Entspannte Eltern - Wie Sie sich von nichts und niemandem verrückt machen lassen

von: Jane Scott

Goldmann, 2018

ISBN: 9783641214807 , 368 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 8,99 EUR

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Entspannte Eltern - Wie Sie sich von nichts und niemandem verrückt machen lassen


 

Einleitung

Vor einiger Zeit kaufte ich mir eine neue Matratze. Während ich an der Kasse stand, fiel mir eine junge Mutter auf, die durch die Gänge lief und sich die Preisschilder ansah. Sie trug ein Baby, während ihr kleiner Sohn ihr folgte. Der Kleine blieb irgendwann stehen und krabbelte auf eins der Modellbetten. Er hopste ein paar Sekunden auf und ab, dann kroch er auf den Bettenrand zu. Es war deutlich zu sehen, dass er nicht wusste, wie er wieder herunterkommen sollte. Während er am Rand des Bettes saß und unschlüssig auf den Fußboden hinabsah – das Bett muss ihm ziemlich hoch erschienen sein –, überraschte mich seine Mutter mit ihrer Reaktion. Anstatt zu ihm zu eilen, um ihm zu helfen, rief sie beiläufig von der anderen Seite des Raums: »Vielleicht drehst du dich besser erst um und lässt dich dann an der Seite herunter.« Das tat er. Dann bummelte der Kleine weiter den Gang entlang, kletterte auf die Betten und wieder hinunter und erkundete seine Umgebung, während die Mutter mit einem Verkäufer sprach.

Es klingt vielleicht verrückt, aber ich verließ den Laden völlig begeistert von dem, was ich gerade beobachtet hatte. Diese Mutter hatte nicht versucht, sich einzumischen. Sie verhielt sich nicht besorgt, sie warnte den Kleinen nicht, dass er gleich hinunterfallen würde, und sagte ihm auch nicht, dass er bei ihr bleiben solle. Sie schlug ihm einfach eine Lösung für sein offensichtliches Problem vor, ließ ihn weiterspielen und kümmerte sich wieder um ihre eigenen Angelegenheiten.

Hätte ich’s nicht besser gewusst, ich hätte diese Mutter für eine Australierin gehalten. Sie hatte definitiv deren »She’ll be right«-Haltung. »She’ll bei right« ist die australische Version von »Mach dir keine Sorgen«. Mit dieser Haltung will man ausdrücken, dass alles, was im Moment als Problem erscheint, bestimmt bald wieder in Ordnung kommen wird. Es steckt eine entspannte, optimistische, vertrauensvolle Einstellung zum Leben darin, und in meinen zehn Jahren in Australien stellte ich oft fest, dass damit auch eine entspannte, optimistische, vertrauensvolle Herangehensweise an die Kindererziehung verbunden ist.

In den USA ist diese Haltung leider nicht sehr verbreitet, aber ich wünschte sehr, dass es so wäre. Als Kinderärztin würde ich den Eltern in meiner Sprechstunde oft gerne eine kräftige Dosis »Keine-Sorge-wird-schon-gut-gehen« verschreiben. Sie wären glücklicher, und ihre Kinder wahrscheinlich sogar sicherer. Warum?

Ende 2015 hörte ich nach 25 Jahren mit meiner Arbeit als Kinderärztin in einer Klinik auf. In all diesen Jahren waren mir viele wohlmeinende Eltern begegnet, die so entschlossen waren, ihre Kinder zu beschützen, dass sie sie schließlich erst dadurch in Gefahr brachten. Ich habe viele Babys kennengelernt, deren Köpfe abgeflacht oder deformiert waren, weil sie zu viel Zeit auf dem Rücken oder im Kinderwagen, in Babytragesystemen oder Kindersitzen verbrachten. Ihre Eltern waren zu beschäftigt oder zu sehr um die Sicherheit ihrer Kleinen besorgt, um sie auf dem Boden spielen zu lassen. Ich habe viele Kleinkinder wegen Vitamin-D-Mangel behandelt, weil ihre Eltern sie aus Angst vor der Sonneneinstrahlung nicht eine Minute ins Freie ließen, ohne ihre Haut von Kopf bis Fuß zu bedecken oder einzucremen. Und ich habe sehr viele Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten gesehen, von denen ich mit gutem Grund annehme, dass sie durch den Stress entstanden sind, den ein Leben unter ständiger Überwachung und nach striktem Stundenplan hervorruft.

Ich war auch Zeuge davon, wie Eltern ihre eigene Gesundheit gefährdeten. Zum Beispiel rief mich eine Mutter um drei Uhr morgens an, verrückt vor Sorge, dass der Pickel auf dem Rücken ihres Babys das erste Zeichen einer Infektion mit Staphylokokken sei; ein Vater blieb die ganze Nacht wach und beobachtete sein Kleinkind, aus Angst, dass diesem im Schlaf etwas zustößt; Eltern äußerten mit Tränen in den Augen die Befürchtung, dass ihr Kind unter ADHS leide, weil es in der Vorschule nicht still saß. Anstatt Freude an ihrer neuen Rolle als Betreuer und Beschützer zu haben, wurden die Eltern davon geradezu erdrückt.

Junge Eltern sollten so nicht leben müssen – und in anderen Ländern leben sie auch nicht so! Dort hat man nämlich nicht zugelassen, dass kulturelle Traditionen und der gesunde Menschenverstand den Gesundheitstrends geopfert oder von den Medien gekapert werden, die von unserer Angst profitieren. Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich mir wünsche, Eltern würden erkennen, dass es viel mehr Arten gibt, ein glückliches, erfolgreiches Kind großzuziehen, als unsere Gesellschaft uns glauben macht. Wenn wir uns von den uns aufgedrückten Vorstellungen, wie Eltern sich zu verhalten haben, befreien würden, könnten wir sehr viel entspannter agieren. Unter ständigem Druck und Stress zu leiden, scheint in unserer Gesellschaft geradezu der Beweis dafür zu sein, dass wir gute Eltern sind. Wenn wir es entspannter angehen, könnten wir genauso erfolgreiche Kinder haben, aber die Familien wären glücklicher und zufriedener.

Manche sagen, wir sollten uns bei der Erziehung mehr an den Franzosen orientieren; andere meinen, Asiaten seien die besten Eltern. Doch nachdem ich auf vier Kontinenten gelebt und meine Kinder dort aufgezogen habe, weiß ich, dass jedes Land seine eigenen altbewährten Traditionen und Methoden hat, die funktionieren – wunderbar funktionieren. Rund um die Welt habe ich die unterschiedlichsten Herangehensweisen kennengelernt, zufriedene und erfolgreiche Kinder großzuziehen. Darauf basierend möchte ich Eltern einige neue, grundlegende Werkzeuge an die Hand geben, mit deren Hilfe sie ihren Instinkten folgen und ihre Kinder mit Zuversicht und Ruhe erziehen können. 25 Jahre lang habe ich Familien diesen Ansatz vermittelt, der auch auf meinen eigenen Erfahrungen aus der Zeit beruht, in der ich im Ausland lebte und dort meine Kinder erzog. Man könnte also sagen, dass ich mich mein ganzes Leben lang auf dieses Buch vorbereitet habe.

Bevor ich Ärztin wurde, war ich Mutter. Und lange davor bin ich als Kind im Haus meiner Großmutter Ann in Mombasa in Kenia aufgewachsen. Ich liebte dieses Haus. Es war ein großes, strohgedecktes Landhaus, offen und luftig, ohne Glas in den Fenstern – ganz so, wie es für diese warme, tropische Region typisch war. Ann liebte Tiere, und so lebte ich inmitten einer Menagerie von Vögeln, Affen, Riesenschildkröten, Ziegen, Katzen, Hunden und Galagos. Natürlich kümmerte sich ein Angestellter um all die Tiere, aber meine Großmutter kannte sich in der Veterinärmedizin aus und behandelte ihre eigenen kranken Tiere und die ihrer Freunde und Nachbarn selbst. Oft durfte ich sie dabei begleiten und ihr sogar helfen. Auf diese Weise habe ich schon früh gelernt, dass Mitgefühl mit einer leidenden Kreatur nicht hilft, solange es nicht durch klares, kühles Denken ergänzt wird. Mir fiel auch auf, dass meine Großmutter Ann nicht nur für die Tiere sorgte, sondern sich auch um deren Besitzer kümmerte. Ann hatte ein großes, freundliches und freigebiges Herz. Ihre Fähigkeit zu heilen, machte großen Eindruck auf mich, und ihr Einfluss auf mein Leben ist und bleibt einer der stärksten Einflüsse überhaupt.

Ich wurde ausgesprochen britisch und formell erzogen, aber ich lebte Seite an Seite mit den bei uns arbeitenden afrikanischen Familien und wurde Zeugin ihrer Erziehungsmethoden und Traditionen, während ich mit ihren Kindern spielte. Die Männer arbeiteten meist im Haus, während die Frauen ihre Zeit draußen verbrachten und wuschen, Kleider flickten oder das Essen vorbereiteten; ihre kleinen Kinder, die noch nicht zur Schule gingen, liefen draußen herum und spielten.

Es gab kaum feste Strukturen und nur wenige Regeln. Selten hörte ich, wie eine Mutter die Stimme erhob, um ihre Kinder zu ermahnen, und es war egal, ob die Kinder sich beim Spielen schmutzig machten. Ich hatte die Möglichkeit, frei mit meinen afrikanischen Freunden zu spielen, aber während diese kommen und gehen konnten, wie es ihnen passte, stand ich unter ständiger Beobachtung. Im Jahr 1950 gab es in unserer Gegend einen Aufstand eines nationalistischen Zweiges der Kikuyu, der sich gegen die britische Kolonialherrschaft wandte. Ich durfte niemals allein irgendwohin gehen, da man befürchtete, dass ich entführt und auf dem Markt verkauft werden könnte. Meine Kinderfrau begleitete mich überallhin, sogar zu meiner Freundin, die gleich neben uns wohnte. Die Bedrohung war real; ganze Familien waren in ihren Häusern umgebracht worden. Eines Nachts wachte ich auf und sah, wie jemand einen mit Rasierklingen gespickten Holzstock durch die Gitter meines Schlafzimmerfensters steckte, um Sachen aus meinem Zimmer zu stehlen – pole-fishing wurde diese Methode genannt. Falls man den Dieb mit einem Griff zum Stock am Stehlen hindern wollte, würden die Rasierklingen einem die Hände verletzen.

Als ich zehn Jahre alt war, führte die Arbeit meines Vaters uns nach England. Nach der Hitze Kenias, seiner brennenden Sonne und dem intensiv blauen Himmel war das kühle britische Klima mit den vielen Wolken ein ziemlicher Schock für mich. Ich hatte nie unter mehreren Decken geschlafen und war auch nicht daran gewöhnt, mich draußen dick anzuziehen und mir jedes Mal Schuhe, Strümpfe, einen Mantel, einen Hut, Handschuhe und einen Schal anzuziehen, um nicht zu frieren. Und noch etwas war eine große Überraschung für mich. Nicht lange nach unserer Ankunft in England bat ich meine britische Großmutter, mit mir zum Laden an der Ecke zu gehen, da ich mir Schokolade kaufen wollte. Großmutter ließ mich meine Sachen für draußen anziehen, gab mir ein kleines Portemonnaie mit ein paar Münzen darin und sagte, ich könne allein zu dem Laden gehen. Nach all...