Grüße Gustav - Gustav Klimt - Persönliche Momente

von: Erich Weidinger

Gmeiner-Verlag, 2018

ISBN: 9783839258040 , 128 Seiten

2. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 7,99 EUR

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Grüße Gustav - Gustav Klimt - Persönliche Momente


 

Künstler-Compagnie


Wien, Herbst 1884 – Sandwirthgasse 8


 

Es war für einige Sekunden still geworden. Sehr still. Durch die Fenster waren leise Alltagsgeräusche aus der schmalen Sandwirthgasse herauf ins Atelier der Künstler-Compagnie zu hören.

Gustav Klimt durchbrach die Stille als Erster der drei anwesenden Freunde und Kollegen, wenn auch noch leise.

»Die Kaiserin? Du meinst unsere Kaiserin? Elisabeth?«

Franz Matsch, der unbedeutend Ältere von ihnen, lächelte und nickte wissend, schließlich konnte er die gute Nachricht überbringen. Mit stolzgeschwellter Brust und siegessicherem Blick setzte er sich auf einen alten Stuhl, an dem sich unbeabsichtigte bunte Farbstriche und Kleckse befanden.

»Ja, meine Herren. Das haben wir dem Ableben unseres seligen und verehrten Professors Hans Markart zu verdanken. Er war von unserer Kaiserin mit einigen Aufträgen für ihre Villa betraut worden, die er aber durch seine fortschreitende …«, nach dem medizinischen Terminus suchend, unterbrach er sich selbst.

»Du meinst den Fortschritt von Markarts Hirnerweichung.«

Gustavs Bruder Ernst, der rauchend in der Fensternische saß, hatte den unfertigen Satz des Künstlerkollegen ergänzt, mit einem Wort, das dem Wiener Volk geläufiger war als der medizinische Fachausdruck.

Hier, in diesem unaufgeräumten Atelier, neben ihnen, den normal gekleideten Freunden, wirkte Franz mit seinem dunklen Anzug, dem gestärkten weißen Hemd, Stehkragen und weißer Fliege etwas deplatziert.

Gustav, der sich selbst gerne elegant kleidete, wusste jedoch, dass dies die Etikette erforderte. Immerhin kam Franz von einem wichtigen Termin aus der Direktion der Universität.

Sofort übernahm Franz wieder seine wahrscheinlich vorher einstudierte Rede:

»Wie auch immer man es nennen will. Markart konnte seiner Arbeit schon seit diesem Spätsommer nicht mehr nachkommen, hatte nur ungefähre Entwürfe für das kaiserliche Schlafzimmer in der Hermesvilla hinterlassen. Wir sollen einen Teil davon ausführen. Immerhin haben wir, obwohl wir nicht mit dem Meister verwandt waren, somit ein kleines Stück von seinem Erbe abbekommen.«

Gustav wollte schon nach der ziemlich neu aussehenden Kartonmappe greifen, in der sich wahrscheinlich die Entwürfe befanden und die sein Freund beim Betreten des Ateliers unter dem Arm trug.

»Geduld, Geduld, mein junger Freund!«, Franz stoppte ihn und sicherte die Mappe, die vor seinen Füßen, an die Knie gelehnt, alle Aufmerksamkeit auf sich zog.

Ernst erhob sich von seinem Fensterplatz und ging auf die kleine, schmuddelige Sitzgruppe zu. Endlich war es so weit, ihre Künstler-Compagnie, die seit gut drei Jahren bestand, bekam einen Auftrag aus dem Kaiserhause. Lange hatte es gedauert.

Seit den ersten großen Arbeiten 1880, die sie ihrem nun auch schon verstorbenen Lehrer Laufenberger zu verdanken hatten, arbeiteten sie unentwegt. Fast nur fürs Ausland. Vor einem knappen Jahr konnten sie dieses Gebäude hier im dritten Stock beziehen und endlich ein für sie brauchbares Atelier einrichten. Zu Beginn der Gründung ihrer Compagnie half ihnen ein Stipendium von zwanzig Kronen, die wichtigsten Ausgaben abzudecken. Doch nun verdienten sie mit einigen Werken wirklich gutes Geld.

»Was verdienen wir?«, fragte Ernst und dämpfte seine dünne Zigarre in einer zu einem Aschenbecher umfunktionierten angeschlagenen Keramiktasse aus.

Matsch spielte den Entrüsteten, fuhr sich mit einer Hand über sein schütteres Haar und entgegnete ihm mit vorwurfsvollem Blick:

»Mein Herr. Dies ist eine ehrenvolle Aufgabe. Wir dürfen nichts Minderes als zwei Deckengemälde für das Schlafzimmer der Kaiserin anfertigen. Lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen. Für die Kaiserin!«

Mit punktuellen Pausen wiederholte er bedeutungsschwanger seinen Satz:

»Für – das – Schlafzimmer – der – Kaiserin! Das ist eine große Ehre, mein Freund. Da fragt man nicht nach dem Geld! Das ist in diesem Moment absolut nebensächlich. Nicht wahr?« Er blickte nun zu Gustav, um sich seine Aussage bestätigen zu lassen.

Gustav und Ernst konnten mit den Erträgen, die ihnen die Künstler-Compagnie einbrachte, wenn auch noch in überschaubarem Rahmen, den Lebensunterhalt der eigenen mehrköpfigen Familie Klimt unterstützen. Die Eltern hatten allen drei Söhnen trotz ärmlichster Bedingungen eine gute Schulausbildung ermöglicht, den Schwestern war dies verwehrt geblieben. Gustav wusste, dass auch Franz aus keinem wohlbehüteten Hause kam, er wuchs als Einzelkind und Halbwaise bei seiner Mutter auf.

Immer noch stolz, nach dankbarer Anerkennung heischend, fragte Franz:

»Ihr wisst aber schon, wem ihr diesen kaiserlichen Auftrag zu verdanken habt? Hmm?«

Gustav, stirnrunzelnd, mit gespielt fragendem Ausdruck, wandte sich an seinen Bruder:

»Na ja. Ernst, was meinst du? Ha? Wem haben wir das zu verdanken. Dem Franz? Ich denke … vielleicht seiner Mutter? Wenn sie sich nicht seinem Vater …«

Franz unterbrach ihn lachend:

»Hör auf mit diesem Blödsinn. Ohne unsere Mütter und Väter wären wir alle nicht da. Aber ihr wisst sehr wohl, ich, Franz Matsch, habe diesen wichtigen Brief geschrieben. An Seine Hochwohlgeboren den Hochverehrten Herrn Hofrat Ritter von Eitelberger. Wenn ihr es vergessen habt, kann ich ihn gerne nochmals vorlesen und …«

Diesmal unterbrach ihn Ernst.

»Nein, bitte verschone uns mit deinen unzähligen Hochwohlgeboren und Hochverehrten und allen anderen Hochs, die du in diesem Brief zu Papier gebracht hast! Wusste gar nicht, dass es so viele Abwandlungen von Ehrenbezeugungen gibt. Zeig uns dafür, was du da in deiner Mappe hast!«

Franz Matsch legte mit einer beleidigten Geste, der den schlechteren Schauspielern des Raimundtheaters in nichts nachstand, die Mappe auf den kleinen Tisch und zog ein paar Blätter heraus. Entwurfszeichnungen von einem ihrer letzten Lehrer Julius Victor Berger, der mit seinen Schülern die Arbeiten vom verstorbenen Markart übernommen hatte, doch für heiklere Arbeiten die Künstler-Compagnie zu beauftragen beabsichtigte.

Gustav wischte mit dem Handrücken etwas Asche unter den Blättern vom Tisch, die von Ernsts Zigarre stammte und ihr endgültiges Ziel beim Abstreifen nicht erreicht hatte. Die Papiere sollten nicht verschmutzt werden.

Franz fuhr mit seinem Schauspiel fort, welches nun schon etwas nervte.

»Unsere Kaiserin soll, wenn sie in ihrem Bette liegt, auf eine Szene von Shakespeares ›Sommernachtstraum‹ blicken. Meine Herren, es soll ein schönes, wehmütiges Bild werden. Bei der Betrachtung unseres Bildes sollten bei der Kaiserin keine lüsternen Gefühle aufkommen. Also ein züchtiges Werk, meine Herren: kein Penis, keine freiliegende Brust oder Ähnliches.«

Gustav lächelte, zwirbelte kurz seinen Schnurrbart und drehte eines der Entwurfsblätter so, dass er es mit seinem Bruder genau betrachten konnte.

»Das können wir besser, nicht wahr, Ernst?«, sein Blick wanderte mit einem Lächeln über seine rechte Schulter.

Ernst kannte diesen schalkhaften Ausdruck in seinen Augen und wusste, dass jetzt etwas Witziges oder gar Frivoles bevorstand.

Gustav zeigte auf ein kleines Detail der Zeichnung, welches ein kleines Kind oder auch ein kleiner Engel sein könnte.

»Lieber Ernst, du darfst wieder dicke kleine Engel malen. Putten, aber diesmal ohne Zipfelchen und nackte Ärsche, nicht so wie die in Mondsee. Nur geschlechtslose Putten. Das kaiserliche Schlafzimmer darf nur mit Bildern von züchtigen Putten ausgestattet werden. Der Blick der Kaiserin vom Bett aus soll himmlisch sein und keine weltlichen Begierden wecken. Also, mein Bruder, male einen Putto für die Kaiserin, wie du ihn noch nie gemalt hast.«

Mit einem »Putt, putt, putt, putt …«, als ob er ein Huhn anlocken wolle, verfiel Gustav in sein so typisches Lachen. Ebenfalls »Putt, putt!« ausrufend, zog Franz Matsch eine weitere Zeichnung hervor, die einen größeren fliegenden Engel darstellte.

Eine fast kindliche Ausgelassenheit ergriff die drei jungen Männer und sie hüpften in der Hocke, wie Hühner gackernd, durchs Atelier, mit den Ellbogen die Flügel imitierend. Obwohl Ernst wusste, dass der Scherz auf seine Kosten ging, war er nicht böse, machte einfach mit, bis sich schließlich alle drei lachend auf dem Boden wälzten.

Erst vor einem Jahr hatte Ernst fünf Gemälde im Auftrag des Fürstenpaares von Wrede für eine Holzdecke des Schlosses Mondsee im Salzkammergut angefertigt. Auf den vier kleineren Tondos, den Rundgemälden, waren mehrere dickliche Putten dargestellt, die sie während der Entstehungsphase zu mehrfachem Gespött anregte, was jetzt seine Wiederholung fand.

Schließlich richtete sich Franz Matsch auf und stand genau vor einem fast fertigen Bild, das Gustav für das Schloss Pelesch in Rumänien anfertigte. Es sollte den Grafen Friedrich I. von Zollern darstellen, doch in Ermangelung der Kenntnis vom wahren Aussehen des Mannes porträtierte Gustav einfachheitshalber seinen Freund Matsch. In Rumänien würde dies sowieso niemand wissen und bemerken.

»Bleib so!«, rief Gustav aus, erhob sich ebenfalls vom Boden, blickte abwechselnd auf den lebenden und den gemalten Freund. Er übernahm die Rolle eines fiktiven Kunstkenners, der ein wichtiges Bild betrachtete:

»Der Maler hat dich wirklich gut getroffen. Du siehst so erhaben aus. Der festliche Umhängemantel auf dem Bild steht dir besser als der Anzug, den du jetzt trägst. Du...