Die Kraft der Zirbe

von: Maximilian Moser

Servus, 2019

ISBN: 9783710450105 , 192 Seiten

Format: ePUB

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Preis: 22,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Die Kraft der Zirbe


 

NATURGEISTER IM BERGNEBEL


Meine Eltern liebten die Berge über alles und so nahmen sie mich schon als Kind öfter mit in die Landschaften der Niederen Tauern, wo sie ein bescheidenes Wochenendhäuschen eingerichtet hatten.

Hier, fernab vom Tourismus, in der bergbäuerlichen Welt meiner Großeltern väterlicherseits, war noch alles geheimnisvoll, erfüllt von Naturgeistern und sagenumwoben, besonders wenn die Nebel des Spätsommers oder des Herbstes die Wälder wie nasse Seidentücher mit ihrem feuchten Hauch berührten und das Bild eines verzauberten Regenwaldes in meiner Vorstellung aufleuchten ließen. In den Abendstunden nahmen verwitterte und flechtenbehangene Bäume bald die Gestalt von Riesen oder Gnomen an und ich erwartete, dass jeden Moment ein Wichtel aus einem bröckeligen Felsvorsprung oder einem von glitzernden Spinnweben gesäumten Erdloch hervorlugen würde. Es galten Regeln und Bräuche, die man sonst nur in archaischen Gesellschaften, vielleicht bei den Sami in Nordnorwegen oder bei den Schamanen der sibirischen Nenzen kennt. Seltsame Runen und Drudenfüße waren ins Holz der Türschwellen der Sennhütten geschnitten und mein Vater erzählte mir Geschichten vom Kasermandl, dem Madenzopf und von der schnellen Heilung schwerkranker Tiere und manchmal auch kranker Menschen durch magische und sympathische Rituale einer lebendigen Volksmedizin.

Diese Fähigkeit habe unter anderem auch einer meiner Urgroßväter besessen, der als vorher relativ wohlhabender Bergbauer dann in der Weltwirtschaftskrise der 1920er-Jahre sein gesamtes Vermögen verloren hatte, so berichtete mir mein Vater. Auch »bösen Zauber« habe es gegeben — wie zur Bestätigung war zu seiner Abwehr an einer der Sennhütten ein erlegter Eichelhäher über der Eingangstüre an die Wand genagelt.

DAS FREITAL


Wahrscheinlich war es daran gelegen, dass dieses Tal, in dem auch meine Vorfahren über Jahrhunderte gelebt hatten, zu Zeiten von Kaiser Leopold I. ein sogenanntes »Freythal« war. Ein Stein am Taleingang, in blassgüldener barocker Schrift beschrieben und mit der Jahreszahl 1668 versehen, kündet noch heute von der Tatsache dieses juridischen Sonderstatus. Nach einer alten Chronik war dieses FREITAL eine Art Asylgebiet: Wenn sich Hexen, Zauberer oder anderweitig auffällige Menschen, die von den Häschern des Regimes gesucht wurden, bis in dieses Tal durchschlagen konnten, so waren sie vor der Justiz außerhalb des Tales sicher.[1] Hier konnten sie eine neue, wenn auch meist sehr bescheidene Existenz aufbauen. Auch die strenge imperiale und klerikale Justiz vergangener Zeiten hatte offensichtlich ihre bewusst gewählten Schlupflöcher: keine noch so strenge Regel ohne Ausnahme. Menschen, die etwas anders als der Durchschnitt gestrickt waren, konnten diese nutzen, wenn sie ein bisschen Glück hatten.

Freital: juridischer Begriff aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit, der für Täler angewendet wurde, die nicht der Obrigkeit unterstanden, sondern eine eigene, autarke Justiz hatten.

DER HIMMEL IM TALSCHLUSS


Wenn man in diesem Tal bis ans Ende des Talgrundes wanderte, kam man in den Himmel, eine Quellgegend, die von mächtigen dunkelgrünen Zirben sowie im Sommer von lichtgrünen und im Herbst goldgelben Lärchen locker bestanden war. Es herrschte absolute Ruhe mit Ausnahme des murmelnden Bächleins, das dort seinen Mäander durch die Wiese zog, und dem Rauschen des Windes in den Bäumen, sofern der Tag nicht windstill war. Noch mächtiger als die stehenden Zirben waren umgefallene Zirbenstämme, wahre Titanen, deren Wurzeln nach Jahrhunderten des stetigen Wachstums und Widerstandes gegen die Naturgewalten bei einem der stärkeren Stürme losgelassen hatten und in die feuchte Bergwiese rund um das Bächlein gefallen waren. Nun lagen sie einsam im unwahrscheinlich grünen Moos, das gegen die schwarzen Moorlachen, die gelben Sumpfdotterblumen und die schwarzblauen, im Herbst dunkelrotblättrigen Heidelbeeren ausnehmend hübsch kontrastierte. Zirbenholz ist relativ widerstandsfähig, auch gegenüber der Witterung. Sonst wäre es nicht möglich, dass Zirben weit über 1000 Jahre alt werden können. Trotz der jahre- oder jahrzehntelangen Verwitterung rochen die Stämme herb nach Rinde, und an den Bruchflächen der Äste war der typische heimelige Geruch nach Zirbenholz zu erschnuppern.

DIE ÄLTESTEN


Das war die Landschaft, in der ich als Kind zum ersten Mal Zirben zu sehen bekam. Wunderschöne, ausgewachsene und gereifte WETTERZIRBEN, uralt, mit der Mächtigkeit und Weisheit von Jahrhunderten, die uns sonst nur in würdigen Kathedralen, bei sehr großen Bäumen und bei Tieren aus der Familie der Wale oder Elefanten entgegentritt. Das waren die Ältesten der Landschaft, silbergrau, wo sie verwittert waren und vor Vitalität strotzend, wo ihr Grün zum Vorschein kam. Ich bestaunte auch die umgefallenen Exemplare, diese nun kahlen und mit ihren Ästen schroff in den blauen Himmel aufragenden Bäume und kletterte in dem Labyrinth der senkrecht stehenden Aststummel bis in den am Boden liegenden Wipfel hinauf. Ein Stückchen von einem wohlriechenden Ast brach ich ab und nahm ihn als Geruchstrophäe mit, als olfaktorischen Beweis für die bedauernswerten im Tal Gebliebenen. Wenn meine Eltern mit mir dann müde das Tal und das Haus meiner Eltern erreichten, roch ich ähnlichen, aber bei weitem nicht so intensiven Wohlgeruch an der Zirbentruhe meiner Großeltern, die sie über viele Jahrzehnte zum Aufbewahren von Mehl verwendet hatten und die jetzt gereinigt, abgeschliffen und neu geölt im Wohnzimmer meiner Eltern stand.

Wetterzirbe: alte Zirbe, die vor allem im Gebirge an der Baumgrenze vorkommt und aus dem Wechselspiel zwischen kräftigen Witterungseinflüssen wie Wind, Schnee und Sonnenschein und dem unbändigen Baumwachstum entsteht.

Zirben waren also etwas Ähnliches für mich wie wahrscheinlich Elefanten oder Baobab-Bäume für ein afrikanisches Kind: mächtig, uralt, vielleicht sogar weise, etwas, zu dem man als Kind ehrfürchtig aufschaut und das man als Ältestes der Landschaft respektiert. Dass man im Zirbenholz gut schlafen solle, war mir nicht bekannt und wurde auch in dieser Gegend nicht erwähnt. Zirbenholzstuben waren zwar in manchen Bauernhöfen vorhanden, wurden aber zur Zeit meiner Kindheit nirgends mehr neu eingebaut, sondern höchstens als gemütliches aber altertümliches Relikt einer vergangenen Zeit geduldet.

EIN PROJEKT ERSCHEINT AM HORIZONT


So war es für mich 30 Jahre später als Leiter eines damals gerade drei Jahre alten Hightech-Forschungsinstitutes verwunderlich, als ein junger Forstingenieur der Landwirtschaftskammer Tirol sich bei unserem Institut anmeldete und ein Gespräch zum Thema »Schlafqualität im Zirbenbett« suchte. Er hatte in den Medien von unseren Messungen an österreichischen und russischen Kosmonauten gelesen, die wir in der Raumstation MIR (russisch: »Frieden«) in den 1990er-Jahren durchgeführt hatten. Nun suchte er im Auftrag der Landwirtschaftskammer ein Institut, das Schlafqualität objektiv messen konnte, in der Hoffnung, den wissenschaftlichen Nachweis erbringen zu können, dass man im Zirbenholzbett besser schläft als in einem konventionellen Bett aus dem Möbelhaus. Grund für diese Suche war eine Zukunftskonferenz der Landwirtschaftskammer gewesen, bei der man beschlossen hatte, die aus dem Volksglauben überlieferten Eigenschaften unterschiedlicher Hölzer durch wissenschaftliche Studien untersuchen zu lassen. Zirbenholz, so die Volksmeinung insbesondere in Tirol, sei besonders gut für Betten und Kinderwiegen geeignet, da der Schlaf im Zirbenbett besonders tief und erholsam sein solle. Gleiches galt offensichtlich für Kleinkinder, da Zirbenwiegen den Ruf hatten, dass die Eltern nach der schweren bäuerlichen Tagesarbeit nachts besonders wenig durch wache und schreiende Kinder gestört würden. Später konnte ich mich im Innsbrucker Volkskundemuseum und auch im Museum der Kärntner Nockberge überzeugen, dass offensichtlich wirklich beinahe alle Wiegen der Tiroler und Kärntner Berge aus Zirbenholz gemacht waren; zu diesem Zeitpunkt war mir dies jedoch noch nicht bekannt gewesen.

Bäuerliche Stube des 19. Jahrhunderts aus Zirbenholz im Volkskundemuseum Nockberge. Nicht nur Möbel, auch die Geräte wurden vielfach aus Zirbenholz gefertigt.

DER ZWEIFEL DES WISSENSCHAFTLERS


Leider musste ich dem Ursprungsanliegen des Herrn Forstingenieurs zunächst eine Absage erteilen: Wir konnten keinesfalls zusagen, den Nachweis für die Wirkung von Zirbenholzbetten auf den Schlaf zu erbringen. Ich hielt es zwar für möglich, dass eine Verbesserung der Schlafqualität eintreten könnte, doch ist Schlafqualität aus verschiedenen Komponenten...