Mütter unerwünscht - Mobbing, Sexismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz - Ein Report und Ratgeber. Mit einem Geleitwort von Rita Süssmuth

von: Christina Mundlos

Tectum-Wissenschaftsverlag, 2017

ISBN: 9783828866058 , 168 Seiten

Format: ePUB, PDF

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 13,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Mütter unerwünscht - Mobbing, Sexismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz - Ein Report und Ratgeber. Mit einem Geleitwort von Rita Süssmuth


 

Vorwort

Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

GG Artikel 3 (2)

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

dieser Artikel unserer Verfassung ist Ihnen sicherlich bekannt. Genauso wie Ihnen klar ist, dass er an vielen Ecken und Enden unserer Gesellschaft – ebenso wie unserer Mitte – noch längst nicht gelebte Kultur ist. Oft genug wird er schlicht und einfach nicht umgesetzt. Unsere Verfassung sieht vor, dass der Staat die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt. Aber nur durch Wiederholen des Artikel 3 (2) unseres Grundgesetzes wird die Benachteiligung weder beseitigt noch die Gleichberechtigung tatsächlich durchgesetzt.

Oder doch? Wir können unser Grundgesetz nicht genügend oft zitieren, wie ein Mantra, der uns alle gemeinsam daran erinnert, immer ein Stück mehr auf die tatsächliche Umsetzung hinzuwirken.

Ja – es gibt auch in unserer Gesellschaft Frauen, die sich nicht benachteiligt fühlen. Ja – es gibt unter uns auch Männer, die sich nicht benachteiligt fühlen. Aber die Lebensrealität Vieler macht die alltägliche Benachteiligung und somit Diskriminierung trotzdem mehr als deutlich:

Frauen verdienen noch immer durchschnittlich knapp 22 Prozent weniger als Männer. Der Fachbegriff dafür ist der Gender Pay Gap, die sogenannte unbereinigte Lohnlücke. Selbst die bereinigte oder besser gesagt die unerklärbare Lohnlücke wird auf durchschnittlich vier bis sieben Prozent beziffert. Das bedeutet für Frauen einen immensen finanziellen Nachteil. Aber erst im Alter zeigt er seine wirklich gravierenden Folgen. Mit dem aktuellen Rentensystem – als Spiegel der Erwerbsleistung anstelle einer Lebensleistung – führt der Gender Pay Gap unvermeidlich in die Armutsfalle im Alter – dem sogenannten Gender Pension Gap: Frauen erhalten aktuell durchschnittlich knapp 60 Prozent weniger Rente als Männer bei eigen erworbenen Ansprüchen.

Ist dies aber Diskriminierung, wenn Frauen aufgrund der Rahmenbedingungen weniger verdienen als Männer? Ist es nicht ihre freie Entscheidung, wenn sie zugunsten der Familie beruflich zurückstecken, sich auf ihren Mann als Ernährer verlassen, wenig oder gar kein »eigenes« Geld verdienen?

Ganz ehrlich? Vor der Einführung der Gurtpflicht beim Autofahren oder der Helmpflicht beim Motorradfahren gab es viele Menschen, die sich weder anschnallten noch einen Helm trugen. Obwohl sie allein der gesunde Menschenverstand vor den Gefahren eines Unfalls und der unter Umständen schrecklichen Folgen hätte warnen sollen. Erst dadurch, dass entsprechende Gesetze gekoppelt an Sanktionen erlassen wurden ist beides – Gurt und Helm – inzwischen zu einer Selbstverständlichkeit geworden mit den bekannten positiven Effekten.

Gesellschaft verändert sich ständig. Gesetzgebung und Rechtsprechung können aber die Richtung durchaus steuern, indem sie an Stellschrauben wie den Rahmenbedingungen oder der Infrastruktur drehen. Diese weisen aber aktuell in eine andere Richtung als die der Gleichberechtigung, befeuert durch die aktuellen Bedingungen am Arbeitsmarkt. Denn viele Paare erliegen staatlich und wirtschaftlich geförderten Fehlanreizen, die Diskriminierung zur Folge haben: Das Ehegattensplitting unterstützt Paare darin, dass ein Partner immer weniger verdient als der andere. Die beitragsfreie Mitversicherung des geringverdienenden Partners in der Krankenkasse tut das übrige hinzu. Und die als Brücke gedachte arbeitsmarkpolitische Maßnahme »Minijob« erweist sich so insbesondere für Frauen eher als Sackgasse. Um Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, scheint für viele Frauen der einzige Ausweg die geringfügige Teilzeit zu sein.

Anders als beim Zigarettenkonsum, wo der Gesetzgeber mit einer Altersgrenze und drastischen Warnungen auf dem Produkt einschreitet, um das Bewusstsein für die Gefahr zu schärfen und schließlich auch ein bestimmtes Verhalten zu erzeugen, sind sich viele Frauen und Männer der Spätfolgen ihrer Entscheidungen zur Aufteilung in Familien- und Arbeitswelt nicht bewusst, sondern sind vom aktuellen Familieneinkommen geleitet. Würden insbesondere die Frauen deutlich auf ihre finanziellen Einbußen jetzt und im Alter, auf ihre Abhängigkeit von einem Ernährer, auf ihre sinkenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt, etc. hingewiesen, so unterstelle ich, würden sie versuchen, die Anteile an der Familien-, Haus- und Erwerbsarbeit doch etwas gerechter im Sinne von egalitärer auf ihre und auf die Schultern ihres Partners zu verteilen.

In der Regel werden die Spätfolgen erst durch dramatische Ereignisse sichtbar: sei es der Arbeitsplatzverlust des Haupternährers, sei es durch dessen plötzlichen Krankenstand bzw. Pflegefall oder sei es – wie so oft – die Trennung bzw. Scheidung des Paares.

Warum geht der Staat durch entsprechende Gesetzgebung nicht konsequent gegen die Fehlanreize in Steuer-, Familien-, Sozial- und Melderecht vor? Warum setzt er nicht auf kongruente Anreize wie beispielsweise in den Handlungsempfehlungen aus dem 1. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung sowie aus den Ergebnissen der Evaluation der ehe- und familienpolitischen Leistungen festgestellt? Warum verpflichtet der Gesetzgeber die Akteure auf dem Arbeitsmarkt zu ethischen Grundsätzen, die – anders als die aktuell geltenden – die Benachteiligungen von Frauen und insbesondere Müttern bekämpfen?

Was muss sich also ändern? Eingebettet in eine in Qualität und Quantität bedarfsgerechte Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur mit bundeseinheitlichen Standards, Durchlässigkeit des Systems, dem Ausbau der gebundenen rhythmisierten Ganztagsschule verbunden mit einem Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz der bis in die weiterführende Schulform reicht sind Steuern ein wichtiges Element zum Umsteuern hin zu mehr Gerechtigkeit. Ganz wesentlich hierbei ist die Ablösung des Ehegattensplittings durch die Einführung der Individualbesteuerung. Diese soll nicht den Ehe- bzw. Paarstatus berücksichtigen, sondern Aufgaben in der Kinderbetreuung und -erziehung sowie Begleitung in der Bildung, die Pflege von Angehörigen und Wahrnehmung besonderer Fürsorgeaufgaben. Und an die Stelle von Kindergeld oder Freibeträgen rückt eine Kindergrundsicherung. Dann haben wir zum einen die Voraussetzungen, um das allgemeine Bewusstsein für wirtschaftlich eigenständige Existenzsicherung bis hin zu einem Auskommen mit dem Einkommen auch im Alter unabhängig von der Paarkonstellation zu schärfen. Zum anderen schaffen wir einen Beitrag zur Chancengleichheit aller Kinder, was wiederum auch Eltern bei ihrer Vereinbarkeitsthematik entlasten und somit positiv unterstützen kann.

Oder noch ein paar Gedanken-Schritte weiter: Warum wird das Mutterschutzgesetz nicht konsequent zu einem Elternschutzgesetz ausgebaut, zum Beispiel indem auch werdende Väter einen Kündigungsschutz während der Schwangerschaft ihrer Partnerin haben und mit der Geburt auch eine Karenzzeit erhalten? Warum ist das ElterngeldPlus nicht so angelegt, dass Elternzeit und Elterngeld nur dann voll ausgeschöpft werden können, wenn sie jeweils hälftig genommen werden – selbst, wenn sich die werdenden Eltern bereits in der Schwangerschaft trennen sollten?

Worauf warten wir, der Elternzeit die Familienarbeitszeit folgen zu lassen, um die partnerschaftliche hin zur egalitären Aufgabenteilung in Familie und Erwerbsleben positiv zu unterstützen?

Alle Instrumente, die eine echte Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen wie Männer dahingehend positiv unterstützen, dass beide jeweils gleichberechtigte Teilhabe in Familien-, Haus- und Erwerbsarbeit leben können, sind Instrumente echter Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit. Natürlich muss dies in der gesamten Lebensverlaufsperspektive gelten. Also auch nach der Trennung eines Elternpaares muss eine gleichberechtigte Teilhabe und Aufteilung von Familienaufgaben greifen. Dies impliziert, dass wir das geltende Leitbild »Residenzmodell« mit Unterstützung der Europaratresolution 2079 aus Oktober 2015 durch das Leitbild »Wechselmodell«/»Residenzmodell« ablösen. Somit tragen wir der Veränderung unserer Gesellschaft Rechnung, mit Vätern, die mehr Zeit mit Familie verbringen möchten, und Müttern, die mehr Teilhabe am Erwerbsleben haben möchten.

Auch die Wirtschaft hat ihren Beitrag zu leisten, um Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit positiv zu befördern. Nötig sind hier neue ethische Grundsätze: Warum ist in den Berufen, in denen überrepräsentativ Frauen beschäftigt sind, so wenig zu verdienen? Eine Neubewertung und Einstufung von Berufen und Tätigkeiten steht dringend an. Anstelle ständiger Verfügbarkeit und Präsenzkultur brauchen wir einen Wandel hin zur Ergebniskultur. Und was hindert uns daran, dass Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro gelten muss? Als Übergang zur Abschaffung des Minijobs können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zur Aufklärungspflicht über Folgen von Minijob & Co. im Bewerbungsprozess angehalten werden. Warum wird nicht hinreichend aktive Familienzeit als Karrierebaustein und somit als Mehrwert für das Unternehmen anerkannt? Diversitiy ist das Zauberwort für Produktivität und Innovation. Dazu gehören auch gemischte Teams – auch unter dem Aspekt der Verteilung der Geschlechter – auf allen Ebenen. Wo sind aber die Vorbilder in Unternehmen? Die männlichen Führungskräfte, die familienbedingt in Teilzeit arbeiten – oder einfach nur regelmäßig pünktlich nach Hause gehen, weil sie sich familiären Aufgaben widmen?

Diskriminierung bzw....