Tarean 1 - Sohn des Fluchbringers - Illustrierte Jubiläumsausgabe

von: Bernd Perplies

Mantikore-Verlag, 2018

ISBN: 9783961880201 , 400 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Tarean 1 - Sohn des Fluchbringers - Illustrierte Jubiläumsausgabe


 

DAS LEBEN IM ZWIELICHT


Das wirst du mir büßen, du Hund!«

Voller Zorn ließ Tarean das Schwert auf den Kopf seines Gegners hinabsausen. Klirrend schlugen die Klingen aufeinander, als sein Gegenüber zur Verteidigung seine eigene Waffe hochriss. Der andere Junge kippte die Schneide, um Tareans Schwert daran abgleiten zu lassen. Doch dieser hatte seine Waffe bereits wieder zurückgerissen. Gleich darauf führte er sie zuerst von rechts, dann von links gegen den Oberkörper des anderen. In einer raschen Serie wütender Attacken trieb Tarean seinen Gegner quer über den Burghof vor sich her, doch er fand in dessen Abwehr keine Blöße.

Schließlich duckte sich der andere Junge, Silas, ein drahtiger Bursche mit karottenrotem Haar, unter einem waagerecht geführten Hieb hindurch, wirbelte herum und holte Tarean mit gestrecktem Bein von den Füßen. Sofort war er über ihm, entwaffnete ihn mit einem kurzen Schwertstreich aus dem Handgelenk und hielt ihm dann die Klinge an die Kehle.

Tarean lag keuchend auf dem Rücken und funkelte seinen Bezwinger wütend an.

»Wer ist hier ein Hund, hm?«, höhnte Silas, und verpasste Tareans Wange einen leichten Klaps mit der Breitseite seines Schwertes. »Du Versager!«

»Nimm die Klinge weg, oder du wirst es bereuen«, knurrte Tarean.

»Tatsächlich?« Silas grinste breit und drückte die Spitze der Waffe leicht in Tareans Hals.

»Silas!« Der Name knallte wie ein Peitschenschlag über den Hof. »Es reicht.«

Die beiden Jungen wandten den Kopf und blickten zu dem stämmigen Mann in dem dunkelbraunen Lederharnisch hinüber, der sich ihnen mit strenger Miene näherte. Sein Gesicht war bärtig und wettergegerbt, und mehrere Narben auf seinen nackten, muskulösen und unglaublich behaarten Armen zeugten davon, dass er bereits eine Menge Kämpfe erlebt – und überlebt – hatte.

Breitbeinig baute sich Ilrod, der Waffenmeister von Burg Dornhall, vor ihnen auf und stemmte die Hände in die Hüften. Unter buschigen Augenbrauen sah er die beiden Jungen tadelnd an. »Silas, pack die Waffe weg. Tarean, steh auf.«

Der rothaarige Junge gehorchte mit sichtlichem Widerwillen. Tarean rappelte sich auf und klopfte sich den Staub von dem schlichten weißen Wollhemd und dem grauen Lederbeinkleid, das er am Leib trug.

»Was glaubt ihr, was ihr hier treibt, ihr Burschen?«, verlangte der Waffenmeister zu wissen.

»Wir üben uns im Schwertkampf, Meister Ilrod, wie Ihr es uns befohlen habt«, erwiderte Silas mit einem gewissen Trotz in der Stimme.

»Für mich sah es eher so aus, als wolltet ihr euch gegenseitig umbringen. Silas, nimm dein Schwert, säubere es und geh hinein. Die Übungsstunde ist für heute beendet.«

Der Junge nickte und machte sich auf den Weg. Als Tarean ihm folgen wollte, hielt ihn der Waffenmeister jedoch zurück. »Du bleibst hier, Tarean.«

Tarean verzog das Gesicht, und er konnte gerade noch das schadenfrohe Grinsen in Silas’ Miene sehen, bevor ihn Ilrod mit sanfter Gewalt zu sich umdrehte.

»Also?«, fragte der Waffenmeister. »Du hast mir doch sicherlich etwas zu erzählen.«

»Er hat verächtlich über meinen Vater gesprochen«, erwiderte der Junge, und damit war für ihn eigentlich alles gesagt.

Ilrod blickte ihn aus grauen Augen auffordernd an. Offenbar war damit noch nicht alles gesagt.

»Was möchtet Ihr hören, Meister? Ich habe ihn gewarnt, aber er wollte nicht aufhören. Ich bin wütend geworden. Und das Übrige habt Ihr gesehen.« Der Junge zuckte mit den Schultern.

»Schön.« Der Waffenmeister schien jetzt ganz ruhig zu sein. Tarean war sich nicht sicher, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. »Aber dann verrate mir eines: Warum hast du verloren?«

Verwirrt kniff Tarean die Augen zusammen. »Was?«

»Warum hast du gegen Silas verloren?«

Unbehaglich trat der Junge von einem Fuß auf den anderen. »Er kämpft besser als ich?«

»Nein.« Ilrod schüttelte den Kopf. »Er kämpft gut, das wohl, aber wir beide wissen, dass du ihm überlegen bist. Du kämpfst besser als alle anderen Burschen, die ich ausbilde. Dein Geschick wurde dir in die Wiege gelegt, und dein Lerneifer ist bewundernswert. Du kannst Silas besiegen. Also: Warum hast du verloren?«

»Ich weiß es nicht«, gab Tarean zu.

»Denk nach, du Nichtsnutz!«, rief Ilrod und versetzte ihm einen Stoß, der ihn zwei Schritte zurücktaumeln ließ.

»Ich weiß es nicht«, schrie Tarean hitzig.

Das Gesicht des älteren Mannes verzog sich zu einem wissenden Lächeln. »Genau deshalb wirst du immer wieder scheitern.«

Der Junge blickte ihn nur verständnislos an.

»Weil du zu zornig bist«, eröffnete ihm Ilrod endlich. »Du musst lernen, deinen Zorn zu beherrschen. Denn wer zornig kämpft, verliert die Kontrolle über sich … und damit auch über seinen Gegner.«

Tarean schnaubte. Wenn das des ganzen Rätsels Lösung war … »Wer zaghaft kämpft, erlangt die Kontrolle über seinen Gegner nie«, murmelte er, mehr zu sich selbst als an den Waffenmeister gerichtet.

Sein Gegenüber lachte. »Da ist etwas Wahres dran. Doch …« Und damit wurde er wieder ernst. »… zwischen Zaghaftigkeit und Zorn liegt ein weites Feld, und es ist mit den Leichen derer übersäht, die nicht das richtige Maß fanden. Also vertrau einfach meinem Urteil, und lass dich zukünftig nicht durch gemeine Worte zu leichtsinnigem Handeln verführen, denn es wäre eine Schande, wenn du dich nur deshalb auf diesem Feld zu einer verfrühten Ruhe niederlegen würdest.«

»Wie Ihr es wünscht, Meister.«

Da packte ihn Ilrod, zog ihn nah zu sich heran und flüsterte eindringlich: »Nein! Nicht, wie ich es wünsche. Du selbst musst Einsicht zeigen und die Weisheit in meinen Worten erkennen.«

Tarean presste die Lippen zusammen und funkelte ihn an. »Ja, Meister.«

Der alte Soldat seufzte und ließ ihn los. »Es hat keinen Sinn. Nicht hier, nicht jetzt. Verschwinde, Junge, reinige dein Schwert und melde dich dann beim Stallmeister. Du darfst fünf Tage lang den Knechten beim Ausmisten helfen …«

»Aber …«, wollte Tarean ansetzen, doch ein finsterer Blick Ilrods überzeugte ihn davon, dass es womöglich besser war, keine weiteren Widerworte zu geben.

»… und du sollst wissen, dass es nur deshalb nicht zehn Tage sind, weil dein Zorn auf Silas berechtigt war. Und jetzt ab mit dir!«

Missmutig kam der Junge der Aufforderung des Waffenmeisters nach. Er schulterte sein Übungsschwert und stiefelte hinüber zum Haupthaus der Burg, wo er sich einen Lappen und Öl besorgen wollte, um die Klinge draußen im Schein der nachmittäglichen Neunmondsonne zu polieren, bis sie wieder glänzte wie der Spiegel in den Gemächern von Dame Jannis von Bergen, seiner Ahne.

Solange sich Tarean erinnern konnte, lebte er schon bei seiner Ahne und ihrem Gemahl Urias auf Burg Dornhall im Almental. Das Tal, das von dem Fluss Eilwasser geteilt wurde, lag weit im Westen von Bergen, und Bergen wiederum war die westlichste Gemarkung des Landes Breganorien. Jenseits davon, so lautete ein landläufiges Sprichwort, kamen nur noch die Arden und der Sonnenuntergang. Urias war der Than von Bergen, das sich an die Ausläufer des schier unermesslichen Gebirges schmiegte wie ein Kind an die Mutterbrust.

Seine Eltern hatte Tarean niemals kennengelernt. Seine Mutter, Silea, war gestorben, als er kaum ein Jahr alt gewesen war. Er kannte sie lediglich aus Geschichten. Es hieß, dass die sanftmütige und schöne Frau nur aus Liebe die Berge verlassen hatte. Nur aus Liebe sei sie in die Kernlande von Breganorien gezogen, nach Agialon, die mit ihren vielen Tausend Einwohnern größte Freistadt der gesamten Bündnislande des Westens. Und auf der Flucht aus eben dieser vor dem heranrückenden Bestienheer von Calvas, dem Tyrannen und heutigen Herrscher über einen Großteil der bekannten Welt, habe sie schließlich ihr Leben verloren.

Ahne Jannis erzählte gern von seiner Mutter, ihrer Tochter, wie sie als Kind Dornhall unsicher gemacht hatte und wie ihr später, als junge Frau, die Herzen aller Burschen der Umgebung zugeflogen waren, bis sie das ihre wiederum an einen stolzen Ritter verloren hatte. Von diesem Ritter, seinem Vater, erzählte sie nicht so gern. Niemand sprach gern von ihm.

Denn in der Nacht vor sechzehn Jahren, in der Tarean in Agialon geboren ward, in der Nacht, da das...