Mediale Schlachtfelder - Die NS-Propaganda gegen die Sowjetunion (1939-1945)

von: Olga Shtyrkina

Campus Verlag, 2018

ISBN: 9783593440156 , 492 Seiten

Format: PDF

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 44,99 EUR

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Mediale Schlachtfelder - Die NS-Propaganda gegen die Sowjetunion (1939-1945)


 

Einleitung Die Themen Propaganda und Massenmanipulation im Zweiten Weltkrieg bleiben aktuell für politische Diskussionen auf nationaler und internationaler Ebene. Sie beeinflussen die politischen und kulturellen Beziehungen zwischen den Ländern sowie die Gestaltung des Bildes der Nachbarvölker aufgrund des historischen Verständnisses und der modernen - oft manipulativen - Auffassungen zum Thema. Es genügt, einen Blick auf die radikalen nationalen Bewegungen in Mittel- und Osteuropa und im postsowjetischen Raum zu werfen, sowie die aktuelle Entwicklung auf der Weltarena zu berücksichtigen, die eine neue Art von Kaltem Krieg darstellt. Die altbekannten Propagandamethoden gewinnen dabei wieder an Aktualität. Nicht zu vergessen sind die diesbezüglichen Lücken, verfälschte und verschwiegene Geschichten, die immer noch schmerzlich im Bewusstsein der betroffenen Völker vorhanden sind. Erst mithilfe einer Enttabuisierung des Themas und der Wahrheitsfindung anhand der freigegebenen, vormals geheimen Archivunterlagen sind sie zu meistern und wiedergutzumachen. Das Wissen darüber, wie Medien instrumentalisiert und manipulativ eingesetzt werden konnten, ist für einen wachsamen Umgang mit den Massenmedien der heutigen Welt unabdingbar. Diese Arbeit beschäftigt sich mit den Fragen der antisowjetischen Propaganda in den Kriegsjahren 1939-1945, entwickelt und angewandt durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP). Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschienen zahlreiche Publikationen zur nationalsozialistischen Propaganda im Allgemeinen und zum Hauptpropagandisten des 'Dritten Reiches', Josef Goebbels. Das Thema des deutsch-sowjetischen Medienkriegs wurde dabei weitgehend ausgespart: Die wissenschaftlichen Aussagen beschäftigten sich bislang mit allgemeinen Thesen, die bisher an keiner Stelle auf konkreten Analysen des historischen Materials beruhten. Es sind nur wenige Untersuchungen erschienen, die die praktischen Fragen der propagandistischen Auseinandersetzung im deutsch-sowjetischen Krieg in die Beobachtung einbezogen. Und auch sie beschäftigten sich allein mit einem thematisch begrenzten Bereich wie dem Molotow-Ribbentrop-Pakt oder den Massenerschießungen von Katyn. In dieser Hinsicht stellt die vorgelegte Forschungsarbeit, die den gesamten Kriegszeitraum in die Untersuchung einschließt und sich mit den Veränderungen und der praktischen Anwendung des Propagandakonzeptes entsprechend dem Kriegsverlauf beschäftigt, einen Versuch dar, die bisherige wissenschaftliche Lücke mithilfe eines neuen Blickwinkels in der Geschichte des deutsch-sowjetischen Medienkrieges einzubeziehen. Die Fragestellung, inwiefern die Änderung des Kriegsverlaufs und die Modifizierung des antisowjetischen Propagandakonzeptes einander beeinflusst haben, hebt die vorhandene Arbeit von den zahlreichen Propagandaforschungen ab. Ein besonderer Wert wird der Forschung auch dadurch verliehen, dass ihre Hauptquelle ein bisher nicht wissenschaftlich ausgewertetes Archivmaterial der geheimen Ministerprotokolle der sogenannten Elf-Uhr-Konferenzen von Goebbels darstellt, das sich im Russischen Staatlichen Militärarchiv Moskau (Sonderarchiv) befindet. Diese Archivunterlagen betreffen die Fotokopien der Protokolle der geheimen Konferenzen, die fast täglich von den ersten Kriegstagen im Herbst 1939 bis zur letzten April-Dekade 1945 unter Leitung von Goebbels im Propagandaministerium in Anwesenheit seiner engen Mitarbeiter stattfanden. Der historische und wissenschaftliche Wert dieses Fundes, der in den 1990er Jahren im Sonderarchiv entdeckt worden war, ist kaum überzubewerten. Er erlaubt einen Einblick in die tiefste Ebene der Propagandamaschine des 'Dritten Reiches', die Ebene, wo die kriegerische Propagandastrategie erarbeitet und die operativen Entscheidungen im propagandistischen Umgang mit dem Kriegsgeschehen getroffen wurden. Der Name dieser Konferenzen (Elf-Uhr-Konferenzen, Ministerkonferenzen, Vormittagskonferenzen) weicht nicht nur in der Forschungsliteratur ab, sondern auch in den Protokollen selbst. Da sie am Anfang nicht immer um Elf Uhr stattfanden, galten 1939-1941 verschiedene Namen. Im Frühjahr 1941 hießen sie manchmal immer noch Vormittagskonferenzen , seit Mai 1941 hat sich aber der Name Elf-Uhr-Konferenz in den Protokollen durchgesetzt. Goebbels erzählte auf den Sitzungen von seinen Gesprächen mit Hitler und behandelte die SD-Berichte über die Bevölkerungsstimmung, besprach eigene taktische Ansichten und die allgemeine Kriegssituation mit seinen Mitarbeitern, plante die Propagandaaktionen und bewertete ihre Resultate sowie die Effektivität der Nachrichtenpolitik. Er analysierte die feindliche Nachrichtengebung, Reden und Beschlüsse der ausländischen Politiker und bestimmte die Richtlinien zu ihrer Behandlung nach Innen und Außen. Eine besondere Stelle nahm die Gegenpropaganda ein, unter anderem die Anweisungen, welche Themen und inwiefern polemisiert werden mussten und welche außer Acht gelassen werden sollten. Gleichzeitig besprach Goebbels die Artikel der führenden deutschen Zeitungen und richtete scharfe Kritik gegen unerwünschte Berichte oder Kommentare, die die Informationen aus den Presseanweisungen nach seiner Meinung unter falschem Blickwinkel interpretiert hatten. Die Sitzungen, die mit rund 20 Mitarbeitern angefangen hatten, verdoppelten sich auf bis zu 50 Teilnehmer nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941. Die Kleindarsteller auf dieser 'geheimen Befehlsbühne' von Goebbels und Adressaten seiner mündlichen Weisungen waren die Abteilungsleiter, die Verantwortlichen für verschiedene Medien, die Vertreter der Berliner Gauleitung, Verbindungsoffiziere des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) usw. Der hierarchische Charakter der Konferenz mit langen Monologen von Goebbels und wenigen Fragen verkörperte die Struktur des Propagandaapparates und symbolisierte die Konzentration der Propagandaführung unter der Person von Goebbels, seinen Rivalen auf diesem Feld zum Trotz. Selbst wenn der Propagandaminister abwesend war, was in der letzten Phase des Krieges häufiger als am Anfang passierte, teilte er seine Weisungen telefonisch mit, damit sie von einem Moderator auf der Sitzung verlautbart werden konnten. Die Existenz der Konferenzprotokolle wurde schon in den Vernehmungen des Nürnberger Prozesses festgestellt, obwohl die Protokolle selbst nicht gefunden worden waren. Seit 1952 hat sich ein Teil davon, und zwar der vom 26. Oktober 1939 bis 31. Mai 1941, im Deutschen Zentralarchiv Potsdam in der SBZ befunden. Dieser Teil wurde Mitte der 1960er Jahre von Willi A. Boelcke veröffentlicht, der als Referent im Archiv gearbeitet und die Akten nach seinen Worten ohne 'besondere Genehmigung' und 'unabhängig von den Tendenzen der DDR-Geschichtsbetrachtung' herausgegeben hat. Die Publikation sparte komplett die Periode des deutsch-sowjetischen Krieges aus. Drei Jahre später wurde von Boelcke die Schrift Wollt Ihr den totalen Krieg? herausgegeben, wo die Spuren der Protokolle von Dezember 1941 bis März 1943 verfolgt werden konnten, aber nur ansatzweise. Sie stammten aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes im Form von drei 'Aktenfaszikeln' mit 'Durchschläge[n] und Konzepte[n] der Aufzeichnungen von [Verbindungsleuten] Krümmer und Todenhöfer' über die Konferenzen. Diese Veröffentlichungen erlaubten einen anfänglichen Einblick in die Primärquellen, die für die NS-Propagandaforschung in der Sowjetunion oder in der DDR fehlten. Eine umfassende wissenschaftliche Auswertung des vorhandenen Materials war aber nicht möglich, denn der Großteil der Protokolle galt immer noch als verloren: Beim Rest ging man davon aus, dass er in die Hände der Besatzungsmacht gefallen und in den Archiven der sowjetischen Geheimdienste verschwunden war. Die geheimen Ministerprotokolle wurden zufällig im Sonderarchiv Moskau, dem ehemaligen NKWD-Archiv, von Herrn Professor Dr. Mühl-Benninghaus und Herrn Dr. Leonard entdeckt, als sie Mitte der 1990er Jahre ein DFG-Forschungsprojekt zum deutschsprachigen Rundfunk in der Sowjetunion durchführten. Bis 1990 waren die Protokolle, zu denen ich im Herbst 2010 Zutritt bekam, nicht zugänglich und unter dem Sicherheitsgrad streng geheim gehalten. Die entsprechenden Bestände im Sonderarchiv (Bestand 1363k (RMVP)) beinhalten die Protokolle, die die verkleinerten Fotokopien der Konferenzen ansatzweise vom 26. Oktober 1939 bis 24. Mai 1941 und detailliert vom 3. Juni 1941 bis 4. Februar 1945 umfassen. Die Herkunft der Quellen - der zahlreichen Briefumschläge mit Fotokopien im A6 (seltener A5) Format - ist bisher unbekannt. Die Beantwortung der Frage, wie genau und aus welchem Aktenbestand die Protokolle der Elf-Uhr-Konferenzen nach Moskau verlagert wurden, steht noch aus. Der analysierte Zeitabschnitt umfasst 1.138 Konferenzprotokolle und außerdem die Seiten, die nicht nach Datum sortiert werden konnten. Leider befindet sich auch in den geheimen Protokollen des Fonds 1363k eine zeitliche Lücke vom 10. November 1943 bis 30. April 1944. Einige Protokolle konnten außerdem nicht ausgewertet werden, weil sie unlesbar und andere, weil sie in Kurzschrift verfasst sind und bisher nicht transkribiert werden konnten. Zu erwähnen ist auch, dass in manchen Protokollen grammatische und stilistische Fehler zu finden sind, die sich nicht nur mit der alten Schreibweise erklären lassen. Diese Unrichtigkeiten wurden aber bei der Zitierung beibehalten. Wenige Protokolle werden von einer Übersetzung ins Russische begleitet. Das weist darauf hin, dass man zumindest für den Eigenbedarf der geheimen Archivdienste bereits Mitte des vorigen Jahrhunderts in der UdSSR den Versuch unternommen hat, diese Quellen auszuwerten. Aber wenn auch der Fund nicht vollständig ist, stellen die Protokolle der fast 1.200 Ministerkonferenzen der Kriegszeit einen der bedeutendsten wissenschaftlich-historischen Funde der letzten Jahrzehnte dar. Die Arbeit konzentriert sich auf Aspekte der antisowjetischen Propaganda des 'Dritten Reiches' in der Kriegszeit, nicht zuletzt deswegen, weil der Großteil der Tagesordnung der Sitzungen, wie aus den Protokollen ersichtlich ist, sich der Strategie und dem tagesaktuellen Management der antisowjetischen Propagandakampagne widmet. Dies beweist, dass die NS-Führung sich der tragenden Rolle des Verlaufs an der Ostfront für das Endergebnis des Krieges bewusst war. Wenn auch die Auswertung der geheimen Elf-Uhr-Konferenzen die Analyse gerade der allerersten Phase der Gestaltung des Medienkrieges mit der Sowjetunion erlaubt, bleibt immer noch die Frage offen, in welchem Umfang die anfängliche Strategie und die Gedanken von Goebbels in die Tat umgesetzt wurden - im Hinblick darauf, dass das gekürzte und adaptierte Endergebnis dieser Sitzungen in Form von Anweisungen an die Reichspressekonferenzen und Presserundschreiben an vertraute Redakteure und Journalisten weitergegeben wurde. Anschließend wurde diese Information in den Redaktionen bearbeitet und als Artikel und Berichte für die Zielgruppe zugänglich gemacht. Es erscheint auch wissenswert zu verfolgen, wie dieser mindestens dreistufige Prozess den Informationsfluss beeinflusst und instrumentalisiert hat. Aus diesem Grunde wurden in der vorliegenden Forschung für die Untersuchungsabschnitte auch die Bestände R55 (RMVP) und R34 (Deutsches Nachrichtenbüro) im Bundesarchiv benutzt: die Protokolle der Reichspressekonferenzen, Presserundschreiben und Mundpropagandaparolen. Die dritte Ebene wurde anhand von Nummern der Zeitung Völkischer Beobachter (Norddeutsche Ausgabe) der Kriegsjahre untersucht. Hier wurde insbesondere erforscht, wie die Presse die Propagandarichtlinien zu verschiedenen Kriegsperioden umsetzte. Die anderen Medien wie Hörfunk zusammen mit den G-Sendern oder der Deutschen Wochenschau werden nur im Bedarfsfall erwähnt, da die Ausweitung der Analyse auf alle Medien im begrenzten Rahmen dieser Forschung nicht möglich war. Die Auswahl der Zeitung gründet sich auf die Tatsache, dass der Völkische Beobachter, das publizistische Parteiorgan der NSDAP und eine der berühmtesten NS-Zeitungen, als bestes Fallbeispiel der Umsetzung der offiziellen Propagandarichtlinie für die breiteste Zielgruppe - alle deutschen Bürger - diente. Eine weitere wichtige Quelle bildeten die Tagebücher von Joseph Goebbels, deren Auswertung im Hinblick auf die Archivalien des Sonderarchivs eine interessante Nebenfrage erlaubte, inwiefern der Propagandaminister mit seinen engsten Mitarbeitern, die an den Elf-Uhr-Konferenzen teilgenommen haben, vertraut war und wie er ein und dasselbe Ereignis im Tagebuch oder auf der Sitzung bewertet hat. Wenn auch der Vorrang bei der Analyse den Primärquellen gegeben ist, stützt sich die vorliegende Arbeit auf eine breite Palette von Sekundärliteratur über das Propagandakonzept Hitlers und seines führenden Propagandisten Goebbels. Darüber hinaus wurden für die Kapitel, die sich der Analyse der antisowjetischen Propaganda im Zweiten Weltkrieg anhand der Archivalien widmen, auch die Forschungsarbeiten von Geschichts- und Medienforschern berücksichtigt. Die Skizze der bisherigen Arbeiten und verschiedenen wissenschaftlichen Positionen wird jeweils in der Einleitung zu den entsprechenden Abschnitten gegeben, mit dem Versuch, ein kurzes, aber ausgewogenes Bild der akademischen Auseinandersetzung zum Thema zu geben. Wenn auch der Vorzug den deutsch- und teilweise englischsprachigen Quellen gegeben wird, werden die etablierten russischsprachigen Arbeiten von Wjatscheslaw Daschitschew , Michail Semirjaga , Alexander Nekritsch , Alexander Dyukow , Lew Besymenski , Vladimir Nevezhin , Michail Meltjuchow , Alexander Samsonow und anderen berücksichtigt, um die Möglichkeit zu nutzen, mithilfe des russischen bzw. sowjetischen wissenschaftlichen Blickwinkels ein ganzheitliches Bild des deutsch-sowjetischen Propagandakrieges 1939-1945 zusammenzustellen. Die Gestaltung der antisowjetischen Propagandastrategie von Goebbels erfolgte auf der Grundlage seiner praktischen Erfahrungen als Hauptpropagandist der NSDAP, wurde aber auch durch einflussreiche Theorien zur Propaganda geprägt, die in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg im deutschen wissenschaftlichen und politischen Diskurs umfangreich behandelt wurden. Als theoretische Basis der Arbeit dienen die historischen und aktuellen Schriften zur Propaganda, um diesen Begriff, ausgehend von der Theorie Le Bons, zu fassen und die Spezifik der Propaganda von Goebbels theoretisch herauszuarbeiten. So wird anhand der historischen Propagandaauffassung deutlich gemacht, wie sie die hier zur Diskussion stehende Arbeit des RMVP beeinflusst hat. Die nationalsozialistische Propaganda ist ein Produkt ihrer Zeit gewesen, als man auf der Grundlage der Massentheorie und Reflexion der Propaganda im Ersten Weltkrieg den Eindruck bekommen hatte, dass sie als psychologische Waffe über Allmacht im Bereich der Massenbeeinflussung verfügt. Wie man Propaganda in dieser Zeit verstand und wie man sie und ihr in vieler Hinsicht künstlich gestaltetes Image der Omnipotenz aus heutiger Perspektive begreift, ist eine disputable Frage. Daniel Mühlenfeld setzte sich in seinem Artikel Was heißt und zu welchem Ende studiert man NS-Propaganda? mit dem Problem auseinander, dass der Begriff Propaganda in wissenschaftlichen Untersuchungen unreflektiert verwendet wurde, ohne ihm eine klare inhaltliche Definition zu geben. Im breiten Sinne ist die Propaganda ein attempt to persuade. Das Unterscheiden des Begriffes von benachbarten Termini wie Persuasion, Massenbeeinflussung, Öffentlichkeitsarbeit oder politische Kommunikation braucht eine bestimmte Abgrenzung des Forschungsbereiches - auch unter Beachtung dessen, wie sich der Begriff der Propaganda im Laufe der Zeit entwickelt hat. Dieses Buch beschäftigt sich mit dem Zeitraum, als sich dieser Begriff und benachbarte Termini noch im Werdegang befanden und sowohl bei der theoretischen als auch praktischen Anwendung ineinander verlaufen konnten, wie es bis in die 1930er Jahre zwischen Propaganda und Reklame der Fall war. Somit gilt für diese Arbeit eine ziemlich allgemeine Definition der Propaganda als einer bewussten Beeinflussung des Massenbewusstseins mithilfe eines Informationsflusses bei der Gestaltung der Botschaft und ihrer medialen Verbreitung mit dem Ziel, die handlungsrelevante Sichtweise der großen Rezipientengruppen im Interesse einer begrenzten Gruppe zu formieren. Diese Herangehensweise billigt den Rezipienten wenig Möglichkeit zu, den Prozess solcher ungewollten Kommunikation zu beeinflussen. Dies entspricht aber dem historisch bedingten kommunikativen Konzept der Nationalsozialisten, das in ihren Stärken und Schwächen entsprechend der praktischen Anwendung Gegenstand dieser Forschung ist. Ausgehend vom Forschungsthema interessiert uns die Propaganda in ihrem politischen Kontext, in dem sie sich an die große Masse richtete und für die Rechtfertigung der politischen und militärischen Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene verwendet wurde. Im Zentrum der Betrachtung befindet sich die Kriegspropaganda als eine spezifische Unterform der politischen Propaganda, die die konkreten militärpolitischen Ziele wie Mobilmachung der Heimatmoral, Anstachelung von Hass gegenüber Feinden, Rechtfertigung der Kriegsmaßnahmen oder Bekämpfung der gegnerischen Propaganda verfolgt. Das erste Kapitel des Buches beschäftigt sich mit der theoretischen Basis der Propaganda, um sichtbar zu machen, in welchem Kontext sich das propagandistische Konzept des Nationalsozialismus selbst und die konkreten Methoden des Propagandakrieges 1939-1945 entwickelt haben. Der erste Abschnitt widmet sich drei Hauptquellen des Propagandakonzeptes von Adolf Hitler, angefangen mit der Entwicklung der Massentheorie und der empirischen Forschungen zur Propaganda. Dies geschieht erstens anhand der Analyse der Schriften von Gustave Le Bon, Walter Lippmann und Johann Plenge, zweitens der Anhänger der Reklametaktik, vertreten durch Hans Domizlaff, und drittens der Reflexionen der Kriegspropaganda in der Weimarer Republik. Die Skizzierung der Primärliteratur über die Massentheorie, Werbewirkung oder Institutionalisierung der Zeitungswissenschaft hat bereits eine gewisse Darstellung in der Forschungsliteratur gefunden. Die aber bis jetzt nicht genügende Auswertung der Ideen von Kriegstheoretikern wie Erich Ludendorff, Horst von Metzsch, Alfred von Wrochem, George Soldan, Kurt Hesse und ihren Einfluss auf das NS-Konzept stellt auch im begrenzten Rahmen dieser Forschung einen ungewöhnlichen Blickwinkel auf die Propagandageschichte dar. Weiter widmet sich das Kapitel den Grundlagen der Kriegspropaganda im 'Dritten Reich' aufgrund der Entwicklung der NS-Propaganda nach der 'Machtergreifung'. Die neue Zielsetzung der Propaganda und der Ausbau des Lenkungsapparates nach 1933 fanden eine umfassende Darstellung in der wissenschaftlichen Literatur über Joseph Goebbels in unterschiedlichster Art, Erkenntnisform und Fragestellung. Es erfolgte unter anderem in den berühmten Schriften von Ernest K. Bramsted , Ian Kershaw , Peter Longerich , Joseph Wulf , Jürgen Wilke , Lutz Hachmeister , Bernd Sösemann , die sich sowohl der Struktur des RMVP, als auch den Methoden der Medienlenkung widmeten. Ein Unterkapitel skizziert anhand von Originalquellen die Versuche der führenden NS-Propagandisten Joseph Goebbels, Otto Dietrich und Eugen Hadamovsky, sich auf dem Gebiet der Forschung zu etablieren. Eine gewisse Darstellung fand auch die Dissertation von Alfred Six als eine Brücke zwischen den praxisorientierten Vorstellungen der NSDAP-Propagandisten und der deutschen Zeitungswissenschaft, deren Institutionalisierung und Instrumentalisierung in den 1930er Jahren. Hier-durch wird eine Skizze des Prozesses der Professionalisierung der Strategie und der Einführung der theoretisch ausgearbeiteten Wirkungsmethoden im Rahmen des heterogenen Propagandakonzeptes des Nationalsozialismus gegeben. Die Dominanz der operativen Propaganda, die auch für die antisowjetische Kampagne der Kriegszeit kennzeichnend war, wird im Hinblick auf die Hauptströmungen der Propagandapolitik wie Feindbildpflege, Informationsdominanz, mediale Gleichschaltung und Zentralisierung mithilfe von Wirtschaft und Gesetzgebung dargestellt. Dieser Abschnitt der Arbeit zeigt, wie stark die Theorie und Praxis der NS-Propaganda nach 1933 durch Postulate der Massentheorie geprägt wurde. Das repräsentiert in erster Linie die anfängliche Überzeugung der NS-Propagandisten bezüglich der Allmacht der Propaganda und der vollständigen Rezeption der Informationsbotschaften aufgrund des Stimulus-Response-Modells. Diese Einstellung ist für die erste Etappe der antisowjetischen Kampagne in der Kriegszeit maßgebend geworden, auch unter Beachtung dessen, dass selbst Goebbels den von den verschiedenen Dienststellen gesammelten Stimmungsberichten als einer Art von Feedback-Analyse seiner Propagandaaktionen besondere Aufmerksamkeit widmete.