Simulationspatienten - Handbuch für die Aus- und Weiterbildung in medizinischen- und Gesundheitsberufen

von: Tim Peters, Christian Thrien

Hogrefe AG, 2018

ISBN: 9783456957562 , 288 Seiten

Format: PDF, Online Lesen

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Mac OSX,Linux,Windows PC

Preis: 59,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Simulationspatienten - Handbuch für die Aus- und Weiterbildung in medizinischen- und Gesundheitsberufen


 

2 Akquise von SPs – Rekrutierung und Auswahl

Andrea Rietfort, Renate Strohmer

Inhalt

  • Wie werden SPs rekrutiert und ausgewählt
  • Organisatorische und inhaltliche Aspekte
  • Überprüfung der nötigen Qualifikation mittels einer Checkliste und eines Castings
  • Konkrete Übungen für die Durchführung eines Castings
  • Qualitätskriterien bei der Auswahl
  • Hilfreiche Tipps für die eigene Akquise von potenziellen SPs

2.1

Welche Personen eignen sich als SP?

In jedem Fall ist eine sorgfältige Auswahl und kritische Einschätzung der Interessierten nötig. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass für alle denkbaren Einsätze als SP gewisse Mindeststandards erfüllt sein müssen. Im AMEE Guide 42 (AMEE: An International Guide for Medical Education) identifizieren Cleland et al. [1] soziale Kompetenzen (Arbeiten im Team, angemessenes Feedback), Konzentrationsfähigkeit, psychische Belastbarkeit, eine konstruktive Einstellung zum Gesundheitswesen und passende körperliche Voraussetzungen als unverzichtbare Eigenschaften von SPs. Die Anforderungen an SPs sind für die jeweiligen Einsätze unterschiedlich hoch. Eine körperliche Untersuchung in einer Lehrsituation ohne Feedback ist weniger anspruchsvoll im Hinblick auf Empathie und Wahrnehmung als eine Gesprächssituation in der Palliativmedizin mit dem Lernziel „Überbringen schlechter Nachrichten“. Ebenso erfordert ein Gespräch in der Psychiatrie mit einer Person, deren Wahrnehmung stark verändert ist, besondere Fähigkeiten seitens der darstellenden SPs. Prüfungssituationen bedingen einen hohen Anspruch an die Standardisierung der Rollendarstellung und eine gewisse Disziplin und Respekt gegenüber dem Prüfungsformat. Für alles werden jedoch grundsätzlich SPs benötigt, und es liegt in der Verantwortung der SP-Trainerinnen und SP-Trainer, die SPs passend zur Rolle bzw. zur Anforderung auszuwählen.

2.2

Wie und wo können geeignete Personen angesprochen werden?

Es gibt verschiedene Wege, SPs zu rekrutieren. Startet man sinnvollerweise mit einem geringen Umfang, so kann man durch Mund-zu-Mund-Propaganda im Bekanntenkreis oder durch einen Aushang erste Interessierte anwerben. Sind dann einige SPs in der Datenbank, rekrutiert man weitere durch eine Info an die bereits Dazugehörigen. Je größer der Pool an SPs, umso leichter wird die Akquise. Wenn eine größere Anzahl an Bewerberinnen und Bewerbern nötig ist, kann dies auch über Anzeigen und Werbung in der Presse geschehen. Im Hinblick darauf werden Bewerberinnen und Bewerber bevorzugt aus einem bestimmten Umfeld rekrutiert. Es empfiehlt sich, Menschen aus dem „Theaterbereich“ anzusprechen, die sich selber schon in der Situation kennen, in eine andere Rolle zu gehen und vor anderen Menschen etwas darzustellen. Sie benötigen für ihre Schauspieltätigkeit viele der geforderten Kompetenzen. Ob professionell ausgebildete Schauspielerinnen und Schaupieler besser geeignet sind als Amateure, ist nicht wissenschaftlich untersucht; die Erfahrung zeigt, dass Profi-Schauspielerinnen und -Schauspieler sehr leicht in die zu porträtierende Rolle finden und für das Feedback eine hohe Konzentrations- und Merkfähigkeit besitzen. Peggy Wallace gibt in ihrem Buch zum Coaching standardisierter Patientinnen und Patienten zu bedenken, dass Profi-Schauspielerinnen und -Schauspieler üblicherweise ihre Rolle einzigartig darstellen und viel Energie in eine kreative Interpretation des Charakters legen. Für die Darstellung als SP ist jedoch die Anpassung an eine vorgegebene Rolle nötig und eine Kooperation mit anderen SPs für eine standardisierte Rollenpräsentation. Für Profi-Schauspielerinnen und -Schauspieler kann dies eine Herausforderung darstellen oder sogar eine Überforderung [2]. Schwierig sind auch je nach Standort die Verfügbarkeit und die zeitliche Flexibilität.

Ein weiterer Personenkreis, der geeignet ist, sind Menschen aus dem Bereich Kommunikation oder Lehre, die eventuell bereits Erfahrung mit Feedback haben. Diesen fällt die Einhaltung der Feedbackregeln leicht, ihre Herausforderung ist allerdings, in der Sicht der Patientin bzw. des Patienten zu bleiben und nicht auf die Meta-Ebene der Lehrenden zu wechseln, da sie selber beruflich in diesem Bereich tätig sind. Es können auch innerhalb der Klinik motivierte Interessierte angeworben werden, z. B. per Rundmail über entsprechende Verteiler der Beschäftigten. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das vorhandene medizinische Wissen das Erlernen der Rolle erleichtert und dass dem medizinischen Fachpersonal das Einfühlen in die Rolle der Patientin bzw. des Patienten oft leichtfällt. Häufig verfügen sie durch den Schichtdienst über zeitliche Flexibilität. Auch ehrenamtlich Tätige im Gesundheitswesen eignen sich häufig gut als SPs, ebenso wie Menschen, die als Betreuende eingesetzt werden. Sie besitzen oft ein gutes Einfühlungsvermögen bzgl. der entsprechenden Befindlichkeiten. Wallace empfiehlt z. B. Betreuerinnen und Betreuer von Demenzkranken als geeignete Darsteller von hirnorganischen Erkrankungen [2].

2.3

Was muss bei der Auswahl beachtet und geprüft werden?

Die Anforderungen an potenzielle SPs sind vielfältig. Intelligenz und emotionale Reife sind nötig, um die Rolle zu lernen und korrekt abzurufen. Eine hohe Konzentrationsfähigkeit ist gefragt, um die Rolle über den geforderten Zeitraum immer wieder darzustellen, vor allem die medizinischen Fakten. Für die Rückmeldung an die Lernenden – das Feedback – ist sowohl eine gute Wahrnehmung, eine ausgeprägte Merkfähigkeit als auch eine differenzierte und wertschätzende Ausdrucksweise von großer Bedeutung. Eine wohlwollende Einstellung der SP-Bewerberinnen und SP-Bewerber in Bezug auf das Gesundheitswesen und die Lernenden in der Medizin und den Gesundheitsberufen ist wichtig für die grundsätzliche Haltung gegenüber den Gesprächspartnerinnen und -partnern. Die Gesprächssimulationen dürfen für SPs keinesfalls als Gelegenheit zur Revanche für selbst erfahrenes Unrecht oder unzureichende Behandlung gesehen werden. Die Lernenden sind nicht verantwortlich für eventuelles Fehlverhalten vorausgegangener Generationen. Sie dürfen in ihrer Ausbildung Fehler machen und daraus lernen. Weitere Kriterien für die Teilnahme als SP sind Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit. Dies sind absolut wichtige Eigenschaften, um einen reibungslosen Ablauf in Lehre und Prüfung zu gewährleisten.

Es kann immer zu einem kurzfristigen Ausfall eines SP kommen – jedoch muss dieser dann umgehend, noch vor Beginn des geplanten Einsatzes, telefonisch die Verantwortlichen informieren. Das ersetzt den SP zwar nicht, gibt den Verantwortlichen jedoch die Möglichkeit, das Setting vor Beginn noch umzuplanen oder eventuell eine kurze Verzögerung in Kauf zu nehmen. Deshalb ist es ratsam, für bestimmte Einsatzsettings immer eine Reserve einzuplanen. In Bezug auf Alter und Typ eines SP gibt es keine grundsätzlichen Beschränkungen. Wichtig ist, dass Alter, Geschlecht, Typ und eventuelle besondere körperliche Merkmale zur Rolle passen. In Bezug auf die Verständlichkeit sowohl im Gespräch als auch im anschließenden Feedback muss auf eine deutliche, angemessene Aussprache, Lautstärke und Sprechtempo geachtet werden ohne Auffälligkeiten, die die Performance oder das Feedback beeinträchtigen. Insgesamt also sind folgende Kriterien zu prüfen:

  • Soziale Kompetenz: Empathie, differenzierte Ausdrucksweise, Introspektionsfähigkeit, wertschätzende Grundhaltung.
  • Sprachliche Kompetenz: angemessenes Sprechtempo, deutliche Aussprache, Sprachflexibilität an bestimmte Rollen angepasst.
  • Handlungskompetenz: Flexibilität, Improvisationsfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit, psychische und auch körperliche Belastbarkeit.

Abgesehen von den Voraussetzungen gibt es weitere wichtige Kriterien, die für spätere Einsätze beachtet werden müssen, beispielsweise Tattoos, Piercings, Narben, körperliche Auffälligkeiten sowie bestehende oder durchgemachte Erkrankungen. Sie führen nicht zum Ausschluss bei der Akquise, sondern müssen dokumentiert und bei späteren Einsätzen berücksichtigt werden.

2.4

Wie wird ein Casting durchgeführt?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Auswahl zu strukturieren. Ein Faktor ist sicherlich der erste persönliche Eindruck und die persönliche Intuition. Darüber hinaus sind jedoch auch Fähigkeiten zur Rollendarstellung und zum Feedbackgeben gefragt, die abgeprüft werden können. Die Haltung zur medizinischen Lehre lässt sich anhand konkreter Nachfragen einschätzen. Dies geschieht in einem Casting mit konkreten Aufgaben und Übungen für die Bewerberinnen und Bewerber. Dazu ist eine Checkliste mit Bewertungskriterien sinnvoll; sie strukturiert die Eindrücke und hilft, einzelne Kompetenzen differenziert wahrzunehmen und zu begutachten. Ein Beispiel ist die „Aachen-Mannheimer Checkliste“ (Abbildung 2–1 am Ende des Kapitels), ein Fragebogen zur konkreten und standardisierten Einschätzung von Bewerberinnen und Bewerbern, die an den Standorten Aachen...