Grundrisse der Freiheit

von: Philipp Schink

Campus Verlag, 2019

ISBN: 9783593442945 , 355 Seiten

Format: PDF

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's

Preis: 26,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Grundrisse der Freiheit


 

1. Einleitung »Liberty is always a kind of dynamite which will blow things up.« Dieses Buch vertritt eine einfache These: Freiheit ist eine Eigenschaft der Beziehungen, die zwischen Akteuren bestehen. Frei zu sein, bedeutet, nicht der Macht anderer Akteure unterworfen zu sein. Mit der These wende ich mich gegen die weit verbreitete Annahme, Freiheit sei im Ausgang etwa der Idee der Selbstbestimmung, oder -verwirklichung zu verstehen. Auch hat Freiheit nichts mit der Umsetzung eigener Wünsche zu tun. Freiheit ist weder als Angelegenheit der effektiv zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten zu betrachten noch als Typ von Wahl- oder Entscheidungsfreiheit. Freiheit ist auch kein Begriff, mit dem die eigene Macht oder Maßgeblichkeit zum Ausdruck gebracht wird. Im Gegenteil. Der Begriff richtet sich stattdessen auf einen Zustand der Beziehung zu anderen, in dem diese nicht maßgeblich sind und man nicht ihrer Kontrolle unterliegt. Freiheit bezeichnet eine Weise, im Verhältnis zu anderen zu stehen. Unter dem Titel »Freiheit« werden natürlich eine ganze Reihe von recht unterschiedlichen Fragestellungen und Themen behandelt. Wenn ich von Freiheit spreche, meine ich eine Freiheit, die auf einen bestimmten Gegenstandsbereich Bezug nimmt: Wie die meisten Theoretikerinnen, in Auseinandersetzung mit denen ich die These in diesem Buch entwickele, interessiere auch ich mich dafür, Freiheit im Sinne eines proto-politischen oder sozio-politischen Kernkonzepts zu rekonstruieren. Das heißt, es geht mir auch um einem Begriff, der als Grundlage der Verwendung von Freiheit in sozialen und politischen Kontexten dienen kann. Strittig ist, auf welcher Basis und in welcher Weise ein solches Konzept überzeugend entwickelt werden kann und was genau seine Funktion und charakteristischen Eigenschaften sind. Historisch ist ein solches Freiheitsverständnis zunächst anhand der Frage des Zusammenhangs von Freiheit und Politik entwickelt worden. Dabei stand in der Neuzeit das Verhältnis zwischen Individuum und Staat im Mittelpunkt. Die Bedeutung von Freiheit wurde im Horizont der Fragen nach den Grenzen staatlicher Eingriffe, nach den spezifischen Leistungen politischer Ordnungen und der Art und Weise, wie Herrschaft legitimiert werden kann, behandelt. Das Freiheitsverständnis bildete sich stark in konkreten Umbruchsprozessen und Konflikten heraus. Dabei kam ihm immer auch eine erschließende Rolle zu: Der Rekurs auf Freiheit diente dazu, den Charakter von Herrschaftsverhältnissen zu entschlüsseln. In der philosophischen Bearbeitung wurde versucht, ein anspruchsvolles und erhellendes Verständnis politischer Freiheit im Rückgriff auf Handlungs- oder Willensfreiheitskonzepte zu entwickeln. Auch die zeitgenössische Diskussion ist stark durch diese auf Hobbes und Rousseau zurückgehende Herangehensweise geprägt. Im 19. Jahrhundert erfährt im Zuge der dramatischen gesellschaftlichen Transformationsprozesse auch die Freiheitsdiskussion neue Impulse und findet zu einer neuen Ausrichtung. Die elende Lage breiter Bevölkerungsschichten, die auf Gedeih und Vererb dem Beschäftigungswillen anderer ausgeliefert waren und sich als Tagelöhner verdingen mussten, führte zu einem Verständnis von gesellschaftlicher Herrschaft. Diese wurde einerseits darin gesehen, dass eine Gesellschaftsordnung aufgrund ihrer Verfasstheit keine umfassende Bedürfnisbefriedigung, Verwirklichung der eigenen Wünsche oder menschlichen Potentiale ermöglicht. Das Fehlen von Mitteln und Möglichkeiten wurde als der Kern der Unfreiheit selbst begriffen und infolgedessen ein Verständnis von Freiheit entwickelt, das diese im Sinne realer Handlungsmöglichkeiten oder Selbstverwirklichung rekonstruiert. Dem gegenüber wurde andererseits eine Auffassung von Unfreiheit entwickelt, die diese in der sachlich vermittelten Abhängigkeit von anderen Akteuren begründet sieht. Das Fehlen von Gütern und anderen realen Handlungsmöglichkeiten wurde nicht als Unfreiheit selbst begriffen, sondern als Ausdruck und Bedingung davon, anderen Akteurinnen ausgeliefert zu sein - in diesem Umstand liege die Unfreiheit. Deutlich wird, dass zwar in beiden Ansätzen ein grundlegend anderes Verständnis von Herrschaft entwickelt wurde, dem Freiheitsbegriff jedoch weiterhin eine herrschaftsanalytische Funktion zukam. Herrschaft wurde einerseits entpersonalisiert und in der Verfassung sozialer Verhältnisse begründet. Andererseits wurde sie weiterhin als eine Beziehung zwischen Akteurinnen aufgefasst. Durch den Fokus auf den Charakter von sachlich vermittelter Abhängigkeit kam es jedoch zu einer deutlichen Veränderung des Verständnisses davon, in welcher Weise andere Akteure freiheitseinschränkend wirken können. Das vorliegende Buch knüpft an Einsichten an, die in diesem zweiten Strang formuliert wurden. Meine These ist, dass sich aufgrund dieser historischen Erfahrungen in der zeitgenössischen Diskussion das Bemühen erkennen lässt, ein Kernkonzept der gesuchten sozio-politischen Freiheit auszuarbeiten, das auf die Verfassung von Beziehungen zwischen Akteurinnen referiert. Herrschaftsdiagnostisch und -kritisch ausgerichtet, begreift es Herrschaft wesentlich als eine Form der Macht und Kontrolle. Normativ und praktisch orientiert es das Unterfangen, sozio-politische Verhältnisse so zu gestalten, dass niemand der Verfügungsgewalt anderer unterworfen ist. Die zeitgenössische Freiheitsdiskussion hat ihren zentralen Bezugs- und Abstoßungspunkt in den freiheitstheoretischen Schriften des Oxforder Philosophen und Ideengeschichtlers Isaiah Berlin. In seiner Vorlesung Zwei Freiheitsbegriffe von 1958 unterscheidet er das bisherige philosophische Nachdenken über Freiheit in zwei Ansätze. Die Traditionslinie negativer Freiheit begreife Freiheit als den Handlungsbereich, der nicht den Eingriffen anderer Akteurinnen unterliegt. Demgegenüber verstünden positive Ansätze Freiheit in der Weise, dass ein Individuum dann frei sei, wenn es über sich und seine Handlungsumstände die Kontrolle ausüben würde. Die kritische Auseinandersetzung mit diesem Unterscheidungsvorschlag sowie seiner näheren Bestimmung durch Berlin hat die jüngere Debatte stark geprägt, strukturiert und angetrieben. Die einzelnen Ansätze konnten dadurch präziser gefasst und stärker konturiert werden, zudem ließen sich eine Vielzahl von neuen Einsichten in den Charakter und die Implikationen der diversen Freiheitskonzeptionen, die unter den beiden Traditionslinien versammelt werden können, formulieren. So bestritt Charles Taylor in seiner einflussreichen Kritik der von Isaiah Berlin verteidigten negativen Freiheit, dass diese als eigenständiger Begriff tatsächlich konsistent, geschweige denn überzeugend sei und schlug vor, die Gruppierung in negative und positive Ansätze durch die Unterscheidung in Möglichkeits- und Ausübungsbegriffe zu ersetzen. Seine These, Berlins negative Freiheit weise eine Inkonsistenz auf, die nur im Horizont einer anspruchsvollen Konzeption von Selbstbestimmung und -verwirklichung aufzulösen sei, ist selbst vielfach aufgegriffen worden und wird im zweiten Kapitel dieses Buchs eine Rolle spielen. Aber auch Anhänger negativer Freiheitskonzeptionen haben diese in Auseinandersetzung mit Berlins Vorschlägen in entscheidenden Hinsichten weiterentwickelt. So wurde die schon in Zwei Freiheitsbegriffe formulierte Kritik an Auffassungen ausgebaut, denen zufolge nur jene Handlungen anderer Akteurinnen Freiheitseinschränkungen darstellen würden, die mit dem ausdrücklichem Vorsatz erfolgen, anderen Möglichkeiten zu verstellen. Auch wurde wesentlich klarer herausgearbeitet, was beispielsweise an der Annahme, Freiheit bestünde darin, seine individuellen Wünsche verfolgen zu können, grundsätzlich problematisch ist. Schließlich wurde auf einem zum Teil beeindruckend hohen analytischen Niveau versucht zu klären, was überhaupt als Freiheitseinschränkung gelten kann. Dem Vorschlag Berlins folgend, könnten dies in der Perspektive der klassischen negativen Freiheit nur Handlungen anderer Personen sein, aber zählen darunter auch Drohungen? Gerade der Ideen von Hobbes und Bentham aufnehmende Vorschlag des kanadischen Philosophen Hillel Steiner, einzig die faktische Verhinderung von Handlungsmöglichkeiten sei als Freiheitshindernis in Erwägung zu ziehen, hat eine Reihe von gewichtigen Beiträgen provoziert und schließlich die Fragen vorgeprägt, die ab den 1990er Jahren die Freiheitsdebatte bestimmten. Die von Quentin Skinner und Philip Pettit in einer Reihe von Schriften verteidigte These, in der politischen Tradition eines auf Machiavelli zurückgehenden Republikanismus ließe sich ein dritter Freiheitsbegriff finden, der Freiheit und Politik nicht als Gegensatz auffasse, dennoch aber nicht auf Konzepte von Autonomie oder Selbstbestimmung zurückgreife, hat eine breite Rezeption erfahren und eine weitverzweigte Debatte ausgelöst. Insbesondere Pettits These, Unfreiheit bestünde nicht nur in faktischen Eingriffen anderer, sondern schon darin, allein der Willkür anderer ausgeliefert zu sein, gab der Freiheitsdiskussion einen neuen Schub und führte zu einer Vielzahl von Einsichten und Präzisierungen. Am Anfang meiner Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen freiheitstheoretischen Vorschlägen, die die zeitgenössische Diskussion prägen, stand der Eindruck, dass vielfach Vertreterinnen positiver Freiheitskonzepte in ihren Befunden hinsichtlich konkreter Fälle von Unfreiheit richtig liegen und sie die klassischen negativen Ansätze, die oft zu der gegenteiligen Einschätzung kommen, entsprechend zu Recht kritisieren. So teile ich gemeinsam mit vielen Autorinnen positiver Freiheitsansätze die Auffassung, dass etliche der konkreten Diagnosen, die Vertreterinnen der klassischen negativer Ansätze hinsichtlich der Freiheitsrelevanz einer ganzen Reihe von sozialen Missständen vornehmen, unzutreffend sind. Am eindrücklichsten lässt sich dies sicherlich hinsichtlich der Frage von Armut zeigen. Bekanntermaßen sind viele Autorinnen, die in der einen oder anderen Weise für eine negative Auffassung von Freiheit argumentieren, der Ansicht, der fehlende Zugriff auf materielle Güter und Möglichkeiten sei begrifflich nicht relevant - und weil dem so sei, schlussfolgern sie, sei Armut in unseren Gesellschaften, so sie nicht das Ergebnis absichtlicher Eingriffe, sondern etwa nur des normalen Marktgeschehens ist, kein Fall von Unfreiheit. So plausibel mir die begriffliche These erschien, so großes Unverständnis hat bei mir stets die Schlussfolgerung hervorgerufen. Mein vager Eindruck war, dass zwar die diskutierten Beispiele und Fälle durchaus freiheitsrelevante Probleme darstellen, jedoch wiederum von den Vertreterinnen positiver Ansätze freiheitstheoretisch nicht zutreffend analysiert werden. Grob vereinfacht gesagt, schienen die Anhängerinnen positiver Freiheit wesentlich sensibler für faktische Fälle von Unfreiheit zu sein, die negativen Ansätze aber im Kern der Tendenz nach rekonstruktiv überzeugender. Dass die Vertreterinnen der negativen Freiheitsverständnisse jedoch nicht die reklamierte Freiheitsrelevanz der von den positiven Ansätzen zu Recht angeführten Fällen sehen haben, deutet daraufhin, dass sie allerdings selbst nicht richtig erfassen, was die Implikationen der von ihnen verteidigten Tradition sind und worin deren eigentliche Pointe besteht. ...