Der kleine Fürst 216 - Adelsroman - Angst um Stephanie

von: Viola Maybach

Martin Kelter Verlag, 2018

ISBN: 9783740936495 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Der kleine Fürst 216 - Adelsroman - Angst um Stephanie


 

»Es wird hier sehr still sein ohne euch«, sagte Baronin Sofia von Kant beim Abendessen. »Und Togo wird wahrscheinlich zwei Wochen lang trauern, dass ihr ihn allein mit uns zurückgelassen habt.«

»Oder ihr genießt es, dass ihr endlich mal wieder für euch seid, macht lange Spaziergänge mit Togo und wenn wir aus Sankt Moritz zurückkommen, sagt ihr: ‚Ach, ihr seid schon wieder da? Schade, wir hatten uns gerade so an die Ruhe gewöhnt’«, entgegnete ihr Sohn, der siebzehnjährige Konrad.

Alle lachten, auch die Baronin. Sie saßen zu fünft am Tisch, wie immer, wenn sich keine Gäste auf Schloss Sternberg aufhielten: Baronin Sofia und ihr Mann Friedrich, ihre beiden Kinder Anna und Konrad und Sofias Neffe Christian von Sternberg, der in der Bevölkerung noch immer ‚der kleine Fürst’ hieß, obwohl er seine Tante mittlerweile überragte und sein korrekter Titel bis zu seinem achtzehnten Geburtstag der eines Prinzen war. Der nächste Fürst von Sternberg würde er erst mit dem Erreichen der Volljährigkeit werden, bis dahin waren es noch fast zwei Jahre.

»Und dann«, spann die lebhafte Anna, mit vierzehn Jahren die Jüngste der Familie, den Faden ihres Bruders weiter, »schickt ihr uns sofort wieder weg, in die nächste Ski-Freizeit, danach in die übernächste und immer so weiter. Zuerst freuen wir uns, aber dann bekommen wir Heimweh, und ihr stellt auch fest, dass ihr uns vermisst, und so kehren wir schließlich, nach ungefähr einem halben Jahr und siebzehn Freizeiten an verschiedenen Orten, nach Sternberg zurück.«

Wieder lachten alle. Es ging beim Abendessen im Schloss meistens lebhaft zu, denn nur abends war die Familie vollzählig versammelt. Morgens waren die Teenager in Eile, weil sie zur Schule mussten, mittags waren sie nicht da, da sie ganztägig unterrichtet wurden, und so blieb nur das Abendessen, das deshalb seit jeher einen besonderen Stellenwert im Leben der Schlossbewohner besaß. Abends wurden Informationen ausgetauscht und Ratschläge eingeholt, es wurde diskutiert und manchmal auch heftig gestritten.

Der Blick der Baronin glitt zu ihrem Neffen hinüber, der ebenso von Herzen lachte wie die anderen. Sie war froh darüber, denn vor nicht allzu langer Zeit war ihm das Lachen noch sehr schwer gefallen, er hatte es erst wieder lernen müssen. Er war ein schmaler Junge mit dunklen Haaren und dunklen Augen, denen man ansah, dass er schon mehr über die düsteren Seiten des Lebens wusste als andere Jugendliche seines Alters.

Christians Eltern, Fürstin Elisabeth und Fürst Leopold von Sternberg, waren im vergangenen Jahr bei einem schweren Hubschrauberunglück gemeinsam mit dem Piloten ums Leben gekommen. Mit fünfzehn Jahren war der Junge also Vollwaise geworden. Er hatte umgehend den Ostflügel des Schlosses, in dem er mit seinen Eltern gewohnt hatte, verlassen und war zu den Kants in den Westflügel gezogen. Seitdem war er praktisch ihr drittes Kind. Ohnehin waren Anna, Konrad und er wie Geschwister aufgewachsen, das Unglück hatte ihren Zusammenhalt noch gefestigt.

Sofia, die mit ihrer Schwester Elisabeth zugleich ihre engste Freundin verloren hatte, erkannte sie in Christian wieder. Er hatte viel von seiner Mutter geerbt. Es fiel ihr daher nicht schwer, ihn zu lieben wie ein eigenes Kind.

»Ich bin gespannt«, sagte Baron Friedrich, »wie ihr das morgen früh mit dem Aufstehen schafft, wo ihr ja jeden Morgen nur mit Mühe rechtzeitig zum Schulbus kommt, und der fährt immerhin erst gegen halb acht. Aber morgen, wenn ihr um fünf Uhr aufstehen müsst…«

Dreifaches lautes Stöhnen war am Tisch zu hören. Konrad sagte: »Das wird grässlich, aber wir können ja dann im Bus schlafen.«

Die drei gingen auf das öffentliche Sternberger Gymnasium. Das war seinerzeit eine bewusste Entscheidung der beiden Elternpaare gewesen, die nicht gewollt hatten, dass ihre Kinder in teuren Privatschulen abseits vom ‚normalen Leben’ unterrichtet wurden. In dieser Entscheidung hatten sie sich erst kürzlich bestätigt gesehen, denn Konrads Freundin Charlotte von Graal besuchte eine Privatschule, wo sie üble Erfahrungen mit Mobbing hatte machen müssen. Der Fall war an die Öffentlichkeit gelangt und bewegte die Sternberger noch immer.

»Wie viele Busse fahren denn eigentlich?«, erkundigte sich die Baronin.

»Vier Klassen, vier Busse«, antwortete Christian. »Wir haben echt Glück gehabt, dass wir alle zusammen sind. Titos Klasse ist ja auch dabei.«

Annas Wangen überzogen sich mit leichtem Rot. Tito von Wedt war ihr Freund. Anna war ein ausgesprochen lebhaftes Mädchen. Sie hatte die blonden Locken, das runde Gesicht und die blauen Augen ihrer Mutter Sofia geerbt. Alle fanden sie bildhübsch, nur sie selbst war selten mit ihrem Aussehen zufrieden, aber das ging fast all ihren Freundinnen so.

Ihr Bruder und ihr Cousin taten ihr den Gefallen, sie wegen ihrer Röte nicht aufzuziehen. Anna war sonst nicht auf den Mund gefallen, nur wenn es um Tito ging, war sie leicht in Verlegenheit zu bringen.

»Bloß Charly ist nicht dabei«, sagte Konrad, »das ist echt blöd. Ich habe ja schon versucht, sie zu überreden, auf unsere Schule zu wechseln, aber das will sie nicht. Sie sagt, jetzt, wo an ihrer Schule alles neu ist, gefällt es ihr dort richtig gut.«

Konrad und Anna sahen einander nicht ähnlich. Zwar war auch Konrad blond wie seine Mutter, doch sonst kam er ganz nach seinem großen Vater mit dem schmalen Gesicht und dem klassischen Profil.

»Ich verstehe, dass sie bleiben will«, meinte die Baronin nachdenklich. »Sie hat so viel durchgemacht mit diesen grässlichen Mädchen, die ihr Drogen in die Tasche geschmuggelt haben – es muss doch eine Genugtuung für sie sein, dass sie das überstanden hat, während die anderen von der Schule geflogen sind. Außerdem ist es sehr mutig von ihr gewesen, sich zur Wehr zu setzen.«

»Es sind ja nur zehn Tage, Konny«, sagte Christian.

»Du hast gut reden, Steffi fährt schließlich mit!«

Christian lächelte versonnen. Ja, Steffi fuhr mit, denn sie und Anna gingen in eine Klasse. Es war noch nicht lange her, seit er sich in Stephanie von Hohenbrunn verliebt hatte und sie sich in ihn. Mit ihr konnte er über alles reden, was ihn bewegte, so wie er es noch immer mit seinen toten Eltern tat, wenn er sie jeden Tag auf dem Familienfriedhof besuchte. Aber im Unterschied zu ihnen, die er nicht mehr sehen, hören, fühlen konnte, war Stephanie bei ihm, umarmte ihn, küsste ihn, redete ihm gut zu, widersprach ihm auch gelegentlich. Sie fragte ihn oft nach seinen Eltern, und ihm tat es gut, über die beiden zu sprechen.

Eberhard Hagedorn erschien an der Tür, nach Meinung der Schlossbewohner und ihrer Gäste ‚der beste Butler der Welt’. Er selbst sah das anders, ihm war es peinlich, wenn jemand so etwas in seiner Gegenwart äußerte. Er war schon seit vielen Jahren im Schloss, er gehörte dazu. Schloss Sternberg ohne Eberhard Hagedorn war unvorstellbar.

Seit einiger Zeit hatte er einen jungen Auszubildenden, Jannik Weber, neunzehn Jahre alt. Zur Überraschung der Familie hatte Eberhard Hagedorn selbst eines Tages den Vorschlag gemacht, Jannik einzustellen. Dieser war ein aufgeweckter junger Mann, dessen Berufswahl seinen Eltern, die unten im Ort eine Apotheke betrieben, großen Kummer bereitet hatte.

»Du willst praktisch Dienstbote werden, wo du als Apotheker dein eigener Herr wärst? Wieso?«, hatten sie ihn immer und immer wieder gefragt. Jannik hatte sich nicht beirren lassen. Er liebte das Schloss und seine Bewohner, er liebte auch Eberhard Hagedorn, und er lernte atemberaubend schnell. Er fand, dass er genau am richtigen Ort war. Die Apotheke hatte ihn nie interessiert, aber so deutlich sagte er seinen Eltern das nicht, er wollte sie nicht kränken.

»Haben die Herrschaften noch Wünsche?«, fragte Eberhard Hagedorn.

Sofia und Friedrich sahen sich an, dann nickten beide. »Wir trinken noch einen Kognak in der Bibliothek, Herr Hagedorn«, antwortete der Baron. »Die Kinder gehen sicher früh ins Bett heute, sie müssen ja schon um fünf wieder aufstehen.«

Es erfolgte ein weiteres dreistimmiges Stöhnen, das der alte Butler mit einem verständnisvollen Lächeln quittierte. »Der Kamin ist angeheizt, ich bringe den Kognak sofort.«

Von draußen hörten sie Togo winseln, Christians Boxer, dem es nicht gestattet war, die Salons zu betreten oder die Küche. Nur oben, wo sich neben den Privaträumen der Familie auch die Gästesuiten befanden, war er in den Zimmern der Teenager geduldet. Er schlief neben Christians Bett.

Der kleine Fürst stand auf. »Ich mache noch eine Runde mit Togo durch den Park, danach lege ich mich hin.« Er wandte sich mit fragendem Blick an Anna und Konrad.

Beide erhoben sich ebenfalls. »Wir kommen mit«, sagte Anna. »Danach sagen wir euch noch gute Nacht.«

Sie verließen den Salon, Sofia und Friedrich folgten ihnen, um sich in der Bibliothek niederzulassen, nach allgemeiner Ansicht der gemütlichste Raum im Schloss, vor allem im Winter. Als sie sich in die schweren Ledersessel sinken ließen, die Eberhard Hagedorn bereits fürsorglich vor den Kamin gerückt hatte, seufzte die Baronin voller Behagen. »Ein Feuer im Kamin und ein Kognak, herrlich!«, sagte sie.

Eberhard Hagedorn erschien gleich darauf mit einem Tablett, einer Kristallkaraffe und zwei Gläsern. Er schenkte ein, verschloss die Karaffe wieder und zog sich, wie es seine Art war, beinahe lautlos zurück.

Schweigend nahmen sie den ersten Schluck zu sich, genossen das Aroma des alten Weinbrands und freuten sich an ihrer schönen Umgebung. An den Wänden der Bibliothek, die aus mehreren ineinander übergehenden Räumen bestand, befanden sich glänzend polierte Holzregale, die bis zur Decke reichten,...