Briefe aus dem Gefängnis

von: Nelson Mandela, Sahm Venter

Verlag C.H.Beck, 2018

ISBN: 9783406720543 , 761 Seiten

Format: ePUB, PDF, Online Lesen

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Mehr zum Inhalt

Briefe aus dem Gefängnis


 

Einführung


Die Briefe der politischen Gefangenen in Südafrika wurden von kleinlichen Wärtern willkürlich anhand einer Reihe drakonischer Verordnungen mit dem Ziel überwacht, den bedeutsamsten Aspekt ihres Innenlebens zu kontrollieren – den Kontakt mit den ihnen nahestehenden Personen und den Zugang zu Nachrichten von der Außenwelt.[1]

Nach ihrer Verurteilung wurden politische Gefangene meist in das Gefängnis überstellt, in dem sie voraussichtlich ihre Strafe zu verbüßen hatten. Nelson Mandela hingegen kam, nachdem er am 7. November 1962 wegen unerlaubter Ausreise und Anstiftung zum Streik zu fünf Jahren Haft verurteilt worden war, zunächst in das Zentralgefängnis von Pretoria. 1963 wurde er erneut vor Gericht gestellt und wegen Sabotage angeklagt und schließlich am 12. Juni 1964 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Seine Frau Winnie Mandela besuchte ihn an diesem Tag in Pretoria, und wenige Stunden danach wurde er zusammen mit sechs von sieben seiner Kameraden ohne Vorwarnung in einer Militärmaschine von Pretoria in das berüchtigte Gefängnis auf Robben Island verbracht. An einem bitterkalten Wintermorgen kamen sie am 13. Juni 1964 an. Anders als Insassen, die «gewöhnliche» Verbrechen wie Vergewaltigung, Raub oder Überfälle begangen hatten und bei ihrem Haftantritt in eine Gruppe C oder manchmal auch B eingestuft wurden, ordnete man politische Gefangene der Gruppe D zu, der niedrigsten Stufe mit den wenigsten Rechten. Sie durften nur alle sechs Monate einen Besuch empfangen und einen 500 Wörter langen Brief schreiben beziehungsweise bekommen. Ein- und Ausgang der Briefe waren so unberechenbar, dass sich Mandela sechs Jahre nach seiner Inhaftierung auf Robben Island mit seinen Anwälten ins Benehmen setzte und Beispiele «unsinnigen und bösartigen Umgangs der Behörden» auflistete. Er beklagte, dass die Beeinträchtigungen seines Briefverkehrs «auf die bewusste Absicht der Behörden verweisen, mich von allen Kontakten nach außen abzuschneiden und zu isolieren, um mich zu entmutigen und zu demoralisieren, mich in die Verzweiflung zu treiben, mir jegliche Hoffnung zu nehmen und am Ende meine Moral zu brechen».[2]

Später, als die Zensoren es leid waren, die Wörter zu zählen, erlaubten sie anderthalbseitige Briefe.[3] Schreiben an Anwälte und die Gefängnisverwaltung waren von dieser Regelung ausgenommen. Samstag und Sonntag waren für Besuche bestimmt, Briefe wurden samstags ausgehändigt. Die Gefangenen konnten im Tausch gegen zwei eingehende Briefe auf einen Besuch verzichten, Besuche wie auch Briefwechsel hatten anfangs ausschließlich mit «Verwandten ersten Grades» zu erfolgen. Den Gefangenen war es verboten, in ihren Briefen Mitgefangene zu erwähnen sowie über die Haftbedingungen und andere Dinge zu schreiben, die von der Gefängnisleitung als «politisch» ausgelegt werden konnten.[4] Alle ein- und ausgehenden Briefe gingen über das Zensurbüro auf Robben Island.[5] Jahrzehnte später erinnerte sich Mandela:

«Sie wollten nicht, dass man irgendetwas anderes als Familienangelegenheiten besprach, besonders wenn sie der Ansicht waren, es sei etwas Politisches. Und deshalb musste man sich auf rein familiäre Themen beschränken. Dazu kam noch ihre Ignoranz in sprachlicher Hinsicht. Schrieb man ein Wort wie ‹Kampf›, ganz gleich in welchem Zusammenhang, hieß es: ‹Weg damit›, denn sie verstanden die Sprache schlecht. Und Kampf ist Kampf, das konnte nichts anderes bedeuten. Schrieb man ‹Kampf der Ideen›, dann war das etwas, was man nicht sagen durfte.»[6]

In seinem Buch über die fünfzehn Jahre, die er als Häftling im selben Trakt wie Mandela auf Robben Island verbracht hatte, schildert Eddie Daniels die «Frustration» über die willkürliche, inkompetente und «schikanöse» Zensur und das Zurückhalten von Briefen.[7]

Ab 1967 besserte sich die Lage langsam, wohl aufgrund der Intervention von Helen Suzman, einem Mitglied der parlamentarischen Opposition, und des Internationalen Rot-Kreuz-Komitees sowie der Bemühungen der Häftlinge selbst. Nun waren Besuche und Briefe alle drei Monate erlaubt.[8]

Eigentlich sollte ein Gefangener zwei Jahre in einer Kategorie bleiben, das heißt, ein Häftling der Gruppe D sollte nach sechs Jahren in Gruppe A gelangen, die Gruppe mit den meisten Rechten. Mandela blieb jedoch zehn Jahre in Gruppe D. Seinen Briefen, in denen er manchmal seinen Gefangenengrad erwähnt (auch die Häftlinge benutzten diese Einteilung in eine «Gruppe»), entnehmen wir, dass er 1972 der Gruppe B und schließlich 1973 der Gruppe A zugewiesen wurde. Von da an durfte er monatlich sechs Briefe schreiben.[9]

Bevor ein Gefangener höhergestuft wurde, musste seine Führung vom Prison Board bewertet werden, der mit Gefangenen diskutierte, was laut Mandela den Zweck hatte, die politischen Gefangenen zu «provozieren».[10]

Trotz der rigorosen Zensur durch die Gefängnisbürokratie wurde der Gefangene Nelson Mandela zu einem produktiven Briefeschreiber. Von den allermeisten Briefen fertigte er eine Abschrift an und verwahrte sie in einer Kladde mit festem Einband, damit er sie leichter noch einmal schreiben konnte, wenn die Zensoren die Absendung verweigerten, solange er bestimmte Abschnitte nicht entfernte, oder Briefe auf dem Postweg verloren gingen. Auch wollte er festhalten, was er wem geschrieben hatte. Während seiner Gefangenschaft vom 5. August 1962 bis zum 11. Februar 1990 schrieb er Hunderte von Briefen. Doch nicht alle erreichten ihren Adressaten unbeschädigt. Manche wurden von den Zensoren so stark verstümmelt, dass sie nicht mehr zu verstehen waren, andere wurden grundlos eine Zeit lang zurückgehalten, manche erst gar nicht abgeschickt. Einige konnte er mit den Habseligkeiten freigelassener Häftlinge hinausschmuggeln.

Nur selten wurde den Gefangenen mitgeteilt, ob ein Brief nicht abgeschickt wurde, und meistens erfuhren sie es, wenn sich ein Adressat beschwerte, keinen Brief erhalten zu haben. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob alle seine Briefe an Adelaide Tambo, die er mit ihren verschiedenen Namen anschrieb, sie je in London erreichten, wo sie mit ihrem Mann im Exil lebte. Oliver Tambo war Präsident des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und Mandelas früherer Partner in ihrer gemeinsamen Anwaltskanzlei. Vermutlich waren diese Briefe an beide gerichtet. Vom Mithäftling Michael Dingake wissen wir, dass Mandela «das Recht verlangte, sich mit O. R. Tambo brieflich über den Freiheitskampf auszutauschen».[11]

Als Mandela ins Gefängnis kam, war er Vater von fünf Kindern – die beiden Jüngsten durfte er erst sehen, nachdem sie sechzehn Jahre alt geworden waren. Briefe wurden daher ein wesentliches Mittel zur Ausübung seiner Vaterschaft.

Im zwölften Jahr seiner Haft schrieb Mandela einen offiziellen Beschwerdebrief an die Gefängnisverwaltung:

«Manchmal wünschte ich mir, die Wissenschaft könnte Wunder vollbringen und bewirken, dass meine Tochter ihre Geburtstagskarten tatsächlich bekommt und sich freut, zu wissen, dass ihr Papa sie liebt, an sie denkt und sich bemüht, mit ihr Kontakt aufzunehmen, wann immer dies nötig ist. Es ist bezeichnend, dass wiederholte Versuche von ihr, mit mir in Verbindung zu treten, gescheitert und die Fotos, die sie mir geschickt hat, spurlos verschwunden sind.»

Die bewegendsten Briefe sind die Special letters, die «Sonderbriefe», die er zusätzlich zu der erlaubten Quote nach dem Tod seiner geliebten Mutter Nosekeni im Jahr 1968 und dem seines erstgeborenen Sohnes Thembi ein Jahr danach schrieb. Da er an ihrer Bestattung nicht teilnehmen durfte, konnte er seine Kinder und andere Familienmitglieder nur über diese qualvolle Zeit hinweg trösten und sich bei älteren Familienangehörigen dafür bedanken, dass sie ihn vertreten und sichergestellt hatten, dass seine Mutter und sein Sohn eine angemessene Beerdigungsfeier erhielten.

Mandela, der vor seiner Verhaftung Anwalt gewesen war, pflegte auf dem Weg schriftlicher Eingaben auf die zuständigen Behörden Druck auszuüben, damit diese die Menschenrechte einhielten, und mindestens zweimal schrieb er an die Behörden und verlangte seine Freilassung und die seiner Mithäftlinge.

Dingake beschrieb Mandelas Rolle in den frühen sechziger Jahren im Gefängnis angesichts «grauenhafter» Bedingungen als die eines «Rammbocks».[12] Er konnte nicht nur wegen seines Status nicht ignoriert werden, sondern weil er sich ...