Alexander Gerst - Biografie

von: Felix Westermühl

riva Verlag, 2018

ISBN: 9783745304176 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,99 EUR

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Alexander Gerst - Biografie


 

DIE HEIMAT DER
RAKETENMÄNNER


Der Geburtsort von Alexander Gerst ist auf den ersten Blick eine Kleinstadt wie unzählige andere. Künzelsau liegt auf halbem Weg zwischen Heidelberg und Nürnberg, hat kaum mehr als 15 000 Einwohner und nicht einmal einen Bahnanschluss. Trotzdem ist der Name des unscheinbaren Ortes mit überraschend vielen bekannten Personen verwoben. So zählt zu den Ehrenbürgern Künzelsaus etwa Reinhold Würth, der aus dem einstigen Schraubenhandel Würth seines Vaters die weltweit tätige Würth-Group mit heute mehr als 12 Milliarden Euro Jahresumsatz formte – und die ihren Firmensitz immer noch in besagtem Ort hat. Ein Sohn der Stadt ist außerdem Eberhard Gienger, der 1974 Weltmeister im Reckturnen wurde und zwei Jahre später eine Bronzemedaille bei den olympischen Spielen erturnte, bevor er in die Politik wechselte und im Jahr 2002 in den Bundestag einzog. Besonders bemerkenswert allerdings ist es, dass in Künzelsau nicht nur der Name Alexander Gerst eng mit der Raumfahrt verbunden ist. Vielmehr könnte der ohne die Vorarbeiten eines anderen Sohnes der Stadt womöglich gar nicht zur Internationalen Raumstation ISS in den Orbit reisen. Der Name dieses Mannes lautete Walter Häussermann. Der wurde im Jahr 1914 in Künzelsau als Sohn eines Eisenwarenhändlers geboren und sein Leben weist nicht wenige Parallelen zu dem heutigen Astronauten Gerst auf. Obwohl die Raketentechnik zu jener Zeit noch weit entfernt von ihrer heutigen Perfektion war, übte sie auf Häussermann schon früh große Faszination aus. Bereits als Kind experimentierte er spielerisch damit, versuchte sogar »kleine Wägelchen« damit anzutreiben, seine Raketen allerdings erwiesen sich selbst dafür als viel zu schwach.1 Also habe er sich in der Folge erst einmal darauf beschränkt, Bücher über Raketen zu lesen. Später dann studierte Häussermann an den Technischen Universitäten Stuttgart und Darmstadt Elektrotechnik. Am 1. Dezember 1939 schließlich promovierte er in Physik. Und nur einen Tag später war er den echten Raketen dann schon ganz nah. Denn ab dem 2. Dezember jenes Jahres arbeitete der damals 25-Jährige unter anderem für Siemens in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde im Raketenteam des Raumfahrtpioniers Wernher von Braun an der Entwicklung der sogenannten Vergeltungswaffe 2, kurz »V2« mit. Dabei handelt es sich einerseits um eine Kriegswaffe, die zahllose Menschen das Leben kostete. Vom rein technologischen Standpunkt aus gesehen handelte es sich allerdings um die weltweit erste funktionsfähige Großrakete mit Flüssigkeitstriebwerk. Und sie bildete die Basis jener Entwicklungen, die später in den USA so weit fortschritten, dass sie den Menschen erstmals auch zum Mond reisen ließen.

Häussermann allerdings hatte mit Kriegsgerät im Grunde gar nichts im Sinn. Er ahnte bereits sehr früh, dass der von den Deutschen angezettelte Zweite Weltkrieg nicht gut ausgehen würde. Vor allem der Russlandfeldzug ließ ihn ahnen, dass es ratsam sein könnte, sich möglichst bald gen Westen abzusetzen. So verließ er die auf der Ostseeinsel Usedom gelegene Versuchsanstalt wieder, um an der Technischen Hochschule in Darmstadt zu arbeiten, wo er zuvor ja bereits promoviert hatte.

Was dann geschah, ist bekannt: Nazideutschland verlor den Krieg, die Siegermächte – und vor allem die USA – rekrutierten die fähigsten deutschen Wissenschaftler, um die Forschungen an der Raketentechnik nun in ihrem Auftrag fortzusetzen. Wernher von Braun und etwa 100 weitere Techniker sowie Wissenschaftler arbeiteten ab Ende 1945 in Fort Bliss im US-Bundesstaat Texas an der Weiterentwicklung der V2. Walter Häussermann war zunächst nicht dabei – allerdings nur aus dem Grund, dass seine Ehefrau infolge von Unterernährung während der Kriegszeit erkrankt war. Im Januar 1948 allerdings kam auch er nach Amerika. Fortan war er vor allem für die Entwicklung und Verbesserung der Raketensteuerung zuständig. Häussermann machte in den kommenden Jahren entscheidende Erfindungen und er entwickelte das sogenannte Kreiselkompass-System für die Raketensteuerung. Später dann war er zudem an sämtlichen Mondflügen beteiligt und gehörte zu dem festen NASA-Team im Weltraumbahnhof Cape Canaveral. Nicht zuletzt entwickelte Häussermann die wiederverwendbare Raumstation Spacelab mit. Das Spacelab-Modul wurde erstmals 1983 bei einer Spaceshuttle-Mission mit ins All transportiert. Es folgten 22 weitere Einsätze bis zur Außerdienststellung im Jahr 1988.

All das schließt dann im Grunde wieder den Kreis zu dem am 3. Mai 1976 in Künzelsau geborenen Alexander Gerst, der als Kind gerade von den Spaceshuttle-Missionen begeistert war. In die Wiege gelegt wurde ihm dieses Interesse jedoch nicht. Denn der spätere Astronaut, der sich in fremde Welten aufmachen sollte, entstammt einer äußerst bodenständigen Familie. Deren Geschichte in Künzelsau beginnt im Jahr 1927.

Damals nämlich wanderte Urgroßvater Ernst Gerst aus der knapp 200 Kilometer südwestlich gelegenen Klosterstadt Alpirsbach nach Künzelsau aus. Ernst Gerst entstammte einer Familie, »die in Alpirsbach die traditionsreiche Metzgerei Gerst betrieb«, wie die Tageszeitung Schwarzwälder Bote im Jahr 2014 zu berichten wusste,2 übernahm in Künzelsau allerdings eine Schlosserei.

Diesem Schlosserhandwerk blieb die Familie über Generationen und Jahrzehnte treu. So leitet Astronautenvater Hans-Dieter Gerst die Firma Gerst Metallbau GmbH in der dritten Generation. Rund 50 Jahre lang hatte das kleine Unternehmen seinen Sitz in Künzelsau, im Jahr 1976 wurde die Produktionsstätte dann in einem nahegelegenen Gewerbegebiet in Niedernhall erweitert. Die Schlosserei wuchs mit den Jahren kontinuierlich, wie es auf der Homepage von Gerst Metallbau heißt.

Doch schon früh kristallisierte sich heraus, dass die Interessen des jungen Alexander wohl nicht zur Fortführung der Familientraditionen taugen würden – weder der der Metzgerei noch der des Schlosserhandwerks. Doch spätestens in den frühen 1980er-Jahren hatte sich das Zentrum der Interessen bereits deutlich verlagert – nämlich in Richtung Mond. So berichtet Alexander Gerst davon, als Kind im Fernsehen besonders gern die Zeichentrickserie »Captain Future« geschaut zu haben.3

Die Handlung der Geschichte war unglaublich, so wie es im Superhelden-Genre eben üblich ist. Captain Futures Eltern waren die Wissenschaftler Elaine und Roger Newton. Und diese mussten vor dem kriminellen Victor zum Mond fliehen. Dort wiederum wollten sie in einer versteckten Basis künstliche Wesen als Helfer der Menschheit erschaffen.4 Dies gelang ihnen mit einem Roboter namens Grag und mit dem Androiden Otto.

Und dann kam wenig später Curtis Newton zur Welt beziehungsweise auf den Mond – der Sohn der geflohenen Wissenschaftler. Nach der Ermordung seiner Eltern wächst der junge Curtis Newton auf dem Mond auf und wird unter anderem von Grag und Otto ausgebildet. Kaum volljährig geworden, beschließt er, sein Leben der Verbrechensbekämpfung zu widmen, und nimmt den Namen »Captain Future« an. Das also sind die Grundzüge der Geschichte des Captain Future, die zunächst in Form einer Romanreihe erzählt wird, die erstmals zwischen 1940 und 1944 erschien.

Im Jahr 1978 schließlich startete in Japan die Zeichentrickserie. Dort werden solche Serien nach dem englischen Begriff animation animēshon oder kurz Anime genannt. Die Serie war schnell weltweit erfolgreich, die Zuschauer waren meist sehr jung, wie etwa der damals gerade fünfjährige Alexander Gerst. Diesen Kindern fiel auch kaum auf, dass die Episoden gekürzt und die Reihenfolge der Ausstrahlung geändert worden war. Und sie bekamen sicher ebenfalls nicht mit, dass sich durch mehrfache Übersetzungen der Namen Fehler eingeschlichen hatten, da diese zunächst aus den englischsprachigen Büchern für die Produktion des Animes ins Japanische übersetzt wurden und für die ZDF-Fassung anschließend ins Deutsche.

Aus heutiger Sicht hört sich all das kaum spektakulär an. Tatsächlich aber stellte »Captain Future« für die deutsche Fernsehlandschaft fast schon eine Revolution dar, und Revolutionen werden selten einhellig begrüßt. Als Anime-Serie war »Captain Future« nämlich die erste ihrer Art in Deutschland, die sich vor allem an Kinder jenseits des Grundschulalters richtete. Der damalige Leiter des ZDF-Kinder- und Jugendprogramms nämlich war überzeugt davon, dass gerade Science-Fiction-Erzählungen bei Kindern und Jugendlichen begeistert aufgenommen würden. Vor diesem Hintergrund wurde »Captain Future« nach dem damaligen Verständnis des Jugendschutzes noch einmal für das Fernsehen bearbeitet. Erfolgreich aber war sie nicht nur in Zusammenhang mit den Zuschauerzahlen, vor allem der bis dahin eher nachrangig betriebene Verkauf von Merchandise-Artikeln machte...