Arno Breker - Der Künstler und die Macht. Die Biographie

von: Jürgen Trimborn

Aufbau Verlag, 2018

ISBN: 9783841215789 , 712 Seiten

Format: ePUB

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Preis: 9,99 EUR

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Arno Breker - Der Künstler und die Macht. Die Biographie


 

Prolog
 
Der Feldherr und seine Künstler


Es begann bereits langsam zu dämmern in den frühen Morgenstunden des 23. Juni 1940. Gegen fünf Uhr, gerade einmal zehn Stunden nach Unterzeichnung des deutsch-französischen Waffenstillstandsvertrags und damit noch vor Inkrafttreten der Waffenruhe, landete Adolf Hitlers viermotorige »Führermaschine« in Paris. Fünf offene Staatskarossen des »Führer-Begleitbataillons« standen schon am Rollfeld des Flughafens Le Bourget am Rande von Paris bereit.1 Zuvor hatte der Diktator, der sich bewusst war, dass er mit dem militärischen Triumph einen neuen Gipfel seiner Macht und seines Ansehens erreicht hatte, die Architekten Albert Speer und Hermann Giesler sowie den Bildhauer Arno Breker in sein Hauptquartier im belgischen Brûly-de-Pesche einfliegen lassen. Mit ihnen zusammen beabsichtigte er, Paris einen Überraschungsbesuch abzustatten, jener Stadt, mit deren Geschichte, Architektur und städtebaulicher Entwicklung er sich bereits seit seiner frühesten Jugend eingehend beschäftigt hatte und die er, obwohl er sie noch nie zuvor betreten hatte, durch seine intensiven Studien wie seine Westentasche zu kennen glaubte.

Durch die Präsenz der Künstler in seinem Gefolge wollte Hitler deutlich machen, dass er nicht in seiner Funktion als Oberbefehlshaber der deutschen Wehrmacht und damit als Eroberer ins besetzte Paris reiste, sondern vielmehr als »Tourist« sowie als künftiger Bauherr deutscher Städte, der sich für die architektonischen und städtebaulichen Sehenswürdigkeiten und Besonderheiten der Seine-Metropole interessiert und sich durch seinen Besuch wichtige Anregungen für seine eigenen Planungen erhofft. Mit seiner nur wenige Stunden dauernden Stippvisite erfüllte er sich einen lebenslang gehegten Wunschtraum. Seinen Begleitern eröffnete er: »Paris hat mich immer fasziniert. Ein Besuch ist seit Jahren mein leidenschaftlicher Wunsch. Jetzt stehen die Tore für mich offen. Nie war bei mir eine andere Vorstellung vorhanden, als die Kunstmetropole mit meinen Künstlern zu besichtigen.«2

Hitler hatte sich dazu entschlossen, Paris noch vor Inkrafttreten der Waffenruhe einen inoffiziellen Besuch abzustatten, weil er möglichst wenig Aufsehen in der französischen Bevölkerung erregen wollte. Dass ihn am 1. Juni bei der Besichtigung der Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs in der nordfranzösischen Stadt Lille eine Frau, die seiner ansichtig wurde, als »Teufel« bezeichnet hatte,3 war tief in sein Gedächtnis eingebrannt. Um ähnliche Szenen in Paris zu vermeiden und so wenig Kontakt wie nur möglich mit der Bevölkerung der besetzten Stadt zu haben, entschied Hitler, dass die frühen Sonntagmorgenstunden am besten dazu geeignet wären, um das bereits seit dem 14. Juni in deutscher Hand befindliche Paris inkognito zu besuchen und seine geplante Rundfahrt zu absolvieren.

Und so hatte am Morgen des 23. Juni um Punkt drei Uhr eine Wagenkolonne mit Hitler und seinem Gefolge das Führerhauptquartier im Südzipfel Belgiens verlassen. Rund eine halbe Stunde später hatten die Wagen die nur wenige Kilometer entfernte, zum Flugfeld umfunktionierte Weide in Gros-Caillou erreicht, wo Hitlers Flugzeug bereits mit laufenden Motoren wartete. Wenige Minuten nach vier Uhr startete die »Führermaschine«, die beigefarbene Condor D-2600, und nahm in südwestlicher Richtung Kurs auf die französische Hauptstadt. Am Steuer der Maschine saß wie immer Hitlers Chef-Pilot Hans Baur, Führer der von ihm verantworteten Flugstaffel »Reichsregierung«.

Um fünf Uhr in der Früh setzte die Maschine auf dem im Nordosten von Paris gelegenen Flugplatz Le Bourget auf, dem zu dieser Zeit wichtigsten Flughafen der Seine-Metropole. Hitlers Besuch in der französischen Hauptstadt sollte nur ganze drei Stunden dauern. Der Ablauf der Besichtigungsfahrt war im Vorfeld minutiös von Arno Breker ausgearbeitet worden, der als der beste Paris-Kenner in Hitlers Entourage galt, nachdem er jahrelang als Bildhauer in der französischen Hauptstadt gelebt hatte. Hitlers Adjutant, Hauptmann Gerhard Engel, hatte die von Breker festgelegte Route bereits am Vorabend probehalber abgefahren, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein.4

Den Wagen des »Führers«, der wie immer von SS-Sturmbannführer Erich Kempka, Hitlers persönlichem Fahrer, chauffiert wurde, bestiegen an diesem Morgen neben dem Diktator und seinem SS-Adjutanten Karl Wolff die drei eigens für diesen Tag geladenen Ehrengäste Hitlers – Albert Speer, der Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt, Hermann Giesler, Generalbaumeister Münchens, der »Hauptstadt der Bewegung«, sowie Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker, der vom Diktator damit beauftragt worden war, gigantische Skulpturen für die zukünftige Welthauptstadt »Germania« zu entwerfen. Auch wenn Hitler seiner Paris-Reise einen eher privaten Anstrich zu geben versuchte, war es den Künstlern in seinem Gefolge aufgrund der noch nicht in Kraft getretenen Waffenruhe nicht gestattet, an diesem Tag in Zivil aufzutreten, so dass sie entsprechend ausgestattet werden mussten. Während Albert Speer, der längst zu Hitlers festem Hofstaat gehörte, ohnehin bereits seit 1934 eine Parteiuniform trug, musste bei Hermann Giesler und Arno Breker improvisiert werden. Beiden wurden eine Feldmütze sowie ein bodenlanger Militärmantel überreicht, den sie über ihren zivilen Anzügen zu tragen hatten.

Unmittelbar nachdem der »Führer« und sein Gefolge die bereitstehenden Wagen bestiegen hatten, setzte sich die »Führerkolonne« mit abgeblendeten Scheinwerfern in Bewegung. Aus Sicherheitsgründen waren weder Hitlers Wagen noch die übrigen Staatskarossen mit Standarten oder anderen Hoheitszeichen gekennzeichnet worden, auf militärischen Schutz der Wagenkolonne hatte man gänzlich verzichtet. Weder die Deutsche Botschaft in Paris noch der zuständige Militärbefehlshaber General Alfred von Vollard-Bockelberg waren über Hitlers überraschenden Besuch informiert.

Die schweren gepanzerten Mercedes-Kompressor-Wagen mit den schusssicheren Reifen beschleunigten und verließen den Flugplatz in hohem Tempo. Es war noch recht dunkel, als die Wagenkolonne über menschenleere Straßen durch die ausgedehnten Vorstädte von Paris Richtung Stadtzentrum raste. Durch das abgeblendete Licht ließen sich nur vage Umrisse der Straßenzüge und Häuserzeilen erkennen. Immer wieder musste die Wagenkolonne auf ihrem Weg über die Porte la Villette, die Avenue du Flandre und die Rue la Fayette im Zick-Zack-Kurs den vom französischen Militär für den befürchteten Kampf um die Hauptstadt errichteten und noch nicht wieder beseitigten Betonbarrikaden ausweichen. Je näher man dem Zentrum von Paris kam, desto häufiger wurde die Wagenkolonne von deutschen Posten angehalten, die stramm und ehrfürchtig salutierten, sobald sie erkannten, dass niemand anders als Adolf Hitler mit seinem Gefolge der französischen Hauptstadt einen Besuch abstattete.

Das sonst so lebendige Paris wirkte an diesem Morgen wie ausgestorben. An die zwei Millionen Menschen waren den Evakuierungsaufforderungen der französischen Regierung gefolgt und seit Mitte Mai aus Angst vor möglichen Kampfhandlungen aus Paris geflohen und noch nicht wieder in die Stadt zurückgekehrt. Die in Paris Zurückgebliebenen waren von der militärischen Niederlage wie betäubt und verließen aus Angst und Lähmung kaum ihre Wohnungen. Gerade auf Arno Breker, der fünf Jahre in Paris gelebt hatte und die sonst zu jeder Tages- und Nachtzeit quirlige Weltstadt in Friedenszeiten kennen gelernt hatte, muss die Atmosphäre gespenstisch gewirkt haben. Paris erschien dieser Tage wie eine menschenleere Attrappe, wie ein surreales Bühnenbild und nicht wie eine reale Stadt. Niemand in Hitlers Staatskarosse sagte ein Wort.

Erst als die Kolonne die Grand Opéra erreichte, begannen sich Hitlers Gesichtszüge zu entspannen. Unverzüglich verließ er mit seinem Gefolge den Wagen und warf einen ersten Blick auf die prachtvoll erleuchtete Prunkfassade seines neobarocken Lieblingsbaus, der selbst an diesem frühen Morgen den Eindruck erweckte, als stünde eine abendliche Galapremiere bevor. Der Obst- und Gemüsehändler auf der Place de l’ Opéra, der sich gerade anschickte, seinen Stand aufzubauen, glaubte seinen Augen nicht zu trauen und stand stocksteif und mit offenem Mund da, als er plötzlich über den leeren Opernvorplatz Adolf Hitler auf sich zuschreiten sah. Voller Bewunderung für die architektonische Schöpfung Garniers ging Hitler einmal um das imposante Gebäude herum, bevor er das größte Opernhaus der Welt betrat. Keinem der Anwesenden blieb verborgen, wie fasziniert und ergriffen der Diktator war, als er die reich geschmückten Foyers und Eingangshallen, das großzügige, in Gold schwelgende Treppenhaus und schließlich den opulenten Zuschauerraum besichtigte. Bewegt schwärmte er von den »wundervollen, einmalig schönen Proportionen«, der Raumfolge und der festlichen Wirkung des Gebäudes. Auch wenn er ein Jahr später die Opernhäuser von Wien und Dresden der Pariser Oper als überlegen bezeichnen wird, so war er an diesem Tag doch überzeugt: »Das schönste Theater der Welt!«5

Zum Erstaunen aller übernahm Hitler selbst die Führung durch das menschenleere Gebäude, wies auf architektonische Besonderheiten und die Fresken sowie den Skulpturenschmuck der Oper hin, bestand auch darauf, die Bühnentechnik und sogar die Übungssäle des Balletts genauestens in Augenschein zu nehmen. Er schritt durch die Räume, als wäre ihm jeder Winkel bereits vertraut.

Nach der Besichtigung der Oper setzte sich die Wagenkolonne erneut in Bewegung, umrundete die Place de l’Opéra und...