Konservativ. Warum das gut ist. - Ein Appell

von: Anette Schultner

SCM Hänssler im SCM-Verlag, 2018

ISBN: 9783775174091 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 13,99 EUR

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Konservativ. Warum das gut ist. - Ein Appell


 

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Kapitel 2


Was ist Konservatismus und wer sind seine Gegner?


Das Buch trägt den Titel »Konservativ. Warum das gut ist«. Ich bin eine überzeugte Konservative. Doch bevor ich weiter darauf eingehe, warum das so ist, möchte ich erläutern, was der Begriff »Konservativ« überhaupt bedeutet, wo er herkommt und was den Konservatismus im Kern ausmacht.

Der Konservatismus ist eine der drei großen politischen Bewegungen neben dem Sozialismus und dem Liberalismus. Innerhalb dieser Denkrichtungen gibt es verschiedene Ausrichtungen und zwischen ihnen partielle Übergänge. Dennoch unterscheiden sie sich in ihren Kernanliegen signifikant. Um den Konservatismus zu verstehen, ist es daher notwendig, auch auf den Sozialismus und den Liberalismus kurz einzugehen.

Der Liberalismus wurzelt besonders in den englischen Revolutionen des 17. Jahrhunderts und ist in seinem Ideal in politischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht freiheitlich orientiert. Hingegen ist die ideologische Hauptidee des Sozialismus die der Gleichheit. Der Sozialismus hat sich im 18. und 19. Jahrhundert entwickelt und strebt unter anderem die Beseitigung des Kapitalismus an. Mit »Freiheit« und »Gleichheit« stoßen jedoch zwei oft konkurrierende Werte aufeinander. Der Sozialphilosoph Max Horkheimer (1895–1973), dem ich sonst in vielem widersprechen würde, meinte hierzu: »Wenn Sie die Gleichheit erhalten wollen, dann müssen Sie die Freiheit einschränken, und wenn Sie den Menschen die Freiheit lassen wollen, dann gibt es keine Gleichheit.«9

Horkheimer war neben Theodor Adorno (1903–1969) der führende Vertreter der sogenannten »Frankfurter Schule«, einer philosophischen Denkrichtung, in der marxistische und psychoanalytische Ansätze verknüpft und zum »Freudomarxismus« verschmolzen wurden. 1947 veröffentlichten Horkheimer und Adorno gemeinsam das Buch »Dialektik der Aufklärung«, das später zum Hauptwerk der »Frankfurter Schule« avancieren sollte. Darin steht die Kritik an der Vernunft im Mittelpunkt. Es wird beanstandet, dass sie ihre einst aufklärerische Rolle eingebüßt habe und nunmehr instrumentell sei. Sie diene einem kapitalistischen »Verblendungszusammenhang«, in dem Menschen zu Objekten der »verwalteten Welt« (Adorno) degradiert und gänzlich wissenschaftlich-technischen Prozessen unterworfen seien. Dahinter stand die Erkenntnis, dass der von Marx prophezeite gesellschaftliche Umsturz der Arbeiter in den industriell hoch entwickelten Ländern ausgeblieben war. Die »Verelendungstheorie« von Marx, wonach wachsender Druck auf die Unterdrückten zu einer größeren Revolutionsbereitschaft führen müsse, bestätigte sich nicht. Anstatt daraus abzuleiten, dass die eigenen Theorien zu einseitig sein könnten und die Bedürfnisse des Menschen nicht nur auf eine Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse abzielen, sondern vielmehr auch auf eine Rücksichtnahme der menschlichen Natur, reagierten Horkheimer und Adorno darauf mit einer kulturpessimistischen Ablehnung von Naturwissenschaften und Technik, die sie zu Vorläufern technikfeindlicher Strömungen bei den Grünen machte.

Auch die falsifizierte Verelendungstheorie verwarfen Horkheimer und Adorno nicht gänzlich, sondern wandelten sie lediglich ab: Wenn die unterdrückten Klassen sich nicht befreien lassen wollten, müsse man stattdessen beim Individuum ansetzen. Die gesellschaftlichen Mechanismen, die zur seelischen Selbstunterdrückung führten, müssten mit den Mitteln der Psychoanalyse Freuds gesprengt werden. Dies lasse sich nur auf dem Wege eines inneren Klassenkampfes bewerkstelligen. Dementsprechend wandelten Horkheimer und Adorno die optimistische Geschichtsphilosophie Hegels, die Marx noch stark inspirierte, in eine negative Dialektik um. Beispielhaft dafür steht Adornos Satz »Es gibt kein richtiges Leben im falschen«10 aus den »Minima Moralia«. Für das Ziel einer Emanzipierung des Individuums von seinen seelischen Fesseln war Adorno auch bereit – für einen Dialektiker, sollte man meinen, unredlich –, den lebenspraktischen Sinn der instrumentellen Vernunft gänzlich auszublenden. Eigentlich hätte er versuchen müssen, ihr auch positive Seiten abzugewinnen. Aber für die Freudomarxisten der Frankfurter Schule war die gesellschaftliche Befreiung der unterdrückten Klassen ein Dogma, eine Lehre mit dem Anspruch auf absolute Gültigkeit. Dass viele Menschen nicht gewillt waren, sich »befreien« zu lassen, da sie mit ihrer Situation zufrieden waren, war für die Freudomarxisten ohne Belang. Daher versuchten sie mit den Mitteln kultureller Durchdringung, wie sie der italienische Kommunist Antonio Gramsci beschrieben hatte, sowie mit der Verächtlichmachung überkommener Traditionen und Herrschaftsverhältnisse auf gesellschaftlich-staatlicher, aber auch auf privat-familiärer Ebene, jene Menschen, die sich nicht aus ihren Verblendungszusammenhängen »befreien« lassen wollten, zu ihrem Glück zu zwingen. Besonders Adorno mutet dem seelisch gefesselten Individuum in seinem schmerzlichen Befreiungsprozess offensichtlich zu viel zu. Er geht davon aus, dass das Individuum die Einsicht nicht bloß in eine objektive, sondern auch eine absolute und sogar eine ontologische Wahrheit erlangen kann. Weder Konservative, die einzig Gott (oder wenn sie nicht gläubig sind, schlicht niemanden) dazu in der Lage sehen, noch Liberale vom Schlage Karl Poppers, die relativistisch auf Wahrheitsverzicht bauen, können diesem repressiven, ja totalitären Wesenszug der Frankfurter Schule von einer absoluten Wahrheit etwas abgewinnen.

Anknüpfend an der Kritik von Horkheimer und Adorno kritisiert Herbert Marcuse (1898–1979), dass die Menschen in modernen Industriegesellschaften durch »human engineering« gelenkt würden, sich mit einem trivialen Glück ohne reflexive Tiefe zufriedengeben und deshalb gar keinen echten Freiheitsdrang oder Oppositionsgeist entwickeln würden. Bei der Studentenbewegung der 68er hinterlassen Marcuses Appelle zum »totalen Protest« und zur »großen Weigerung«, um der Alternativlosigkeit des »eindimensionalen Menschen« zu entgehen, nachhaltigen Eindruck. Aber es ist auch das in Marcuses Essay »Triebstruktur und Gesellschaft« beschriebene Lustprinzip11, das zum Mantra der sogenannten »sexuellen Befreiung« wird. Vor allem als akademischer Lehrer, der die Studentenproteste immer wieder anstachelt, wird er wichtig.

Ebenso einflussreich in der Studentenbewegung der 68er, wenn auch nicht im engeren Sinne zur »Frankfurter Schule« gehörig, ist Wilhelm Reich (1897–1957). In seinem Buch »Die Sexualität im Kulturkampf«12 von 1936 formuliert er weitaus radikaler und viel unverblümter als Marcuse in seinem Essay Ideen und Zielsetzungen des Freudomarxismus. Der Schüler Freuds verbindet psychoanalytische mit marxistischen Ideen. Wie Freud sieht er die Sexualität als Schlüssel zur Erklärung aller menschlichen Probleme an. Während Freud die sexuelle Unterdrückung noch als Geburtshelfer der Kultur begreift, entwickelt Reich Freuds Sexualtheorie zu einem politischen Kampfbegriff weiter. Er sieht in der Sexualunterdrückung die maßgebliche Ursache dafür, dass es gesellschaftliche Klassen gibt. Die moralischen Restriktionen in der Gesellschaft unterdrücken seiner Meinung nach die natürliche, sogar schon die frühkindliche Sexualität. Sie seien dafür verantwortlich, dass die Menschen ängstlich würden und sich viel zu wenig damit beschäftigen würden, überkommene Autoritäten infrage zu stellen. Das Pendant zu Marcuses »eindimensionalem Mensch«13 als einem Opfer, das von seinen eigenen Hemmungen befreit werden muss, ist bei Reich der religiöse Mensch, den es umzuerziehen gilt. Die durch die Religion schon Kindern eingeimpfte sexuelle Unterdrückung fördere bereits in den Familien einen fatalen Untertanengeist: »Die moralische Hemmung der natürlichen Geschlechtlichkeit des Kindes macht ängstlich, scheu, autoritätsfürchtig, gehorsam, im bürgerlichen Sinne brav und erziehbar; sie lähmt, weil nunmehr jede aggressive Regung mit schwerer Angst besetzt ist.«14 Der dadurch geformte »Charakterpanzer« mache den »bürgerlichen Charakter« in der kapitalistischen Gesellschaft erst anpassungsfähig.15 Daher räumt Reich der »Beseitigung derjenigen Hemmungen, die der Entwicklung des (…) Klassenbewusstseins entgegenwirken«16, einen hohen Stellenwert ein. An erster Stelle muss nach Reich eine Überwindung der Religion stehen, die in einem revolutionären Akt der »sexuellen Befreiung« als Hemmnis beseitigt werden muss. Folgerichtig ist die Sexualwissenschaft »politisch und links, ob sie will oder nicht« – und sie muss ein »Todfeind der Religion« sein.17 Inzwischen gehören die Ideen der Frankfurter Schule zum Mainstream.

Eine Gesellschaft, in der Gleichheit sehr viel bedeutet und Freiheit fast nichts, ist eine Diktatur; zahlreiche kommunistische und sozialistische Staaten haben das in grausamer Anschaulichkeit bewiesen. Eine Gesellschaft allerdings, in der Freiheit der Maximalwert ist und wiederum Gleichheit nichts, droht leicht zu Zuständen zu führen, in denen es sozialdarwinistisch nur noch um das Recht des Stärkeren geht. Eine maximal liberale Gesellschaft wäre deshalb letztlich keineswegs wirklich befreiend.

Der Konservatismus steht im Gegensatz zu den Weltbildern Sozialismus und Liberalismus. Das lateinische Wort »conservare« bedeutet »bewahren«. Im Kern geht es dem Konservativen um Bewahrung oder nötigenfalls Wiederherstellung sozialer Ordnungen. In manchem Kontext könnte man diese Bewahrung auch als den Schutz des Eigenen bezeichnen.

Der Konservatismus ist im Wesentlichen im 18. Jahrhundert als Gegenbewegung zu den Veränderungen und...