Hedwig Courths-Mahler - Folge 145 - Rote Rosen

von: Hedwig Courths-Mahler

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2016

ISBN: 9783732521760 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Hedwig Courths-Mahler - Folge 145 - Rote Rosen


 

Es war im Jahre 1908.

Josta Waldow lenkte ihren eleganten Dogcart, den sie von ihrem Vater vor einigen Tagen zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, durch die breite Einfahrt in den Garten bis zu dem Portal des „Jungfernschlösschens“.

Seit drei Jahren erfüllte es die Bestimmung als Ministerresidenz. Exzellenz Waldow war froh gewesen über diesen Wohnungswechsel, und seine Gemahlin und seine Tochter waren es noch mehr. Eiligst wurde damals zum Umzug gerüstet. Aber nur Vater und Tochter sollten daran teilnehmen. Frau Waldow erkrankte und starb kurze Zeit darauf.

Damals war Josta achtzehn Jahre alt gewesen. Jetzt hatte sie schon das einundzwanzigste Jahr vollendet und ersetzte im Ministerhotel die Hausfrau vollständig.

In das mit Blattpflanzen dekorierte Vestibül eintretend, fragte sie den Diener: „Ist Papa zu Hause, Schröder?“

„Sehr wohl, gnädiges Fräulein. Seine Exzellenz haben den Besuch des Herrn Ramberg empfangen“, antwortete dieser.

Über das jugendschöne Antlitz Jostas flog ein frohes Lächeln. „Wo befinden sich die Herren?“

„Im Arbeitszimmer Seiner Exzellenz.“

Josta neigte elegant das Haupt und eilte die Treppe empor zum Arbeitszimmer ihres Vaters. „Nicht zanken, Papa, wenn ich unangemeldet diesen geheiligten Raum betrete, wo das Wohl und Wehe des Staates beraten zu werden pflegt. Ich hörte, dass Onkel Rainer bei dir ist.“

An dem großen Diplomatenschreibtisch am Fenster saßen sich zwei Herren gegenüber. Der ältere von ihnen war Seine Exzellenz, der Herr Minister, ein stattlicher Herr Mitte fünfzig, mit einem klugen, energischen Gesicht und grau meliertem Haar und Schnurrbart.

Der jüngere Herr, Rainer Ramberg, mochte jedoch auch schon über Mitte dreißig sein. Er war eine schlanke Erscheinung. Auffallend wirkten in seinem Gesicht die tief liegenden grauen Augen, die seltsam hell aus dem gebräunten Gesicht herausleuchteten und, wie eben jetzt, sehr warm und gütig blicken konnten.

Als Josta Waldow auf der Schwelle erschien, wandte er ihr seine Augen mit hellem Aufleuchten zu und sah entschieden wohlgefällig auf ihre Erscheinung, die wie das holde blühende Leben selbst erschien. Rainer Ramberg erhob sich schnell und kam ihr entgegen.

Josta streckte ihm lächelnd beide Hände entgegen. „Grüß Gott, Onkel Rainer!“

„Grüß Gott, meine liebe, kleine Josta!“

Sie maß ihre Schultern schelmisch an den seinen. „Immer noch klein? Bin ich das wirklich?“, fragte sie, sich stolz aufrichtend.

Er lächelte. „Da du noch immer zu mir aufsehen musst, habe ich doch das Recht, dich klein zu nennen. Oder willst du es mir streitig machen?“, antwortete er.

„O nein! Im Grunde habe ich es gern, dass ich deine kleine Josta bin. Ich möchte gar nicht, dass du mich anders nennst. Aber – nun will ich Papa schnell einen Kuss geben und dann verschwinden. Ihr beiden macht so schrecklich wichtige Gesichter, als ob ihr über eine Staatsaktion beraten müsstet“, sagte sie lachend, und dabei küsste sie den Vater herzlich. Dann eilte sie hinaus.

Die beiden Herren sahen ihr eine Weile nach. Dann blickten sie sich an, und der Minister sagte lächelnd: „Du siehst, Rainer, sie ist im Herzen noch das reine Kind, trotz ihrer einundzwanzig Jahre, obwohl sie mir nun schon seit drei Jahren die Hausfrau ersetzt und in Haus und Gesellschaft ihren Posten gut ausfüllt. Und wenn sie nun hört, was dich heute zu uns führt, wird sie es nicht fassen können. Bin ich doch selbst überrascht durch deine Werbung um Josta.“

Ramberg atmete tief auf. „Das heißt, du hast Bedenken Magnus? Du bist mir die Antwort schuldig geblieben.“

Sie hatten wieder Platz genommen.

„Mein lieber Rainer, wie diese Antwort von meiner Seite ausfällt, wird dir nicht zweifelhaft sein. Du hast einer Frau alles zu bieten, was selbst die anspruchvollste verlangen könnte. Du wärst auch vor dem Tode deines Vetters Rochus, dessen Nachfolger du geworden bist, eine sogenannte gute Partie gewesen. Jetzt bist du eine glänzende Partie. Und das wichtigste – ich kenne dich als einen durchaus vornehmen Charakter, weiß, dass du vortreffliche Eigenschaften als Mensch besitzt. Also wüsste ich nicht, was ich gegen deine Werbung einwenden sollte. Es fragt sich nur, ob Josta deine Frau werden will. Deine Werbung wird sie vollständig überraschen. Und wie ihre Entscheidung ausfällt, kann ich nicht wissen.“

Ramberg strich sich mit der schönen, kräftig gebauten Hand über die Stirn, als verscheuche er unbequeme Gedanken.

„Ganz offen, Magnus, auch ich habe zuvor nie daran gedacht, ihr diese Frage vorzulegen. All die Jahre habe ich den Gedanken an eine Ehe von mir gewiesen. Aber nun will das nicht mehr gehen. Ich stehe im achtunddreißigsten Jahr – und in meinem Herzen ist es nun endlich so ruhig und still geworden, dass ich den Entschluss zu einer Heirat fassen kann.“

„Das ist natürlich und verständlich, Rainer, und ich freue mich über deinen Entschluss. Er beweist mir, dass du mit der alten Geschichte fertig bist.“

„Vollständig, Magnus – sonst würde ich nicht um Josta werben. Ich will nicht sagen, dass ich ihr eine große leidenschaftliche Liebe entgegenbringe. Einer solchen Liebe ist man wohl nur einmal fähig, und dieser Sturm liegt hinter mir. Aber Josta ist mir lieb und wert, und keine andere Frau steht meinem Herzen jetzt näher. Aber ich bin mir ebenso bewusst wie du, dass Josta in mir nur immer Onkel Rainer gesehen hat. Ich bin ja auch nahezu siebzehn Jahre älter als sie. Und dann die Hauptsache – ich weiß nicht, ob ihr Herz noch frei ist. Du wirst mir das offen sagen; denn du hast mich, trotz unseres Altersunterschiedes, deiner Freundschaft gewürdigt.“

Der Minister nickte. „Ja, Rainer! Ich hatte dich immer gern! Dein treuer Freund aber bin ich geworden in jener Stunde, da ich dir eine tiefe Herzenswunde schlagen musste.“

Ramberg wehrte ab. „Nicht du hast mir diese Wunde geschlagen. Niemand hat es getan als das Schicksal selbst. Aber lassen wir das. Es liegt nun hinter mir mit allen Kämpfen und ist verwunden. Sage mir jetzt ehrlich – ist Jostas Herz frei?“

Der Minister lächelte. „Soviel ich weiß – ja.“

„Es ist fast ein Wunder, dass Josta noch frei ist. In den letzten Jahren hat sie sich zu einer außergewöhnlichen Schönheit entwickelt. Das hatte ich nie erwartet“, sagte Ramberg sinnend.

„Ja – bis über die Backfischzeit hinaus war sie eher hässlich als schön. Aber dann blühte sie plötzlich auf. Als wir sie in die Gesellschaft einführten, wurde sie gleich umschwärmt. Sie bezieht das nicht auf ihre Person, sondern auf meine Stellung. Also – soviel ich mich auf meine Augen verlasen kann, ist Jostas Herz noch frei. Ob sie deine Werbung annimmt, kann ich dir freilich nicht sagen. Meiner Einwilligung bist du sicher. Ehe du aber ihr selbst diese Frage vorlegst, möchte ich dir noch eine Eröffnung machen. Was ich dir jetzt sage, bleibt unter uns. Josta soll davon nichts wissen. Sie soll es erst nach meinem Tod erfahren. Du versprichst mir, zu schweigen?“

„Mein Wort darauf.“

„Ich danke dir. Also höre – Josta ist nicht meine Tochter!“

Überrascht fuhr Ramberg auf. „Nicht deine Tochter?“

„Josta ist die Tochter meines jüngeren Bruders Georg. Dieser war verheiratet mit einer Baronesse Halden – nur ein Jahr. Sie starb bei Jostas Geburt. Georg brachte Josta zu meiner Frau. Wir hatten damals gerade die betrübende Gewissheit erhalten, dass unsere Ehe kinderlos bleiben würde. Meine Frau, die sehr kinderlieb war, nahm sich Jostas mit wahrhaft mütterlicher Zärtlichkeit an. Mein Bruder war nicht sehr vermögend. Aber er war leicht entflammt für Frauenschönheit, und da er selbst ein bildschöner Mensch war, verwöhnten ihn die Frauen sehr. Josta ist ihm sehr ähnlich geworden, sie hat seine Augen und die Farbe seines Haares geerbt, aber im Wesen und Charakter gleicht sie mehr ihrer Mutter. Diese hatte mein Bruder in seiner leidenschaftlichen Art sehr geliebt, und ihr früher Tod brachte ihn der Verzweiflung nahe. Er wollte Josta nicht sehen, weil sie ihrer Mutter das Leben gekostet hatte.

Es war noch kein Jahr vergangen nach dem Tode seiner Frau, da verliebte er sich sinnlos in eine junge Sängerin. Georg gab ihretwegen seinen Beruf auf und heiratete sie, obwohl wir alles taten, ihn davon zurückzuhalten. Er ging mit seiner Gattin nach Amerika, wo sie ein glänzendes Engagement angenommen hatte. Schon vorher hatte er uns alle Rechte an Josta abgetreten. Ich habe ihn nie wiedergesehen. Zwei Jahre später schickte mir seine Gattin, die drüben unter ihrem Mädchennamen auftrat, eine Anzeige vom Tode meines Bruders und eine Zeitungsnotiz, aus der ich ersah, dass Georg im Duell mit einem Mann gefallen war, der in einer Gesellschaft die Tugend seiner Frau in Zweifel gezogen hatte. Georgs Witwe hatte es verschmäht, nur ein Wort hinzuzufügen – wahrscheinlich, weil wir uns gegen Georgs Heirat aufgelehnt hatten. Ich ließ mir die Todesnachricht meines Bruders amtlich bestätigen. Von seiner Witwe hörte ich nie wieder etwas.

Josta haben wir adoptiert. Und um ihr die Unbefangenheit zu erhalten und nichts Fremdes zwischen uns treten zu lassen, haben wir ihr nie gesagt, dass sie nicht in Wirklichkeit unsere Tochter war. Aber du musst das natürlich wissen, wenn du um Jostas Hand anhalten willst. Bei meinem Testament, das Josta zu meiner Universalerbin einsetzt, liegt ein an Josta geschriebenes Schreiben, in dem ich ihr selbst diese Einhüllung mache. So, Rainer – nun habe ich dir nichts mehr zu...