Etappenflucht

von: Louisa C. Kamps

dead soft verlag, 2018

ISBN: 9783960891901 , 388 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 6,99 EUR

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Etappenflucht


 

 

1 Villa Kunterbunt


 

Wann hat sich mein Leben in diese Seifenoper verwandelt? Ich bin mir nicht sicher. Zu meiner Verwunderung ist es mir aber egal. Genervt bin ich lediglich von ein paar winzigen Kleinigkeiten, die sich leider zu einem Rudel zusammengeschlossen haben und eine Allianz gegen mich zu bilden scheinen. Es ist für mich sonst nicht zu erklären, warum ich an einem Samstagmorgen um zehn Uhr bereit bin, einen Mord zu begehen.

„Jörn!“, schreie ich zum wiederholten Mal die Zimmertür meines Bruders an. „Du hattest nur eine Aufgabe gestern. Nur eine einzige, verdammt. Ist es so schwer, Kaffee zu kaufen?“

„Reg dich doch nicht so auf!“, kommt es gedämpft zurück. Allerdings nicht von Jörn, wie ich zu meinem Bedauern feststellen muss. Ich kann mir ein Stöhnen nicht verkneifen.

„Julia“, knurre ich. „Du auch hier?“

„Natürlich, Sonnenschein.“ Ich bekomme die Antwort just in dem Moment, in dem die Tür vor meiner Nase geöffnet wird. „Warum so schlecht gelaunt? Heute noch kein Huhn geschlachtet?“

„Witzig“, kommentiere ich ohne jeglichen Sinn für Humor. Ich spare es mir allerdings, sie darauf hinzuweisen, dass ich lediglich schwarz mag und die Klamotten cool finde, aber weder Satan noch sonst jemandem huldige. Ich bin nicht mal ein Goth und sehe auch nicht so aus. In meinem Zimmer steht auch kein Altar, wie sie sehr wohl weiß. Ich nenne mein Zimmer zwar gerne die Bat-Höhle, weil ich graue Wände, dunkle Möbel und meist schwarze Bettwäsche habe, aber auch das macht mich nicht zu einem okkulten Anhänger. Um das der nervigen Freundin meines Bruders zu erklären, fehlt mir allerdings die Motivation und ihr der nötige Grips. Die Frau ist in meinen Augen von sehr schlichtem Gemüt und es nicht Wert, meine Zeit mit ihr zu verbringen. Reicht schon, wenn Jörn das tut. Wobei, egal ist mir die Frau nicht. Wäre sie es, könnte ich mich mit ihr in der gleichen Umgebung aufhalten, ohne rot zu sehen. So suche ich aber nach kürzester Zeit Reißaus, um mich nicht mit dieser Person auseinandersetzen zu müssen. Genau wie jetzt.

„Vergiss es“, sage ich lauter als nötig, da meine nächste Aussage für Jörn und nicht für Miss Toastbrot bestimmt ist. „Ich frühstücke auswärts.“

„Jetzt warte doch mal.“ Meine Verwandtschaft klingt reichlich gehetzt. „Wir können doch zusammen …“

„Nein!“ Zur Bekräftigung knalle ich die Zimmertür hinter mir zu. Es tut mir ja leid für ihn. Mir ist durchaus bewusst, wie sehr er Julia mag und es ihm zusetzt, dass ich sie so gar nicht leiden kann. Ich werde mich aber für niemanden verbiegen, auch nicht für ihn, obwohl er doch die mir am nächsten stehende Person von allen auf diesem Planeten ist. Noch während ich meine schwarze Jogginghose gegen eine schwarze Jeans mit Rissen über den Knien tausche, höre ich sie zetern.

„Jetzt lass ihn doch. Vielleicht hat er seine Tage“, sagt sie gerade, als ich denke, ein Schaben vor der Tür zu vernehmen. Und Bingo. So laut, wie Jörns Stimme ist, muss er genau davor sein.

„Jetzt hör doch mal auf! Was ist das nur mit euch? Könnt ihr nicht einmal normal miteinander reden?“

Ich vermute, dass das auch an meine Adresse gerichtet ist, aber wenn ich etwas kann, dann auf stur stellen.

„Ich hab doch gar nichts gemacht!“, schnauzt sie zurück.

„Du hättest ja wenigstens normal guten Morgen sagen können! Und du, mein Freund“, er wendet sich jetzt definitiv an mich, „musst nicht ständig abhauen.“

„Dann hättest du Kaffee kaufen sollen!“, schreie ich durch die immer noch geschlossene Tür. Ich habe gerade den zweiten Sneaker zugebunden, als die Tür aufgestoßen wird.

„Das hat länger gedauert als ich dachte“, sage ich ruhig, schaue ihn aber nicht an.

„Du bist unausstehlich, weißt du das? Kaffee steht übrigens im Regal.“

„Welches Regal. Das im Supermarkt?“, frage ich spitz, während ich mich aufrichte und ihn mit in die Hüften gestemmten Händen ansehe.

„Nein. Das Regal im Vorrat.“

„Witzig. Ich hätte schwören können, du hättest gerade gesagt, in dieser Wohnung würde sich schwarzes Gold befinden. Dabei habe ich gerade die Küche auseinander … Warte mal.“ An Jörn vorbei gehe ich in den Flur.

„Julia?“, frage ich mit vor Lieblichkeit triefender Stimme, im Angesicht der nahenden Tötung im Affekt.

„Ja, Sonnenschein?“, flötet sie und schiebt erst ihren Kopf aus der Badezimmertür, um mich anzuschauen und dann den Rest von sich hinterher.

„Sag mal, du hast nicht zufällig gestern aufgeräumt, oder?“

„Ich räume euch ständig hinterher. Du solltest schon etwas genauer werden, Schätzchen“, säuselt sie und sieht mich übertrieben augenklimpernd an. In diesem Moment werde ich ruhig. Lediglich mein linkes Augenlid zuckt leicht. Leider kennt sie mich gut genug, um zu merken, dass sie einen Fehler begangen hat, denn sie wird bleich und weicht einen Schritt zurück. Abwehrend hebt sie die Hände. Von Jörn kommt nur ein gehauchtes „Scheiße, Julia“ hinter mir und ich kann regelrecht hören, wie er den Kopf schüttelt. Dem kann ich mich nur anschließen. Wer dermaßen bescheuert ist, hat es mit dem Knüppel verdient. Im übertragenen Sinn, denn so weit, dass ich sie schlagen würde, wird es nie kommen.

„Erstens, Herzchen. Du räumst hinter mir mit Sicherheit nicht her. Zweitens, bin ich nicht dein Schätzchen, dein Sonnenschein und auch nicht dein Engel der Nacht oder was weiß ich. Und drittens – jetzt solltest du ganz genau zuhören – ist es für deine Lebenserwartung nicht förderlich, mir morgens den Kaffee vorzuenthalten. Aber das weißt du ja, sonst hättest du es nicht getan und ihn versteckt. Dass du nicht alle Lichter am Baum hast, war mir ja schon klar. Dass du so unterbelichtet sein könntest, hätte aber selbst ich dir nicht zugetraut. Also, Herzlichen. Glückwunsch! Du hast es geschafft, mich noch zu beeindrucken. Und jetzt gehst du mir aus dem Weg. Und zwar für immer. Mir egal, ob du mit meinem Bruder ins Bett gehst oder nicht. In meiner Gegenwart lässt du in Zukunft besser den Mund zu oder lässt dich am besten gar nicht mehr hier blicken, wenn ich da bin. Oder noch besser …“ Ich drehe mich zu Jörn um. „Ich ziehe aus.“

Ich kann genau sehen, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht weicht und das ist nicht einfach, denn er ist der Paradiesvogel von uns. Während ich mich mit den verschiedensten Schwarztönen auseinandersetze, ist er das bunte Gegenstück. Seine Haare haben ständig eine andere Farbe, seine Hosen ebenfalls. Alles, nur nicht schwarz, dafür aber gerne auch mit Löchern oder Ketten versehen. Seine Shirts spotten dagegen jeder Beschreibung. Von Batik über Sprüche bis hin zu politischen Parolen ist alles vertreten. Genauso, wie sich die dunklen Farben durch mein Leben ziehen, lebt Jörn die bunten. Sein Zimmer gleicht zum Beispiel einem Handgranatenwurfstand nach Farbexplosion. Nur seriös, das ist in unser beider Kleiderschränke nicht zu finden. Na ja, zu finden schon. Wir sind uns jedoch einig, dass es keine Anlässe geben könne, um diese mal aus dem Schrank zu holen, geschweige denn auch anzuziehen. Aber wie heißt es? Haben ist besser als brauchen.

„Jetzt übertreibst du aber.“ Jörn sieht mich erschrocken an. Ich kann ihm da nur recht geben, aber diese Frau ist die Pest. Hart stoße ich die Luft aus.

„Lass mich einfach erst einen Kaffee trinken, in Ordnung?“, sage ich resigniert und verschwinde in die Küche. Als mir wieder einfällt, dass ich ja nicht weiß, wo das Kaffeepulver steht und erneut zur Drama Queen zu werden drohe, schiebt sich Julia an mir vorbei. Sie greift ohne ein Wort oder einen Blick in meine Richtung zu werfen in den Schrank über der Spüle, in dem die Teller stehen, gibt mir das Paket und verschwindet. Ich versuche, nicht darüber nachzudenken, warum sie das tut. Sie ist die Freundin meines Bruders und Mitbewohners. Sollte man da nicht annehmen, wenn man in die Wohnung dieses Freundes kommt und deren Anhang kennenlernt, dass man erstmal kleine Brötchen backt? Nicht Julia. Sie kam rein, sah mich und fing an zu lachen. Also nicht wie eine Dame, sondern wie ein Bierkutscher mit Grunzen und allem was dazu gehört. Ich habe nur noch darauf gewartet, dass sie mit dem Finger auf mich zeigt. Seitdem ist bei uns an eine normale Konversation nicht mehr zu denken.

Über meine Gedanken hinweg habe ich die Kaffeemaschine vorbereitet, eingeschaltet und setze mich mit einem Seufzer an den Küchentisch, um der Maschine bei ihrer Arbeit zuzuschauen. Ich ahne, dass Jörn es nicht lassen kann noch einmal das Gespräch zu suchen und ich behalte recht. Man muss ihm aber zu Gute halten, dass er wartet, bis ich meine erste Tasse Lebenselixier intus habe. Genau in dem Moment, in dem ich diese auf dem Tisch abstelle, betritt er unsere Küche und setzt sich stillschweigend mir gegenüber auf den Stuhl. Schicksalsergeben lehne mich zurück und verschränke die Arme vor der Brust.

„Willkommen zu Ihrer ersten Therapiesitzung an diesem doch sehr durchwachsenen Tag“, nuschele ich vor mich hin und schaue ihn gleichgültig an. Wie nicht anders zu erwarten, verdreht er die Augen, sagt aber weiterhin kein Wort. Dieses Spielchen hat er sich von unserem älteren Bruder Hauke abgeschaut, seines Zeichens Sozialarbeiter. Oder es gibt ein Studienfach „Starren, um Leute zum Reden zu bringen“. Bei mir zieht das nicht. Das weiß er im Grunde auch, daher wundere ich mich über seine Vorgehensweise, spiele aber mit. Soll er sich doch die Zähne...