Arzneimittellehre für Heilpraktiker

von: Eva Lang, Michael Herzog

Haug, 2018

ISBN: 9783132407831 , 256 Seiten

Format: ePUB

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Arzneimittellehre für Heilpraktiker


 

1 Einführung in die Grundlagen der Pharmakologie und Toxikologie


Die Pharmakologie beschäftigt sich mit der Wechselwirkung zwischen Wirkstoffen und Lebewesen, die klinische Pharmakologie mit der Wirkung von Substanzen auf den menschlichen Organismus. Dabei unterscheidet man folgende Bereiche:

  • Pharmakokinetik

  • Pharmakodynamik

  • Pharmakogenetik

1.1 Pharmakokinetik


Die Pharmakokinetik beschäftigt sich mit den Prozessen der Aufnahme, der Verteilung, des Transports, der Speicherung, der Biotransformation (Veränderung zu ausscheidungsfähigen Stoffen) und der Ausscheidung von Pharmaka (Arzneimitteln) sowie deren Beschreibung und Veränderung, also kurz gesagt mit der Frage: „Was macht der Organismus mit dem Pharmakon?“

Dabei wird unterschieden in

  • Invasion (Einnahme, Resorption und Verteilung) und

  • Exkretion (Metabolisierung und Ausscheidung).

Was macht der Organismus mit dem Pharmakon? Nach dem (L)ADME-Modell (englische Literatur) sorgt der Organismus für die

  • Freisetzung (Liberation),

  • Resorption (Absorption),

  • Verteilung (Distribution),

  • Veränderung (Metabolisierung) und

  • Ausscheidung (Elimination).

Da in Tropfen (Tr), Säften oder Brausetabletten der Wirkstoff schon freigesetzt ist, fehlt die Liberation und man spricht vom ADME-Prinzip.

1.1.1 Freisetzung (Liberation)


Die Freisetzung eines Arzneistoffs ist abhängig von der Herstellung und der Arzneiform. Sie ist die Grundvoraussetzung für die Wirkung eines Arzneimittels. Die schnellste Freisetzung ist erreicht, wenn ein Arzneistoff bereits in gelöster Form vorliegt (Tr, Saft).

Bei Tabletten erfolgt die Freisetzung in 2 Stufen: Zuerst zerfällt die Tablette in ihre Primärpartikel, dann löst sich der Wirkstoff auf. In den Arzneibüchern (Deutsches Arzneibuch [DAB] und Europäisches Arzneibuch) sind Vorgaben für die Zerfallszeit festgelegt. Mit Retard-/Depotarzneimitteln lässt sich die Freisetzungszeit verlängern.

Bei oral verabreichten Arzneimitteln stellt die Passagezeit durch Magen und Dünndarm eine natürliche Obergrenze für die Wirkstofffreisetzung dar: Wenn die Tablette den Dünndarm verlassen hat, ist die Resorption beendet, sodass die Freisetzung dadurch auf einen Zeitraum von etwa 8–10 h begrenzt ist.

Um noch längere Freisetzungsintervalle zu ermöglichen, muss ein Arzneimittel fest am oder im Körper verankert werden. Folgende Formen werden häufig eingesetzt:

  • intramuskuläre (i.m.) Injektionen

  • wirkstoffhaltige Pflaster

  • transdermale therapeutische Systeme

  • Implantate für spezielle Zwecke

Mit Pflastern erreicht man Freisetzungszeiten von bis zu 1 Woche, i.m. Injektionen ermöglichen Freisetzungszeiten von bis zu 3 Monaten, Implantate bis zu 1 Jahr.

In obigen Fällen muss die Arznei immer zuerst eine Barriere überwinden, meist eine Schleimhaut, evtl. auch die äußere Haut.

1.1.2 Resorption (Absorption)


Zur Resorption aus dem Dünndarm in die Blutbahn oder in das Lymphsystem müssen die Stoffe Membranen überwinden. Die Membranen sind so beschaffen, dass sie für lipophile Substanzen sehr leicht mittels einfacher Diffusion durchgängig sind. Einige wenige hydrophile Substanzen können ebenfalls mittels Diffusion durch besondere Kanäle in der Membran in die Blut- oder Lymphbahn diffundieren. Die meisten hydrophilen Verbindungen benötigen aber spezielle Carrier zur Überwindung der Barriere. Diese Carrier sind allerdings nicht in unbegrenzter Menge vorhanden, sodass bei der Dosierung darauf Rücksicht genommen werden muss (statt einer hohen Einmaldosis erfolgt die Gabe z.B. in 3 kleineren Dosen). Bei den Prozessen in der Dünndarmschleimhaut muss damit gerechnet werden, dass die zu resorbierenden Substanzen sowohl reversibel als auch irreversibel verändert werden können. Proteine wie Insulin werden bereits in Magen und Dünndarm in Aminosäuren gespalten, sodass bei oraler Aufnahme keine Wirkung zu erwarten ist.

Wird eine Arznei direkt in ein Gefäß injiziert oder infundiert, so entfällt der Resorptionsvorgang.

1.1.3 Bioverfügbarkeit


Das Verhältnis zwischen der bei einer bestimmten Verabreichungsart gefundenen Wirkstoffmenge und der Wirkstoffmenge, die sich nach einer i.v. Injektion im Blut wiederfindet, ergibt die absolute Bioverfügbarkeit.

Bioverfügbarkeit bezeichnet also den prozentualen Anteil des Wirkstoffs, der dem systemischen Kreislauf unverändert zur Verfügung steht. Sie ist eine Messgröße dafür, wie schnell und in welchem Umfang ein Arzneimittel resorbiert wird und am Wirkort zur Verfügung steht.

Sie hängt einerseits von der Barriere ab, die durchschritten werden muss, andererseits vom jeweiligen Arzneistoff:

  • Sehr gut durchlässig sind die Nasenschleimhaut und das Lungengewebe.

  • Gut durchlässig ist die Dünndarmschleimhaut.

  • Weniger gut durchlässig ist die Dickdarmschleimhaut.

  • Noch schlechter ist die Hautdurchlässigkeit.

Zu beachten ist, dass sich die Bioverfügbarkeit schon durch den Um- oder Abbau des Arzneimittels bei der ersten Leberpassage (First-Pass-Effekt) verändern kann (Kap. ▶ 1.1.5).

1.1.4 Verteilung (Distribution)


Um wirken zu können, müssen Arzneistoffe an ihren Zielort gelangen. Typischer Verteilungsweg ist der Transport mit dem Blutstrom. Das Eindringen in Gewebe, Liquor oder andere Kompartimente erfolgt wiederum durch passive Diffusion oder durch aktive Transportprozesse. Dies hängt ab von den Eigenschaften des Arzneistoffs (hydrophil/lipophil) und seinen strukturellen Ähnlichkeiten mit körpereigenen Stoffen:

  • Stark lipophile Stoffe verschwinden recht schnell aus dem Blut und reichern sich besonders im Fettgewebe an.

  • Stark hydrophile Stoffe benötigen oft aktive Transportmechanismen, um den Zielort zu erreichen.

Die Abgrenzungen zwischen Blut und anderen Geweben sind unterschiedlich durchlässig. Was im Blut verteilt wird, kann zum Großteil auch die Plazentaschranke passieren. Der Liquor cerebrospinalis ist weit besser abgeschirmt, die sog. Blut-Hirn-Schranke hält viele Stoffe ab.

In manchen Geweben herrschen andere pH-Werte als im Blut. Auch dies beeinflusst die Verteilung von Arzneimitteln. Viele entzündungshemmende Medikamente stellen chemisch gesehen Säuren dar. Dadurch reichern sie sich im eher sauren entzündlichen Gewebe an.

Viele Stoffe zirkulieren im Blut nicht in freier Form, sondern sind an Plasmaproteine gebunden. Zur Wirkung kommen kann jedoch nur der freie Anteil. Kritische Auswirkungen hat z.B. eine Plasmaproteinbindung, wenn der gebundene Stoff durch einen 2. Stoff aus dieser Bindung verdrängt werden kann. So kann es zu Überdosierungserscheinungen kommen. Das kann z.B. durch gleichzeitige Gabe mehrerer verschiedener Medikamente oder gleichzeitige Zufuhr bestimmter Nahrungsmittel passieren (Interaktionsprozesse).

1.1.5 Veränderung (Metabolismus)


Die meisten Arzneimittel erfahren nach ihrer Resorption im Magen-Darm-Trakt überwiegend in der Leber eine chemische Umwandlung (Verstoffwechselung; First-Pass-Effekt).

Diese Umwandlung führt zu Metaboliten, die entweder die eigentlichen Wirkstoffe darstellen, applizierte Wirkstoffe in ihrer Wirkung verstärken, abschwächen oder sogar inaktivieren (präsystemische Elimination; Kap. ▶ 1.1.7).

Ein Stoff, der bei seiner ersten Leberpassage fast vollständig verändert wird, hat einen hohen First-Pass-Effekt. Das Wissen darum ist für eine optimale Dosierung des Medikaments notwendig.

Der First-Pass-Effekt kann umgangen werden durch parenteral, rektal, vaginal oder sublingual eingenommene Arzneimittel.

1.1.6 Elimination (Abfluten)


Hydrophile Medikamente werden direkt oder nach der Biotransformation in der Leber vorwiegend renal ausgeschieden.

Die von der Leber in den Darm ausgeschiedenen Substanzen können je nach Moleküleigenschaften mit dem Stuhl ausgeschieden oder rückresorbiert und via Pfortader wieder zur Leber transportiert werden, sodass sie mitunter über lange Zeit zwischen Darm und Leber zirkulieren (enterohepatischer Kreislauf).

Bei flüchtigen Stoffen ist die Abatmung eine weitere Ausscheidungsmöglichkeit.

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