Flandern 1917 - Leben in fremder Haut

von: W. S. Gogolin

BookRix, 2019

ISBN: 9783748709107 , 360 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 0,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Flandern 1917 - Leben in fremder Haut


 

1. Ostpreußen 1914


»Werner! Wo steckt der Kerl wieder?«, ruft Oberleutnant von Rebelkow übellaunig. Der Gerufene kommt atemlos ins Zimmer gelaufen. Hörbar nach Luft schnappend bleibt er vor dem Oberleutnant stehen. Laut knallen die Haken seiner Stiefel zusammen.
»Zur Stelle. Melde gehorsamst. Ich war vor der Tür, die Stiefel von Herrn Oberleutnant putzen.«
»Gut, gut. Hat er meine neuen Stiefel eingetragen?« Der Oberleutnant schaut zweifelnd an seinem Burschen herunter.
»Jawohl. Ich habe die Stiefel jetzt seit drei Wochen an. Sie sind bestens eingelaufen.« Werner Zittlau, der Bursche des Oberleutnants Hasso von Rebelkow, zieht die feinen rindsledernen Stiefel aus.
Der Oberleutnant rutscht in die noch warmen Stiefel. Zufrieden geht er einige Schritte im Zimmer umher.
»Tadellos. Passen prächtig. Hoffentlich hast du keine Stinkmauken? Nicht, dass du mir die Stiefel eingestunken hast.« Zittau schüttelt verhalten seinen Kopf.
»Keinesfalls, ich habe alle 2 Stunden die Socken gewechselt.«

Zittau hatte den Teufel getan. Er besitzt nur zwei paar Socken. Die Socken, die er in den Stiefeln des Oberleutnants getragen hat, sind drei Wochen im Dauereinsatz gewesen, denkt mit deutlicher Schadenfreude.
Hasso von Rebelkow ist zufrieden, hatte er sich doch mit Bedacht Zittlau, als seinen Offiziersburschen ausgesucht. Sein Bursche besitzt die gleiche Körpergröße, die gleiche Schuhgröße wie er selbst. Er hatte sich für Zittlau entschieden, weil der ihm äußerlich ähnlich ist. Für Außenstehende könnten sie Brüder sein, beide tragen dieselbe Frisur sogar den gleichen Schnauzbart. Für Rebelkow hat es den kolossalen Vorteil, dass neue Kleider und Schuhe zuvor von seinem Burschen eingetragen, was wichtiger ist, eingelaufen werden. Rebelkow hasst es, steife neue Kleidung, neue Stiefel einzulaufen.
»Gut mein Bester. Ich werde einstweilen ausgehen. Falls nach mir gefragt wird, weiß du, was du zu sagen hast?«
Das weiß Zittlau sehr genau.
»Jawohl. Der Herr Oberleutnant ist dienstlich außer Haus.« Rebelkow lächelt zufrieden.
»Also räume derweilen auf und sauf mir nicht den ganzen Cognac weg.«
Zittlau schlägt seine Haken laut krachend zusammen, als Zeichen, das er verstanden hat.
An der Haustür bürstet Zittlau, mit der extra angefertigten Rosshaarbürste, den Uniformrock des Oberleutnants ab, während Rebelkow sich im matten Garderobenspiegel zufrieden betrachtet.
Kaum das der Oberleutnant die Haustür geschlossen hat, sitzt Zittlau im Ohrensessel. Gemütlich lehnt er sich zurück, schaut aus dem Fenster, sieht den Oberleutnant die Straße entlang schlendern. Eigentlich hat er es gut erwischt, sinniert er. Statt in der Kaserne schikaniert zu werden, wohnt er hier bei Hasso von Rebelkow, als sein zugeteilter Offiziersbursche. Noch ein knappes Jahr braucht er es aushalten, dann ist seine Militärzeit vorbei. Im Frühjahr 1915 wird seine dreijährige Dienstzeit beendet sein. Er ist jetzt seit 18 Monaten Bursche beim Oberleutnant. Zumeist kommt Zittlau prächtig mit seinem Offizier aus. Die Wohnung und die Kleider in Ordnung halten, Botendienst erledigen, das sind im groben seine Aufgaben. In der Kaserne ist er nur selten, worüber er nicht böse ist. Hier hat er ein geruhsames Soldatenleben. Insbesondere weil der Oberleutnant wöchentlich, von seinem Gut in Ostpreußen, ein großes Paket mit Lebensmittel bekommt. Für dieses Lebensmittelpaket interessiert sich der Oberleutnant überhaupt nicht. Notgedrungen mehr noch hochwillkommen bessert das Fresspaket Zittlaus karge Kommiskost auf. Der Oberleutnant kehrt meistens zum Essen ins Offizierskasino ein, hier in seinem Stadthaus hatte er noch nie gegessen. Nicht einmal Frühstück, wenn er eine Damen mitbringt. Einige Sachen aus dem Fresspaket gibt er weiter an die Hauswartsfrau, für deren Kinder.
Werner legt sich wieder zurück in sein Bett. Vor Mitternacht wird sein Oberleutnant nicht nach Hause zurückkehren. Zufrieden mit sich und sein Leben als Offiziersbursche schläft er sofort ein.
Um 12 mittags wird er durch die Schläge der nahen Kirchturmuhr geweckt, benommen steht er auf. Schnell ist die Wohnung aufgeräumt. Heute wird er sich einen Erbseneintopf kochen, die Zutaten stammen aus den Fresspaketen. Als er am Herd steht, die sämige Erbsenmasse im Kochtopf umrührt, schlägt die Glocke an. Flink zieht er den Kochtopf zum Rand des Kohleofens. Vor der Haustür steht der alte, missmutige Postbote. Mit wichtigtuerischer Miene hält er ihm einen gesiegelten Brief entgegen.
»Eilbrief. Vom Kriegsministerium«, erklärt er die Briefübergabe. »Scheint ein wichtiger Brief zu sein. Ist der Herr Oberleutnant im Haus?« Zittlau schüttelt den Kopf.
»Nein. Wichtige Dienstgeschäfte. Ist abwesend«, erklärt er kurz angebunden. Ihn interessiert seinen Eintopf auf dem Kohleherd mehr als dieser Brief. Schnell eilt er in die Küche zurück, rührt weiter in seinem Erbseneintopf. Den Brief hatte er achtlos auf die Anrichte im Flur gelegt. In den sämigen Eintopf schneidet er zwei dicke Würste aus dem letzten Fresspaket hinein.

Am nächsten Morgen liegt der Brief nicht mehr auf der Anrichte. Aber das hätte Zittlau auch nicht bemerkt, weil er den Brief komplett vergessen hatte. Der Oberleutnant sitzt in der Küche am Küchentisch.
»Soll ich Frühstück machen?« Zittlau weiß, dass Rebelkow niemals zu Hause frühstückt, als Morgeneinstieg findet er die Frage passend.
»Mhm, was? Nein. Du kannst heute Packen, wir brechen unsere Zelte hier ab. Wir fahren morgen früh 7 Uhr nach Metz«, erklärt Rebelkow. Seine Stimme klingt niedergeschlagen.
»Metz? Wo liegt das. Was machen wir dort?« Werner hatte niemals zuvor etwas von Metz gehört.
»Wir sind zum Schleswig-Holsteinisches Dragoner-Regiment Nr. 13 versetzt worden, deren Garnison ist nun einmal Metz. Metz in Lothringen.«

Mittags muss Zittlau seine Versetzungspapiere aus der Schreibstube abholen. Als Bursche des Oberleutnants gilt die Versetzung zugleich auch für ihn. Der Schreibstubenbulle, ein feister Unteroffizier, schaut aus kleinen Schweinsaugen unwillig hoch, als Werner, ohne anzuklopfen, in die Schreibstube tritt. Ohne ein Wort zu sagen, deutet der Unteroffizier mit einem trägen Kopfnicken auf seinen Schreibtisch. Ein dickes braunes Kuvert liegt am Rand des Schreibtisches.
Zittlau nimmt den Umschlag vom Schreibtisch. In dicker Tintenschrift liest er seinen Namen, direkt darunter steht unterstrichen VERSETZT und die neue Einheit.
Aus seiner Manteltasche nimmt Zittlau einen Kringel grobe ostpreußische Mettwurst. Die in Fettpapier eingeschlagene Mettwurst glänzt speckig, er legt die Wurst wortlos auf den Schreibtisch. Die Schweinsäuglein des Schreibstubenbullen beobachten jede seiner Bewegungen. Ohne ein Wort gesprochen zu haben, verlässt er die Kaserne.
Schade denkt er, seine Abmachung mit dem Schreibstubenbullen, hatte ihm manche Vorteile eingebracht.
Der Schreibstubenunteroffizier bekam regelmäßig Wurstwaren aus dem Fresspaket, im Gegenzug hatte Zittlau das volle Wohlwollen der Schwadronschreibstube des Dragoners Regiment von Wedel Nr. 11.

Der Eisenbahnwaggon steht im Dampf der abblasenden Lokomotive im Bahnhof von Stallupönen. Die Koffer hatte Zittlau im Gepäckwagen abgegeben. Rebelkow sitzt im Abteil der ersten Klasse, schaut missvergnügt aus dem Abteilfenster. Zittlau sitzt ihm gegenüber. Einer der sympathischen Marotten des Oberleutnants ist, seine Fürsorge für seinen Burschen. Zittlaus Militärfahrkarte gilt nur für die 3. Klasse, den Aufpreis für die erste Klasse beglich Rebelkow aus eigener Tasche. Die Fahrt führt von Stallupönen über Insterburg, Allenstein, Thorn, Bromberg, Schneidmühl weiter über Landsberg nach Berlin. In Berlin steigen weitere Personen in ihr Abteil. Nach kurzem Aufenthalt geht die Reise mit der Eisenbahn weiter nach Leipzig. In Leipzig müssen sie umsteigen. Von Leipzig geht die Fahrt weiter über Frankfurt, Saarbrücken zum Hauptbahnhof Metz. Vom Hauptbahnhof Metz nehmen sie eine Droschke zur Kavalleriekaserne am Französischen Platz. Oberleutnant Hasso von Rebelkow und sein Bursche Werner Zittlau, beziehen eine Offizierswohnung in der Kaserne. Bisher hatten sie außerhalb der Kaserne logiert, deshalb sind beide nicht angetan von der neuen Situation. Derweilen sortiert Zittlau die Kleider und Leibwäsche des Oberleutnants in die Schränke der spärlich möblierten Militärwohnung ein. Seine eigene kleine Kammer ist nur mit Bett und einen schmalen Schrank ausgestattet. Erfreut stellt Zittlau fest, dass sie wenigsten ein eigenes Innenklo besitzen, wenn es etwas gibt, was er nicht leiden kann, dann sind es Gemeinschaftsklos und die dort vorherrschende Lufthoheit. Der Gedanke morgens ein Klo aufzusuchen, wo sich schon eine halbe Schwadron ausgemistet hatte, lässt ihn nach Luft schnappen.

Rebelkow muss sich bei seinem neuen Regimentskommandeur melden. Aus Erfahrung weiß Zittlau, dass es lange dauern wird, bis der Oberleutnant zurückkehrt. Deshalb übertreibt er seinen Tagesfleiß nicht, wagt es aber nicht sich hinzulegen. Erst einmal will er schauen, wie der Dienstbetrieb sich hier entwickelt. Der Flur, auf dem sich die Offizierswohnungen befinden, endet in einem großen Badezimmer. Für vier...