Märchenfluch, Band 2: Die Rache der Fee

von: Claudia Siegmann

Ravensburger Buchverlag, 2020

ISBN: 9783473479856 , 384 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 12,99 EUR

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Märchenfluch, Band 2: Die Rache der Fee


 

Eines hatte mich die leidige Erfahrung mit Scitus gelehrt: Ihm war nicht zu trauen. Ich konnte nicht abstreiten, dass mir seine Äußerung bezüglich Invidias Befreiung einen gehörigen Schreck eingejagt hatte, doch nach kurzem Nachdenken beruhigte ich mich wieder. Es war ganz eindeutig ein lächerlicher Einschüchterungsversuch, mit dem Scitus mir hatte weismachen wollen, ich sei auf ihn angewiesen. Wenn der hinterhältige Spiegel mich für so dumm hielt und glaubte, mir seinen fiesen Auftritt im Gewächshaus als großmütigen Akt meiner Rettung verkaufen zu können, hatte er sich geschnitten.

Laut Scitus hatte die Kröte verschwinden müssen, damit Salien wieder er selbst werden konnte. Soweit stimmte das auch, denn die Kröte hatte sich vor unseren Augen in einen Menschen verwandelt. Auch wenn ich das noch nicht ganz verdaut hatte und sicher noch mit einigen Leuten darüber würde reden müssen, war ich in einem Punkt sehr sicher, nämlich, dass es keine Krötenleiche gegeben hatte. Und genau das war der Knackpunkt, der Scitus überführte. Im Gewächshaus hatte es sehr wohl eine Art Leiche gegeben – die der Killerrose. Das mörderische Pflänzchen war bei meiner Berührung wie verbranntes Papier zu Staub zerfallen. Falls Invidia wirklich darin gefangen gewesen war, nun, dann war sie jetzt ebenfalls nichts weiter als ein Häufchen Staub und Asche. Sie hatte also gar keine Chance gehabt, sich in ihre menschliche Gestalt zurückzuverwandeln. Ich hatte mit der gefürchteten dreizehnten Fee kurzen Prozess gemacht.

Mit Scitus übrigens auch. Erst hatte ich ihn wieder in den fliederfarbenen Kosmetikspiegel rufen wollen, doch Scitus hatte für meinen Geschmack eine Spur zu breit dabei gegrinst und somit meinen Argwohn geweckt. Auf meine diesbezügliche Nachfrage räumte er zähneknirschend ein, dass dies in den letzten Jahren sein Gefängnis gewesen war, aus dem ich ihn ja nun, unwissend oder nicht, befreit hatte. Dieser Spiegel konnte Scitus nun nicht länger binden, was ihm schlussendlich auch erlaubt hatte, im Gewächshaus aufzutauchen.

Verärgert entsorgte ich den nutzlosen Kosmetikspiegel und rief Scitus kurzerhand wieder in die Puderdose meiner Mutter. Die wickelte ich in Zeitungspapier und stopfte das nörgelnde Päckchen in die unterste Schublade meiner Kommode. Dann ging ich müde zu Bett.

Aber irgendwas hatte ich vergessen …

Kaum hatte ich mich hingelegt, war ich auch schon eingeschlafen. Das war eigentlich kein Wunder, denn erst hatte ich ausgelassen auf einem magisch schönen Ball getanzt, dann um mein Leben gekämpft, anschließend noch schnell geholfen, einen Froschkönig zurückzuverwandeln, und zu guter Letzt meinen Traumprinzen erobert. Keine schlechte Bilanz für einen Frischling im Märchen-Business.

Gerade träumte ich davon, wie ich in meinem wunderschönen Kleid, einer Kreation aus dem Hause TaSch, mit Hektor tanzte. Es war ein langsames Lied, das nur für uns lief. Eng an Hektor geschmiegt lag ich in seinen Armen und hätte ewig so weitertanzen können, wenn mich nicht das schrille Läuten an der Wohnungstür erst aus dem Takt gebracht und schließlich geweckt hätte.

Im Flur hörte ich Ma, die fröhlich Jens begrüßte. Er sagte etwas von frischen Brötchen. Mein Magen hatte das wohl auch gehört, denn er begann sogleich munter draufloszuknurren und sabotierte damit meinen Plan, wieder in den herrlichen Traum mit Hektor zu versinken.

Aber warum träumen? Hektor hatte mich geküsst! Ganz real und in Farbe. Und das war gerade erst ein paar Stunden her.

Als ich an die zärtliche Berührung seiner Lippen dachte, kribbelte es in meinem ganzen Körper. Jemand hatte einen ganzen Schwarm Schmetterlinge in meinem Bauch losgelassen, die mich mit ihrem stürmischen Flügelschlag ein paar Zentimeter in die Luft zu heben schienen. Hektor!

Meine Füße strampelten die Decke weg und ich sprang aus dem Bett, wobei ich ein lautes Lachen nur schwer unterdrücken konnte.

Meine Euphorie erhielt einen kleinen Dämpfer, als ich auf mein Handy sah. Keine neuen Nachrichten. Ich überlegte, ob Hektor überhaupt meine Nummer hatte. Meine Enttäuschung schwand, denn ganz offensichtlich war das der einzige Grund dafür, dass er sich noch nicht bei mir gemeldet hatte. Und da wir später verabredet waren, konnte ich diesen Missstand ein für allemal klären und mit Hektor Nummern tauschen. Er wollte mich um drei abholen. Dann waren wir wieder zusammen. Nur er und ich. Ohne Neva.

Mit ordentlich Herzklopfen schnappte ich mir frische Klamotten und huschte ins Bad. Erleichtert bemerkte ich, dass die Kratzer, die sich am Abend zuvor noch tief und verfärbt über mein Gesicht und den Körper gezogen hatten, verheilt waren. Nur auf der rechten Wange sah man noch einen roten Streifen. Nach dem Duschen musste ich ihm mit Mas Abdeckstift zu Leibe rücken.

Zwanzig Minuten später saß ich gut gelaunt und mit nassen Haaren bei Ma und Jens am Frühstückstisch.

»Guten Morgen, Flo«, sagte Ma und sah mich erwartungsvoll an. »Erzähl! Wie war es auf dem Ball?«

»Schön.«

»Ach, komm!« Ma schenkte mir ein Glas frisch gepressten Orangensaft ein. »Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Habt ihr richtig getanzt, du und Timus?«

Ich hatte jetzt keine Lust, über Timus zu sprechen, und nickte vage. »Ja. Die Musik war gut.«

»Habt ihr … Also, hat er dich …?«

»Ma!«

»Was denn? Ich will doch nur wissen, ob ihr …?«

»Mama!«

»Ich verstehe«, mischte Jens sich ein und zwinkerte mir zu, bevor er sich Ma zuwandte. »Vielleicht möchte dir Flo lieber unter vier Augen davon erzählen. Bestimmt ist es ihr sonst peinlich.«

Er nahm die Tageszeitung hoch und verschwand dahinter, als sei er so nicht mehr in der Lage, ein privates Gespräch zu verfolgen.

»Hört mal«, verärgert nahm ich ein Brötchen mit Sonnenblumenkernen, pickte ein paar davon herunter und steckte sie in meinen Mund. »Hier ist nur peinlich, dass ihr glaubt, mir müsste etwas peinlich sein. Okay?«

Ma grinste, und ich schüttelte den Kopf. Dabei fiel mir etwas ein, doch bevor ich diesen Gedanken fassen konnte, war er auch schon wieder fort. Seltsam. Dabei war ich sicher, es war etwas Wichtiges.

Die Aprikosenmarmelade stand vor Jens’ Teller. Ich machte mich lang, um nach dem Glas zu greifen, dabei fiel mein Blick auf die Titelseite der Zeitung.

UNTERKREUPEN IN FLAMMEN

»Und wann bist du nach Hause gekommen?«, wollte Ma wissen, doch ich murmelte nur eine unverständliche Antwort, da der Artikel auf der Titelseite meine ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Mit zusammengekniffenen Augen las ich den Artikel unter einem Bild, das die Luftaufnahme eines riesigen Erdlochs zeigte.

Für die Einwohner von Unterkreupen war die Nachtruhe jäh zu Ende, als die Feuerwehr gegen drei Uhr zwanzig mit vier Löschwagen …

Jens legte die Zeitung auf seinen Beinen ab, um einen Schluck Kaffee zu trinken. Das nutzte ich sofort aus und schnappte mir das Käseblatt, obwohl er verblüfft protestierte.

… anrückte. Ein seit Jahren leer stehendes Gewächshaus stand in Flammen und brannte bis auf die Grundmauern nieder. Doch damit war der Schreck für die Unterkreupener noch lange nicht ausgestanden. Eine verheerende Katastrophe bahnte sich an. Lesen Sie weiter auf Seite 8.

Ich blätterte schnell zum Innenteil. Meine Augen rasten über den Artikel und blieben schließlich an dem Wort Explosion hängen.

… Drei Unterkreupener, die die nächtliche Löschaktion beobachtet hatten, und ein Feuerwehrmann wurden leicht verletzt, als es plötzlich zu einer heftigen Explosion kam. »Es ist wie ein Wunder«, sagte ein Polizeisprecher zu unserem Reporter vor Ort, »dass nichts Schlimmeres passiert ist. Nun müssen wir ermitteln, wie es überhaupt dazu kommen konnte.« Derzeit geht die Polizei davon aus, dass im Gewächshaus große Mengen gefährlicher Chemikalien gelagert wurden. Möglicherweise Pflanzendünger, der …«

Nachdenklich gab ich Jens die Zeitung zurück. Natürlich hatte ich nichts dagegen, dass dieses Gewächshaus dem Erdboden gleichgemacht worden war, dennoch glaubte ich nicht an die Erklärung mit den Chemikalien. Ich dachte an die vielen Genaver, die extra den Ball verlassen hatten. An ihre Schutzanzüge und die Container, mit denen die verkohlten Rosenüberreste abtransportiert worden waren. Zweifellos hatten die Genaver bei der Explosion ihre Finger im Spiel. Aber warum hatten sie das Gewächshaus gesprengt und dabei sogar ahnungslose Menschen gefährdet? Stimmte es also doch, was Scitus über Invidia erzählt hatte?

Natürlich hätte ich einfach Scitus fragen können. Ich hätte aber genauso gut versuchen können, brauchbare Informationen aus meinem Kopfkissen herauszubekommen. Das schwatzte zwar nicht so viel, verdrehte allerdings auch nicht die Wahrheit gerade so, wie es ihm passte. Außerdem hätte der hinterhältige Scitus sicher eine Entschuldigung von mir verlangt, weil ich ihm nicht geglaubt und ihn sogar noch samt Puderdose in die Kommode gestopft hatte. Und ich hatte wirklich keine Lust, für ein paar Antworten erst bettelnd auf den Knien herumzurutschen.

Neva wollte ich nicht fragen. Dass ich eventuell die gefährlichste Fee seit Menschengedenken freigelassen hatte, war nichts, womit man vor seinen Freunden angeben konnte. Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als zur Mühle zu fahren. Oder ich könnte meine … Verflixt! Schon wieder war mir entfallen, was mir nur einen Augenblick...