Theater und Ethnologie - Beiträge zu einer produktiven Beziehung

von: Natalie Bloch, Dieter Heimböckel

Narr Francke Attempto, 2016

ISBN: 9783823300120 , 219 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 54,40 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Theater und Ethnologie - Beiträge zu einer produktiven Beziehung


 

2. Ethnologie (und Interkulturalität)


Während im Denken-wie-üblich Kultur ihre Ontologie bewahrt, zielt Interkulturalität darauf ab, sie zu durchkreuzen. Durchkreuzen heißt gleichzeitig, Irritationen zu erzeugen, das Üblichsein in eine Art Unvertrautheit zu überführen. Ein solches Interkulturalitätsverständnis ist in besonderem Maße inspiriert durch die Ethnologie und ihre Theorie- und Methodendiskussion der letzten 4050 Jahre, eine Diskussion, die, wenn man sich jüngste Publikationen vor Augen führt, immer noch nicht abgeschlossen ist.1 Die moderne Ethnologie gilt nicht von ungefähr als eine Disziplin, die im Sinne Foucaults vor allem „ein ständiges Prinzip der Unruhe, des Infragestellens, […] des Bestreitens dessen“ bildet, „was sonst hat als erworben gelten können.“2 Insofern ihre kritische Selbstreflexion auch in andere Disziplinen hineingetragen wurde, blieb auch die Interkulturalitätsforschung – in welchem Fach auch immer – davon nicht unberührt.

Die durch James Clifford und George E. Marcus Mitte der 1980er Jahre auf den Weg gebrachte Writing Culture-Debatte hat freilich die Unruhe und Verunsicherung so weit in das Fach hineingetragen,3 dass als Ausweg aus der sich krisenhaft zuspitzenden Selbstbefragung unter anderem vorgeschlagen wurde, überhaupt keine Ethnografie mehr zu betreiben.4 Mit ihrer prinzipiellen Infragestellung der Repräsentierbarkeit radikalisierte Writing Culture noch einmal die Grundannahme Clifford Geertz’, dass ethnologische Schriften Fiktionen, dass sie, wie es in seiner Dichten Beschreibung heißt, etwas „Gemachtes“ und „Hergestelltes“ seien.5 Denn so sehr sich mit Geertz der Blick darauf, was Ethnografie eigentlich ist, verändert hat, so deutlich scheint bei ihm eine Art Wahrheit in der Beschreibung des Anderen und damit dessen Repräsentierbarkeit als möglich auf. Für ihn bleibt, auch wenn die Repräsentation erschüttert wird, „ein liberal-humanistisches Verständigungsideal verbindlich“.6

Anders dagegen Clifford und Marcus. Was mit ihnen problematisiert wird, sind nicht so sehr die Spezifika kultureller Bedeutungssysteme, die Frage nach der Bedeutung der Dinge, sondern die Frage, wie sich das Fremde auf eine Weise darstellen lässt, dass es nicht in der vermeintlich objektivierten Perspektive des Betrachters so aufgeht, als wären die Kulturen etwas Fixes oder Fixierbares. „Cultures do not hold still for their portraits.“7 Mit dieser Position ging vor allem die auch aus dem Postkolonialismus bekannte Frontstellung gegenüber hegemonialen Standpunkten der Repräsentation und des mit ihr verbundenen Othering oder des „Verandern“, wie es Werner Schiffauer einmal nannte, einher.8 Mit dem „Verandern“ ist die grundsätzliche Frage berührt, ob eine Beschreibung des Fremden überhaupt möglich sei, wenn doch die Beschreibung den Fremden erst hervorbringe. Im „Othering“ werde, so Spivak, ein „Different-Machen“ betrieben,9 das die Differenzen erst erzeugt, die zu analysieren das vorgebliche Ziel ist. Einer Wissenschaft, die als „Wissenschaft vom kulturell Fremden“ gilt,10 ist damit gewissermaßen ihr disziplingeschichtlich verbürgter Gegenstand abhanden gekommen. Ob das ihre von Bruno Latour verkündete ,Rückkehr aus den Tropen‘ erklärt,11 ist nicht auszuschließen; als sicher darf freilich gelten, dass „das Feld als autonomer Ort mit festen raum-zeitlichen Grenzen, als Heimat einer homogenen Kultur, in die die Ethnographen als Fremde zu Besuch kommen“,12 sich aufgelöst hat. Stattdessen sind ihre Positionen, eingebettet in eine „multi-sited ethnography“,13 mobil und vielfältig. In den Worten des Ethnologen Christoph Antweiler: „In der modernen Ethnologie geht es nicht mehr nur um außereuropäische und einfache Gesellschaften, sondern um Gruppen und Netzwerke irgendwo auf dem Globus“,14 was u.a. auch erklärt, warum die Ethnologie, zumal in den letzten 3040 Jahren, im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit Fragen der Repräsentation die Nähe zur Kunst sucht. Jedenfalls ist das wechselseitige Interesse von Kunst bzw. Kunstbetrieb und Ethnologie durch zahlreiche Tagungen und Publikationen im zurückliegenden Dezennium bezeugt.15

Insofern ist es geradezu folgerichtig, dass die Ethnologie, will sie sich nicht mit ihrer Selbsteskamotierung zufrieden geben, sich methodisch neu ausgerichtet und sich dabei einer deutlicheren Prüfung ihres Tuns unterzogen hat. Und das geschah und geschieht immer noch einerseits dadurch, dass der Entstehungsprozess von Dokumenten stärker reflektiert wird – Stephen Tyler etwa nennt dies eine Ethnografie des Sprechens, indem darüber nachgedacht wird, wie ethnografische Aussagen zustande kommen, wie gesprochen und wie etwas Gesagtes als Wahrheit anerkannt wird.16 Andererseits geschieht dies auf der Grundlage einer kollaborativen Ethnografie: Die „Kollaboration verändert das traditionelle anthropologische Setting. Die Ethnographen sind nun nicht mehr nur ‚teilnehmende Beobachter‘, sondern auf vielfältige Weise in das Geschehen involviert. Sie werden zu eigenständigen Akteuren im Feld, zum Subjekt der Pläne anderer, zur Figur in den Texten anderer etc.“.17 Kollaboration und Sprache bzw. Metareflexion leisten, wenn sie auch das Problem der Repräsentation nicht abschließend ausräumen, doch einer Multiperspektivierung des ethnografischen Gegenstandes Vorschub und tragen damit zugleich zur kritischen Hinterfragung von Kategorien wie Kultur, Fremde oder Differenz bei.

Die kritische Hinterfragung hat allerdings in der Ethnologie meines Wissens nicht dazu geführt, dass sie das Verhältnis zur Interkulturalität geklärt oder zumindest weit ausgreifend reflektiert hätte. Die Ethnologie gilt entweder „per se“ als interkulturell,18 oder aber es wird mit dem Beiwort „interkulturell“ ein kulturvergleichendes Verfahren bezeichnet, bei dem es um die Prüfung nomologischer Hypothesen, das heißt: um den Nachweis gesetzmäßig auftretender Kulturerscheinungen geht.19 Gerade aber mit diesem Verfahren, das unter anderem darauf ausgerichtet ist, „weit entfernte Kulturen in Beziehung zu setzen“,20 um strukturelle Ähnlichkeiten zu erfassen, wird ein Kulturbegriff in die Ethnologie reimportiert, der noch von abgrenzbaren, an räumlichen Vorstellungen gebundenen Einheiten ausgeht, die durch den Vergleich einander gegenüberstellt werden. Der Vergleich voneinander separierbarer Einheiten wird dabei durch das ,inter‘ zusätzlich gefestigt, insofern er an ein geläufiges, vor allem durch die interkulturelle Hermeneutik befördertes Verständnis von Interkulturalität anschließt, demzufolge Kulturen weltweit identifiziert, beschrieben und objektiv voneinander abgegrenzt werden können.21 Dieses Verständnis ist aber inzwischen aus unterschiedlichen Richtungen einer kritischen Revision unterzogen worden, und es wird allenfalls noch dort reaktiviert, wo es um begriffliche Abgrenzungen oder um die Durchsetzung ethnozentrischer Positionen bzw. politisch-ökonomischer Interessen geht.22

Die Selbstverständlichkeit, mit der die Ethnologie sich als interkulturell versteht, erinnert insofern an die nicht sonderlich theoriegeleitete Interkulturalitätsreflexion im Feld des Theaters. Das hat zur Konsequenz, dass es hier wie dort, wenn auch so vielleicht nicht intendiert, zur Übernahme und Applikation eines eher retrograden Kulturbegriffs kommt. Die Annäherung an aktuelle Interkulturalitätspositionen könnte hier zur theoretischen Neubestimmung beitragen, indem der in der beständigen Neuauslegung liegende Projekt- und Prozesscharakter der Interkulturalität mit der produktiven Verunsicherung, die Ethnologie und Theater gleichermaßen auszeichnet, verklammert wird. Mit dem Projekt der Interkulturalität ist dabei methodisch die Umgestaltung bestehender Denk- und Handlungsformen assoziiert, durch die gewohnte Selbstverständlichkeiten und Sehgewohnheiten hinterfragt werden sollen. Denn Interkulturalität hat etwas mit Risiko zu tun: Wer sich darauf einlässt, verlässt eingetretene Pfade. Interkulturalität geht aus meiner Sicht insofern einher mit dem eingangs bereits angesprochenen kulturanthropologischen Ausbruch aus dem, was Alfred Schütz einmal als „Denken-wie-üblich“ bezeichnet hat.23 Im Denken-wie-üblich ist das Fremde das aufgefasste Andere. Es ist wie das Eigene eine Setzung, dessen das Denken-wie-üblich bedarf, damit es sein Üblichsein bewahrt. Die Rede vom Eigenen und Fremden – Klaus Scherpe nennt es die notorische Zweierbeziehung –,24 trägt insofern zu dessen Stabilisierung bei. Es ist gewissermaßen die begriffliche Grunddichotomie aller interkulturellen Vergleiche, deren Nichthintergehbarkeit dazu führt, dass das Fremde in Schach gehalten wird. Wohin aber „oder wem ein Zeichen oder ein einzelnes kulturelles Element gehört“,25 ist nicht erst jetzt, aber vor allem in Zeiten forcierter Uneindeutigkeiten immer schwieriger zu beantworten. Das gilt auch und erst recht dann für das Theater, wenn das Fremde „als Prozeß einer kulturellen Transformation“ begriffen wird.26 Denn das Fremde wird auch hier noch als ein distinktives...