Echt jetzt? - Die beknacktesten Aktionen der Menschheit

von: Tom Phillips

Goldmann, 2019

ISBN: 9783641244231 , 336 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

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Echt jetzt? - Die beknacktesten Aktionen der Menschheit


 

Ungefähr 70 000 Jahre ist es her, dass menschliche Wesen angefangen haben, aller Welt die Suppe zu versalzen.

Damals nämlich schickten sich unsere Vorfahren an, Afrika zu verlassen, um sich auf dem ganzen Erdball breitzumachen – erst in Asien, später dann in Europa. Dass dies eine Menge Leute ziemlich unfroh machte, lag daran, dass unsere Art, Homo sapiens, seinerzeit nicht die einzige Menschenart auf dem Planeten war – ganz und gar nicht. Wie viele uns nahe verwandte Spezies es damals genau gegeben hat, wird gegenwärtig noch diskutiert. Aus Skelett- und/oder DNA-Fragmenten herauszukitzeln, was genau als eigene Art gelten kann, was als Unterart und was als ein bisschen seltsam geratenes Exemplar ein und derselben Art, ist ein trickreiches Geschäft. (Es ist auch eine ideale Möglichkeit, einen Streit vom Zaun zu brechen, sollten Sie je in einen Haufen Paläoanthropologen geraten und genügend Zeit zum Totschlagen haben.) Aber wie immer Sie sie auch klassifizieren, sicher ist, dass es damals wenigstens ein paar andere Arten von Menschen auf dem Planeten gab, die berühmteste darunter war wohl der Homo neanderthalensis, besser bekannt vielleicht unter dem Namen Neandertaler. Selbst mit einer früheren Auswanderungswelle aus Afrika herübergeschwappt, lebten die Neandertaler seit über 100 000 Jahren in weiten Teilen Europas und Asiens. Alles in allem lief es bei ihnen ganz gut.

Leider waren nur ein paar Zehntausend Jahre, nachdem unsere Vorfahren am Ort des Geschehens aufgekreuzt waren – in evolutionären Maßstäben nicht mehr als einen Wimpernschlag später –, die Neandertaler und all unsere anderen Verwandten vom Antlitz der Erde verschwunden. Ein Muster übrigens, das sich sehr bald als exemplarisch für den weiteren Verlauf der menschlichen Geschichte erweisen sollte: Sobald wir eintrudeln, ist es aus mit der Nachbarschaft. Binnen weniger Tausend Jahre nachdem die modernen Menschen in ihre Region gezogen waren, beginnen die Neandertaler in den fossilen Funden zu verschwinden, übrig blieben lediglich ein paar Geistergene, die noch immer in unserer DNA herumspuken. (Es ist unbestritten, dass es zwischen Neandertalern und den Eindringlingen, die sie verdrängen sollten, die eine oder andere Kreuzung gab. So Sie europäischer oder asiatischer Herkunft sind, besteht eine reelle Chance dafür, dass ein bis vier Prozent Ihrer DNA auf die Neandertaler zurückgehen.)

Warum und wie genau wir überlebt haben, während unsere Cousins auf den Schnellzug nach Nirgendwo gerieten, wird ebenfalls lebhaft diskutiert. Tatsächlich sind viele der wahrscheinlichsten Erklärungen Themen und Motive, denen wir in diesem Buch wieder und wieder begegnen werden. Vielleicht haben wir die Neandertaler versehentlich ausgelöscht, indem wir bei unserer Ankunft Krankheiten eingeschleppt haben, gegen die sie nicht resistent waren. (Ein großer Teil der Menschheitshistorie ist wirklich nichts weiter als eine Geschichte von Krankheiten, die wir uns auf unseren Reisen eingefangen und einander großzügig weitergegeben haben.) Vielleicht hatten wir auch das Glück, uns bei schwankenden Klimabedingungen besser anpassen zu können. Die Beweislage legt nahe, dass unsere Vorfahren in größeren sozialen Gruppen lebten und über ein sehr viel größeres Gebiet kommunizieren und Dinge untereinander austauschen konnten als die isolierteren, eher zurückgezogen lebenden Neandertaler, was bedeutet, dass sie auf mehr Ressourcen zugreifen konnten, wenn es zu einem Kälteeinbruch kam.

Oder vielleicht haben wir sie auch einfach umgebracht, weil, hey, dafür hatten wir schon immer was übrig.

Aller Wahrscheinlichkeit nach gibt es keine hübsch saubere Einzelerklärung, weil die Dinge normalerweise so nicht laufen. Aber viele der plausibelsten Erklärungen haben eine Sache gemeinsam – unser Gehirn und die Art und Weise, wie wir damit umgehen. Dabei ist es aber keinesfalls einfach so, dass wir schlau waren und sie dumm. Die Neandertaler entsprachen keineswegs dem Stereotyp des trampeligen Strohkopfs, als der sie so gerne gesehen werden. Ihr Gehirn war genauso groß wie unseres, sie stellten Werkzeuge her, konnten mit Feuer umgehen, schufen abstrakte Kunst und Schmuck, und dies Zehntausende Jahre, bevor Homo sapiens des Wegs kam und von Europa aus mit seiner Luxussanierung der Welt anfing. Aber die meisten plausiblen Evolutionsvorteile, die wir unseren Neandertaler-Cousins voraushatten, hingen mit unserem Denken zusammen – ob dies nun unsere Anpassungsfähigkeit betraf, unsere ausgefuchsteren Werkzeuge, unsere komplexeren Sozialstrukturen oder die Art und Weise, wie wir innerhalb unserer Gruppen und zwischen verschiedenen Gruppen kommunizierten.

An der Art und Weise, wie wir Menschen denken, ist etwas, das uns besonders macht. Ich meine, ist doch klar, oder? Es steht schon in unserem Artnamen: Homo sapiens – lateinisch für »weiser Mensch«. (Bescheidenheit, seien wir ehrlich, hat nie zu den charakteristischen Merkmalen unserer Art gehört.)

Und um unserem Ego gegenüber Fairness walten zu lassen: Das menschliche Gehirn ist in der Tat ein bemerkenswerter Apparat. Wir erkennen in unserer Umwelt Muster und leiten daraus wohlbegründete Vermutungen darüber ab, wie etwas funktioniert, erschaffen ein komplexes mentales Modell der Welt, das mehr einschließt als das, was wir mit unseren Augen sehen können. Anschließend können wir auf dieses mentale Modell zurückgreifen und unserer Fantasie freien Lauf lassen: Wir sind in der Lage, uns Veränderungen an der Welt auszumalen, die unser Dasein verbessern würden. Wir können diese Ideen unseren Mitmenschen kommunizieren, sodass andere sie ausbauen und Verbesserungen daran vornehmen können, auf die wir selbst nicht gekommen wären, und so Wissen und Erfindungen zu einem gemeinsamen Unterfangen machen, das von einer Generation zur nächsten weitergeführt wird. Danach können wir andere dazu bringen, im Dienste eines Plans, der zunächst allein in unserer Fantasie existiert hat, zusammenzuarbeiten und Durchbrüche zu erzielen, die keiner von uns allein zuwege gebracht hätte. Und dann wiederholen wir das viele, viele Male auf hunderttausenderlei verschiedene Weise, und was einst als wilde Innovation galt, wird zur Tradition, die ihrerseits zu neuen Innovationen Anlass gibt, bis Sie am Ende endlich etwas haben, das man als »Kultur« oder »Gesellschaft« bezeichnen würde.

Stellen Sie sich das Ganze so vor: Sie haben irgendwann gemerkt, dass runde Dinge einen Hügel besser hinunterrollen als unregelmäßig geformtes Gerümpel. Danach ging Ihnen auf, dass Sie von etwas Sperrigem mithilfe eines Werkzeugs Teile abmeißeln können, damit das Teil runder wird und den Hang besser hinabrollt. Drittens schließlich haben Sie Ihrem Freund Ihre neuen runden rollenden Dinge gezeigt, worauf der auf die Idee kam, vier von den Dingern zusammenzusetzen und einen Wagen zu bauen. Daraufhin lassen Sie viertens eine Fahrzeugflotte aus Zeremonienkutschen bauen, damit die Menschen die Herrlichkeit Ihrer gütigen gleichwohl gnadenlosen Herrschaft besser würdigen werden. Und im fünften Stadium donnern Sie zu einem Mixtape von Rockklassikern in einem Vauxhall Insignia die A10 entlang, während Sie einem LKW-Fahrer gestikulierend bedeuten, dass Sie ihn für einen Flachwichser halten.

(WICHTIG FÜR KÜMMELSPALTER: Es handelt sich hier um eine komplett ungenaue Beschreibung der Erfindung des Rades. Räder wurden tatsächlich im großen Lauf der Dinge überraschend spät erfunden, die Gesellschaft hat Jahrtausende fröhlich ohne sie vor sich hin gewurstelt. Das erste Rad, das der archäologischen Geschichtsschreibung zufolge vor ungefähr 5500 Jahren in Mesopotamien auf der Bildfläche erschien, wurde noch nicht einmal für den Transport genutzt, sondern diente als Töpferscheibe. Es scheint noch etliche Hundert weitere Jahre gedauert zu haben, bis jemand auf die glorreiche Idee verfiel, Töpferscheiben auf die Seite zu drehen und dazu zu benutzen, Zeug herumzurollen und damit jene Entwicklung anzustoßen, die letztlich mit dem Automagazin Top Gear ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen sollte. Mit der Bitte um Vergebung an alle Radgelehrten, die an dem vorangegangenen Absatz möglicherweise Anstoß genommen haben, er diente allein der Veranschaulichung.)

Aber so bemerkenswert das menschliche Gehirn auf der einen Seite ist, so außerordentlich seltsam tickt es doch auch, und es neigt dazu, im unpassendsten Augenblick völlig danebenzuliegen. Wir treffen mit schöner Regelmäßigkeit falsche Entscheidungen, nehmen lächerliche Dinge für bare Münze, ignorieren offensichtliche Indizien direkt vor unserer Nase und versteigen uns zu Plänen, die absolut unlogisch sind. Unser Verstand ist imstande, die Relativitätstheorie zu ersinnen, sich Konzerte und Städte auszudenken und in die Praxis umzusetzen, und dennoch offenkundig unfähig, ohne fünf endlose Minuten mühsamen Abwägens zu entscheiden, welche Sorte Chips wir kaufen wollen.

Wie hat unsere unvergleichliche Art zu denken es uns ermöglicht, die Welt in unglaublicher Weise nach unseren Wünschen zu formen, dabei gleichzeitig aber auch unablässig die absolut schlimmstmöglichen Entscheidungen zu treffen, obwohl völlig klar sein musste, um was für dämliche Ideen es sich handelte? Kurz: Wie kann es sein, dass wir einen Mann auf den Mond schicken und trotzdem den Text an unsere Ex? All das hat damit zu tun, wie sich unser Gehirn im Laufe der Evolution entwickelt hat.

Der Haken ist, dass die Evolution als Prozess nicht intelligent ist – aber immerhin ist sie auf sehr...