Was kommt nach dem Tod? - Die Kunst zu leben und zu sterben

von: Anselm Grün

Vier-Türme-Verlag, 2019

ISBN: 9783736502581 , 153 Seiten

Format: ePUB

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Preis: 7,99 EUR

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Was kommt nach dem Tod? - Die Kunst zu leben und zu sterben


 

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Die Einsichten der Philosophie

Seit jeher hat die Philosophie über den Tod nachgedacht. Der griechische Philosoph Platon versteht den Tod als Trennung von Leib und Seele. Die unsterbliche Seele, die im Leib nur unwillig wie in einem Gefängnis gewohnt hat, wird dann frei und kehrt zu Gott zurück.

Die christliche Theologie hat diesen Gedanken, dass die Seele sich im Tod vom Leib trenne, von Platon übernommen. Doch sie hat diese Trennung anders verstanden als Platon. Der Theologe Karl Rahner geht davon aus, dass die Seele als das geistige Lebensprinzip im Tod ein anderes Verhältnis zum Leib annimmt. Die Seele trennt sich von diesem konkreten Leib, aber sie gibt ihren Weltbezug nicht auf. Die Seele wird im Tod nicht »weltjenseitig«. Karl Rahner erklärt die Beziehung der Seele zum Grund der Welt so: »Im Tod gerät die menschliche Seele gerade in eine größere Nähe und innerliche Bezogenheit zu jenem schwer fasslichen, aber doch sehr realen Grund der Einheit der Welt, in dem alle Dinge der Welt schon von ihrer gegenseitigen Einwirkung untereinander kommunizieren.« (Rahner, Tod 922) Für Rahner bedeutet dies, dass die Seele durch ihren allkosmischen Weltbezug auch den Grund der nachfolgenden Menschen mitbestimmt.

Die psychologische Aussage, dass die Verstorbenen noch eine Wirkung auf die Nachgeborenen haben, wird so bestätigt. Leonardo Boff hat diese Einsicht Rahners aufgegriffen, wenn er schreibt: »Im Tod wird der Körper nicht mehr als Barriere empfunden, die uns von den Mitmenschen und von Gott trennt, sondern als radikaler Ausdruck unserer Gemeinschaft mit den Dingen und mit dem Kosmos insgesamt.« (Boff, 37)

Für Karl Rahner ist der Tod immer beides: Widerfahrnis von außen, Abbruch und Zerstörung, aber zugleich »personale Selbstvollendung«, »eine Tat des Menschen von innen«, in der er sich selbst zur Vollendung bringt. (Rahner, Tod 923) Dabei müssen wir zwischen dem Todesvorgang, den wir beobachten können und der oft im Koma oder plötzlich bei einem Unfall geschieht, und dem Augenblick, in dem der Mensch seine endgültige Freiheitstat vollzieht, unterscheiden. Dieser Augenblick ist für uns unsichtbar. Aber er geschieht – unabhängig von den konkreten äußeren Todesumständen. Der Augenblick, in dem sich – nach traditioneller Ansicht – die Seele vom Leib trennt, ist die einzige Freiheitstat, in der der Mensch völlig über sich verfügen kann. Er kann sich nun eindeutig und klar und in völliger Freiheit für oder gegen Gott entscheiden und dadurch sein Schicksal endgültig machen.

Diesen Ansatz Rahners hat Ladislaus Boros, ein ungarischer Jesuit, im Jahre 1962 in seinem Buch »Mysterium mortis« weiter entfaltet. Ich kann mich noch erinnern, dass mein Onkel, P. Sturmius, mich damals auf dieses Buch aufmerksam gemacht hat: Boros habe für ihn auf neue Weise von der Philosophie und von der Theologie her über das Geheimnis des Todes nachgedacht und so die kirchliche Lehre mit dem Licht der Vernunft erhellt.

Ladislaus Boros entfaltet seine Philosophie des Todes einmal von Martin Heidegger her, für den der Tod wesentlich in das Dasein des Menschen hineinragt. Der Tod ist für Heideg-ger in jedem Augenblick des Lebens anwesend. Der Tod ist »eine Grundbeschaffenheit des lebendigen Daseins«. So kann Boros formulieren: »Das Dasein definiert sich als Hineingehaltenheit in den Tod nicht nur, weil es dem Tod entgegengeht, sondern wesenhafter, weil die Situation des Todes sich in ihm ständig verwirklicht.« (Boros 20) Boros entfaltet durch die »transzendentale Methode« an menschlichen Grundvollzügen (Wollen, Erkennen, Wahrnehmung, Erinnerung und Liebe), wie all diese Grundvollzüge schon in sich auf den Tod verweisen und sich im Tod vollenden. Boros beschreibt, wie in jedem Akt des Wollens, des Erkennens, des Wahrnehmens und des Liebens der Tod schon anwesend ist und so – wie Heidegger sagt – der Tod ins Dasein immer schon hineinragt.

Ladislaus Boros entfaltet sein Verständnis des Todes jeweils, indem er die Ansätze verschiedener französischer Philosophen beschreibt. Ich möchte nur kurz auf die Analyse der Liebe bei Gabriel Marcel eingehen. Dieser beschreibt den Menschen in seiner Zerrissenheit. Erst die Liebe befähigt ihn zur inneren Sammlung und ermöglicht es ihm, ein Ich zu sein. »Die Eröffnung unseres Daseins auf eine andere Person hin schafft unser Sein.« (Boros 53) Unser Sein ist immer Mit-Sein. Und Sein verlangt Hingabe: »Um zu sein, muss man sich aufgeben.« (ebd. 54) Gefährdet wird die Liebe durch den Drang des Menschen, alles zu haben und zu besitzen. Es geht darum, das Haben in Sein zu verwandeln. In unserem Leben gibt es immer nur flüchtige Momente, in der wir das Haben aufgeben und uns ganz und gar der Liebe überlassen.

Der Tod ist für Ladislaus Boros der Augenblick, in dem »eine Umformung der Situation des Habens in eine Situation des Seins« (ebd. 57) möglich wird. Erst im Tod sind wahre Selbstvergessenheit und Hingabe möglich. Die Liebe überwindet nicht den Tod. Sie ist selbst Sterben. »Erst im Tod ist die totale Hingabe der Liebe möglich, denn erst im Tod können wir voll und vorbehaltlos ausgeliefert sein. Darum gehen auch die Liebenden so einfach und unberührt in den Tod hinein, sie begeben sich ja nicht ins Fremde, sondern in den Innenraum der Liebe.« (ebd. 58)

Boros entwickelt auf philosophischem Weg seine »Endentscheidungshypothese«. Im Tod vollendet sich das Leben des Menschen. Und der Tod ist der einzige absolute Freiheitsakt des Menschen, in dem er ganz und gar über sich verfügt und sich so in Freiheit für oder gegen Gott entscheidet. Das bedeutet jedoch nicht, dass unser Leben hier keine Bedeutung hat, sondern dass alles auf die letzte Entscheidung ankommt. Wir üben vielmehr die letzte Entscheidung im Tod schon während unseres ganzen Lebens ein. Und wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass wir uns dann im Tod immer noch für Gott entscheiden können. Die letzte Entscheidung, die wir im Tod in voller Freiheit treffen, wird hier schon eingeübt: in den vielen Akten, in denen wir uns für das Gute und für Gott entscheiden. Wir müssen daher immer auch die Mahnung Jesu berücksichtigen, dass es zu spät sein könnte. Wer jahrelang an seinem Herzen vorbeilebt, kann nicht darauf vertrauen, dass er sich dann im Tod aus vollem Herzen für Gott entscheidet.

In diesem Sinn ist das Wort Jesu zu verstehen: »Wenn der Herr des Hauses aufsteht und die Tür verschließt, dann steht ihr draußen, klopft an die Tür und ruft: Herr, mach uns auf! Er aber wird euch antworten: Ich weiß nicht, woher ihr seid.« (Lk 13,25f) Wer zu lange ohne Beziehung zu seinem Herzen und zu seiner Seele gelebt hat, für den ist die Tür zu seinem eigenen Inneren verschlossen. Er ist sich selbst entfremdet. Die Endentscheidungshypothese will uns nicht in Sicherheit wiegen, sondern einladen, uns hier im Leben schon für Gott zu entscheiden und hier schon die Hingabe der Liebe einzuüben, damit sie uns dann im Tod auch wirklich gelingt. Aber zugleich schenkt uns diese Hypothese die Hoffnung, dass sich Menschen, die sich hier im Bösen verstrickt haben, sich angesichts der Liebe Gottes doch noch für Gott entscheiden können.

Ladislaus Boros bezieht sich in seiner Philosophie des Todes auf Thomas von Aquin, der die Seele als Form des Leibes bezeichnet. Der Mensch besteht nicht aus zwei Bereichen: Leib und Seele. Vielmehr sind Leib und Seele eins. Der Tod ist nach Boros der Augenblick, in dem die Seele ganz und gar über den Leib verfügen kann. Während unseres Lebens sind alle unsere Entscheidungen immer auch durch unsere Lebensgeschichte bedingt, die sich in unseren Leib und unsere Seele durch neurotische Strukturen und durch unsere Lebensmuster eingeprägt hat.

Im Tod fallen alle diese Begrenzungen weg. Die menschliche Person in ihrer Einmaligkeit tritt hervor und trifft die Entscheidung, die all die Entscheidungen während des Lebens zusammenfasst oder aber revidiert. In dieser letzten Entscheidung öffnet sie sich Gott gegenüber oder aber sie verschließt sich vor ihm und bleibt in sich gefangen. Der Tod ist nicht einfach die Trennung von Leib und Seele. Er betrifft die Seele genauso wie den Leib. Doch der Geist des Menschen kann nicht zerstört werden. Wir müssen an dem Paradox festhalten: Die Seele wird durch den Tod genauso berührt wie der Leib. Und dennoch bleibt sie »unzerstörbar und daher unsterblich« (ebd. 85).

In der evangelischen Theologie hat man die biblische Lehre von der Auferstehung der Toten und die philosophische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele als unvereinbare Gegensätze gesehen. Auferstehung meine etwas völlig anderes als die Unsterblichkeit der Seele. Der Mensch sterbe ganz und gar. Die Seele sei nicht dem Tod völlig entzogen.

Hier wird etwas Wichtiges gesehen: Der Tod betrifft auch die Seele. Der ganze Mensch stirbt. Doch zugleich braucht die theologische Lehre von der Auferstehung das philosophische Denken, um darauf aufzubauen, sonst hängt sie gleichsam in der Luft. Es braucht eine Kontinuität zwischen dem Menschen, der stirbt, und dem, der von Gott auferweckt wird. Und diese Kontinuität beschreibt die Philosophie mit Seele.

Das ist vor allem auch das Anliegen, das Joseph Ratzinger – der heutige Papst Benedikt – schon in seinen früheren Veröffentlichungen über Eschatologie immer wieder betont hat. Er sieht Auferstehung als personales Geschehen. Die Bibel versteht unter Auferstehung, dass wir niemals aus der Liebe zu Gott herausfallen können – auch nicht im Tod.

Aber zugleich bezeichnet die Seele das Ich des Menschen, der im Tod Gott begegnet und sich in dessen Liebe hinein ergibt und darin Auferweckung erfährt: Hineinnahme in die ewige Liebe Gottes. Joseph Ratzinger versteht den...