Eine Liebe wie im Märchen

von: Violet Winspear

CORA Verlag, 2018

ISBN: 9783733759087 , 130 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,49 EUR

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Eine Liebe wie im Märchen


 

1. KAPITEL

Janie befand sich mitten in Cornwall, irgendwo auf der Straße nach St. Mawgan, als ein Reifen ihres Wagens platzte. Das Auto schlingerte, und voller Angst merkte Janie, wie es in Richtung des steil abfallenden Kliffs wegrutschte. Sie nahm allen Mut zusammen und bremste vorsichtig. Sekunden später stand sie und sah aus dem Seitenfenster in die Tiefe. Weit unten schlugen die Wellen hart und drohend gegen die Felsen.

Das war knapp, dachte Janie und holte erst mal tief Luft. Sie spürte erst jetzt, dass ihr das Herz bis zum Hals schlug. Es kam ihr wie ein Wunder vor, dass sie mit ihrem Wagen nicht dort unten herumschwamm und um ihr Leben kämpfte. Vorsichtig, als könnte eine unbedachte Bewegung sie doch noch in die Tiefe befördern, rutschte Janie auf den Beifahrersitz, öffnete ebenso vorsichtig die Tür und stieg aus. Sie ging um den Wagen herum und besah sich den Schaden. Ob ein Stein oder ein Nagel ihn verursacht hatte, konnte Janie nicht feststellen. Jedenfalls war der Reifen platt, und sie musste irgendwie hier weg. Ein Blick auf das rötlich schimmernde Meer verriet ihr, dass die Sonne bald untergehen würde.

Zu ihrem Pech hatte sie die Karte aus der Gegend in dem Café liegen gelassen, in dem sie vorhin Rast gemacht hatte. Sie war inzwischen ein paar Stunden gefahren, doch wie weit es bis zu ihrem Ziel noch war, konnte sie nicht einmal schätzen.

Janie Larue war auf dem Weg, einen Job anzutreten. Sie sollte Chauffeurin und Gesellschafterin für Mrs. Burford werden, einer Freundin ihrer Großmutter. Eigentlich war sie Schauspielerin, aber gegenwärtig ohne Arbeit. Und da sie essen, trinken und überhaupt leben musste und Großmutter Polly sie außerdem eindringlich darum gebeten hatte, hatte sie sich schließlich einverstanden erklärt, zu Mrs. Burford zu fahren. Es würde ja nur vorübergehend sein. Irgendwann, da war sie sicher, würde sie ein gutes Engagement an einer Bühne bekommen.

„Heutzutage Schauspieler zu sein ist ein schweres Los“, pflegte Grandma Polly immer zu sagen. „Zu meiner Zeit gingen die Leute einfach öfter ins Theater, und sie zahlten auch einen guten Preis dafür.“ Meistens kam dann noch: „Sei ein vernünftiges Mädchen, Janie, und suche dir einen netten Mann, der für dich sorgt.“ Ihrer Meinung nach brauchte Janie den Mann nur zu lieben, dann würde er ihre Liebe schon erwidern. Für Janie selbst aber war Liebe sowieso nur etwas, was in Romanen vorkam, eine romantische Angelegenheit, die mit dem wirklichen Leben nichts zu tun hatte. So nannte Grandma Polly sie auch immer eine kleine Träumerin, und Janie fand das ganz in Ordnung.

Janie wirkte trotz ihrer zweiundzwanzig Jahre merkwürdig unberührt, obwohl sie in einem Milieu gearbeitet hatte, in dem Affären an der Tagesordnung waren. Wenn sie einen Mann mit ihren großen Augen ansah, konnte er ebenso gut das Gefühl haben, einer Nonne gegenüberzustehen. Sie hatte ein zartes, helles Gesicht, in dem die graugrünen Augen mal dunkler, mal heller leuchteten, je nach Stimmung und Laune.

Janie sah sich um. Einen Ersatzreifen hatte sie nicht bei sich, und die Nacht im Auto zu verbringen war ihr auch nicht angenehm. Sie musste sehen, ob es irgendwo eine Möglichkeit zum Übernachten gab. Mit einer entschlossenen Geste nahm Janie ihre Lederjacke und den kleineren ihrer beiden Koffer aus dem Wagen. Zum Glück hatte sie eine Taschenlampe im Handschuhfach, die sie ebenfalls an sich nahm. Sie hatte eigentlich keine Angst, denn sie war auf dem Land aufgewachsen, und nicht selten musste sie einsame Wege allein zurücklegen. Aber sie wusste, dass die Gegend hier sehr moorig war, und davor musste man auf der Hut sein.

Eine halbe Stunde etwa war vergangen, seit Janie sich in Bewegung gesetzt hatte, um eine Unterkunft zu suchen. Inzwischen war es fast dunkel und empfindlich kühl. Sie knöpfte die Jacke zu und schlug den Kragen hoch, dann ging sie etwas schneller. Voller Sehnsucht dachte sie an eine heiße Tasse Tee mit Milch und Zucker und an Sandwichs mit Käse oder Schinken.

Sie blieb plötzlich stehen. War da hinten ein Licht? Sie trat näher an die steinerne Mauer, an der sie schon eine Weile entlanggelaufen war. Zwischen dem Laubwerk von Bäumen schimmerte es hell, und kurz entschlossen warf Janie erst ihren Koffer über die Mauer, dann sprang sie selber nach. Obwohl sie wusste, dass Cornwall ein sumpfiges Land war, bahnte sie sich einen Weg durch das kniehohe Gras.

Sie musste zu diesem Licht kommen, wollte sie die Nacht nicht im Freien verbringen. Am Himmel glitzerten Sterne, die Luft roch feucht, und ringsumher waren die Geräusche der Nacht zu hören. Insekten schwirrten, und Janie bildete sich ein, sogar das Quaken von Fröschen zu hören. Sie fühlte sich fremd in dieser Gegend, ohne wirklich Angst zu haben. Das hier, das war das Land von König Artus und seiner Tafelrunde, das Land der Ritter, der Siege und Sagen. Ein geheimnisvolles Stückchen Erde, von dem schon jedes Schulkind zu hören bekam.

Die Taschenlampe begann zu flackern, was zweifellos bedeutete, dass die Batterien es nicht mehr allzu lange machten. Fast gleichzeitig teilte ein Windstoß die Blätter eines Baumes, und Janie sah ein erleuchtetes Fenster. Sofort kamen ihr wieder der heiße Tee und die Sandwichs in den Sinn, und sie musste unwillkürlich lachen. Viel wichtiger war, dass sie ein Telefon fand, damit sie Mrs. Burford Bescheid sagen konnte, was ihr passiert war.

Das Gehen auf dem feuchten Boden fiel Janie immer schwerer, zumal sie auch noch den Koffer und ihre Tasche tragen musste. Und das Licht schien sich immer mehr zu entfernen, statt näher zu kommen. So kam es Janie jedenfalls vor. Ab und zu stolperte sie über Äste und Baumstümpfe, und jedes Mal stieß sie einen leisen Fluch aus. So mühsam hatte sie sich den Weg zu einem Job nun wirklich nicht vorgestellt.

Ganz unvermittelt nahm sie ein Geräusch wahr, das weder von einem Vogel noch von einem Hasen oder einem Frosch stammte. Es war lauter, bedrohlicher. Janie drehte sich mit klopfendem Herzen um, und da wuchs es groß und dunkel vor ihr auf. Es war ein Pferd, die Vorderbeine hoch, als wollte es über ein Hindernis springen.

„Zum Teufel!“ Der Reiter starrte beinahe fassungslos auf Janie herab, die die nur noch schwach leuchtende Taschenlampe hob. Sie sah ein dunkles Gesicht mit dichten, schwarzen Brauen und schwarzem, zerzaustem Haar.

„Was fällt Ihnen ein, mein Pferd so zu erschrecken?“, fragte der Mann.

„Sie … Sie haben mich erschreckt, fast zu Tode.“

„Was um Himmels willen machen Sie um diese Zeit mitten im Moor, hm? Haben Sie sich verirrt, Mädchen?“

„Ja, das heißt, nein. Ich wollte zu diesem Haus dort.“

„Das ist mein Haus“, klärte er sie auf. „Pentrevah Towers.“

„Ihr Haus?“ Das war Janie nicht sehr angenehm. Irgendwie hätte sie sich andere Leute in diesem Haus gewünscht.

„Komm, sei ruhig, Salem.“ Er tätschelte das Tier, weil es immer noch unruhig im Sand scharrte und nervös schnaubte. „Sie befinden sich auf meinem Besitz, junge Frau. Mir gehört dieser Streifen Moorland und das Haus dahinter.“ Nach einem kleinen Zögern fügte er hinzu: „Ich bin James Pentrevah.“

Sein Aussehen wie sein Nachname wirkten nicht unbedingt englisch, eher spanisch. Auch die Art, wie er da hoch zu Ross auf sie hinunterschaute und sprach, erinnerte an das Gehabe eines Spaniers. Irgendwie beunruhigte er sie, denn warum sonst schlug ihr Herz schneller als sonst? Lag es immer noch an dem Schreck, oder lag es an diesem Mann?

„Wie sind Sie eigentlich hierher gekommen?“, erkundigte sich James Pentrevah.

„Ich war auf dem Weg nach St. Mawgan, als mir ein Reifen platzte. Einen Ersatzreifen habe ich nicht im Wagen, und da sitzen bleiben konnte ich auch nicht. So bin ich also losgelaufen, um mir für diese Nacht eine Unterkunft zu suchen. Ich sah das Licht und folgte ihm. Das ist alles.“

„Aha“, war alles, was er dazu sagte, dann: „Haben Sie Angst vor Pferden?“

„Überhaupt nicht. Ich bin auf dem Land geboren und aufgewachsen. Mein Großvater hatte eine Farm, und ich habe dort gelebt bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr.“

„Und dann zogen Sie aus, um das Glück zu suchen, ja?“

„Woher wissen Sie das?“

„Nun, das ist das Land von Merlin, dem Zauberer. Sie wissen sicher eine Menge darüber?“

„Ja, aber …“

„Sie meinen, das sei nur ein Aberglaube, Miss.“

„Ist es das nicht auch, Mr. Pentrevah?“

„Ganz und gar nicht. Was führt Sie nach St. Mawgan?“

„Dort wartet ein Job auf mich.“

„Lassen Sie ihn warten.“ Das klang sehr bestimmt. „Jetzt geben Sie mir Ihre Hand, steigen auf meinen Stiefel, und dann hebe ich Sie in den Sattel.“

„Ich habe noch einen Koffer bei mir.“ Janie zögerte. Vor dem Pferd hatte sie keine Angst, wohl aber flößte der Reiter ihr Unbehagen ein. Da ihr eine solche Empfindung im allgemeinen fremd war, war sie noch beunruhigter. Mit einem – solchen Mann sollte man eigentlich nicht mitgehen.

„Haben Sie Angst vor mir?“, fragte er prompt. „Angst, dem Teufel über den Weg gelaufen zu sein, wie wir hier zu sagen pflegen?“

„Warum sollte ich?“, fragte Janie nicht sehr überzeugend, wie sie sich eingestehen musste. „Aber woher soll ich wissen, ob Sie wirklich der sind, der Sie vorgeben zu sein?“

„Meine Kreditkarten sind im anderen Mantel“, spottete er. „Sie können auch zum Towers laufen, wenn Sie wollen, aber Salem würde das schneller schaffen. Ich kann mir vorstellen, dass Sie nach einer Tasse Tee lechzen.“

„Und wie“, gab...