Bürgermeisterin werden - Fahrplan ins Amt - Praxistipps und Coachingtools

von: Hanne Weisensee

Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, 2019

ISBN: 9783415065413 , 182 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 38,99 EUR

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Bürgermeisterin werden - Fahrplan ins Amt - Praxistipps und Coachingtools


 

Kapitel 1 Kandidatur:
Hürden, Reiz und Klärungshilfen


Überlegen Frauen zu lange und Männer greifen einfach zu?


„Kein demokratisches Gemeinwesen kann es sich auf die Dauer erlauben, dass die eine Hälfte der Bevölkerung in den politischen Führungs- und Entscheidungspositionen nicht angemessen vertreten ist. Dies gilt in besonderem Maße für die Kommunalpolitik, die zu Recht als Basis der Demokratie angesehen wird.“4

Die öffentliche Verwaltung hat den politischen Auftrag, den Anteil an Männern und Frauen in Führungspositionen anzugleichen. Hierzu enthält der Koalitionsvertrag vom 14.3.2018 zwischen CDU/CSU und SPD unter III. 3. (Seite 23 ff.) folgende Vereinbarung: „Dem öffentlichen Dienst kommt für die Gleichstellung von Frauen und Männern eine Vorbildfunktion zu. Wir wollen daher die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Leitungsfunktionen des öffentlichen Dienstes bis 2025 erreichen. (…) Frauen sind in Führungspositionen noch immer unterrepräsentiert.“ Auch die Europäische Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene von 2006 gibt Kommunen in der EU die Verpflichtung vor, Strategien zur Herstellung von Chancengleichheit auf der lokalen Ebene zu entwickeln und umzusetzen. Festgeschrieben wurde dies erstmals 1997 im Amsterdamer Vertrag und dann fortgeführt im Vertrag von Lissabon 2009 (Art. 21 und 23 der Charta der Grundrechte der EU u. a.). Dennoch haben bis Herbst 2018 erst 50 Kommunen und Landkreise in Deutschland die Charta unterzeichnet und sich Maßnahmen auferlegt.5 Das sind beschämend wenige. Fragen Sie in Ihren Stadt- und Gemeinderäten nach, wie sich Ihre Kommune zur EU-Gleichstellungs-Charta verhält.

Zweck ist nicht ein formaler Akt, sondern die Qualitätssicherung bei kommunalen Entscheidungen durch die angemessene Beteiligung verschiedener Perspektiven, Erfahrungen und Lebenshintergründe. Gemischte Teams und männlich/weiblich besetzte Führungstandems bringen erwiesenermaßen bessere, weil differenziertere Ergebnisse. Monokultur wird vermieden. Zahlreiche Studien zu diesem Thema sprechen für sich. In vielen öffentlichen Verwaltungen sind externe Beratungsfirmen an Changeprozessen beteiligt. Daher sei hier eine Studie von McKinsey zum Erfolg gemischter Teams genannt: Unternehmen schneiden in den Bereichen Führung, Übernahme von Verantwortung, Koordination und Kontrolle, Innovation, Orientierung nach außen, Motivation, Leistungsvermögen, Arbeitsumfeld und Werte deutlich besser ab, wenn Männer und Frauen gleichermaßen berücksichtigt werden. Auch Studien der Europäischen Union belegen dies.6 Warum sollten diese Ergebnisse nicht auch für öffentliche Verwaltungen gelten? Doch nun werfen wir einen Blick auf die Hürden, den Reiz und die Klärungshilfen auf dem Weg zur Kandidatur.

1. In der Zwickmühle – der Klärungsprozess


In unseren Workshops „Mein Weg zur Bürgermeisterin – Frauen ins Rathaus“ fragen meine Kollegin Ulla Zumhasch und ich immer wieder ab, wieso die potenziellen Kandidatinnen einen Klärungs-Workshop besuchen – und was sie sich davon erwarten. Die Antworten sind jedes Mal fast identisch und lassen sich so bündeln: Wir erwarten uns …

  • Entscheidungshilfen, um Zweifel auszuräumen

  • Selbstvertrauen, um auch bei Gegenwind zur Kandidatur zu stehen

  • Rollenklärung in allen Phasen

  • Klarheit über Zeitbudget, Kosten und Aufwand

  • Klarheit über Kandidatur und Amtsgestaltung

  • Strategische Unterstützung und Vorbereitung der Nominierung

  • Durchsetzungsstrategien für die Kandidatur

  • Aktive Vernetzung unter den politisch engagierten Frauen

  • Austausch über persönliche Erfahrungen mit der „gläsernen Decke“

  • Austausch mit amtierenden Praktikerinnen und Vorbildern

Damit der Austausch nicht nur unter den Kandidatinnen stattfindet, haben wir immer amtierende (Ober)Bürgermeisterinnen mit im Boot. Sie öffnen den Kandidatinnen ihren Erfahrungsschatz und unterstützen sie mit Tipps und professionellen Hinweisen aus ihrer Praxis. Das ist Gold wert! So können alle brennenden Fragen direkt gestellt und der Blick hinter die Kulissen von Wahlkampf und Amtsausübung ermöglicht werden. Auch die Amtsinhaberinnen haben etwas davon. Eine Amtsinhaberin merkte an: „Mir wird jetzt erst richtig bewusst, was ich in den letzten Jahren alles gelernt habe und heute für selbstverständlich ansehe. Und wie viel ich in diesem Job auch leiste – und das gerne!“

Uns hat neben den Praxis-Tipps zusätzlich interessiert, was die Amtsinhaberinnen vor Jahren veranlasst hat, in die kommunalpolitische Männer-Arena zu steigen, welche Karrieremotive sie also hatten. Eines war schnell klar: Macht und Einfluss im Sinne von Position, Prestige und Spitze der Karriereleiter gehören nicht zu den primären Karrieremotiven. Sie treten hinter konkrete Tätigkeitsmerkmale wie Gestalten, Verantworten, Verändern, Voranbringen zurück. Und die größten Hindernisse, sich doch für die Führungsposition im Rathaus zu entscheiden, liegen neben der zeitlichen Belastung und Verfügbarkeit nach wie vor in einer männerdominierten politischen Kultur und fehlenden weiblichen Vorbildern: Sitzungszeiten generell am späten Nachmittag oder Abend sind gang und gäbe. Kinderbetreuung? Fehlanzeige. Partnerschaftliche Diskussionskulturen? Die Ausnahme. Amtsinhaberinnen mit familiären Verpflichtungen? Müssen dies offensiv kommunizieren und verteidigen. Weibliche Vorbilder, von denen man lernen kann? Die kann man mit der Lupe suchen.

Die Sitzungs- und Präsenzkultur ist ein Hindernis für Führungsfrauen mit Familie. Wir müssen alle umdenken: Sitzungen müssen effektiver und flexibler gestaltet werden. Präsenz kann nicht das alleinige Maß sein. Es ist doch viel wichtiger, dass Informationsflüsse und Kommunikation funktionieren und die Ergebnisse stimmen. (Anita Schneider)

Diese Einschätzungen werden gestützt von den Ergebnissen eines mehrsemestrigen Forschungsprojekts an der Hochschule für öffentliche Verwal tung in Ludwigsburg, das ich mit Claudia Schneider, Professorin für Personalmanagement, Führung und Organisationsgestaltung, durchgeführt habe.7 Bezogen auf die Amtsinhaberinnen in Baden-Württemberg hat sich gezeigt, dass deren Entscheidung für das Bürgermeisteramt motiviert war durch den Wunsch, sich beruflich weiterzuentwickeln. Der Impuls dazu kam in der Regel von außen, sie wurden angesprochen, ob sie sich nicht bewerben wollen.

Erfolgreiche Frauen müssen auf jüngere potenzielle Kandidatinnen zugehen, müssen sie gezielt fördern. (Heike Taubert)

Hier spiegelt sich ein grundlegender Aspekt im Karriereverhalten von Frauen wider, wie es die Führungs- und Berufsforschung aufzeigt: Frauen haben häufiger eine eher diffuse Vorstellung von Karriere. Bei ihnen stehen die Aufgaben und Tätigkeiten im Vordergrund, die sie reizen müssen (managen, kommunizieren, lehren, fördern usw.).8 Männer hingegen fokussieren ihre Ziele klarer, indem sie sich stärker an konkreten Positionen ausrichten (Bürgermeister, Anwalt, Arzt, Handwerksmeister usw.). So können sie ihre Karrieren strategischer planen und angehen. Zudem ergaben die Interviews, dass sowohl Männer als auch Frauen eher für das Amt antreten, wenn sie selbst bereits kommunalpolitische Erfahrungen oder Vorbilder für kommunalpolitisches Engagement im direkten Umfeld haben. Weil Frauen aber kaum konkrete weibliche Vorbilder in (politischen) Führungsfunktionen erleben, fehlt ihnen häufig die bewusste Auseinandersetzung mit entsprechenden Rollenmodellen und die gezielte Förderung durch weibliche Vorbilder in der Politik. Vorbilder und konkrete Ansprache sind zwei Schlüsselbegriffe, um mehr Frauen für Kandidaturen um das Bürgermeisteramt zu gewinnen.

Der Reiz des Amtes


Was motiviert Frauen nun eigentlich, sich auf das Abenteuer Kandidatur einzulassen? Was ist der Reiz am Bürgermeisteramt? Auf diese Frage kamen in meinen Interviews die Antworten wie aus der Pistole geschossen:

Ich kann sehr selbstbestimmt arbeiten als Bürgermeisterin, auch wenn es viele Vorschriften, Regelungen und Abstimmungsprozesse gibt.

Ich finde es gut, in diesem Amt alles einbringen zu können, was ich je in meinem Leben gemacht habe.

Es ist schon auch die Lust an der Macht, an den Gestaltungsmöglichkeiten.

Ich kann für die Bürger, aber auch mit ihnen zusammen etwas für den Ort erreichen.

Kurz gesagt: Es ist das „Gewürz des Lebens“.

Das deckt sich mit den Aussagen unserer Workshop-Kandidatinnen, die wir seit 2012 begleiten. Im Fokus stehen …

  • Gestaltungswille: Kommune, Gesellschaft und Politik gestalten und steuern, konkrete Ideen einbringen und umsetzen, Alternativen aufzeigen und dafür eintreten, Zukunft gestalten

  • Verantwortung an der Spitze übernehmen: Kommune verantwortlich entwickeln, an der Spitze etwas bewegen,...