Schluss mit der Geduld - Jeder kann etwas bewirken. Eine Anleitung für kompromisslose Demokraten

von: Philipp Ruch

Ludwig, 2019

ISBN: 9783641246983 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 4,99 EUR

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Schluss mit der Geduld - Jeder kann etwas bewirken. Eine Anleitung für kompromisslose Demokraten


 

KÄMPFE!

Über die Strategie des Fascismus: Wie man mit inszeniertem Bürgerkrieg an die Macht gelangt  Warum es dringend nötig ist, dass wir uns für die Demokratie zur Wehr setzen, wie weit wir in diesem Kampf gehen müssen, und was die richtigen Mittel sind.

Wenn wir schlaflos in den Betten lagen

und der Phantasie Gefahrspiele zu kosten gaben.

(Anton Kuh)

Der Kampf um die Zukunft

»Lerne, so viel du kannst, aus der Geschichte«, unterrichtete Churchill seinen Sohn, »denn wie sonst könntest du wissen, was in der Zukunft passiert?« Ich möchte einen Teil in historischer Phantasie aufschlagen. Mitunter gelingt es, die Ereignisse der eigenen Zeit im Spiegel einer anderen Zeit zu verstehen. Für dieses Buch habe ich die Ausgaben des Jahres 1932 der Weltbühne studiert. Ich wollte wissen: Warum Hitler? Was ahnten die Zeitgenossen? Ich erwartete, gegen Jahresende Warnungen vor Hitler zu lesen. Aber bereits im allerersten Artikel, Januar 1932, schildert Carl von Ossietzky, wie der Chefredakteur einer Zeitung auf Hitlers Befehl entlassen wird. Im Januar 1932 ist Hitler weit davon entfernt, ein Amt zu bekleiden. Er verfügt offiziell über keine Macht im Staat. Wie kann auf seinen Willen hin ein Chefredakteur entlassen werden?

Ich erwartete, einen über das gesamte Jahr anschwellenden Einfluss der Nationalsozialisten zu beobachten. Stattdessen schmettert von Ossietzky den Satz schon auf der fünften Seite ins Gesicht: »Jeder Redakteur […] wird sich danach fragen, ob er es noch in Zukunft wird wagen dürfen, eine Nachricht zu bringen, die Hitler unangenehm ist«. Da merkte ich, dass ich mein Wissen über die Weimarer Republik vergessen sollte.

Wie ist das möglich? Wie kann Hitler Macht besitzen, ohne gewählt zu sein? Er wird ein Jahr später, im Januar 1933, Reichskanzler. Das Studium der Weltbühne zeigte mir zwei Dinge. Der beruhigende Teil zuerst: Die Weltbühne wird ihrem Ruhm nicht gerecht. Sie liegt politisch teilweise völlig daneben (Tucholsky bezeichnet den Fascismus an einer Stelle als »Lagerbräu«). Auch qualitativ können sich die Autoren der Weltbühne nicht mit den Intellektuellen von heute messen. Was Mely Kiyak, Georg Diez, Harald Welzer, Naika Foroutan, Arno Frank, Samira El Ouassil, Matthias Dell oder Maxim Biller zu Papier bringen, ist um Längen besser als die Texte der Weltbühne. Zumindest 1932 ist die Zeitschrift nicht das politische Blatt, als das sie verehrt wird.

Aber es gibt auch einen beunruhigenden Teil. Das Jahr 1932 verrät uns mehr über unsere eigene Zeit, als ich erwartet hätte. Die Weltbühne, die Woche für Woche eine selbstzerstörerische Gegenwart rekapituliert, kennt eine erschreckende Kontinuität der Ereignisse. Aus dem Geschichtsunterricht wusste ich über die Weimarer Republik, dass das wesentliche Problem in der Instabilität der Regierungen bestand. Die Regierungen zerfallen in rascher Abfolge. Was Die Weltbühne weiß, was sie wöchentlich weiß und über das Jahr als eine stringente Erzählung ausbreitet, wirft ein anderes Licht auf die vermeintliche Fragilität Weimars. Die Weltbühne nennt Strippenzieher und Verantwortliche – und die sind immer dieselben (allen voran Kurt von Schleicher).

Hitler kommt Monat für Monat seinem Ziel näher: einem Staatsstreich. Auch die harte Rechte hat in unseren Tagen etwas vor. Um Hitler zu verstehen, müssen wir einen scheinbaren Nebenschauplatz genau betrachten, über den zwar viele reden, den aber nur wenige durchdringen: den Bürgerkrieg.

Ich habe mit mir gerungen, die Überlegungen zu Papier zu bringen. Die Gefahr besteht darin, der falschen Seite Gedanken zu stecken, aus denen sie lernt. Nach vielen Beobachtungen bin ich mir aber sicher, den Rechten nichts Neues zu erzählen. Nach dem Anlegen von Todeslisten, Leibstandarten, Safe-Houses, nach den großgesellschaftlichen Destabilisierungsversuchen von Chemnitz bin ich mir sicher, dass die Bürgerkriegstreiber wissen, was sie tun. Diese Kräfte sind über den Weg an die Macht längst durch eigenes Studium der NS-Aufzeichnungen im Bilde. Jedoch: Was weiß der Rest des Landes davon? Dieses Kapitel ist für alle politischen Beobachter, die die größere Entwicklungsrichtung noch nicht verstehen. Möge er dem Nachfolgenden den Weg versperren. Der Blick in die Vergangenheit könnte ein Blick in die Zukunft sein.

Das »Höcke«-Orakel

Der Fascismus hat seine ganz eigene Geschwindigkeit. Als sich die größte europäische Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg anbahnte – der Bürgerkrieg in Jugoslawien –, war der Lebensstandard vor dem Krieg höher als in der DDR. Bosnien verlor alles. In Wochen. Aufnahmen der Tagesschau von 1993 zeigen Geschäftsmänner in Anzügen, die um ihr Leben rennen. Sie sind gut angezogen, nur dass sie statt auf Arbeit in den Krieg gehen. Die Frauen tragen Lippenstift und legen ihre schönsten Kleider an. Aber es regiert die Gewalt des Militärs. Überall wird geschossen. Die Städte werden bombardiert. Die Gewalt kam über Nacht.

Auch der Aufstieg der Nationalsozialisten vollzieht sich in nur vier Jahren (von 1928 bis 1932). Um die Gesellschaft auf den größten Massenmord in der Geschichte der Menschheit vorzubereiten, brauchen sie dann noch einmal acht Jahre. Das ist nicht gerade viel Zeit. Noch Anfang 1933 denken die Menschen, die Demokratie stabilisiere sich, die Gefahr des Rechtsextremismus sei überstanden. Der Historiker Andreas Wirsching glaubt, dass da etwas völlig Unerwartetes um die Ecke kam: »Die großen Wendungen in der Geschichte sind häufig vollständig unerwartet gekommen. Das ist eine wirkliche Mahnung an unsere Zeit, dass wir auch über das Unerwartete versuchen müssen nachzudenken.«

Wie lange wird die AFD legal bleiben? Als »Partei« quält sie sich sichtlich mit dieser Frage. Es ist ihre Zukunftsfrage als rechtsextreme Organisation: Wie soll es weitergehen, legal oder illegal? Der Primgeiger des Fascismus, Björn Höcke, hat sich bereits entschieden: »Ich will Veränderung. Ich will eine grundsätzliche Veränderung. Ich will die AFD als letzte evolutionäre Chance für unser Vaterland erhalten. Ich will, dass wir diesen Halben einen Strich durch die Rechnung machen. Wir wollen das.«

Was bedeutet das? Was bedeutet das, wenn er später in seiner Rede erneut die Partei als »die letzte evolutionäre, sie ist die letzte friedliche Chance für unser Vaterland« bezeichnet? Was kommt, wenn diese friedliche Chance vertan ist? Was kommt nach dem Frieden? Bei Höcke gibt es keine Zufälle. Er fordert eine »Tat-Elite«. Die AFD ist für ihn eine »Bewegungspartei«, die »nicht nur Bewegungspartei sein« kann. Wie Hitler zerfällt Höcke in drei Teile: in einen legalen, in einen wirklichen und – als Geschichtslehrer – in das Rezitieren der Geschichte.

Höcke facht die Bewegung mit seinen Reden aus sicherer Entfernung an. Er will eine Bewegung der Straße schaffen. Ein Bürgerbündnis unter Einbeziehung der Schläger und Schlagstöcke, das die Straße »hält« und die Kanzlerin »in einer Zwangsjacke aus dem Bundeskanzleramt« abführen kann. Seine Version des Vaterlands wird von einer kosmopolitischen Elite ausgepresst. »Seine Rasse« wird durch den Gedanken der Gleichheit aller Menschen korrumpiert. (Bei Höcke handelt es sich genetisch betrachtet, oder wie man es im Kreis der rassistischen Connaisseure nennen mag, um einen ausgewanderten Portugiesen.) Er will rhetorisch und formal im Rahmen der Legalität bleiben. Aber er stiftet andere an. Er wiegelt auf. Und verdrückt sich dann, was allerdings unter den kampfbereiten Hooligans in Chemnitz für großen Unmut sorgte, als er sich nach dem »Trauermarsch« davonstahl. Während des Zweiten Weltkriegs kursierte in den neutralen Staaten das Bonmot, die Engländer würden bis zum letzten Franzosen kämpfen. Höcke kämpft bis zum letzten Extremisten in seinen Reihen – nur nicht selbst.

Auf den ersten Blick klingt es absurd. Warum sollte jemand mindestens seit 2017 auf einen Bürgerkrieg hinarbeiten? Aber denken wir an den 16. September 2015 zurück, als Höcke mit einem Marsch auf die Staatskanzlei forderte, blonde Frauen zu beschützen: »Die Angsträume werden größer in unserem Land. Gerade für blonde Frauen werden sie leider immer größer. Und das im eigenen Land, liebe Freunde!« Damals prusteten eigentlich alle los über so viel Schwachsinn. In den Zeitungsredaktionen hielt man das für »unfreiwillige Satire« (SPIEGEL ONLINE). Drei Monate später rotteten sich Hunderte Männer in einer Silvesternacht um den Hauptbahnhof in Köln und belästigten Frauen in Scharen, von der Polizei völlig unbehelligt. Es kam zu ungezählten Übergriffen.

Bis heute umgeben zwei große Rätsel die Silvesternacht von Köln: Wie kommt es zur Mobilisierung von so vielen übergriffigen Männern, die in der Mehrheit eigens für einen Abend nach Köln anreisen? Und: Weshalb geschieht in der Folge nie wieder etwas Vergleichbares? Viele werden das vergessen haben. Aber was die Gemüter damals am meisten erhitzte, war die konkrete Vorstellung, dass diese Silvesternacht nur der Auftakt eines ganzen Tsunamis nächtlicher Unsicherheiten in den deutschen Städten sein könnte. Nie ereignete sich auch nur ein einziges Mal ein zweites Köln. Warum?

Wir können nicht ausschließen, dass die psychologische Kriegführung der...