Z wie Zorro

von: Matthias Morgenroth

Coppenrath Verlag, 2019

ISBN: 9783649633693 , 200 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 9,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Z wie Zorro


 

Blau


Blau.

Tiefseeblau.

Elias holte tief Luft. Er kniff die Augen zusammen und sah genau hin.

Blau blieb blau.

Er hörte Luna neben sich kichern. Was bedeutete, dass sie es auch sah: Die Schöller vorne an der Tafel hatte blaue Lippen! Und alle Dreier und die Nullen und Quadrate, von denen sie erzählte, wurden plötzlich auch blau, lächerlich blau – denn wer kann schon eine Lehrerin ernst nehmen, die tiefseeblaue Lippen hat!

„Blau“, flüsterte Luna und stieß ihm mit dem Ellbogen in die Seite.

„Blau“, flüsterte Ella hinter ihnen und stupste Greg an und Greg pikste Sven mit dem Bleistift und eine blaue Welle der Begeisterung rollte durch die Klasse, von Sven zu Murat, von Murat zu Kata, Lili und Aylin, von vorne nach hinten und zurück.

Blau!

Die Schöller schaute irritiert auf, nahm noch einen tiefen Schluck aus ihrer Kaffeetasse und verzog kurz das Gesicht, bevor sie mit der Verbesserung der Mathearbeit fortfuhr. Dieser verflixten Mathearbeit, in die sie nichts als fiese, hinterhältige Aufgaben gemischt hatte! Auf jeden Fall aber nicht das, was sie seit Wochen geübt hatten.

„Das hätte Grundwissen sein müssen“, sagte sie jetzt und grinste und dabei wurde das Blau in ihrem Gesicht noch viel blauer. Denn nicht nur ihre Lippen, auch ihre Zähne strahlten blau. Tiefblau.

Tiefseeblau.

Tintenblau.

Und endlich konnte Elias eins und eins zusammenzählen: Kaffeetasse plus Kaffee plus Tinte plus zwei tiefe Schlucke – das ergab …

„Blau!“, platzte es aus Basti heraus, und Esther, die sonst immer besonders still saß, fiel vor Lachen vom Stuhl und rollte direkt vor Elias’ Füße.

Jemand musste der Schöller Tinte in ihre Kaffeetasse getan haben!

Jetzt konnten sie nicht mehr. Jetzt prusteten sie los. Alle in der Klasse gleichzeitig. Und endlich einmal, Elias sah es genau, verstand die fieseste Mathelehrerin der Schule ihre sonst so berechenbare Welt nicht mehr. Denn das war ihr noch nie passiert, dass die ganze 5c über sie lachte, als seien alle … nun ja, blau.

„Seid ihr – besoffen?“, kullerten blaue Worte aus ihrem Mund, und als sie merkte, dass die Kinder ihr auf die Lippen starrten, versuchte sie, nach unten zu schielen. Dann schnitt sie eine schiefe Grimasse und zog sogar kurz an ihrer Zunge, die ebenfalls tiefblau war, bevor ihr einfiel, dass Mathelehrerinnen nicht an ihren Zungen ziehen. Weswegen sie stattdessen zum Spiegel hastete, der über dem Waschbecken neben der Tür hing. Und endlich die ganze Bescherung mit eigenen Augen sehen konnte.

Es war die beste Mathestunde seines Lebens, fand Elias – diese blaue Stunde, mit der alles begann.

Nichts hatte er gewusst in dieser verflixten Mathearbeit, da war er sich sicher, und bei dem Nichts hatte er sich mit tausendprozentiger Sicherheit auch noch hundertmal verrechnet. Er hatte sich heute überhaupt nur in die Schule getraut, weil es den anderen in seiner Klasse nicht besser gegangen war und die meisten genau wie er tränenverschmierte, halb leere Blätter abgegeben hatten.

„Blau!“, rief jetzt auch die Schöller, als sie sich im Spiegel anschaute.

Elias sah ihre Gedanken rattern, sah ihren Blick über die Klasse zum Pult wandern und bis hinüber zur Kaffeetasse, an der außen verräterische blaubraune Tropfen herunterrannen. Dabei versuchte sie, nicht selbst loszulachen, über sich und ihre blaue Zunge und die ganze Schweinerei. Und dann tat die Schöller etwas, von dem keiner und erst recht Elias nicht geahnt hätte, dass sie überhaupt wusste, wie das geht: Sie streckte die Zunge raus!

Sie streckte der ganzen Klasse ihre tintenblaue Zunge raus.

Lange.

Der Effekt verblüffte sie wohl selbst, denn nun schrien die Kinder fast vor Begeisterung.

„Jetzt ist’s aber mal gut“, versuchte die Schöller sie zu beruhigen. „So witzig ist eine blaue Zunge auch wieder nicht.“

Aber alle lachten und lachten und konnten nicht aufhören.

„Eure Schule ist doch nicht so schlecht“, flüsterte Luna Elias zu.

Sie war vor einem Monat neu zu ihnen in die Klasse gekommen und bisher sehr, sehr unzufrieden gewesen, wie Elias bemerkt hatte. Nicht nur mit Mathe. Auch mehr so im Allgemeinen. Und sie sagte es sogar lautstark! Sie war einfach anders als alle Mädchen, die Elias kannte. Er grinste ihr zu.

„Ihr kommt trotzdem nicht um die Mathearbeit herum“, sagte die Schöller schließlich, als sie immer weiter kicherten. „Und da sind leider viele schlechte Noten zu erwarten.“

Mit einem Schlag wurde es still. Die Schöller klappte ihre schwere Tasche auf, die schon die ganze Stunde wie eine stumme Drohung auf dem Pult gestanden hatte. Die Klasse hielt den Atem an.

Als die Schöller jedoch die dicke Mappe mit ihren Heften herausnahm, konnte jeder sehen, dass nicht nur mit ihrer Zunge, sondern auch mit dieser Mappe etwas nicht stimmte.

„Eure Schule ist geradezu genial“, murmelte Luna.

Elias holte zum zweiten Mal in dieser Stunde tief Luft. Denn die Mathearbeiten waren keine Mathearbeiten mehr. Die Mathearbeiten waren ein klebriger Klumpen, der aussah wie die Pappmaschee-Masse, mit der sie in Kunst freies Modellieren geübt hatten. Das konnte doch gar nicht sein! So etwas passierte doch normalerweise nicht, dass aus Mathearbeiten klebrige Pappmaschee-Klumpen wurden! War der Schöller Tapetenkleister ausgelaufen? Aber welche Mathelehrerin war denn so blöd, flüssigen Tapetenkleister in ihrer Tasche zu transportieren?

Der Schöller fielen fast die Augen raus.

„Jetzt hört der Spaß aber auf“, japste sie und schien ernsthaft erschüttert, sodass Elias wegschauen musste, damit er nicht aus Versehen Mitleid mit ihr bekam.

„Jetzt fängt der Spaß erst an“, murmelte Luna neben ihm, und wieder einmal staunte er darüber, dass sie so anders war.

„Eine Mathearbeit ist eine amtliche Angelegenheit“, hörte er die Schöller. Und dann hörte er sie laut darüber nachdenken, was denn mit dieser amtlichen Matsch-Angelegenheit jetzt anzufangen sei. „Vielleicht muss ich einfach allen eine Sechs geben! Das wäre ja nur gerecht!“

Die Schöller klappte mit Schwung die Tafel auf – und erstarrte. Und an dieser Stelle fängt die Geschichte überhaupt erst so richtig an.

Zunächst hatte Elias den Riesenbuchstaben auf der Tafel gar nicht erkannt, sondern gedacht, irgendjemand habe die Innenseite einfach wild bekritzelt.

Aber hinter ihnen flüsterte Ella: „Z?“

Und da konnte er es auch erkennen: Auf der Tafel war ein großes Z. Er hörte Luna neben sich kichern. Was bedeutete, dass sie es ebenfalls sah.

Auch die Schöller starrte das riesige Z aus Kreidestrichen an.

„Zorro!“, rief Murat fassungslos. „Z – wie Zorro! Zorro war hier!“

„Zorro? Um uns zu rächen, oder was?“, erwiderte Basti ungläubig.

Einige lachten, aber nur wenige.

Elias war zu Fasching mal als Zorro gegangen, doch das war schon ein paar Jahre her. Er stellte sich vor, wie Zorro, der Rächer der Armen und Enterbten, mit Umhang, Degen und schwarzer Maske durchs Schulhaus zog, um all die ungerechten Noten und Beurteilungen zu zerstechen und der Schöller und dem Direktor einen gerechten Schrecken einzujagen. Um all das zu tun, was die Kinder sich selbst nicht trauten.

Die Schöller, die Zorro anscheinend ebenfalls kannte, fuhr sich unsicher über das Gesicht. Sie hatte mittlerweile auch ein blaues Kinn.

„Was soll denn das nun wieder?“, fragte sie, aber sie schien keine Antwort zu erwarten.

„Ein Z auf der Tafel heißt Zorro – war – hier!“, wiederholte Murat eindringlich und langsam breitete sich ein Flüstern aus, beinahe ehrfurchtsvoll. Denn auch das hatte es noch nie gegeben, dass jemand in der Mathestunde ein Zorro-Zeichen auf die Tafel schrieb.

Bevor sie jedoch weiter spekulieren konnten, ob Zorro, der gute Rächer mit der schwarzen Maske, tatsächlich in einer ganz normalen Schule auftauchen würde, ertönte der Gong. Jetzt gab es kein Halten mehr. Alle sprangen auf, liefen zur Tafel und wischten vorsichtig mit den Fingern über den geheimnisvollen Kreidestrich. Die Schöller stand daneben und sah auf einmal nicht nur blau, sondern auch sehr, sehr müde aus.

„Ich werde darüber nachdenken müssen“, hörte Elias sie sagen.

Aber dann hatten sie Sport und trieben wie eine Herde Schafe aus dem Klassenzimmer...