nun war er zu Ende mit seinem Latein.

All die fröhlichen Menschen, die sich einem heiteren Lebensgenuss hingaben und nach Herzenslust plauderten, lachten und flirteten, ahnten nicht, dass sie heute Abend in Schönau gleichsam auf einem Vulkan tanzten.

Nur einer wusste es außer Axel von Schönau. Aber der gehörte nicht zu den geladenen Gästen, gehörte überhaupt nicht zu der Gesellschaft. Es war Ralf Jansen, „der Australier“, wie er in der Umgegend genannt wurde. Er war ein Mensch, mit dem die adeligen Kreise, die hier in der ganzen Umgegend und in der nahen Garnison dominierten, noch keine Fühlung genommen hatten, obwohl er schon seit Jahresfrist in der Gegend ansässig war. Er hatte Schloss Berndorf mit den dazu gehörigen Ländereien und allem lebenden und toten Inventar gekauft. Dieser Besitz hatte den Grafen Berndorf seit Jahrhunderten gehört, aber der letzte Vertreter des gräflichen Geschlechts hatte ihn nicht mehr halten können.

Ralf Jansen hatte den Verkehr mit seinen adligen Nachbarn auch bisher keineswegs gesucht. Er lebte sehr zurückgezogen in seinem schönen, alten Schloss, das er, so weit es nötig war, hatte restaurieren lassen. Es war allgemein bekannt, dass er Berndorf, das ziemlich verloddert gewesen war, wieder emporgebracht hatte. Dort herrschte jetzt in allen Dingen die beste Ordnung, und Ralf Jansen wurde als ein tüchtiger, fleißiger und zuverlässiger Mensch gerühmt von allen, die geschäftlich mit ihm zu tun hatten.

Aus irgendeinem Grund musste Ralf Jansen ein lebhaftes Interesse für Schönau und seine Bewohner haben, ein mehr als nachbarliches Interesse, denn er, der sich sonst um niemanden kümmerte, erkundigte sich bei seinen Geschäftsfreunden nach allem, was mit Schönau und seinen Bewohnern zusammenhing, sehr auffallend. Und da diese Leute, die auch auf allen Nachbargütern Geschäfte hatten, über alles orientiert waren und außerdem wussten, dass Ralf Jansen mit niemandem verkehrte und nicht schwatzen würde, unterrichteten sie ihn von allem, was sie selber wussten. Und so war er sehr wohl über die schwierigen Verhältnisse des Herrn von Schönau unterrichtet.

Und obwohl nun Ralf Jansen nicht zur geladenen Gesellschaft gehörte, war er doch in Schönau anwesend. Er stand jenseits der Terrassenbrüstung, die das Schönauer Herrenhaus und die davorliegende Terrasse begrenzte, in einem Gebüsch verborgen, durch das hier herrschende Dunkel geschützt, und schaute mit brennenden Augen auf die im rötlichen Licht erstrahlende Terrasse.

Seine Augen sahen aber unter all den glänzenden Erscheinungen nur eine, die der Komtesse Dagmar, der Stieftochter Axel von Schönaus.

Frau Ellen von Schönau war in erster Ehe mit dem Grafen Riedberg vermählt gewesen, der als sehr reicher Mann gegolten hatte. Wenige Menschen wussten, dass es Frau Ellen fertig gebracht hatte, in einer vierjährigen Ehe sein Vermögen ziemlich aufzubrauchen. Als ihr erster Gatte durch einen Unglücksfall im vierten Jahr ihrer Ehe starb, hatte er nur noch wenige Hunderttausende hinterlassen. Diese Summe hatte Frau Ellen mit ihrer Tochter Dagmar teilen müssen.

Als sie zwei Jahre später Axel von Schönau heiratete, der ihr schon zu Lebzeiten ihres ersten Gatten eifrig den Hof gemacht hatte, brachte sie diesem also nur ein mäßiges Kapital in die Ehe und ihr Töchterchen, das die gleiche Summe als Vermögen besaß.

Axel von Schönau wurde der Vormund seiner Stieftochter und legte ihr Vermögen in sicheren Papieren an, wie es seine Pflicht war. Das Vermögen seiner Frau legte er in Schönau an. Ohne Besinnen hatte es ihm Frau Ellen übergeben, denn sie hatte geglaubt, eine sehr gute Partie zu machen. Damals war er auch noch ziemlich gut fundiert. Natürlich verwaltete er auch das Vermögen seiner Stieftochter. Die Zinsen dieses Vermögens bezog Komtesse Dagmar Riedberg, seit sie erwachsen war, als Nadelgeld.

Eigener Leichtsinn, noble Passionen und die Verschwendungssucht seiner Frau brachten Axel von Schönau von Jahr zu Jahr in immer schwierigere Verhältnisse. Und was er auch unternahm, um seine Finanzen aufzubessern – er entdeckte ein Kalilager, Porzellanerde und sogar Anthrazit auf seinem Grund und Boden – nichts half ihm wieder in geordnete Verhältnisse. Alle diese Entdeckungen waren mehr Fantasiegebilde von ihm, um seinen Gläubigern Sand in die Augen zu streuen. In Wahrheit kosteten sie ihn mehr Geld, als sie einbrachten. Aber geschickt wusste er immer wieder den Anschein zu erwecken, als seien seine pekuniären Nöte nur Augenblicksverlegenheiten.

In den letzten Jahren war es aber für ihn immer schwieriger geworden, Geld aufzutreiben, und schon wurden seine Gläubiger unruhig und drängend. Da gelang es ihm nochmals, auf eine nur ihm bekannte Weise ein Kapital flüssig zu machen, womit er den ärgsten Bedrängern den Mund stopfen konnte. Noch einmal gelang es ihm, den Schein zu erwecken, als seien seine Hilfsquellen noch nicht erschöpft, als habe er noch Reserven. Und seine Gläubiger nahmen an, dass er das Vermögen seiner Frau und seiner Stieftochter, das man allgemein für sehr bedeutend hielt, noch hinter sich hatte. Niemand ahnte, um welchen Preis Axel von Schönau diesen letzten Aufschub seines Verfalls erlangt hatte.

Scheinbar ging das Leben in Schönau nun weiter wie zuvor. Aber Frau Ellen musste sich in letzter Zeit sehr über „unangebrachte“ Knauserigkeit ihres Gatten, über seine Nervosität und Reizbarkeit beklagen. Er predigte Sparsamkeit, und wenn sie ihn erstaunt ansah, stotterte er etwas vom Versagen des Kalilagers, von Verlusten und ähnlichen Dingen, die Frau Ellen nicht interessierten. Es blieb denn auch bei einigen vergeblichen Versuchen, ein sparsameres Leben in Schönau einzuführen. Axel von Schönau sah ein, dass nichts mehr zu retten war und dass ein Ende mit Schrecken so oder so vor der Tür stand. Er war nicht der Mann, einem im jähen Lauf abwärts rollenden Rad in die Speichen zu fassen.

Als seine Gattin nun dieses glänzende Gartenfest veranstalten wollte, ließ er ihr apathisch den Willen. Er wusste, es war das letzte Fest. Danach musste die Katastrophe hereinbrechen. Weder seine Frau noch seine Stieftochter und seine eigene Tochter, die zur Zeit in einem vornehmen Genfer Pensionat weilte, hatten eine Ahnung von dieser bevorstehenden Katastrophe.

Komtess Dagmar, eine sehr schöne und sehr kluge junge Dame von zweiundzwanzig Jahren, hatte freilich in letzter Zeit zuweilen das Gefühl, als sei in Schönau nicht alles so, wie es sein sollte. Es fiel ihr auf, dass die Lieferanten nicht mehr so zuvorkommend und pünktlich waren wie früher und dass...