Auf der Suche nach der Wahrheit - Autobiografie

von: Hans-Werner Sinn

Verlag Herder GmbH, 2018

ISBN: 9783451807770 , 460 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 21,99 EUR

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Auf der Suche nach der Wahrheit - Autobiografie


 

 

 

 

 

Anstatt eines Vorworts – Auf der Suche nach der Wahrheit


Was treibt mich an, wohin führt mein Weg? Welchen Beitrag leiste ich für die Gesellschaft – welchen für Familie, Freunde, mir anvertraute Menschen, Kollegen? Halte ich mich an die Prinzipien und Gebote, die mir Eltern, Großeltern und andere Lehrmeister mitgaben? Wer und was ist mir wirklich wichtig, für wen und für welche Ideale lohnt es sich zu kämpfen?

Für jeden bewusst, vernünftig und verantwortungsvoll agierenden Menschen ist es unverzichtbar, sich diese vielleicht philosophisch anmutenden Fragen immer wieder zu stellen, um so sein Leben auf Kurs zu ­halten.

Aber keine Sorge: Ich bin Volkswirt und damit Sozialwissenschaftler, und kein Philosoph. Ich frage, denke und schreibe anders. Und doch habe ich in jenen rund sieben Jahrzehnten, die mein Leben nun umfasst, diese Fragen mit mir geführt. Ich stellte sie mir schon früh und immer wieder, und ich versuchte, sie auch dann im Auge zu behalten, als mich die ungeheure Dynamik meiner beruflichen Verpflichtungen, insbesondere das Amt als Präsident des ifo Instituts, bis an die Grenzen meiner Kräfte forderte. Im Rückblick will es mir manchmal sogar scheinen, dass sie mich geleitet haben. Aber weiß ich das? Ich will da nichts hineinkonstruieren.

Was mich antreibt


Was ich aber weiß, ist, dass ich mit diesem Buch, meiner Autobiografie, auch diese Fragen zu beantworten versuche.

Seit meiner Jugend treibt mich die Neugier, und deshalb stand für mich fest, dass ich Wissenschaftler werden wollte. Rerum cognoscere causas – »Den Grund der Dinge erkennen« – ist ein auf den römischen Dichter Vergil zurückgehender Leitspruch der Wissenschaften, den ich schon früh verinnerlicht habe, lange bevor ich im Lateinunterricht davon erfuhr.

Er leitet mich bis heute. Und bis heute interessiert mich stets das Neue, das mir Unbekannte. Ich will wissen, wie die Dinge zusammenhängen, ich will verstehen. Und wenn ich verstanden habe, mache ich mich alsbald auf zu einer neuen Suche nach dem Neuen, um auch das zu verstehen.

Als ich das Gymnasium in Bielefeld verließ, hätte ich am liebsten gleich mehrere Fächer parallel studiert, so hatte mich der Schulunterricht fasziniert und motiviert. Und als ich mich dann schließlich für die Volkswirtschaftslehre entschieden hatte, wollte ich am liebsten in allen wichtigen Teilgebieten des Faches tätig werden. Nichts beschreibt vielleicht besser, wie sehr mich die »Suche nach der Wahrheit« schon immer beseelte. Nicht von ungefähr also ist dies nun auch der Titel dieser Autobiografie.

Ich gebe zu: Bis zum Schreiben der vielen Seiten, die sie nun umfasst, war mir dieses Leitmotiv meines Lebens nicht voll und ganz bewusst. Aber, wie ich im Epilog am Ende dieses Buches noch ausführen werde, bin ich ein Mensch, der beim Schreiben lernt. Vor allem beim Schreiben eines Buches – auch dieses Buches, das so ganz anders ist als alles, was ich bislang geschrieben habe.

Die Vergangenheit ist nie abgeschlossen. Auch die eigene nicht. Das gilt für jeden – auch für mich. Die Sicht auf sie – und die Geschichte, die wir über sie erzählen – wird bestimmt durch das Hier und Jetzt. Und so wandeln sich mit dem Fluss der Ereignisse auch die Antworten auf die Lebensfragen.

Allerdings wandeln sie sich wohl immer weniger, je älter man wird und je bewusster man lebt. Ich bin nun, mehr als fünfzig Jahre seit dem Beginn meines Studiums der Volkswirtschaftslehre – das war im Herbst des Jahres 1967 –, um einige Erkenntnisse reicher, die aus vielen ­beruflichen und ­persönlichen Erfahrungen und dem Nachdenken darüber resultieren. Ich betrachte sie als Geschenk des Älterwerdens. Zugleich hat mein langes ­Wirken als Forscher und Hochschullehrer im In- und Ausland, als Buch­autor, Vortragsredner, Präsident nationaler oder internationaler Fachverbände und öffentlicher Streiter für ökonomische Vernunft mein Bewusstsein auch tief und nachhaltig geprägt und geschärft. Ich glaube daher sagen zu können: »Auf der Suche nach der Wahrheit« wird mir wohl auch in zehn Jahren oder später als Leitmotiv meines Lebens gelten können, wenn es mich dann noch gibt.

Den eigenen Weg gehen


Die Neugier und die kompromisslose Suche nach der Wahrheit hat meine Karriere als Hochschullehrer, als Wissenschaftler und als Anwalt für eine bessere Wirtschaftspolitik geprägt, der – ich gebe es zu – keiner Kontroverse aus dem Weg ging. Nachdem ich zunächst an den Universitäten Münster und Mannheim sowie in Kanada studiert, geforscht und unterrichtet hatte, schlossen sich über dreißig Jahre als aktiver Hochschullehrer an der Ludwig-­Maximilians-Universität München (LMU) an. Insgesamt komme ich so über mein gesamtes Leben hinweg gerechnet auf 82 Semester universitärer Lehre – wobei die vielen Wochenenden, die ich für Verwaltungsakademien tätig war, eigentlich noch hinzuzuzählen wären. Ich kann es selbst kaum glauben. Viele Generationen von Studenten besuchten meine Vorlesungen, viele Doktoranden promovierten bei mir, weitere Forscher habe ich auf die eine oder andere Art und Weise unterstützen können, indem ich ihre Habilitationen begleitete, also jene wissenschaftlichen Arbeiten, die die Voraussetzung dafür sind, dass man ein ordentlicher Professor an einer Universität werden kann.

Meine Studenten, Doktoranden und Habilitanden bekleiden nun wichtige Posten in dieser Gesellschaft, und einige meiner akademischen Schüler lehren heute an angesehenen Universitäten. Ich verhehle nicht, dass mich das ein wenig mit Stolz erfüllt, einem Stolz, den man mir verzeihen möge. Eine »Sinn-Schule« der Ökonomie, vor der sich manche »Sinn-Opponenten« in Politik und einigen Medien nun womöglich fürchten mögen, gibt es aber nicht. Jeder Student, jeder akademische Schüler, ob jünger oder älter, hat seinen eigenen, von ihm selbst gewählten Weg der Erkenntnis und der Einflussnahme auf die Wissenschaft und die reale Welt der Wirtschaft zu gehen. So wie ich ihn auch selbst suchte und fand. Wenn ich aber »meinen« Schülern – neben der sauberen Anwendung der ökonomischen Methode als Wissenschaft auf welchen Forschungszweig und auf welche Forschungsfrage auch immer – eines zu vermitteln trachtete, dann war es dieses: Die Suche nach der Wahrheit, die das Ziel der ­volkswirtschaftlichen Forschung ist, mag zwar nicht selten mühsam sein und nur in kleinen Schritten vorangehen. Aber sie darf innere und äußere Widerstände nicht scheuen und muss mutig sein. Anders ist jene Wahrheit, der sich – wie ich denke – ökonomische Forscher verpflichtet fühlen sollten, nicht zu haben.

Für manchen mag das lebensfern klingen. Kann sein. Natürlich weiß ich, dass ein jeder im Leben Kompromisse machen muss, in der Politik, als Mitarbeiter im Unternehmen, im Sportklub, in der Familie. Doch unberührt davon bin ich entschieden der Ansicht: Die Wahrheit bleibt doch die Wahrheit und sie muss ausgesprochen werden, damit die Dinge sich zum Besseren ändern können.

Allerdings sollte ein Leben, das der Suche nach ihr gewidmet ist, auch Spaß machen. Was wäre das sonst auch für ein Leben? Nur Kopfarbeit allein macht nicht glücklich. Um den Kopf freizubekommen, muss man nicht nur Texte oder Bücher schreiben und denken, sondern auch einmal – zum Beispiel – Tore köpfen. Das zumindest habe ich, solange meine Gelenke und Sehnen es zuließen, mit Begeisterung getan. Mit meinen wissenschaftlichen Assistenten, mit Gastforschern oder anderen Kollegen haben wir über viele Jahre hinweg regelmäßig im Münchner Englischen Garten gekickt. Wir hätten eigentlich einmal untersuchen sollen, wie das die Qualität unserer Arbeit beeinflusst hat. Besser gefühlt haben wir uns auf jeden Fall. War ich ein Leistungsträger beim Fußball? Nun ja ... Wie viel Tore ich geschossen habe? Nun ja ... Man verlange nicht zu viel von einem Verteidiger. Letztlich war ich wohl doch besser am Schreibtisch aufgehoben. Aber trotzdem ...

Vom Kampf gegen die Alternativlosigkeit, meinen Wurzeln und dem Wert eines guten Biers


Ich komme aus den einfachen dörflichen Verhältnissen einer jungen Familie in Westfalen mit mütterlichen Wurzeln im Osten. Ich weiß, was es heißt, arm zu sein, und ich kenne die Nöte des Alltags, ja die Armut. Ich bin auch deswegen Ökonom geworden, weil ich die Gesellschaft besser machen wollte – zugunsten gerade der einfachen Menschen, auch jener, die weniger gute Start- und Entwicklungschancen haben als andere. Für manche mag das romantisch klingen, für manche idealistisch, für manche gar gefährlich utopisch. Das ficht mich nicht an. Genauso wenig wie es mich anficht, wenn man mich – der ich in wirtschafts- und sozialpolitischen Debatten immer wieder eindringlich Stellung bezogen habe – hin und wieder als »Marktradikalen« oder »Neoliberalen« zu verunglimpfen sucht. Beides ist grober Unfug, jedenfalls so, wie es gemeint ist.

Hat es mich trotzdem genervt? Manchmal schon. Auf jeden Fall hat es mich angespornt. Und mit meinem idealistischen Antrieb habe ich selbst ja auch andere genervt. Hin und wieder sogar mich selbst ... Ein gutes Bier und eine deftige Brotzeit, die ich als Neu-Bayer schätze, haben dann bisweilen geholfen. Wirklich!

In diesem Zusammenhang frage ich mich im Übrigen nicht selten: Bin ich mittlerweile eigentlich fast schon »richtiger« Bayer oder bin ich noch »echter« Westfale? Das weiß ich oft selbst nicht. Als ich in diesem Buch über meine westfälische Heimat schrieb, war ich...