Cranach natürlich - Hieronymus in der Wildnis

von: Wolfgang Meighörner

Haymon, 2018

ISBN: 9783709938362 , 352 Seiten

Format: ePUB

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Cranach natürlich - Hieronymus in der Wildnis


 

DER HL. HIERONYMUS IM 16. JAHRHUNDERT


THEOLOGISCHE ASPEKTE SEINES BILDES IN DER FRÜHEN NEUZEIT


Christian Hecht


Der hl. Hieronymus (um 347–419/20) ist ein besonderer Heiliger.1 Nie war er in Vergessenheit geraten, denn die von ihm geschaffene lateinische Bibelübersetzung, die „Vulgata“, wurde in allen Gottesdiensten der westlichen Kirche täglich genutzt. Wenn man heute den großen, von der Kirche des lateinischen Ritus geprägten Kulturraum gern als „Lateineuropa“ bezeichnet, dann wird man bei diesem Begriff zuerst an das Latein des hl. Hieronymus denken, denn es war vor allem das Latein seiner „Vulgata“ (Kat. 15), das während des Mittelalters und bis weit in die Frühe Neuzeit hinein als Schrift- und Hochsprache vorherrschte. Das gilt zuerst für die Liturgie, auch wenn dort noch einige ältere Texte weiterlebten, aber ebenso für alle Wissenschaften und lange auch für die Herrschaftsausübung. Selbst als Umgangssprache kam dieses Latein während des Mittelalters und der Neuzeit niemals außer Gebrauch. Es war die herausragende sprachliche Qualität, die diesen dauerhaften Erfolg des „hieronymianischen“ Lateins bewirkte, ohne welches sogar das klassische Latein Ciceros (106 v. Chr.–43 v. Chr.) und Vergils (70 v. Chr.–19 v. Chr.) zweifellos dem Vergessen anheimgefallen wäre. Seit dem 14. Jahrhundert war die Bedeutung des hl. Hieronymus sogar noch einmal gewachsen, weil er wie kein zweiter die Einheit von christlicher und heidnischer Latinität verkörperte.2 Der Kirchenvater, der noch ganz in der Tradition des klassischen Lateins stand, pflegte keinen leblosen sprachlichen Klassizismus, sondern eine sowohl liturgieals auch alltagstaugliche Sprache. Gleichzeitig ist es ihm gelungen, sowohl das Neue als auch das viel schwieriger zugängliche Alte Testament auf eine philologisch bis heute überzeugende Weise zu übertragen. Grundlage dafür war die „Hexapla“, in der der große Theologe Origenes (185–254) verschiedene Übersetzungen und Transkriptionen des Alten Testaments in sechs Spalten zusammengestellt hatte. Hieronymus besaß damit eine Textgrundlage, die ihm in so gut wie allen philologischen Fragen zuverlässige Antworten bot. Mindestens genauso wichtig war seine Formulierungskraft, die es ihm ermöglichte, eine Bibelübersetzung zu schaffen, deren kulturelle Prägekraft bis heute andauert. Mit einem Wort: Der hl. Hieronymus hat mit der „Vulgata“ den Grundtext Lateineuropas erschaffen. Die Erinnerung an den Heiligen kann daher von der Geschichte der „Vulgata“ nicht getrennt werden.

Durch die 1517 von Martin Luther (1483–1546) ausgelöste Reformation kam es zu einer zwar tiefgehenden, aber nicht zu einer völligen kulturellen Spaltung Europas. Sowohl die Heiligenverehrung als auch das religiöse Bild wurden von den reformatorischen Veränderungen erheblich tangiert: Der hl. Hieronymus erlebte dabei ein besonderes Schicksal, weil der Heilige dank der von ihm geschaffenen lateinischen Bibelübersetzung auch für die protestantischen Konfessionen von Bedeutung blieb. So dramatisch die Ereignisse auch waren, minderten sie doch noch lange nicht die Bedeutung der lateinischen Sprache und der „Vulgata“. Im Gegenteil: Ohne Latein hätte die Reformation die deutschen Sprachgrenzen nur mühsam überschreiten können. Wie hätten z. B. ausländische Studenten den Wittenberger Professor Martin Luther verstehen sollen, wenn dieser seine Vorlesungen nicht in lateinischer Sprache gehalten hätte? Und ohne die „Vulgata“ des hl. Hieronymus, in der die biblische Textgeschichte präsent war, wäre es weder Luther noch den anderen Bibelübersetzern gelungen, neue volkssprachliche Textfassungen zu erstellen (Kat. 24–26). Tatsächlich hat Luther, als er 1521 auf der Wartburg das Neue Testament übersetzte, sich an der „Vulgata“ orientiert, weil, wie der Altphilologe Hermann Dibbelt schon 1941 nachweisen konnte, seine griechischen Sprachkenntnisse nicht ausreichten, um ohne Hilfsmittel nur aus dem Urtext zu übersetzen.3 Auch später blieb die „Vulgata“ ein entscheidender Referenzpunkt für Luthers Übersetzungen.

Da wirkt es fast wie ein trotziges Betonen katholischer Rechtgläubigkeit, wenn Kardinal Albrecht von Brandenburg (1490–1545) gleich mehrfach auf sakralen Identifikationsporträts „als hl. Hieronymus“ gezeigt wurde (Abb. auf S. 110, 111, 115, 116).4 Eine solche Identifikation lag natürlich besonders nahe, weil auch der hl. Hieronymus üblicherweise als Kardinal dargestellt wurde. (Einige Jahre später wird es allerdings wegen dieser Darstellungstradition sogar eine kleine Kontroverse geben, auf die gleich noch einzugehen sein wird.)

Abb. 1 Wolfgang Stuber, Bildnis des Martin Luther als Hieronymus im Gehäus, undatiert, Kupferstich, Privatbesitz

Beinahe spiegelbildlich entspricht der Identifikation des Kardinals mit dem hl. Hieronymus die Abneigung, die Luther gegen diesen Kirchenvater hegte. Wohl keinen Theologen der christlichen Antike hat Luther so häufig zitiert, aber auch derart massiv abgelehnt:5 „Ich weiß keinen unter den Lehrern, dem ich so feind bin, als Hieronymo, denn er schreibet nur von Fasten, Speise, Jungfrauschaft etc.“6 Es ging Luther nicht nur um die Theologie, sondern auch um den geistlichen Lebensentwurf des Kirchenvaters und Eremiten, der dem des gewesenen Augustinereremiten Luther diametral entgegengesetzt war. Trotzdem erkannte Luther den Rang des Hieronymus als Übersetzer an: „S[anctus] Hieronymus hat für seine Person das Meiste und Größte im Dolmetschen gethan, welches ihm Keiner allein nachthun wird.“7

Generell war der Umgang mit der frühchristlichen Theologie für die neuen Konfessionen nicht einfach. Schon 1524 hatte Luther gepredigt: „[…] die lieben veter Augustinus, Hieronymus […] Bernardus, Gregorius, Franciscus, Dominicus und viel mehr, wie wol sie heylig gewesen sind, haben dennoch hie alle geyrret, wie ich offt mal anders wo beweiset habe […]“.8 Eine Vorbildfunktion durften die Reformatoren den Kirchenvätern einerseits nicht mehr zuerkennen, sonst hätten sie ihre eigenen theologischen und kirchenpolitischen Konzepte nicht aufrechterhalten können. Da sich aber andererseits die meisten reformatorischen Richtungen als Wiederherstellung der frühchristlichen Ordnung verstanden, durfte man die Kirchenväter auch nicht völlig ablehnen, am wenigsten den hl. Hieronymus. Luther und seine Nachfolger konnten auf die „Vulgata“ nicht verzichten – und damit auch nicht auf den hl. Hieronymus. Trotz Luthers negativer Äußerungen war das aber kein grundsätzliches Problem. Das wird etwa in den „Magdeburger Zenturien“ deutlich. Im 1560 erschienenen vierten Band dieser ersten aus lutherischer Sicht geschriebenen Kirchengeschichte wird auch der hl. Hieronymus behandelt, und zwar als ambivalente Gestalt. Als durch und durch positives Beispiel stellt ihn dann der Görlitzer Theologe Martin Moller (1547–1606) vor. Er tut das in seinem 1584 in Görlitz erstmals erschienenen Grundlagenwerk der lutherischen Andachtsliteratur, den „Meditationes sanctorum Patrum. Schöne, Andechtige Gebet, Tröstliche Sprüche, Gottselige Gedancken […] Aus den heyligen Altvätern fleissig vnd ordentlich zusamen getragen vnd verdeudtschet“. Natürlich war Hieronymus trotzdem nicht für die lutherische Sache zu vereinnahmen, aber es war doch möglich, Übereinstimmungen zwischen der Lehre des Kirchenvaters und der Lehre Luthers herauszuarbeiten. Ähnlich wie der hl. Augustinus (354–430) sollte auch der hl. Hieronymus als Vorläufer Luthers erscheinen – was diesen natürlich zu dessen Nachfolger machte.

Beispielhaft macht das ein Kupferstich9 deutlich (Abb. 1), auf dem der weitgehend unbekannte Nürnberger Künstler Wolfgang Stuber (tätig 1547–1588) vielleicht schon kurz nach Luthers Tod im Jahre 1546 diesen als hl. Hieronymus darstellte.10 Stuber hat Albrecht Dürers (1471–1528) „Hieronymus im Gehäuse“11 (Abb. 2, vgl. Kat. 9) von 1514, der schon 1525 als Bildvorlage für Cranachs Identifikationsporträts des Kardinals Albrecht gedient hatte, im wahrsten Sinne des Wortes abgekupfert. Doch im Gegensatz zu Lucas Cranach d. Ä. (1472–1553) war Stuber nicht in der Lage, sich Dürer auch nur ein wenig anzunähern. Schon beim ersten Blick in diesen Raum, mehr noch beim zweiten, bewirkt die verzeichnete Perspektive regelrecht Benommenheit. Der Boden scheint zu schwanken und die Decke sich zu senken. Noch bemerkenswerter sind aber die Inhalte. Stuber kopierte sogar den Kardinalshut sowie die Paternosterschnur, verzichtete aber auf das Kreuz, das auf dem Schreibtisch stand. Und an der Stelle des Heiligen sieht man Luther. Der Reformator ist kein „neuer“ Hieronymus. Es handelt sich, wenn man den Begriff wörtlich nimmt, gerade nicht um ein „sakrales Identifikationsporträt“. Es geht letztlich um etwas anderes: Luther ersetzt Hieronymus. Wer Dürers Stich, der damals weit verbreitet war, kannte, nahm sofort wahr, wer hier an wessen Stelle gesetzt wurde. Und wie es Dürers Vorlage erfordert, ist Luther der Bibelübersetzer, der...