Irrlicht Jubiläumsbox 3 - Mystikroman - E-Book 11-16

von: Diverse Autoren

Martin Kelter Verlag, 2018

ISBN: 9783740927356 , 100 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

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Irrlicht Jubiläumsbox 3 - Mystikroman - E-Book 11-16


 

Ein ganz leichter Morgenwind blähte die zarten

Vorhänge am offenen Fenster. Aus dem Park von Arlington House klang das vielstimmige Frühkonzert der Vögel.

Verschlafen öffnete Maud die Lider und blinzelte in den anbrechenden Hochsommertag. Er versprach schön zu werden. Schon zeichneten die ersten Sonnenstrahlen ein helles Gitter auf das dunkle Parkett vor dem dicken Teppich.

Rasch schlug sie die Decke zurück, sprang mit einem Satz aus ihrem Himmelbett und öffnete beide Fensterflügel. Wohlig dehnte sie ihren schlanken Körper und atmete tief die kühle Morgenluft ein.

Im Osten leuchtete der Himmel zart rosa zwischen den Kronen der alten Bäume. Es war noch früh, kurz nach fünf. Im Haus schien alles zu schlafen. Nur vom Wirtschaftshof waren erste Geräusche zu hören: Das Klappern der Eimer mischte sich mit dem Wiehern der Pferde und den Rufen der Burschen, die mit ihrer Arbeit in den Ställen begannen.

Dieser schöne Morgen war wie geschaffen für ein Bad unten im Fluß!

Rasch schlüpfte die junge Frau aus ihrem Shorty, band die langen kastanienbraunen Locken mit einem Band zusammen und streifte das knappe Frotteekleid über.

Barfuß verließ sie ihr Zimmer, horchte kurz auf Geräusche im Haus – aber alles war still – und lief die geschwungene Treppe hinunter in die Halle.

Durch eine Seitentür verschwand sie in den Park und schlug quer über den Rasen den Weg hinunter zum Taunt River ein, der am Rande der Wiesen in Mäandern träge dem nahen Meer entgegen floß.

Maud genoß das taufrische Gras unter ihren nackten Füßen und summte die Melodie einer alten schottischen Ballade, die mit der Erzählung vom grausamen Schicksal zweier Liebenden eigentlich nicht zu dem heiteren Morgen paßte.

Aber diese Melodie verfolgte sie seit Tagen – sollte das eine Bedeutung haben?

»Ach was«, sagte sie laut, »ich habe zwar auch kein Glück in der Liebe wie das Paar in dem Lied, aber darum möchte ich doch nicht sterben.«

Abrupt unterbrach sie ihr Selbstgespräch und blieb am Rande des Parks stehen, um das friedliche Bild zu genießen, das der Fluß mit seinen zarten Nebelschwaden im Licht der aufgehenden Sonne bot.

Fast konnte man glauben, Elfen tanzten in ihren durchscheinenden Gewändern, um den Tag zu begrüßen.

Rasch lief sie die wenigen Meter zum Ufer, streifte ihr Badekleid ab und legte es auf einen Busch blühender Heckenrosen.

Nackt, wie Gott sie schuf, stand sie nun am Rand der Böschung und zögerte einen Moment.

Gerade, als sie sich entschlossen in das morgenkühle Wasser stürzen wollte, raschelte etwas im Schilf zu ihren Füßen.

Gespannt trat Maud einen Schritt nach vorn, um zu sehen, ob es vielleicht eine der großen Bisamratten war, denen sie nicht so gern begegnete – da tauchte zwischen den dichten Binsen der Oberkörper eines jungen Mannes auf, muskulös und braungebrannt, mit breiten Schultern.

Sprachlos starrte die junge Frau auf den Fremden und sah in ein ausdrucksvolles Gesicht mit hohen Backenknochen und grünen schräggeschnittenen Augen unter dem kühnen Schwung dunkler Brauen. Aus dichten honigblonden Locken perlte das Wasser, ein sinnlicher Mund lächelte sie an.

Pan, dachte sie sekundenlang, das kann nur der heidnische Hirtengott Pan sein, auf seiner Jagd nach einer schönen Nymphe...

Für einen endlosen Moment tauchte ihr meergrauer Blick in den grünen, goldgesprenkelten des jungen Mannes – und die Zeit schien stillzustehen.

Aber dann wurde ihr plötzlich ihre Nacktheit bewußt, Schamröte schoß ihr ins Gesicht, hastig wandte sie sich um, griff nach ihrem Kleid und rannte davon, so schnell sie konnte.

Als sie die schützenden Büsche des Parks erreichte, war ihr, als klinge vom Fluß ein Lachen herauf, warm und mokant – und ihr Herz klopfte zum Zerspringen.

»Du bist schon auf, mein Kind?« erkundigte sich Lady Margaret Arlington, als Maud eine halbe Stunde später im Frühstückszimmer erschien.

Die junge Frau beugte sich zu ihrer Großmutter und küßte sie leicht auf die gepflegte Wange.

»Warst du schon schwimmen an diesem herrlichen Morgen?« fuhr Lady Arlington fort und winkte dem Butler Henry, der sich leise am Frühstücksbuffet zu schaffen machte.

»Tee oder Kaffee?« fragte sie ihre Enkelin und ließ Maud somit keine Zeit zu antworten.

Die junge Frau nahm Platz und griff nach einem

Toast, während Henry wie üblich Rührei und Kaffee servierte.

»Ich war unten am Fluß«, begann sie und zögerte einen Moment, bevor sie fortfuhr, »aber dort badete ein Fremder – und so bin ich umgekehrt.«

»Ach ja – und warum?« erkundigte sich die Ältere interessiert.

»Aber Grandma«, lachte Maud hell heraus, »du weißt doch, daß ich morgens immer nackt schwimmen gehe.«

»Vielleicht hättest du trotzdem seine Bekanntschaft machen können«, schmunzelte Lady Arlington, »ihr jungen Leute seid doch heute so viel freizügiger in diesen Dingen als wir früher.«

Nachdenklich rührte sie in ihrem Tee. Dann warf sie ihrer Enkelin einen besorgten Blick zu.

»Ich finde, du bist zu viel allein, seit du wieder bei mir wohnst. Junge Menschen brauchen die Gesellschaft ihresgleichen – nicht nur Bücher und alte Leute wie mich.

Vielleicht solltest du endlich deine Freundin Harriet in Dunster besuchen. Sie würde sich bestimmt freuen, dich nach so langer Zeit wiederzusehen. Du mußt auf andere Gedanken kommen und nicht immer nur deiner mißglückten Ehe nachtrauern«, schloß sie und ließ sich von Henry eine weitere Tasse Tee einschenken.

»Laß mir noch etwas Zeit, Grandma. Die Scheidung ist schließlich erst ein halbes Jahr her. Und ich habe Peter wirklich sehr geliebt«, setzte Maud traurig hinzu, »im übrigen fühle ich mich hier wohl mit meinen Büchern und Studien. Vergiß nicht, daß ich eine Chronik der Familie Arlington schreiben soll.

Die Vorarbeiten mit der Durchsicht alter Schriften und Dokumente sind zwar spannend, aber auch zeitaufwendig. Und im Augenblick möchte ich mich ganz auf diese Arbeit konzentrieren.«

Sie schwieg und schaute einen Moment durch die offene Terrassentür hinaus in den Park.

»Ich glaube, auf diese Weise komme ich am besten über meinen Kummer hinweg«, meinte sie abschließend und stand auf, »ich bin bis zum Lunch in der Bibliothek. Am Nachmittag könnten wir ja zusammen ausreiten«, schlug sie vor, »damit du dir wegen meiner selbstgewählten Einsamkeit nicht allzu viele Sorgen machst.«

»Ich nehme dich beim Wort«, rief Lady Margaret ihr nach und erhob sich ebenfalls, um in ihrem Arbeitskabinett mit der Haushälterin den Wochenplan zu besprechen.

In der Bibliothek mit den hohen dunklen Eichenregalen warf Maud einen Blick auf den Stapel alter Bücher, der sich auf ihrem Schreibtisch türmte. Doch dann beschloß sie, die Arbeit aufzuschieben.

Statt dessen griff sie zu einem historischen Roman aus den Anfängen des englischen Königreichs, den sie am Vortag zufällig entdeckt hatte, und ließ sich in den bequemen alten Sessel am Fenster fallen.

Zärtlich strich sie über den abgegriffenen Einband. Das Buch hatte offensichtlich ihrer vor vielen Jahren tödlich verunglückten Mutter gehört.

Maud las ihren Namen auf dem ersten Blatt »Christina Arlington – gekritzelt in einer etwas ungelenken Jungmädchenschrift. Der Zustand des Buches ließ darauf schließen, daß es nicht nur einmal gelesen wurde.

Mit einer gewissen Melancholie blätterte sie das erste Kapitel auf. Durch die Lektüre erfuhr sie vielleicht ein wenig von dem, was ihre Mutter als junges Mädchen interessiert hatte.

Sie wußte ja fast nichts von ihr, jedenfalls nichts Persönliches – nur das, was Großmutter im Laufe der langen Jahre erzählte, die sie seit ihrer frühen Kindheit in Arlington House verbrachte, das seit dem Tod der Eltern ihre Heimat war.

Neugierig begann sie zu lesen. Fasziniert von der aufregenden Geschichte eines historischen Liebespaares, vergaß Maud die Zeit.

In dem Roman »Die verfluchte Krone» ging es um zwei Enkel Wilhelm I., der im Jahre 1066 von der Normandie aus England erobert hatte. Diese beiden, die Kronprinzessin Maud und der junge Graf Stephan von Blois, kämpften gegeneinander um die Herrschaft Englands und waren einander doch bis an ihr Lebensende in leidenschaftlicher Liebe verfallen.

Ihre Mutter schien damals ebenfalls vom dramatischen Schicksal des ungewöhnlichen Paares bewegt gewesen zu sein, denn die Eselsohren der Seiten zeigten, welche Passagen es ihr am meisten angetan hatten.

Seltsam, dachte die junge Frau und ließ den Roman einen Moment sinken, die Beschreibung des jungen Grafen entsprach auffallend dem aufregenden Äußeren des Fremden, dem sie am Morgen unvermutet am Fluß begegnet war.

Während ihr Herz in der Erinnerung an das überraschende Treffen wieder heftig zu klopfen begann, tauchte aus der Erinnerung ein anderes Bild auf und schob sich über das aktuelle.

Es war das Bild eines schönen, ungefähr vierzehnjährigen Knaben, blondgelockt mit schrägen grünen Augen, der mit seinem ungewöhnlichen Charme alle bezauberte und so von seinen Schelmenstreichen abzulenken wußte.

So weit sie sich entsann, war er damals während der Sommerferien in der Nachbarschaft auf Burg Tower Hall zu Besuch.

Manchmal trafen ihre Freundin Harriet und sie ihn auf ihren Ausritten, wenn er ohne Sattel auf einem temperamentvollen Rappen über Felder und Wiesen preschte und tollkühn Gräben und Zäune nahm. Insgeheim bewunderten sie ihn dafür.

Außerdem gehörte es zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, junge Mädchen zu erschrecken. Sie erinnerte sich an eine Episode, in der es fast zu...