Die alte Freundin Dunkelheit - Schauergeschichten

von: Katja Angenent

Edition Subkultur, 2018

ISBN: 9783943412826 , 122 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 7,99 EUR

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Die alte Freundin Dunkelheit - Schauergeschichten


 

Das Kloster


Heinrich IV., König des deutschen Volkes, blickte von der Oppenheimer Stadtmauer stirnrunzelnd über den Rhein. Im Osten, am Horizont, zog ein Sturm auf. Die Zeichen waren unverkennbar. Dichte, dunkle Wolkenberge türmten sich am Himmel. Während über Heinrich noch die Sonne schien, wurde es dort bereits dunkel. Wie passend, dachte er. Gott ließ diesmal wirklich keine Zeichen aus. Die Analogie war unübersehbar. Gegenüber, auf der anderen Seite des Flusses, tagten in diesem Moment seine Gegner, um zu entscheiden, wie mit ihm weiter zu verfahren sei. Auch dieser Sturm war unausweichlich.

Er schüttelte den Kopf. Die Narren dort in Trebur irrten. Hörten sie nicht Gottes Worte? Wussten sie nicht, dass er sich in all seinem Tun nur nach Gottes Wünschen richtete? Sahen sie nicht, dass der Papst in seiner Anmaßung eher dem Teufel nahe war als Gott? Stattdessen wollten sie ihn, den von Gott eingesetzten König, richten. Er begriff diese Menschen nicht.

Ein frischer Wind kam auf und ließ seinen Umhang flattern.

Heinrich überlegte. Das Heraufziehen des Sturmes verhieß nichts Gutes. Eine Windböe erfasste einige trockene Blätter vor ihm und zwang sie zu einem grotesken Tanz.

Er musste etwas tun! Seit zwei Tagen waren er und seine Getreuen – zumindest die, die ihm noch geblieben waren – hier zum Warten verdammt. Wer wusste schon, wann die Gesandten in Trebur zu einem Entschluss kommen würden? Das konnte noch Tage, vielleicht Wochen dauern. Und was nach ihrem Entschluss käme, das wusste nur Gott allein. Alles stand auf dem Spiel: seine Königswürde, seine Ämter, ja, sogar seine Zugehörigkeit zur Kirche und damit sein Seelenheil.

Er hatte gehört, was selbst enge Freunde hinter seinem Rücken tuschelten: Dass er der Situation nervlich nicht gewachsen wäre, dass Gott ihn strafe, dass er anfinge, irrational zu handeln. Dabei war es doch die Gegenseite, der es an Einsicht und Rationalität mangelte!

Der Wind bewegte nun auch die schwarzen Baumkronen unten am Rhein. Die Sonne war nicht mehr zu sehen. Wie ein Hund in seinem Zwinger begann der König, auf der Mauer auf und ab zu laufen. Bereits zwei Mal war er in den letzten Wochen vor Erschöpfung zusammengebrochen. Seine Nerven seien angeschlagen, sagte der Medicus. Heinrich verstand das nicht. Sollte Gott ihn tatsächlich verlassen haben? Er hatte doch Buße getan. Er hatte gebetet, gefastet, gestiftet, wieder gebetet; immer wieder gebetet. Durch das fortwährende Fasten war seine Statur ganz hager geworden. War das immer noch nicht genug gewesen? Der Wind wurde stärker. Die ersten Regentropfen klatschten gegen die Mauer.

„Was soll ich denn noch tun, Gott?“, schrie er in den Wind.

Doch der Wind antwortete nicht.

Ein Klopfen auf seiner Schulter riss den König schließlich aus seinen Gedanken. Heinrich drehte sich um.

Vor ihm stand Hugo von Cluny, einer seiner engsten Berater. Als sein Taufpate war er einer der wenigen, der sich eine so intime Geste erlauben konnte.

„Majestät, kommt doch mit in das Besprechungszimmer. Hier draußen holt Ihr Euch bei dem Wetter noch die schlimmsten Krankheiten!“

„Warum schickt Gott nun diesen Sturm, Hugo?“

„Sicher weiß das nur der Herr allein, mein König. Aber so lasst uns doch drinnen weiterreden. Es gibt etwas, das Ihr wissen solltet.“

Heinrich nickte, warf noch einen letzten Blick auf den wolkenverhangenen Himmel, und folgte seinem Paten dann hinein.

Drinnen loderte ein gemütliches Feuer im Kamin. Heinrich hatte Probleme, sich auf die Gespräche seiner Berater zu konzentrieren.

„Eure Königliche Hoheit“, unterbrach Anno von Köln nach einer Weile die Grübeleien. Etwas in seiner Stimme ließ den König aufhorchen.

„Was wir Euch gestern andeuteten, ist wahr!“

Heinrich erschrak. Anno hatte ihn gestern vor der Möglichkeit von Verrätern gewarnt – Agenten des falschen Papstes in seinen eigenen Reihen. Diese Möglichkeit bestand fortwährend, und darum hatte Heinrich ihr auch nicht besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt. Doch natürlich war gerade jetzt, während sich seine Feinde auf der anderen Rheinseite berieten, die Gefahr groß, dass einer seiner Männer Informationen unter der Hand weitergab.

„Wir haben nun Beweise, die unseren Verdacht bestätigen. Wir konnten ein Schreiben abfangen, das aus Oppenheim geschmuggelt werden sollte. Hier, seht selbst.“ Er reichte Heinrich ein Stück Pergament, doch dieser konnte die Zeichen darauf nicht lesen.

„Es ist verschlüsselt, Eure Königliche Hoheit“, sagte Anno. „Unsere Kryptographen haben es jedoch entschlüsseln können.“ Er reichte ihm ein weiteres Schriftstück. „Ihr seid in Gefahr, Eure Königliche Hoheit! Hier ist die Rede von einem Attentat, das verübt werden soll, um Euch endgültig zum Schweigen zu bringen!“

Heinrich überflog die Übersetzung und schluckte. Wenn das stimmte, war er sich seines Lebens nicht mehr sicher. Er blickte zu den kostbaren Glasfenstern, gegen die nun der Regen prasselte. Es wunderte ihn nicht, dass man ihm nach dem Leben trachtete. Einige seiner Feinde hassten ihn vermutlich so sehr, dass auch sie nicht auf einen Entschluss der Gesandten in Trebur warten würden, sondern handeln wollten.

Heinrich dachte zurück an Utrecht, an seine Feier des Osterfestes, bei der zuerst der Bischof gestorben und dann auch noch die Kathedrale bei einem Gewitter abgebrannt war. Es ging hier nicht nur um sein eigenes Seelenheil, sondern auch das vieler anderer. Der Sturm war eine Warnung des Herrn! Draußen grollte ein Donner. Er erschrak. „Es sind meine Sünden“, stieß er hervor. „Ich habe Gott erzürnt.“

Hugo von Cluny blickte ihn bestürzt an. „Aber ihr habt die letzten Wochen kaum etwas anderes getan als gebetet!“

„Offensichtlich nicht genug!“ Heinrich stockte. Lange war nur das Prasseln des Regens und das Knacken der Holzscheite im Kamin zu hören. Vor den Fenstern wurde es noch dunkler.

Anno von Köln räusperte sich schließlich.

„Mein König, darf ich Euch einen Vorschlag unterbreiten?“

„Sprecht!“

„Es gäbe vielleicht eine Möglichkeit, Euren Wunsch nach Buße und Eure Sicherheit miteinander zu vereinbaren. Hier in der Nähe soll es ein abgelegenes Kloster geben, dessen Mönche in dem Ruf stehen, ganz besonders fromm zu sein. Dorthin könntet Ihr Euch einige Tage zurückziehen. Niemand wird Euch dort erkennen. Bis die Beratungen in Trebur abgeschlossen sind, wird sicherlich noch mindestens eine Woche vergehen.“

Heinrich schüttelte den Kopf.

„Meine Abwesenheit in dieser kritischen Zeit wird bemerkt werden.“

„Nicht, wenn wir sie verheimlichen.“

Der König blickte seine Berater an. Einer nach dem anderen senkte ergeben den Kopf. Anno hatte Recht – sie würden schweigen.

„Gut“, sagte der König schließlich. „Ich breche sofort auf.“

Ein Donner, lauter als zuvor, ließ alle im Raum zusammenfahren.

„Es scheint mir der Wille Gottes zu sein.“ Fast hätte Heinrich gelächelt. „Beschreibt mir den Weg zu diesem Kloster!“

Als der König in tiefer Dunkelheit schließlich zitternd an die große, hölzerne Pforte klopfte, war die Entschlossenheit, die er im Oppenheimer Ratssaal verspürt hatte, wie vom Regen hinfort gespült. Zwar war Gott mit ihm gewesen und hatte ihn in diesem Unwetter wohlbehalten an sein Ziel geleitet, doch hatten ihn den gesamten Weg lang Hunger und Kälte begleitet. Von Gewitter, Sturm und Hagel durchnässt bis auf die Knochen, war er durch die hügeligen Wälder geeilt. Sein Wollumhang hatte schließlich den tobenden Elementen nicht mehr standhalten können. Ganz auf sich allein gestellt, hatte er an jeder der vereinzelten Köhlerhütten nach dem Weg fragen müssen. Heinrich war sich sicher, noch nie einen solch abgelegenen Ort aufgesucht zu haben.

Das Tor vor ihm öffnete sich quietschend einen Spaltbreit, und hinter einer Eisenkette konnte er im Schein einer Laterne ein breites, blasses Mönchsgesicht erkennen.

Da Heinrich sich vorgenommen hatte, seine Identität geheim zuhalten, sprach er weniger ausgewählt als üblich. „Gott sei Dank, guter Mann, ich dachte schon, ich müsste bei dem Wetter im Freien übernachten! Habt Ihr ein warmes Feuer und einen bescheidenen Lagerplatz für einen armen Sünder?“

Der Mönch musterte den Reisenden, nickte und entriegelte die Tür.

In der Abtei war es nicht so warm, wie Heinrich gehofft hatte. Der Wind blies durch die steinernen Mauern hindurch und wurde hier zu einem gespenstischen Pfeifen. Es war wichtig, seine Tarnung nicht auffliegen zu lassen und ruhig zu bleiben. Die Schritte seiner Lederstiefel hallten von den Klostermauern wider.

„Mein Name ist Heinrich“, sagte er, als er dem Mönch durch schier endlose Steinflure folgte. Sein Gastgeber erwiderte nichts.

„Gibt es die Möglichkeit, noch heute hier zu beichten?“

Der Mönch verharrte in seinen Bewegungen. Langsam drehte er sich zu Heinrich um. Das flackernde Kerzenlicht spiegelte sich in seinen Augen.

„Natürlich – wenn Ihr das wollt ...“

Etwas an seinem Ton mißfiel Heinrich. Dennoch nickte er. Ihm war kalt. Der Mönch vor ihm setzte sich wieder in Bewegung. Der König folgte ihm zögernd. Nach einer Zeit, die Heinrich wie die Ewigkeit vorkam, erreichten sie den Schlaftrakt. Heinrich bekam eine kleine, schlichte Zelle zugewiesen. Durch das nur mit Leinstoff bespannte Fenster drang leichter Sprühregen. Ein Kohlebecken oder einen Kamin konnte...