Im Bann des verführerischen Herzogs

von: Rebecca Winters

CORA Verlag, 2018

ISBN: 9783733710354 , 144 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,49 EUR

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Im Bann des verführerischen Herzogs


 

1. KAPITEL

Fünf Monate später

Mit ihrem Laptop im Koffer verließ Abby das möblierte Zimmer im schweizerischen Cologny, wo sie die letzten zwei Wochen gewohnt hatte. Sie nahm ein Taxi zum Bahnhof in Genf.

Nachdem sie ihr großes Forschungsprojekt abgeschlossen hatte, begannen heute ihre Ferien. Und da sie sich nicht länger formell in Hosenanzug oder Kleid zeigen musste, hatte sie ihre Lieblingsjeans und ein kurzärmliges, schwarzweißes Oberteil angezogen. Den ganzen Juni hatte sie nun frei, bevor sie wieder nach San José zurückkehren würde.

Abby konnte es gar nicht erwarten, ihre Freundinnen wiederzusehen. Sie hatten zwar miteinander telefoniert, geskypt und sich E-Mails geschrieben, aber es war viel schöner, gemeinsam etwas zu unternehmen.

Abby war auf die Romanciers des frühen neunzehnten Jahrhunderts spezialisiert und hatte auch darüber promoviert. Zu diesem Zeitpunkt lernte sie Nigel kennen – was sich im Nachhinein als Katastrophe herausgestellt hatte.

Aber sie war nicht die Einzige mit schlechten Erfahrungen. Zoe hatte gerade eine erbitterte Scheidung hinter sich, weil ihr Mann untreu gewesen war. Sie beteuerte, nie wieder etwas mit einem Mann zu tun haben zu wollen. Abby verstand sehr gut, wie Zoe sich fühlte.

Einem Mann zu vertrauen und ihn zu lieben, nur um dann zu erfahren, dass er diese Liebe nicht erwiderte und auch nicht an die Unantastbarkeit der Ehe glaubte, war niederschmetternd gewesen. Wie sollte sie je wieder einem Mann vertrauen?

Ginger litt unter einem ganz anderen Verlust. Sie hatte ihren Mann vor einiger Zeit an den Krebs verloren. Innerhalb kürzester Zeit hatten die drei zu einer ganz besonderen Freundschaft gefunden.

Da Abby besonders guter Laune war, gab sie dem Taxifahrer ein üppiges Trinkgeld und betrat dann mit ihrem Koffer den Bahnhof. Weil sie noch fünfzehn Minuten Zeit hatte, bis der Zug kam, ging sie zu ihrem Lieblingskiosk. Hier hatte sie sich jedes Mal etwas zu essen gekauft, wenn sie mit dem Zug irgendwohin gefahren war.

Nachdem sie sechs kleine Quiches erstanden hatte, zwei für sich selbst und je zwei für ihre Freundinnen, kaufte sie sich ein Zweiter-Klasse-Ticket und stieg in den vollen Zug.

Sie fand ein Abteil und setzte sich gegenüber von einem Priester und zwei Teenagern hin, die Deutsch sprachen. Abby beschloss, mit dem Essen zu warten, bis sie die beiden anderen in etwa anderthalb Stunden in Saint-Saphorin treffen würde.

Glücklich, für eine Weile frei von jeder Verantwortung zu sein, lehnte sie sich wohlig zurück. In sanftem Rhythmus fuhr der Zug von einer malerischen Stadt zur nächsten.

Der saphirblaue Genfer See mit den schneebedeckten französischen Alpen in der Ferne faszinierte sie. Es dauerte nicht lange, dann musste sie umsteigen. Wenig später traf sie in Saint-Saphorin ein, das zwischen dem See und den terrassenförmig angelegten Weinbergen lag.

Endlich würde sie ihre Freundinnen sehen. Abby freute sich auf die beiden und auf ihre Ferien.

Am Tag zuvor war Zoe von Athen nach Venedig geflogen, um sich dort mit Ginger zu treffen, die in Italien geforscht hatte. Die zwei hatten den Nachtzug in die Schweiz genommen. Sie wollten in Montreux aussteigen, sich einen Leihwagen nehmen und die wenigen Kilometer nach Saint-Saphorin fahren.

Abby ging auf den Vorplatz des Bahnhofs, doch von ihren Freundinnen war noch nichts zu sehen. Sie setzte sich und schaute zum Jura-Gebirge in der Ferne, während sie wartete. Nach zwanzig Minuten rief sie Ginger an, konnte ihr jedoch nur eine Nachricht hinterlassen. Danach versuchte sie es bei Zoe, die den Anruf entgegennahm.

„Abby? Bist du in Saint-Saphorin?“

„Ja. Wo seid ihr?“

„Der Mietwagen, den man uns versprochen hat, steht noch nicht zur Verfügung. Zu viele Touristen haben schon vorbestellt. Ginger regelt das gerade. Da es eine Weile dauern kann, habe ich bei dem Château angerufen, in dem wir wohnen werden. Jemand kommt dich abholen. Ich habe eine Beschreibung von dir durchgegeben. Bleib einfach, wo du bist. Wir können es gar nicht erwarten, dich zu sehen.“

„So geht es mir auch“, sagte Abby, bevor sie auflegte.

Jemand würde sie abholen, aber es konnte eine Weile dauern. Also aß sie eine Quiche und genoss jeden Bissen. Sie und ihre Freundinnen konnten sich glücklich schätzen, dass ihre Vorgesetzten ihnen gegenüber so großzügig waren. Magda Collier, eine der bekanntesten Filmregisseurinnen Hollywoods, hatte die drei engagiert, um Nachforschungen für einen Film zu betreiben, den ein reicher Freund von Magda produzieren würde.

Nach Neujahr hatte Magda Abby, Zoe und Ginger nach Los Angeles eingeladen, wo sie eine Woche mit den Drehbuchschreibern verbrachten. Sie wollte einen Dokumentarfilm machen, der die positiven Aspekte des bewegten Lebens von Lord Byron hervorhob, dem bekannten britischen Dichter und wesentlichen Vertreter der englischen Romantik.

Die drei Frauen waren begeistert gewesen von dem Projekt.

Magda hatte jeder von ihnen ein anderes Gebiet in Europa für die Recherche zugeteilt. Abby war in die Schweiz geschickt worden. Nachdem sie „tolle Arbeit“ abgeliefert hatten, wie Magda sagte, hatte sie die drei mit einer Belohnung beschenkt. Die sich als Ferien in einem Château mit Weingut entpuppt hatte. Das Anwesen hieß Clos de la Floraison und lag am Ufer des Genfer Sees. Sie hätte den dreien keine größere Freude machen können.

Magda erklärte, dass sie eine dauerhafte Abmachung mit dem alten Besitzer des Weinguts getroffen habe. Von Zeit zu Zeit nutzten sie oder ihre Gäste das Château. Also konnten sie dort wohnen und sich alles in der Gegend ansehen, was sie wollten.

Da sie noch einen Monat Zeit hatten, bevor sie in die USA zurückkehren würden, hoffte Abby außerdem, vielleicht ein Gedicht von Byron aufspüren zu können, das er angeblich geschrieben haben und das Labyrinths heißen sollte. Ein Werk, das nie jemand zu Gesicht bekommen hatte, weshalb Experten es als reine Erfindung abtaten. Abby wollte unbedingt herausfinden, ob es existierte.

Kürzlich war in einer Bibliothek in New York eine Denkschrift von Claire Clairmont gefunden worden, die mit Byron durch die Schweiz gereist war. Diese Schrift hatte ein neues Licht auf Lord Byron und Shelley geworfen. Abby würde alles für einen ähnlich sensationellen Fund geben. Doch bisher hatte sie mit all ihren Recherchen keinen Erfolg gehabt.

Während Abby unter dem sonnigen Himmel saß und überlegte, wo sie und ihre Freundinnen noch nach dem Gedicht suchen könnten, solange sie hier waren, bemerkte sie einen alten schwarzen Renault, der vorfuhr und dann stehen blieb.

Ein großer, schlanker Mann stieg aus, den sie auf Anfang dreißig schätzte. Mit seinen langen, gewellten schwarzen Haaren stellte er für sie das Ebenbild des vollkommenen Mannes dar. Sie hatte nicht gewusst, dass so ein Mensch überhaupt existierte.

Sein Ausdruck glich dem des französischen Schauspielers Charles Boyer, der die Titelrolle in dem bekannten Filmklassiker Der Garten Allahs gespielt hatte.

Abby hatte den Film als Teenager zum ersten Mal gesehen und sich sofort in den Schauspieler verliebt. Er spielte einen Mönch, der aus einem Kloster in Nordafrika geflohen war und sich in eine Engländerin verliebt hatte. Sie gingen zusammen in die Wüste, doch er trug ein schreckliches Geheimnis mit sich.

Manchmal war seine Traurigkeit, gepaart mit seiner männlichen Schönheit, fast zu schmerzlich, um es ertragen zu können. Doch Abby hatte sich den Film immer wieder angesehen. Boyers Spiel schien so real, dass er sie jedes Mal gefangen nahm, und sie hatte geglaubt, dass kein Franzose so fesselnd sein könnte wie er.

Bis jetzt.

Abby schaffte es nicht, den Blick von dem Fremden abzuwenden. So etwas war ihr noch nie passiert. Weder bei Nigel noch bei dem Mann, in den sie früher verliebt gewesen war. Eine grüblerische Aura umgab ihn, die sie ansprach, obwohl sie darum kämpfte, sich nicht von ihm angezogen zu fühlen.

Wer war er? Wo kam so ein Mann her?

Der Fremde wirkte, als ob er eine schwere Last trüge. Die Linien um seine Augen und seinen Mund erzählten von Schmerz. Seine Arbeitskleidung, ein weißes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln und eine dunkle Hose, legte nahe, dass er alles liegen und stehen gelassen hatte, um ins Auto zu steigen und hierher zu fahren.

Ist er derjenige, der mich abholen soll?

Seine Züge wirkten wie gemeißelt, und seine bronzefarbene Haut ließ die Vermutung zu, dass er in der Sonne arbeitete. Sein Blick aus mitternachtsschwarzen Augen begegnete ihrem, und Abby begann völlig ohne Grund zu zittern.

Obwohl er sie dabei erwischt hatte, wie sie ihn anstarrte, wandte sie den Blick nicht ab. Ihr Puls raste, während er zu ihr trat.

„Mademoiselle Grant?“

Seine verführerische Stimme traf sie bis ins Mark. „Ja. Und Sie müssen vom La Floraison sein.“

Er nickte. „Mir wurde gesagt, ich solle nach einer Frau mit goldenen Haaren Ausschau halten.“ Er sprach ausgezeichnet Englisch, mit schwerem Akzent.

„Sie haben mir etwas voraus. Mir wurde nicht einmal gesagt, wie Sie heißen.“

„Raoul Decorvet.“

„Ich dachte, Magdas Freund wäre viel älter.“

„Das stimmte auch. Leider ist Auguste vor einem Monat mit achtzig Jahren gestorben.“

„Oh nein!“, rief sie. „Das wussten wir nicht. Magda hat uns nichts davon gesagt.“

„Sie sollten es auch nicht wissen.“

Abby schüttelte den Kopf. „Das verstehe ich...