Gut geflunkert ist die halbe Wahrheit - Lügen leicht erkennen. Nicht nur für Profis!

von: Michael Kirchhoff

Kreutzfeldt digital, 2018

ISBN: 9783866235915 , 147 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 19,99 EUR

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Gut geflunkert ist die halbe Wahrheit - Lügen leicht erkennen. Nicht nur für Profis!


 

Sherlocked


Den Fallstricken entkommen


 

Wir haben einiges über die menschliche Wahrnehmung und die menschliche Informationsverarbeitung erfahren. Wir haben uns mit den sozialen Hintergründen des Lügens beschäftigt und einen Blick auf Psychopathen geworfen. Nun geht es im nächsten Schritt darum, die eigene Aufmerksamkeit zu trainieren. Dazu bedienen wir uns der Drei-Kreise-Methode, wie ich sie genannt habe. Es handelt sich dabei um eine kleine aber hilfreiche Methode, die ein strukturiertes Vorgehen ermöglicht. Doch bevor wir damit starten, lassen Sie uns einen Blick auf den Hintergrund dieses Vorgehens werfen.

 

Jan war Psychologe und ein brillianter Therapeut. Er wusste, was er tat, und nicht selten schickte man schwierige Fälle zu ihm. Aber so wie das Auge sich selbst nicht sieht, so war er blind in Bezug auf seine eigenen Vorgänge. Jan hatte eine leichte Form von Bindungsstörung verbunden mit einer sehr leichten Ausprägung von Narzissmus. Faszinierend ist, dass er trotz seines unglaublichen Wissens nicht die eigenen Themen bearbeiten konnte, die sein Leben bestimmten. Glücklicherweise war er reflektiert genug, sich Hilfe bei einem Kollegen zu holen. Seine Hilflosigkeit lag definitiv nicht an mangelndem Wissen. Auch eine fehlende Übung in Bearbeitung psychischer Probleme konnte man ihm nicht nachsagen. Es lag schlicht an der eigenen Wahrnehmung. Das ist in dieser Art von Fällen völlig normal. Dennoch zeigt es, dass uns alles Wissen nichts nützt, wenn wir die Dinge nicht wahrnehmen, die vor unserer Nase liegen.

 

Genauso geht es uns, wenn wir uns voll von Fachwissen in das Leben stürzen und versuchen, Lügen zu erkennen. Fachwissen alleine reicht bei Weitem nicht aus. Uns fehlt die Übung der Achtsamkeit bzw. der Aufmerksamkeit. Das liegt zum einen am schnellen Denken, an den Heuristiken, denen wir unterworfen sind, und an der „Konfiguration“ unserer Psyche. Manche Menschen sind die geborenen Wahrnehmer, andere sind eher in sich gekehrte Denker. Das liegt zum anderen aber auch an mangelndem Training. Denn dass es möglich ist, eine feine Aufmerksamkeit und Wahrnehmung zu besitzen, zeigen einige Experten, wie beispielsweise Paul Ekman, Joe Navarro oder auch Jack Nasher. Es ist also durchaus realisierbar. Das Problem, das uns im Wege steht, ist, dass unser Hirn von Natur aus Energiesparer ist. Warum sollten wir für den Weg zur Arbeit zehn Liter Benzin verbrauchen, wenn das Ganze auch mit zwei Litern machbar ist? Doch genau dies ist eine Milchmädchenrechnung. Wir können mit wenig Aufwand schnelle Ergebnisse erzielen, aber diese sind nicht sehr genau. Oder wir bemühen uns, verbrauchen Energie und bekommen dafür ein solides, gründliches Ergebnis. Die frohe Botschaft an dieser Stelle: Je länger wir den langsamen Weg trainieren, desto leichter fällt er uns.

 

Wie können wir nun den Fallstricken der menschlichen Bequemlichkeit entkommen? Da ich diese Fallstricke selbst gut kenne, erarbeitete ich irgendwann für mich und meine Seminarteilnehmer eine einfache Methode, mit der ich strukturiert vorgehen konnte. Ich nenne sie die Drei-Kreise-Methode. Vorteil so einer Methode ist, dass wir immer einen roten Faden haben, eine Arbeitsroutine, an die wir uns halten können, egal was sonst so gerade hinter unserer Stirn rumtobt. Arbeitsroutinen helfen uns auf dem Weg zur Gründlichkeit.

 

Die Drei-Kreise-Methode ist recht simpel: Ich stelle mir drei konzentrische Kreise vor. Beim Analysieren gehe ich von außen nach innen vor. Der äußere, erste Kreis steht für grundlegende Beobachtung, die Analyse von Basismustern und Musterunterbrechungen. Kurz: Es geht um den ersten Eindruck, der durchaus gründlich sein darf. Der zweite Kreis steht für die Unterbrechung des assoziativen Denkens und für die Wahrnehmung weiterer Signale, Signalketten und deren Deutung. Hier findet auch die erste Korrekturschleife statt. Der dritte Kreis steht für die Interaktion wie beispielsweise eine Befragung. Außerdem verortet man hier die Lüge und korrigiert sein Bild abschließend. Durch dieses stufenweise Vorgehen sinkt die Gefahr, dass man seinen Vorurteilen, Stereotypen und Urteilsverzerrungen unterliegt. Stellen Sie sich diesen Vorgang vor wie einen Streit zwischen einem verschwenderischen Hallodri, der das Geld zum Fenster rauswirft, und einem peniblen Steuerprüfer, der gründlich und genau arbeitet, dabei aber recht langsam vorgeht. Wir tun nichts anderes, als dafür zu sorgen, dass der Steuerprüfer das letzte Wort hat.

 

Einige Menschen, denen ich begegne, schwören auf ihre Intuition. Die meisten Intuitionen sind jedoch nichts weiter als das unbewusste Zusammenspiel verschiedener Heuristiken. Maria Konnikova sagt dazu: „Im Grunde ist korrekte Intuition nicht mehr als Übung, nicht mehr als die Fähigkeit, erworbene Heuristiken durch echtes Können zu ersetzen.“31 Intuition ist nichts Schlechtes, doch die meisten verlassen sich auf sie zu einem Zeitpunkt, an dem ihr Trainingszustand das nicht rechtfertigt. Wenn wir Wissen gesammelt und angewandt haben, wenn wir Arbeitsroutinen und Erkenntnisse verinnerlicht haben, dann entsteht ab und zu etwas, das ich gerne reflektierte Intuition nenne. Das ist eine Intuition, die auf Reflektion und fachlicher Erfahrung basiert.

 

Um in unserem vorherigen Beispiel zu bleiben: Der Hallodri zeigt plötzlich aus heiterem Himmel Verhaltenszüge eines Buchhalters. Und, oh Wunder, der Steuerprüfer lehnt sich für einen Moment zurück und entspannt sich. Schnelles und langsames Denken in Kooperation, das ist Intuition in unserem Fall. Um hierher zu gelangen, müssen wir zuerst eine neue Haltung trainieren. Ansonsten passen wir unsere Wahrnehmung der Ereignisse selektiv dem vorgefassten (oft unbewussten) Urteil an, so dass es konsistent mit unserer stereotypen Sichtweise ist. Gehen wir strukturiert nach den drei Kreisen vor, passen wir unser Urteil der Wahrnehmung der Ereignisse an.

 

Wir erleben in unserem Leben vieles, das uns nachhaltig beeinflusst. Jedes Mal klebt uns so eine Erfahrung quasi im Vorbeigehen einen Post-it auf die Stirn. Diese Post-its werden mehr und behindern unsere Sicht. Als erstes benötigen wir also eine Technik, die uns von den ganzen Klebezetteln befreit. Dazu bediene ich mich üblicherweise zweierlei:

 

1. Die magische Tür: Jedes Mal, wenn Sie durch einen Türrahmen treten, stellen Sie sich bitte vor, dass Sie durch eine magische Tür treten. Sagen Sie sich, es sei ein magisches Portal, das Ihre bisherige Welt mit allen Gewohnheiten, Regeln und üblichen Handlungsverläufen hinfort wischt und Sie eine völlig neue, frische und spannende Welt betreten lässt. Glauben Sie mir, dem Gehirn ist es egal, ob es nur eine Vorstellung ist. Sie betreten eine neue Welt voller Wunder und staunen über alles, das Ihnen hier begegnet. Das mag naiv klingen, doch diese Technik birgt einen wichtigen Mechanismus. Wir lassen unsere Überzeugungen, Erwartungen und Stereotypen jedes Mal ein Stückchen leichter los. Wenn wir diese Methode lange Zeit jeden Tag üben, wird die Haltung zur Gewohnheit und wir werden freier an die Erlebnisse herantreten können. Diese Methode entfaltet ihre Kraft langsam und langfristig.

 

2. Die Dusche: Die Dusche ist im Grunde ähnlich. Stellen Sie sich vor, wie eine geistige Energie-Dusche all Ihre störenden Emotionen, Vorurteile und Gewohnheitsmuster rauswäscht. Sie spüren, wie Ihr Zustand rein und klar wird, und Sie können die Emotionen, Vorurteile und Gewohnheitsmuster völlig fasziniert beobachten. Sie halten sie nicht fest und Sie drücken sie nicht weg. Sie lassen sie einfach nur los. Dies ist eine andere Vorstellung, aber im Kern derselbe Mechanismus wie bei der magischen Tür.

 

Ich persönlich favorisiere die Dusche, denn ich kann sie in jeder Lebenslage anwenden, ohne dass irgendjemand etwas davon bemerkt. Nun benutzen Sie zusätzlich eine Technik, die man „Ankern“ nennt. Ankern ist im Grunde nichts anderes, als den gewünschten Zustand mit einer Geste, einer Mimik, einer Berührung oder einem Wort zu verbinden, um den Zustand so schneller hervorrufen zu können. Es ist also eine Abkürzung. Wichtig ist dabei zu beachten, dass der Zustand so rein wie möglich ist und dass er kurz vor der maximalen Intensität ist. Genau in diesem Moment führen Sie bewusst eine Verknüpfung mit einem Wort oder einer Geste herbei. Ich persönlich habe ein Wort und zusätzlich eine Geste verwendet. Die Geste ist allerdings wesentlich unauffälliger.

 

Hier kommt es nun auf Genauigkeit an. Der Anker muss eindeutig sein, damit man ihn in jeder Situation sauber benutzen kann. Ich habe eine bestimmte Handgeste mit dem dissoziierten Zustand verbunden. Wenn ich den Zustand auflöse, habe ich auch dies mit einer anderen Geste verbunden. So kann ich bei Bedarf die Dissoziation bewusst auflösen. Dieser Schritt ist wichtig, und Sie sollten ihn unbedingt mit einbauen. Man kann beim Setzen von Ankern gar nicht gründlich genug sein, vor allem wenn es um Dissoziation geht. Trainieren Sie das im Vorfeld immer und immer wieder, bis es im Schlaf sitzt. Nachdem wir uns nun vorbereitet haben, widmen wir uns den drei Kreisen.

 

 

Erster Kreis


 

Der äußere, erste Kreis steht für grundlegende Beobachtung, Analyse von Basismustern und Musterunterbrechungen.

 

Im ersten Kreis sind wir mehr oder weniger ständig unterwegs. Es ist die Art von Aufmerksamkeit, die ich am ehesten als Alarmbereitschaft bezeichnen würde. Wenn wir uns im Alltag befinden, erzählt uns ein Bekannter vielleicht gerade eine Geschichte und uns fällt zufällig auf, dass es einen Widerspruch gibt. Oder wir sitzen...