Erklären im Unterricht - Taktiken und Strategien

von: Lars Scheffel

Beltz, 2019

ISBN: 9783407631473 , 128 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 18,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Erklären im Unterricht - Taktiken und Strategien


 

Kapitel 1: Was genau wollen Sie erklären?


Vor einigen Jahren auf einer Elternversammlung: Die Biologielehrerin einer 8. Klasse kündigt an, dass sie sich für den Rest des Schuljahres auf die Säugetiere beschränken wird, statt sämtliche Stämme des Tierreichs zu behandeln. Es sei durch Klassenfahrt, Feiertage, Schulfest usw. nur noch so wenig Zeit, dass sie den Lehrplan nicht vollständig erfüllen könne. Daraufhin regte sich Protest bei den Eltern. Mit Schulleitung und Schulrat wurde durchgesetzt, dass die Kollegin alle Themen abzuarbeiten hat. In den Unterrichtsstunden bis zu den Ferien wurden nun je Stunde zwei Stämme des Tierreichs vorgestellt und Baupläne gepaukt: Einzeller, Schwämme, Medusen, Plattwürmer, Ringelwürmer …

Was hat diese Begebenheit mit Erklären zu tun? Viel! Denn wir befinden uns in den ersten und grundlegenden Überlegungen zum Erklären. Und die erste Überlegung ist die Auswahl des Stoffes. Auswählen bedeutet nicht nur, zwischen Ringelwürmern und Plattwürmern auswählen zu müssen. Den Stoff auszuwählen bedeutet, aus der quasi unendlichen Fülle des potenziell vermittelbaren Stoffes die Fakten und Zusammenhänge zu wählen, die für Ihre Schülerinnen und Schüler zum jetzigen Zeitpunkt, unter den aktuellen schulischen Bedingungen und unter Berücksichtigung pädagogischer Belange sinnvoll zu lernen sind.

In diesem Kapitel erfahren Sie daher, mit welchen Tricks Sie Wissensmengen fokussieren und reduzieren können. Sie bekommen Ideen an die Hand, wie Sie zu trockenen Stoff so mit Sinn und Zusammenhang anreichern, dass er beim Erlernen Freude macht. Und Sie erhalten Argumentationshilfen für den Fall, dass Sie sich gegenüber Kollegen, Eltern oder der Schulleitung (oder vor sich selbst) rechtfertigen müssen, warum Sie das eine oder andere Thema nicht oder nur sehr verkürzt unterrichten.

Zurück zum Beispiel oben: Ich befürchte, die Eltern haben ihren Kindern hier einen Bärendienst erwiesen. Aus der Sorge heraus, die Kinder könnten schlecht auf die nächste Klassenstufe vorbereitet sein, haben sie auf Vollständigkeit der Unterrichtsinhalte gepocht – ein hehres Ziel. Abgesehen davon, dass die Kinder häufig schon am Anfang von Klasse 9 vieles wieder vergessen haben: Was würde es denn bedeuten, einen Stoff vollständig zu unterrichten? Ein paar Provokationen:

  • Im Biologiebuch für die Mittelstufe ist der Abschnitt über die Ringelwürmer 4 Seiten lang. Eine Seite davon sind Beobachtungsaufträge für die Arbeit draußen.

  • Im Buch »Spezielle Zoologie« ist der Abschnitt über Ringelwürmer 52 Seiten lang.

  • Vollständig bedeutet, man kann nichts mehr hinzufügen.

  • Vollständig bedeutet, man kann nichts mehr wegnehmen.

  • Vollständig ist, wenn ich alles unterrichtet habe, was im Schulbuch steht.

  • »Ich richte mich nach den Vorgaben der Fachanforderungen.«

  • »Man unterrichtet das Thema ja so, dass man … «

  • »Dieses Jahr waren so viele Brückentage, dann das Schulfest, Sportfest, und dann war ich krank … Ich muss jetzt seitenweise Lesestoff als Hausaufgabe aufgeben.«

  • »Wenn ich nicht den ganzen Stoff schaffe, stehen mir die Eltern mit dem Anwalt auf der Matte.«

Sie sehen: Für Vollständigkeit gibt es kein objektives Maß. Welche Stoffmenge Sie in welcher Tiefe Ihren Schülern angedeihen lassen möchten, liegt in Ihrer inhaltlichen wie pädagogischen Verantwortung. Inhaltlich ist diese Verantwortung deshalb, weil Sie Ihre Schülerinnen und Schüler auf Abschlüsse, Vergleichsarbeiten oder die nächste Klassenstufe bei einem anderen Lehrer vorbereiten. Und an diesen Stellen ist es wichtig, dass Ihre Schülerinnen und Schüler einige Gebiete des Schulstoffes verlässlich beherrschen. Allerdings nicht alle und nicht vollständig. Und die Fälle, in denen es wirklich auf komplettes Abarbeiten eines Curriculums ankommt, sind wenige. Die Stoffgebiete für Vergleichsarbeiten beispielsweise sind meist klar umrissen. Wenn Sie also links und rechts ein paar kleinere Lücken lassen, ist das nicht von großer Bedeutung. Pädagogisch ist diese Verantwortung, weil nur Sie abschätzen können, wie viel Sie ihren Schülern zutrauen wollen.

Und genau diese Überlegung ist wichtig, um gut erklären zu können. Denn für eine gute und effiziente Wissensvermittlung müssen Sie sich aus der Vollständigkeitsfalle befreien. Nur dann, wenn Sie einen klaren Fokus auf die Inhalte haben, die Sie vermitteln möchten (und genau wissen, was eben nicht), können Sie Ihre Erklärung so vorbereiten und strukturieren, dass es auch eine wirklich gute Erklärung wird.

Wenn Sie schon einmal vor dem Problem standen, sich zwischen verschiedenen Aspekten eines Themas entscheiden zu müssen und dann auch noch eine angemessene Bearbeitungstiefe festzulegen, wissen Sie, wie mühsam diese Entscheidungen oft sind und wie einsam.

Daher hat dieses Kapitel zwei wichtige Ziele: Erstens sollen Sie Techniken erhalten, wie Sie diese Entscheidungen schneller, zielgerichteter und strukturierter fällen können. Zweitens möchte ich Ihnen Mut machen, beherzt zu streichen. Die meisten Curricula an Schulen in Deutschland sind hoffnungslos überfrachtet. Und mir ist kein Fall einer Klage bekannt, in der Lehrkräfte belangt wurden, weil sie Teile eines Curriculums nicht bearbeitet haben. Kennen Sie den Spruch, dass man als Lehrkraft immer mit einem Bein im Gefängnis steht? Sollte Ihnen das in den Sinn kommen, fragen Sie sich, wie viele Lehrer Sie kennen, die gerade im Gefängnis sitzen. Es dürften nicht sehr viele sein!2

Fünf Aspekte guten Erklärens


Gutes Erklären braucht fünf Dinge: Sinn, Fokus, Technik, Wiederholung und Anwendung. Die folgenden fünf Aspekte sind großenteils nichts Neues – allerdings sollten wir sie uns für die nächsten Überlegungen kurz ins Gedächtnis rufen.

(1)

Erklären mit Sinn: Voraussetzung für Lernen ist, dass Ihre Schülerinnen und Schüler den Sinn des Lernens erkennen. Das kann ein Lebensweltbezug sein, persönliches Interesse, fachliche Relevanz, die Sie herausgestellt haben, Lust am Forschen und Erkennen … Ohne diesen Sinn können Ihre Schülerinnen und Schüler kurzfristig pauken. Alles mühsam erworbene Wissen wird aber schnell wieder vergessen. Um diesen Sinn herzustellen, brauchen Sie Raum und Zeit. Sinn und Motivation lassen sich nicht in einer 5-minütigen Unterrichtsphase herstellen, auch wenn das im Referendariat oft so vermittelt wird.

(2)

Erklären mit Fokus: Sie müssen genau wissen, was Sie erklären möchten – und was nicht. Ansonsten verzetteln Sie sich wie die Kollegin oben im wahnwitzigen Versuch, einer Vollständigkeit hinterherzuhecheln. Weniger ist mehr. Das klingt trivial, ist aber eine der fiesesten Stolperfallen bei der Unterrichtsvorbereitung, gerade bei Berufsanfängern.

(3)

Erklären mit der richtigen Technik: Gutes Erklären ist eine Technik, die Sie erlernen können. Diese Tricks verrate ich Ihnen in Kapitel 3 bis 6. Diese Techniken sind der Kern effizienten Lernens.

(4)

Erklären mit Anwendung: Nach jeder Phase des Erklärens muss das neue Wissen in ein Können überführt werden. Je mehr nur gelernt wird, desto weniger wird verstanden. Die Inhalte bleiben oberflächliches und nutzloses Faktenwissen.

(5)

Erklären mit Wiederholung: Wir alle wissen: Alles, was gelernt wird, müssen wir wiederholen, um es zu festigen. In vielen Fächern wird der Wiederholung aber kaum Zeit eingeräumt. John Hattie vermutet, dass die oft fehlende Wiederholung einer der wichtigsten Gründe ist, weshalb Inhalte nicht gut behalten werden. Für interessante, lernförderliche und abwechslungsreiche ...