John Sinclair 2033 - Im Dartmoor geht das Grauen um

von: Timothy Stahl

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2017

ISBN: 9783732549078 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

John Sinclair 2033 - Im Dartmoor geht das Grauen um


 

24 Stunden vorher …

Das war es also.

Das Haus des Mörders.

Ein Auto stand davor. Seit einigen Minuten schon. Hinter dem Steuer saß ein regloser schwarzer Schemen. Die Scheinwerfer strahlten das Haus an.

Jetzt erloschen sie. Finsternis verschluckte das Haus. Eine Autotür ging auf und wieder zu.

Schritte näherten sich dem Haus. Die Eingangstür schwang knarrend nach innen und fiel zurück ins Schloss. Die Nacht war wieder still wie zuvor. Nicht einmal ein Käuzchen rief. Nebel tanzte. Am Himmel verbarg sich der fast volle Mond hinter Wolken.

In der Ferne schlug eine Kirchturmuhr Mitternacht. Ein leiser Wind trug die Glockenschläge über das Moor heran und wehte sie mitsamt seiner Kühle durch die zerbrochenen Fenster ins Haus hinein.

Hier hatte einst ein Mann gelebt, der achtzehn Mal getötet hatte. Mindestens. So viele Morde hatte man ihm nachweisen können. Alle seine Opfer hatte er auf die gleiche Weise umgebracht. Abgestochen. Aufgeschlitzt. Ausgeblutet. Immer mit derselben Waffe. Einem Dolch. Vermutlich. Denn gefunden hatte man ihn nie.

Bis heute nicht …

Schutt knirschte unter Sohlen. Der Lichtstrahl einer Taschenlampe focht wie eine weiße Klinge gegen die Dunkelheit.

Die Zimmer waren alle nahezu leer, das wenige Mobiliar entweder von selbst zusammengebrochen oder mutwillig zertrümmert.

Zwar lebte seit der Verhaftung des Mörders niemand mehr hier, ungebetene Gäste hatte es in der Zwischenzeit jedoch immer wieder gegeben. Unübersehbar. Die Wände waren beschmiert. Müll türmte sich, vom Wind zusammengefegt, in den Ecken.

In irgendeinem Zimmer rollte eine leere Flasche über den Boden.

Die Schritte in diesem Raum hielten inne. Der Gast, der heute gekommen war, lauschte mit angehaltenem Atem.

Nichts. Nur Stille.

Er pirschte weiter. Leise, als fürchtete er, womöglich doch nicht ganz allein zu sein.

Es war leicht, sich vorzustellen, wie im Laufe der Jahre immer wieder Jugendliche in das Haus eingestiegen waren. Als Mutprobe. Um sich selbst zu gruseln und einander mit schrecklichen Geschichten über den Mörder, der hier gelebt hatte, zu übertreffen.

Wenn sie die Wahrheit gewusst hätten! Und welch tödliches Geheimnis dieses Haus immer noch barg …

Hier musste es irgendwo sein.

Der Lampenstrahl wanderte über den Boden, die Wände. Die Tapeten waren feucht geworden und hatten sich gelöst. Stellenweise war der Putz abgebröckelt und nacktes Ziegelgemäuer zum Vorschein gekommen.

Da war es.

Das dreibeinige Tischchen, alt und unscheinbar. Genau wie er gesagt hatte. Und unversehrt war es, als hätte es über die Jahre keiner der zerstörungswütigen Rabauken entdeckt oder schützend eine unsichtbare Hand darüber gelegen.

Beides traf zu.

Der Besucher sammelte vernehmlich Spucke im Mund. Jetzt galt es, und es kam auf jede einzelne Silbe an. Ein falscher Ton und …

»Kasid gotha ank goi!«

Atemlose Stille. Nichts geschah.

Oje. Habe ich irgendetwas falsch …?

Und dann ging es so schnell, dass sich nicht sagen ließ, wie es geschah.

Auf einmal waren sie da, auf dem kleinen Tisch – das alte Buch, der lederne Einband rötlich braun und rau wie verkrustetes Blut, und darauf der Dolch. Die Klinge war nur daumenbreit und kaum länger als eine Männerhand.

Seit zwanzig Jahren lagen das Buch und der Dolch auf diesem Tisch. Ein dunkler Zauber, gewirkt in den Worten einer uralten Sprache, hatte sie vor allen Blicken und jeder Berührung bewahrt. Sowohl vor der Polizei als auch vor allen späteren Eindringlingen.

Jetzt war dieser Zauber aufgehoben, durch andere Worte derselben Sprache, die Unsichtbarkeit weggezogen wie ein Tuch.

Die Hand mit der Taschenlampe zitterte leicht. Der Schein brach sich flimmernd auf der Dolchklinge. Als blinzelte ein aus langem Schlaf erwachendes Auge ins Licht.

Dann beruhigte sich die Hand mit der Lampe, und die Klinge erstrahlte in ihrem Schein. Als freute sie sich, endlich wieder da zu sein.

Und so war es auch.

***

24 Stunden später war der Dolch vollends wach und wieder da – und er lechzte nach Blut!

Nur wollte er sich nicht mit der läppischen Menge einer Katze begnügen. Nein, der Dolch wollte das Blut des Menschen, dessen Hand ihn hielt. Und gegen den Willen dieses Menschen und die Kraft seiner Hand lehnte er sich deshalb auf.

Die Katze spürte, wie die Situation und die Energie im Raum umschlugen. Diese Unruhe erfasste auch das lethargisch von der Decke hängende Tier. Es fauchte von Neuem und zappelte wieder.

Unterdessen jagte der Dolch wie ein Blitz auf die nackte Brust des Menschen zu. In das Herz darin wollte er stoßen.

Die Klinge reflektierte die rosige Farbe der Haut, auf die sie zufuhr – bis sich die Faust, in der die Waffe lag, im letzten Moment als kräftiger erwies! Keine zwei Fingerbreit vor der Stelle, unter der das Herz lockend pulsierte, kam der alte Dolch abrupt zum Stillstand.

Noch im selben Augenblick begann er jedoch wie unter Strom stehend zu vibrieren. Weil ein Ringen begann – zwischen dem gierenden Dolch und der Hand, die ihn sich mit aller Kraft vom Leibe hielt.

Und der Mensch war stark. Der Dolch jedoch noch schwach nach der langen Zeit der Tatenlosigkeit und des Hungerns. Mit Worten einer fast ausgestorbenen Sprache schwächte ihn der Mensch noch weiter. Er las sie im flackernden Licht der Kerzen aus jenem Buch, auf dem der Dolch so lange geschlafen hatte. Eine Hexe hatte ihr Wissen darin niedergeschrieben, Geheimnisse und Zauber, die ohne dieses Buch längst in Vergessenheit geraten wären.

Der Dolch wünschte, sie wären vergessen! Dann könnten ihm diese magischen Worte jetzt nicht verwehren, wonach er sich verzehrte.

Wütend verwarf er den Versuch, sich in die nackte Brust zu versenken, und hackte stattdessen nach dem aufgeschlagenen Buch. Mitten hinein in die von Hand beschriebene Seite wollte er sich bohren. Doch beide Hälften des Buches klappten hoch, um sich wie die Kiefer eines Mauls um die Hand mit dem Dolch zu schließen!

Die Hand war um die entscheidende Idee schneller. Das Buch schnappte ins Leere. Reglos wie zuvor lag es da.

Fiebrig huschende Augen suchten die Stelle, an der sie im Lesen unterbrochen worden waren. Die Stimme hob neu an.

»Eh’ian uhtv!«

Die Klingenspitze ließ sich abermals nicht gegen die Katze richten. Wieder visierte sie eigenmächtig das schlagende Menschenherz an. Bis auf eine Handspanne gelang es ihr, sich diesem Ziel zu nähern, ehe sie bebend in der Luft verharren musste.

»Julg rodog!«

Die Katze gebärdete sich wie toll. Sie schaukelte an dem Seil hin und her und schlug mit den Pfoten in Richtung des Dolches, der darauf reagierte und nach der Katze zuckte.

»Hagn goi nahf!«

Die Hand um den Dolchgriff verlängerte den Stoß der Waffe nach dem Tier – und wurde von dessen Krallen getroffen. Die brennenden Furchen auf dem Handrücken füllten sich mit rot glänzendem Blut.

»Au, verdammt …«

Etwas von dem Blut versickerte zwischen den Fingern der Faust und netzte den Dolchgriff, um den sie sich ballte. Die Waffe leckte buchstäblich Blut und brach den Widerstand der Hand. Die Klingenspitze flirrte diesmal auf die Bauchdecke zu, ritzte die Haut und …

»Yagh nor nuh’hanm!«

Da packte die andere Hand zu. Wie eine Klammer legte sie sich um das Gelenk der Waffenhand, stoppte sie und bog sie zur Seite.

Dann eben anders, sagte sich der Dolch.

Willenlos wie eine ganz gewöhnliche Waffe ließ er sich auf einmal führen. Und schon wurde er nach der Katze gerammt, die bis vor ein paar Tagen noch auf einem Bauernhof in der Nähe Mäuse gefangen hatte, bis sie selbst gefangen wurde. Weil sie perfekt war – am gesamten Leib tiefschwarz, genau wie die Kräfte, die mit ihrem Blut und Leben beschworen und dienstbar gemacht werden sollten.

»Ph’agl ehye zor!«

Die Katze fauchte und entging der Klinge. Weil sie immer noch wie wild am Seil zappelte, pendelte sie nach rechts, und der Dolch stach links an ihr vorbei. Die Hand traf das Tier mit dem Knauf des Dolchs am Kopf. Daraufhin war es benommen, und die Finger der freien Hand bekamen es im Nacken zu fassen.

Die bloße Berührung schien die Kraftreserven der Katze zu wecken. Sie wand sich im Griff der Hand, als hätte sie keine Knochen, sondern Gummi im Leib. Sie schlug mit den Vorderpfoten um sich und hieb eine mit voller Kraft auf die rasiermesserscharfe Schneide des Dolches.

Tief schnitt die Klinge in den empfindlichen Ballen hinein. Blut quoll hervor, tropfte einesteils in die Schüssel auf dem Boden und rann andernteils über den Dolch.

»N’hag abunag idor! Ervefel’oguh!«

Immer noch ließ der Dolch scheinbar widerstandslos mit sich umspringen, während das Blut der Katze von seiner Klinge aufgesogen wurde.

»Dnalyan’truc!«

Der Dolch genoss das grausame Spiel mit der Katze. Er labte sich an ihrer Verzweiflung und ihrem Schmerz und fing das von ihrer Pfote spritzende Blut auf wie eine silberne Zunge. Und er wiegte die Hand in Sicherheit, gab dem Menschen das Gefühl, nun endgültig das Sagen zu haben.

Doch die Versuchung, tatsächlich nachzugeben, war beinahe übermächtig. Das Tier war so nah und schon verletzt … aber der Mensch war kaum weiter weg und so viel größer und köstlicher!

Und in der nächsten Sekunde geschah es endlich. Die...