Die Weimarer Republik 1929-1933

von: Reiner Marcowitz, Uwe Puschner

wbg Academic in der Verlag Herder GmbH, 2018

ISBN: 9783534744008 , 187 Seiten

Format: ePUB

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Mehr zum Inhalt

Die Weimarer Republik 1929-1933


 

II. Der Bruch der Großen Koalition im März 1930: Abschied vom Parlamentarismus?


Überblick

Die Entstehung der Großen Koalition nach den Reichstagswahlen vom Mai 1928 offenbarte einmal mehr die strukturellen Schwächen von Parteiensystem und Parlamentarismus in der Weimarer Republik. Die Verhandlungen zogen sich nämlich über Wochen hin und die hieraus resultierende Regierung war eher ein „Kabinett der Persönlichkeiten“ als ein von den beteiligten Parteien – SPD, DDP, Zentrum, BVP und DVP solidarisch getragenes Bündnis. Gleichwohl gelang der neuen Regierung mit der Verabschiedung des Young-Plans noch einmal ein wichtiger außenpolitischer Erfolg. Diese neue Reparationsregelung bot Deutschland erhebliche Vorteile im Vergleich zum bisherigen Dawes-Plan. Indes gab seine lange Laufzeit – bis 1988 – der Agitation der radikalen Rechten gegen die Republik willkommenen Nährstoff. Zwar scheiterte der von ihr initiierte Volksentscheid, doch bedeutete dies am Ende nur einen Pyrrhussieg für die junge Demokratie, denn deren innenpolitisches Klima hatte sich durch die neuerliche rechte Hetze gegen die Republik weiter verschlechtert. Überdies zeigte die Polemik um den Young-Plan auch, dass die internationale Verständigungspolitik der letzten Jahre an ihr Ende zu kommen drohte. Schließlich brachen angesichts der Weltwirtschaftskrise auch die finanz- und wirtschaftspolitischen Gegensätze zwischen den Regierungspartien aus: Während die arbeitnehmerorientierte SPD die unter Druck geratene Arbeitslosenversicherung vor allem durch Beitrags- und Steuererhöhungen liquide halten wollte, plädierte die arbeitgeberfreundliche DVP für eine Verringerung der Zuwendungen für Arbeitslose. Hierüber kam es im März 1930 zum Bruch der Großen Koalition.

Zeittafel
20.5.1928 Wahlen zum Reichstag
28.6.1928 Bildung einer Großen Koalition unter Reichskanzler Hermann Müller
Okt.-Dez.1928 Ruhreisenstreit
11.2.-7.6.1929 Sachverständigenkonferenz zur Revision des Dawes-Plans in Paris unter Vorsitz des Amerikaners Owen D. Young
7.6.1929 Unterzeichnung des Young-Plans
9.7.1929 Bildung eines „Reichsausschusses für das deutsche Volksbegehren“ gegen den Young-Plan
6.-31.8.1929 Erste Konferenz in Den Haag über den Young-Plan
3.10.1929 Tod von Außenminister Gustav Stresemann
22.12.1929 Scheitern des Volksbegehrens gegen den Young-Plan
3.-20.1.1930 Zweite Konferenz in Den Haag über den Young-Plan
12.3.1930 Annahme des Young-Plans durch den Reichstag
27.3.1930 Rücktritt des Kabinetts Müller

1. Parteienkoalition oder „Kabinett der Persönlichkeiten“?


Entstehung und Scheitern der Großen Koalition sind als „ein republikanisches Lehrstück“ (Hagen Schulze) bezeichnet worden. Und in der Tat: Die Entwicklung dieser letzten demokratisch legitimierten und parlamentarisch getragenen Regierung der Weimarer Republik ist ein „Lehrstück“, allerdings kein zur Nachahmung empfohlenes. Denn alle Gebrechen des damaligen deutschen Parlamentarismus und seiner Akteure kulminierten noch einmal in dieser Regierungszeit. Deren beeindruckende Dauer von 637 Tagen, immerhin die längste, die einem Kabinett zwischen 1919 und 1932 beschieden war, täuscht nur vordergründig darüber hinweg, wie innerlich zerrissen, latent zerbrechlich und potentiell handlungsunfähig diese neue Große Koalition war.

Reichstagswahlergebnis

Zunächst schien 1928 alles für die erfolgreiche Neuauflage eines solchen Regierungsbündnisses zu sprechen: In den Reichstagswahlen vom 20. Mai 1928 legte die SPD im Vergleich zu 1924 um fast vier Prozent zu und errang mit knapp 30 % und über 150 Mandaten ihr zweitbestes Ergebnis seit den Wahlen zur Verfassunggebenden Nationalversammlung im Januar 1919. Dabei profitierte sie von der starken Mobilisierung ihrer Anhängerschaft, ein Umstand, der umso mehr zu Buche schlug, als bei dieser Reichstagswahl die niedrigste Wahlbeteiligung seit 1919 zu verzeichnen war. Den sozialdemokratischen Gewinnen standen deutliche Verluste der Parteien der vorherigen „Bürgerblock“-Regierung gegenüber, insbesondere bei der DNVP (6,3 %), etwas schwächer bei Zentrum (1,5 %), BVP (0,6 %) und DVP (1,4 %). Ebenfalls Stimmeneinbußen erlitt die bisher oppositionelle DDP (1,4 %). Gewinner war neben der SPD die KPD, die auf über 10 % der Stimmen kam, und etliche kleinere Interessengruppen, wie die Wirtschaftspartei, die Landvolk-Partei und die Bauernpartei, die der Weimarer Republik eher feindlich gegenüberstanden und nun 8 % der Stimmen erreichten. Dementsprechend verfügte weder die vorangegangene Mitte-Rechts-Koalition noch die alte Weimarer Koalition aus SPD, DDP und Zentrum über eine Mehrheit. Als Alternativen boten sich ein Minderheitskabinett, eine um die BVP erweiterte Weimarer Koalition oder aber eine Große Koalition von SPD, DDP, Zentrum, BVP und DVP an. Für letztere Kombination schien die deutliche Mehrheit von mehr als 60 % der Reichstagssitze zu sprechen.

Regierungsbildung

Dennoch stellten sich die Verhandlungen über die Regierungsbildung als äußerst schwierig heraus: Eigentlich wollten nur SPD und DDP eine solche Koalition. Die DVP hingegen war hierzu lediglich bereit, wenn auch das preußische Staatsministerium, wo seit 1925 als Sonderfall im Reich eine Weimarer Koalition regierte, entsprechend umgebildet wurde. Das Zentrum wiederum forderte mehr Ministerien, als ihm aufgrund seines Stimmenanteils zustanden. Hinzu kamen sachliche Differenzen in verschiedenen Einzelfragen. Schließlich versuchte der DVP-Vorsitzende Stresemann den gordischen Knoten zu zerschlagen, indem er dem SPD-Vorsitzenden Hermann Müller am 23. Juni 1928 in einem Telefonat sowie einem anschließenden Telegramm aus dem Sanatorium Bühlerhöhe im Schwarzwald statt einer klassischen Parteienkoalition zunächst die Bildung eines Kabinetts der Persönlichkeiten vorschlug: „Ich glaube nach wie vor, dass ein Zusammenwirken von Sozialdemokraten bis Volkspartei notwendig und möglich ist. Dieses Zusammenwirken wird am besten zum Erfolge führen, wenn Persönlichkeiten aus den Fraktionen der Großen Koalition sich über das Programm klar werden, mit dem sie vor den Reichstag treten, und ihrerseits mit diesem Programm stehen und fallen. Eine solche Kabinettsbildung entspricht auch dem Geiste der deutschen Reichsverfassung, die nur die persönliche Verantwortlichkeit der Reichsminister, aber nicht die Verantwortlichkeit von Fraktionen kennt.“

Stichwort

Gustav Stresemann

(1878–1929) war erstmals 1907 als Vertreter der Nationalliberalen Partei in den Reichstag gekommen. Während des Ersten Weltkriegs war er lange einer der vehementesten Vertreter eines annexionistischen „Siegfriedens“ gewesen. Deshalb lehnte ihn auch die neugegründete linksliberale DDP Ende 1918 ab. Daraufhin gründete Stresemann die nationalliberale DVP. Im Laufe der kommenden Jahre wandelte sich der Parteivorsitzende vom „Herzensmonarchisten“ zum „Vernunftrepublikaner“, der den Nutzendes neuen Staatswesens anerkannte und auch bereit war, sich für die Republik einzusetzen. Im Sommer 1923 wurde er Reichskanzler und Außenminister. Er hatte den Mut, den ebenso erfolglosen wie kostspieligen „passiven Widerstand“ gegen die französische Besetzung des Rheinlands zu beenden und eine zwar schmerzhafte, aber notwendige Währungsreform durchzuführen. Auch nach dem Verlust der Kanzlerschaft Ende 1923 blieb er bis zu seinem Tod sechs Jahre später Außenminister. In dieser Zeit, die als „Ära Stresemann“ bezeichnet worden ist, führte er Deutschland an die Westmächte heran, insbesondere auch an den bisherigen „Erbfeind“ Frankreich. Er versuchte erstmals, das deutsche Revisionsverlangen mit den Sicherheitsbedürfnissen der deutschen Nachbarn zu verknüpfen. Diesen außenpolitischen Neuansatz spiegelten die am 16. Oktober 1925 geschlossenen Verträge von Locarno, mit denen Deutschland seine Westgrenzen anerkannte und dafür einen ersten alliierten Teilabzug aus dem besetzten Rheinland erreichte. Für seine Bemühungen erhielt Stresemann 1926 zusammen mit seinem französischen Amtskollegen Aristide Briand (1862–1932) den Friedensnobelpreis. Auch in der deutschen Innenpolitik trat Stresemann für einen allmählichen Ausgleich der gegensätzlichen politischen Kräfte auf dem Boden der Verfassung ein.

„Schuss von Bühlerhöhe“

Der „Schuss von Bühlerhöhe“, wie die Presse Stresemanns Initiative nach Bekanntwerden nannte, brachte die festgefahrenen Koalitionsverhandlungen wieder in Gang und nach einigen weiteren Wirren endlich auch zum glücklichen...