Ein weiter Weg ins Glück

von: Elissa Ambrose

CORA Verlag, 2018

ISBN: 9783733759063 , 130 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,49 EUR

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Ein weiter Weg ins Glück


 

1. KAPITEL

Sie hatte gewusst, er würde auftauchen.

Sei ehrlich, sagte sie zu sich selbst. Sie hatte gehofft, er würde auftauchen. Fünf Jahre lang hatte sie sich eingeredet, dass sie ihn vergessen hatte, und doch hatte sie sich die ganze Zeit gewünscht, ihn noch einmal zu sehen. Einfach, um einen Schlussstrich ziehen zu können. Den Schlussstrich wollte sie, nicht den Mann. Und war ein Begräbnis nicht der ideale Ort dafür?

Jetzt war er da. Er stand direkt vor ihr und streckte ihr die Hand entgegen, und ihr fiel nichts, absolut gar nichts ein, was sie sagen sollte. Nimm seine Hand, Dummkopf, befahl ihr die innere Stimme. Sei nicht nervös. Lächle. So ist es richtig, das machst du gut!

Sie hob den Kopf und schaute ihm in die Augen. Sie waren genauso dunkel, wie Laura sie in Erinnerung hatte. Augen, in denen eine Frau sich leicht verlieren konnte. Aber die verräterischen Linien um die Augenwinkel waren neu, ebenso die kleine Narbe über seiner rechten Braue. Ein Unfall auf einer Baustelle? Ein umgestürzter Kran? Eine kleinere Explosion? Aber das hätte Cassie ihr erzählt. Laura hatte ihrer alten Freundin zwar das Versprechen abgenommen, nie wieder in ihrer Gegenwart seinen Namen zu erwähnen, aber wenn es um Jake ging, hatte Cassie noch nie richtig zugehört.

„Es ist schön, dich wieder zu sehen, Squirt“, sagte er und hielt Lauras Hand. „Du siehst gut aus. Du auch, Cass.“ Er nickte der schlanken, dunkelhaarigen Frau zu, die neben Laura in der Kirchenbank saß.

Laura ging es tatsächlich gut. Eine Operation und die Chemotherapie hatten dafür gesorgt. Nach ihrer Genesung hatte sie beschlossen, ein gesundes Leben zu führen, wozu sie auch regelmäßig ins Fitnesscenter ging. Jetzt, fünf Jahre später, war sie in besserer Form als je zuvor. Sie gehörte nicht zu denjenigen, die sich gern selbst lobten, aber heute wusste Laura Matheson, dass sie besser als nur gut aussah. Es war ihr gelungen, die überschüssigen Pfunde, die sie während ihrer Krankheit verloren hatte, nicht wieder zuzunehmen, und nachdem ihr Haar nachgewachsen war, hatte sie ihr natürliches Dunkelblond mit goldenen Strähnchen aufgehellt.

Jake hingegen sah aus wie immer. Laura erinnerte sich an den schlaksigen Jungen, den sie in der Highschool vergöttert hatte, den anmaßenden Teenager mit dem dunklen, nicht zu bändigendem Haar, das ihm ständig in die Stirn fiel. Auch hatte er immer noch das kleine Grübchen auf der linken Wange, das auch der finstere Gesichtsausdruck nicht vertreiben konnte.

Doch auch wenn er nicht mehr der unbekümmerte Junge aus ihrer Jugend war, so sah Jake Logan immer noch gut aus. Verdammt gut sogar, besonders in dem dunklen Anzug. Laura unterdrückte ein Lächeln, als sie sich vorstellte, wie er leise fluchend versuchte, seine Krawatte zu binden. Er war immer der unabhängige Jeans-Typ gewesen, durch die Jahre auf dem Bau jetzt auch stark und muskulös geworden. Mit seinen 1 Meter 87 war er fast 30 cm größer als Laura. Sie fühlte ein vertrautes Kribbeln im Bauch, als er sie mit ihrem alten Spitznamen Squirt ansprach.

„Du siehst auch gut aus“, entgegnete sie und versuchte, nicht darauf zu achten, wie die Berührung seiner Hand sie elektrisierte. Schnell entzog sie ihm die Hand wieder. Warum fiel ihr bloß keine intelligente Antwort ein? Irgendetwas Witziges würde Cynthia sagen. Würde sie gesagt haben, korrigierte Laura sich.

Gewissensbisse schnürten ihr den Hals zu. Würde sie jemals in der Lage sein, an Jake zu denken ohne auch gleichzeitig an Cynthia? Dabei war es Jake gewesen, der nie aufgehört hatte, an Cynthia zu denken, Lauras beste Freundin aus Kindertagen und Jahre später Jakes erste Frau.

„Es tut mir leid wegen deiner Tante. Ich weiß, wie schwer das für dich sein muss. Wie kommst du klar?“

Bevor Laura antworten konnte, trat der Geistliche ans Pult, und die Trauerfeier fing an. Jake drehte sich abrupt um und ging weg.

„Jake, warte!“, rief sie leise hinter ihm her, erstaunt über ihre Direktheit. „Kommst du später noch vorbei? Nach dem Gottesdienst werden noch einige Leute zu mir nach Hause kommen, und ich würde mich freuen, wenn du auch kämst. Bring auch Cory mit. Wie geht es ihm? Ich würde ihn gern sehen.“

Er wirbelte herum. „Wie zum Teufel glaubst du geht es einem zehnjährigen Jungen, den du verlassen hast, als er fünf war? Wir waren dir keinen Pfifferling wert. Also sitz hier nicht rum, und tu so, als ob mein Sohn dir etwas bedeutete.“

Sie fühlte, wie sie kreidebleich wurde. „Wovon redest du? Dass ich gegangen bin, hatte doch nichts mit ihm zu tun. Ich dachte nie …“

„Das ist es ja, du hast einfach nicht nachgedacht. Eigentlich merkwürdig für jemanden, der sonst immer alles überanalysiert.“ Jake holte tief Luft. „Aber ich will dir hier keine Szene machen. Nein, Cory und ich werden später nicht kommen. Er erinnert sich nicht an dich, und ich will keine alten Wunden aufreißen.“ Er nickte ihr zum Abschied kurz zu. „Pass auf dich auf, Laura.“

Sie sah ihrem Exmann nach, aufgewühlt von widersprüchlichen Gefühlen. Was hatte sie eigentlich erwartet? Dass Jake sich geändert hatte und von vorn beginnen wollte? Sie hatte sich ein Leben ohne ihn aufgebaut. Sie hatte einen Verlobten, der sie anbetete, und sie war glücklich. Sie war nach Connecticut zurückgekommen, um ihrer Tante die letzte Ehre zu erweisen, das war alles.

Aber das war eben doch nicht alles. Sie hatte noch nicht entschieden, was aus dem Haus werden sollte. Das weitläufige, zweigeschossige Landhaus gehörte nun ihr. Dem Gesetz nach gehörte es ihr bereits seit dem Tod ihrer Eltern, aber als sie es verlassen hatte, um Jake zu heiraten, war es klar gewesen, dass ihre Tante weiter dort wohnen würde. Jetzt wollte sie es verkaufen und ihr neues Leben weiterleben, doch ein Teil von ihr zögerte irgendwie und wollte es behalten. Obwohl sie sich an die Jahre vor dem Tod ihrer Eltern kaum erinnern konnte, hatte sie die Vorstellung, dass sie hier sehr glücklich gewesen war, bevor ihre Tante einzog.

„Sieht so aus, als wäre Jake genauso charmant wie früher“, unterbrach Cassie Lauras Gedanken.

„Ich kann es ihm nicht übel nehmen. Ich dachte nur, er hätte seinen Ärger inzwischen überwunden. Aber er ist immer noch so verbittert.“

Hinter ihr hatte sich die Kirche gefüllt. Wer waren all diese älteren Leute? Tante Tess war nicht gerade gesellig gewesen und der mütterliche Typ schon gar nicht.

Laura schloss die Augen und versuchte vergebens, ein Bild von ihren Eltern heraufzubeschwören. Wenn sie sich wenigstens an eine Kleinigkeit erinnern könnte, an einen Hauch von Rasierwasser, eine vergessene Haarnadel auf der Badablage, an irgendetwas … Sie war fünf Jahre alt gewesen, als der Fahrer eines Lastwagens die Kontrolle verlor und über den Mittelstreifen fuhr, wobei er sich und ihre Eltern tötete. Fünf Jahre alt. Genauso alt wie Cory war, als sie Jake verließ. Ein dumpfer Schmerz breitete sich in ihr aus. Dachte Cory manchmal an sie? Oder hatte er sie komplett aus seinem Gedächtnis gestrichen, wie Jake behauptet hatte?

Sie öffnete die Augen und versuchte, sich auf den Pfarrer zu konzentrieren.

„… Großzügigkeit des Geistes“, sagte er gerade. „Elizabeth Armstrong berührte die Herzen all jener, die sie kannten, und man wird sie sehr vermissen …“

Cassie lehnte sich rüber und flüsterte, „Großzügigkeit des Geistes? Dass ich nicht lache.“

„Übertreib nicht“, ermahnte Laura. „Sie hat mich aufgenommen und mich großgezogen.“

„Sie nahm dich auf? Es war das Haus deiner Eltern, nicht ihrs! Die Frau bekam einen Freifahrtschein, in dem Haus wohnen zu dürfen. Nicht, dass sie jemals für dich da war. Dich großgezogen? Du hast dich selbst großgezogen.“

„Psst!“

Aber Cassie flüsterte weiter. „Und wo wir schon dabei sind, der Charmeur hinter uns hat dich verlassen, nicht umgekehrt. Technisch gesehen mag er recht haben, aber er hat sich nicht gerade ein Bein ausgerissen, um dich zurückzubekommen. Außerdem war er nicht für dich da, als du ihn am meisten gebraucht hättest.“

Laura mochte nicht darüber nachdenken, wer wen verlassen hatte. Cassie spürte das Unbehagen ihrer Freundin und lehnte sich in der Bank zurück. Aber Cassie war Cassie und konnte nicht länger als eine Minute still sein. „Wo hast du diesen Typ gefunden?“, kicherte sie und deutete auf die Kanzel. „,Berührte die Herzen aller, die sie kannten‘? Ist der echt?“

„Er ist aus Ridgefield“, antwortete Laura leise. „Meine Mutter und Tante Tess sind dort aufgewachsen. Ehrlich, Cass, kannst du nicht einfach still sitzen und der Predigt zuhören? Die Frau war immerhin die Schwester meiner Mutter.“

Cass war jedoch nicht zu bremsen. „Erinnerst du dich, als sie mich erwischte, wie ich durch dein Schlafzimmerfenster kletterte und versuchte, dich über die alte Eiche nach unten zu lotsen?“ Sie stupste ihre Freundin leicht in die Rippen. „Nie werde ich ihr Gesicht vergessen. Aber wir haben es geschafft! Ellen und Cyn warteten unten mit ihren Taschenlampen. Ellen war ausgerüstet mit Tupfern und Bandagen, denn sie war sicher, wir würden runterfallen. Wie alt waren wir? Sieben? Acht?“

Obwohl sie entschlossen war, eine ernste Miene zu wahren, musste Laura bei diesen Erinnerungen schmunzeln.

„Und wie deine Tante aus der Haustür schoss und uns aufhalten wollte. Ich sehe sie immer noch die Straße runterrennen in ihrem scheußlichen alten Bademantel und der furchtbaren Schlammpackung auf dem Gesicht.“

„Würdest du bitte aufhören? Die Leute gucken...