Jerry Cotton Sonder-Edition 85 - Nach all diesen Morden ...

von: Jerry Cotton

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2018

ISBN: 9783732568123 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Jerry Cotton Sonder-Edition 85 - Nach all diesen Morden ...


 

1

Der Tod trug einen gestreiften Anzug.

Professor Shaw lächelte verbindlich, als er ihn empfing. Er versuchte damit die kühle Distanz zu überspielen, die jeder Fremde in ihm auslöste. Professor Shaw war ein Mann der Kunst und Wissenschaft. Er stand der turbulenten Welt, die außerhalb seines Arbeitszimmers einen unerbittlichen Existenzkampf führte, ziemlich hilflos gegenüber.

Die Männer setzten sich. Das knisternde Kaminfeuer und eine Stehlampe mit altmodischem Seidenschirm erhellten nur das Zentrum des Arbeitszimmers. In den Ecken und Winkeln hockte lastendes Dunkel.

»Äh … wie war Ihr Name, bitte?«, fragte Professor Shaw.

»Mein Name tut nichts zur Sache«, erwiderte der Mann im taillierten Zweireiher. Er hatte einen schmallippigen Mund mit stark gesenkten Winkeln, die sein Gesicht zu einem fixierten Ausdruck des Hohns verdammten.

Professor Shaws Lächeln zerfaserte, wurde kraftlos und matt. Er bereute es plötzlich, den Fremden überhaupt eingelassen zu haben. Aber der Mann hatte etwas von einer Expertise gesagt, und das hatte ihn bewogen, den Fremden nicht abzuweisen.

»Aber …«, begann Professor Shaw nervös.

Der Fremde winkte ab und befreite den Gegenstand, den er mitgebracht hatte, von einem Bogen Papier. Ein Ölbild kam zum Vorschein. Es war nicht größer als ein normales Buch und auf Holz gemalt. Der Professor beugte sich interessiert nach vorne. Seine Bedenken waren auf einmal wie weggeblasen. Das Bild zeigte den Kopf einer Bäuerin mit stark geröteten Wangen und schadhaften Zähnen. Professor Shaw sah auf den ersten Blick, dass es sich um ein hochkarätiges Kunstwerk handelte.

»Darf ich es sehen?«, fragte er.

Der Fremde überließ ihm das Bild.

Professor Shaw erhob sich und trat an die Stehlampe heran. »Niederländische Schule, gemalt im Stil von Frans Hals.«

»Es ist ein Frans Hals«, erklärte der Fremde kategorisch. »Und Sie werden es mir bestätigen.«

Die Fingerspitzen des Professors glitten über die dünne, glänzende Farbschicht, unendlich behutsam und beinahe zärtlich. Sie ertasteten jedes Detail der Darstellung und Strichführung.

»Ich muss Sie enttäuschen«, sagte er. »Die handwerklichen Qualitäten des Bildes sind über jeden Zweifel erhaben, aber es ist kein Frans Hals.«

»Sehen Sie sich die Signatur an«, erwiderte der Fremde. Er war nicht älter als vierzig und hatte eine scharfe, mürrisch klingende Stimme. In seinem hässlichen, grob geschnittenen Gesicht waren die Augen wie kleine graue Tümpel.

Professor Shaw widerstrebte es, dieses Gesicht anzusehen. Er war ein Ästhet, der Hässlichkeit nur dann billigte, wenn sie durch Herz und Charakter veredelt wurde.

»Gefälscht«, erklärte der Professor nach kurzer Prüfung. »Natürlich bedarf diese Feststellung auf jeden Fall noch der wissenschaftlichen Untermauerung, aber ich meine …«

Der Fremde fiel ihm abermals ins Wort. »Ich brauche die Expertise, Professor. Jetzt. Sofort!«

»Eine Expertise für eine offenkundige Fälschung?«, fragte Shaw verdutzt. »Das Bild ist auf Holz gemalt, und alles spricht dafür, dass keine synthetischen Farben verwendet wurden, aber trotzdem bin ich davon überzeugt, dass es erst vor vier oder sechs Wochen entstanden ist.«

»Das spielt doch keine Rolle«, zischte der Besucher. »Wenn Sie sagen, der Schinken sei echt, wird jeder Ihr Wort akzeptieren. Sie sind ein Mann, dessen Wort in der Welt der Kunstbesessenen Gewicht hat.«

Professor Shaws Züge vereisten. Er gab dem Fremden das Bild zurück. »Ich darf Sie bitten, meine Wohnung zu verlassen«, entgegnete er frostig. »Ich habe noch zu tun.«

»Sind Sie verheiratet, Professor?«, erkundigte sich der Mann im gestreiften Anzug. Seine Augen schienen sich plötzlich mit einer dünnen Eiskruste zu überziehen.

Shaw war seinem Wesen nach weder grob noch unhöflich. Jetzt jedoch merkte er, wie der in ihm aufsteigende Ärger nach einem Ventil suchte.

»Meine Frau ist vor zwei Jahren gestorben«, erwiderte er schroff. »Was geht Sie das an?«

»Kinder?«

»Einen Sohn.«

»Wie alt ist er?«, bohrte der Fremde weiter.

Auf Professor Shaws Stirn zeigte sich eine Unmutsfalte. »Ich verstehe Ihre Fragen nicht.«

»Sie werden gleich dahinterkommen«, meinte der Fremde. »Also los, wie alt ist Ihr Sohn?«

»Stan wird im nächsten Monat zwanzig.«

»Kostet er Sie viel?«

»Stans Ausbildung als Elektroingenieur ist nicht billig, aber weder er noch ich stellen große Ansprüche an das Leben. Wir kommen gut zurecht.«

»Was denn, hat der Junge keine Hobbys?«

»Er ist leidenschaftlicher Tonbandjäger. Das meiste, was er an technischen Einrichtungen für dieses Steckenpferd benötigt, bastelt er selbst.«

»Vielleicht hat er Wünsche, die er für sich behält, weil er weiß, dass Sie nicht gerade im Geld schwimmen?«

Professor Shaws Stirnfalte vertiefte sich. Er spürte genau, worauf der Fremde hinauswollte. Die Anwesenheit des Mannes im gestreiften Anzug bereitete ihm jetzt ein geradezu physisches Unbehagen.

»Jeder junge Mensch hat Wünsche«, gab er zurück. »Entscheidend ist, dass man sie im Griff behält.«

»Und wie steht es mit Ihnen? Sie sind ein Kunstfan. Hätten Sie nicht Lust, einmal nach Florenz zu reisen? Oder nach Rom und Paris?«

»Kommen Sie endlich zur Sache!«

»Ich zahle Ihnen für die Expertise fünftausend Bucks«, sagte der Mann im gestreiften Anzug. »Das ist vermutlich mehr, als Sie jemals auf der Bank hatten.«

»Bitte … gehen Sie jetzt!«

»Fünftausend für eine Expertise«, wiederholte der Mann. »Wenn Sie uns jährlich zehn ausfertigen, können Sie dabei reich werden. Sie können die Welt sehen und Ihrem Musterknaben von Sohn das Auto kaufen, von dem er vermutlich träumt. Mit einem Schlag können Sie all die Dinge tun, die Ihnen bisher unerreichbar waren.«

»Sie wissen nichts von mir«, meinte der Professor und schüttelte den Kopf. »Ich bin ein zufriedener, vielleicht sogar ein glücklicher Mensch. Es mag banal klingen, aber es trifft zu, dass ich mein Leben der Kunst gewidmet habe. Das verpflichtet.«

Der Fremde erhob sich, zog gleichzeitig ein Schnappmesser aus der Jackentasche und ließ die Klinge einrasten. Der metallische Laut ließ den Professor zusammenzucken.

»Auch ich habe mein Leben der Kunst gewidmet«, höhnte der Fremde. »Der Kunst des Tötens.«

Wie fasziniert starrte Shaw auf die blitzende, mehr als fingerlange Klinge. Das Kaminfeuer zauberte tanzende Lichtreflexe auf den kalten Stahl. Professor Shaw erinnerte sich flüchtig daran, dass er vor einiger Zeit ein Bild gesehen hatte, auf dem der Künstler dieses Wechselspiel von Licht und Schatten meisterhaft eingefangen hatte. Allerdings hatte es sich dabei um einen Degen und nicht um ein Schnappmesser gehandelt, aber der Effekt war der gleiche gewesen. Professor Shaw schob die Erinnerung beiseite. Jetzt zählte nur noch die Gegenwart. Er spürte, dass es um sein Leben ging.

Professor Shaw war kein Kämpfer. Er war ein sensibler, musischer Mensch, der Gewalt verachtete. Er hatte sie niemals kennengelernt und fühlte, wie hilflos ihn die Konfrontation mit ihr machte.

Sein Mund war trocken. Er war unfähig, seinen Blick von dem blitzenden Stahl zu nehmen.

»Sie werden mit uns zusammenarbeiten, nicht wahr, Professor?«, fragte der Fremde spöttisch.

»Nein«, erwiderte Professor Shaw.

Er hatte nicht vor, den Helden zu spielen, aber er war auch nicht bereit, sich dem Schrecken zu beugen.

»Fünfzigtausend im Jahr, vielleicht auch das Doppelte«, insistierte der Fremde. »Überlegen Sie es sich! Reich oder tot. Was gibt es da noch zu zögern?«

»Sie bluffen«, sagte der Professor schwer atmend. »Sie wollen mich einschüchtern. Ich muss Sie enttäuschen. Ich hasse Gewalt. Gerade weil das so ist, werde ich mich ihr niemals beugen. Ich bin kein Mann, der sich zu einem Betrüger degradieren lässt. Stecken Sie das Messer weg, und verlassen Sie sofort mein Haus!«

»Ich bin kein billiger Bluffer, Professorchen«, höhnte der Mann im gestreiften Anzug. Er sprach immer noch wie im Plauderton, aber hinter seinen Worten verbarg sich die eiskalte Entschlossenheit des professionellen Killers. »Ich führe das Messer nicht spazieren, um damit Blumen abzuschneiden.«

Der Professor schluckte. Er begriff, dass es sinnlos war, den Fremden herauszufordern. Aber wie konnte oder sollte er mit ihm fertigwerden? Er war allein im Haus.

Stan hatte gesagt, dass er nicht vor Mitternacht zurückkommen würde.

Shaw löste den Blick mit einiger Anstrengung von der blitzenden Klinge, aber die Betrachtung des brutalen Gesichts seines Besuchers verschaffte keineswegs Erleichterung. Er hielt es für das Klügste, erst einmal Zeit zu gewinnen.

»Was hätten Sie von der gewünschten Expertise?«, fragte er. »Früher oder später käme ein Kollege dahinter, dass ich ein gefälschtes Bild für echt erklärt habe. Ein neu aufgetauchter Frans Hals wäre eine Sensation auf dem Kunstmarkt.«

»Niemand wird es wagen, dem renommierten Professor Shaw zu widersprechen«, antwortete der Mann im gestreiften Anzug. »Und selbst wenn das passierte, brauchten wir uns nicht gleich in die Hosen zu machen. Dann stände eben eine Expertise gegen eine andere. Hauptsache, wir haben die Bucks im Kasten! Sicher ist, dass wir unseren nachgemachten Barock nur dann verkaufen können, wenn ein namhafter Experte die Echtheit bestätigt. Das ist ein Millionengeschäft, Professor. Sie...