Kämpfen und lieben - Wie Männer zu sich selbst finden

von: Anselm Grün

Vier-Türme-Verlag, 2019

ISBN: 9783736502499 , 189 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Kämpfen und lieben - Wie Männer zu sich selbst finden


 

Einleitung

Seit etwa 20 Jahren ist in Deutschland die Frage nach der Identität des Mannes ins Bewusstsein vieler Männer getreten. Die feministische Bewegung hat das Selbstbewusstsein vieler Frauen gestärkt. Das hat die Männer verunsichert. Auf einmal wussten sie nicht mehr, wer sie in Wirklichkeit sind. Sind sie nur die Patriarchen, die alles beim Alten lassen möchten? Oder sind sie die Machos, wie sie von vielen Frauen karikiert werden? Oder geben sie sich als »Softies«, die weder von Männern noch von Frauen ernst genommen werden? In diesem Buch möchte ich anhand biblischer Männergestalten einen Weg aufzeigen, wie Männer ihre eigene Identität finden können. Dabei geht es mir um die beiden Pole: Kämpfen und Lieben. Wer nur kämpft, ist in Gefahr, hart und unempfindlich zu werden. Wer nur liebt, neigt dazu, nur seine zärtlichen Seiten zuzulassen. Zum Mann gehören beide Fähigkeiten. Als Kämpfer ist er fähig zu lieben. Seine Liebe braucht die Qualität des Eroberers und des Beschützenden. Und sein Kampf bedarf der Liebe, damit er nicht blindwütig wird.

In den letzten Jahren sind viele Männergruppen entstanden, in denen sich Männer über ihr Mannsein austauschen. Es gibt ­diese Männergruppen in der evangelischen und katholischen Kirche, aber auch im Umfeld von Therapeuten, die Männer einladen, gemeinsam ihre männliche Energie zu entwickeln. Offensichtlich besteht ein großes Bedürfnis, dass Männer auch mal unter sich sind. Unter Männern wagen sie es, ihre eigene Unsicherheit, ihre Ängste und Schwächen zu zeigen. In solchen Männergruppen sind sie frei von dem typischen Imponiergehabe, das sie leicht an den Tag legen, sobald Frauen mit dabei sind. In meinen Kursen sind normalerweise mehr Frauen als Männer. Und ich arbeite gerne mit Frauen, weil sie ein tiefes Gespür ­haben für spirituelle und psychologische Fragen. Wenn ich mit reinen Männergruppen arbeite, spüre ich aber auch, dass dort eine ­eigene Qualität entstehen kann, eine männliche Qualität. Wenn Männer ihre alten Rollen ablegen und sich ehrlich aufeinander einlassen, dann wird auf einmal der Saal voll von männlicher Kraft.

Seit 12 Jahren begleite ich Priester und Ordensleute, Männer und Frauen, im Münsterschwarzacher Recollectio-Haus. In den letzten Jahren haben ein Therapeut und eine Therapeutin öfter einmal ein Mann-Frau-Wochenende veranstaltet. Zunächst einmal sind bei diesen Kursen die Männer und Frauen jeweils ­unter sich und gestalten einen Raum mit Symbolen. Dann laden die Männer die Frauen zu sich ein und umgekehrt. Es ist immer ein spannendes Wochenende, an dem klarer wird, wie Männer sich von Frauen unterscheiden. Es geht nicht um Wertung, sondern um die Erfahrung, dass ich ganz Mann und ganz Frau sein darf.

Beim letztem Silvester-Jugendkurs in Münsterschwarzach (über die Jahreswende 2002/2003) hat Pater Mauritius eine Gruppe nur für Männer angeboten. Das war eine Premiere bei den Jugendkursen, bei denen die Frauen sonst überwiegen. Aber es war eine wichtige Erfahrung für die jungen Männer zwischen 16 und 30 Jahren. Offensichtlich war es ihnen ein Bedürfnis, einmal unter sich zu sein, sich über die eigenen Stärken zu unterhalten, die sie meistens übersehen, und vielleicht auch einmal voreinander schwach sein zu dürfen. Es gab sehr ehrliche Gespräche über die eigene Sexualität, über die Ängste, vor den Frauen nicht gut genug zu sein, aber auch über die Angst, zur eigenen Männlichkeit zu stehen. Die Erfahrung dieser Männergruppe zeigte, wie wenig sich junge Männer heute zutrauen. Sie sollen gegenüber Frauen immer lieb und nett sein und vergessen so, dass sie Männer sind. Sie trauen sich nicht, zuzupacken, für sich zu kämpfen, Führung zu übernehmen. Sie spüren, dass ihnen etwas fehlt. Aber sie wissen oft nicht, wie sie zu einem authentischen Mannsein finden können, ohne in die Machorolle zu fallen oder zum Softie zu werden.

Meine Bücher werden mehr von Frauen gelesen als von Männern. In diesem Buch möchte ich bewusst als Mann zu Männern sprechen. Ich lebe seit 39 Jahren in einer reinen Männergruppe, in einer Klostergemeinschaft von etwa 100 Männern. So eine Männergesellschaft hat ihre eigene Qualität, aber auch ihre Gefahren und Einseitigkeiten. Wenn Männer sich miteinander auf die Suche machen, dann entsteht eine starke Kraft. Sie öffnen sich gegenseitig die Augen für die wirklichen Probleme in unserer Welt. Und sie sind bereit, die Ärmel hochzukrempeln und die Aufgaben anzupacken, die für sie anstehen. Die Gefahr einer reinen Männergesellschaft besteht jedoch darin, dass das Gespür füreinander verlorengeht, dass jeder nur für sich alleine lebt und arbeitet. Oft treten vaterlose Männer ins Kloster ein. Sie suchen im Kloster entweder die große Mutter, die sie von ihrer eigenen Mutterbindung befreit. Oder aber sie sehnen sich nach echten Vätern, an denen sie als Mann wachsen können. Damit spiegelt die Klostergemeinschaft die Problematik unserer Gesellschaft wider. Seit Alexander Mitscherlich ist das Wort von der vaterlosen Gesellschaft verbreitet. Das Problem ist, dass heute viele vaterlose Männer nach Ersatzvätern suchen. Manche sind anfällig, sich starken Männern unterzuordnen und sich von ihrem Machtgehabe blenden zu lassen. Unsere Gesellschaft braucht heute Väter, an denen sich die jungen Männer orientieren können, die ihnen den Rücken stärken und sie herausfordern, ihre eigene männliche Energie zu entwickeln.

In meiner Klostergemeinschaft habe ich echte Väter erlebt. Wenn die Männergesellschaft eines Klosters sich zu einseitig von der Mutterenergie her bestimmt, dann kleben die Mönche aneinander. Es geht keine Kraft mehr von ihnen aus. Gott sei Dank erlebe ich in unserer Gemeinschaft die männliche Energie der Väter. Wenn Männer gemeinsam darum ringen, welche Antwort sie auf die Fragen unserer Zeit geben möchten, dann entsteht ein hohes Potential an Kreativität. Sie bekommen Lust, etwas anzupacken und etwas für diese Gesellschaft zu tun. Sie entwickeln Visionen und haben den Mut, sie in die Tat umzusetzen. Ich spüre, dass ich mit meiner eigenen Kreativität teilnehmen darf an dem Potential, das eine Gemeinschaft von Männern bietet. So möchte ich dieses Buch aus meiner Erfahrung mit Männern und aus meinem eigenen Mannsein heraus schreiben und von Mann zu Mann reden. Es tut suchenden Männern gut, mal unter sich zu sein. Ich hoffe, dass ich mit den Gedanken dieses Buches viele Männer ermutigen kann, ihren Weg des Mannwerdens zu wagen.

Es gibt zwei Bilder vom Mann, die sein Wesen verfälschen. Da ist einmal das Bild des Machos, der auf seine Männlichkeit pochen muss, der vor Frauen angibt und sich mit seiner Potenz brüstet. Der Macho ist letztlich ein ängstlicher und zutiefst verunsicherter Mann, der seinen Wert nur darin findet, dass er Frauen entwertet. Das andere Bild, das genauso wenig hilfreich ist, ist der »Softie«. C. G. Jung hat den Mann dazu aufgefordert, seine »anima«, seine weibliche Seelenseite, zu integrieren. Aber manche Männer haben das so ernst genommen, dass sie ihr eigenes Mannsein vergessen haben. Walter Hollstein, ein Soziologe, der sich über die Identität des Mannes Gedanken gemacht hat, meint, vom Softie gehe nichts aus, der Softie sei nicht schöpferisch. Der Softie ist »nicht nur ein spannungsloser Partner der Frau, sondern auch gesellschaftlich steril. Von ihm geht keine Energie aus, keine Auseinandersetzung, null Leidenschaftlichkeit, keine Innovationen.« (Hollstein 25) In den Praxen amerikanischer Psychologen beklagen sich Softies oft über ihre Kraftlosigkeit. Sie fühlen sich richtungslos und in einer permanenten Identitätskrise. (Vgl. ebd. 23) Sie lassen sich von der Gesellschaft versorgen, anstatt sie mit Pioniergeist, Verantwortung und Wagemut zu gestalten.

Ich habe 25 Jahre lang Jugendarbeit gemacht. Zu den Kursen an Silvester und Ostern kamen oft über 250 Jugendliche und junge Erwachsene. Ein Drittel etwa waren junge Männer. Ich führte viele Gespräche mit ihnen. Ich hatte den Eindruck, dass nicht in erster Linie die kraftvollen Männer kamen, sondern eher solche, die an mangelndem Selbstwertgefühl litten, die gehemmt waren und von depressiven Stimmungen heimgesucht wurden. Sie suchten bei den Jugendkursen sehr ehrlich nach einem Weg, wie sie mit sich und ihrem Leben besser umgehen könnten. Der spirituelle Weg war für sie eine Verheißung, innerlich gelassener und ruhiger zu werden. Sie suchten eher eine beruhigende Spiritualität, als eine herausfordernde. Aggressive Männer, die diese Welt verändern wollen, gehen weniger zu spirituellen Kursen. Sie werden auch von der Kirche heute nicht angemessen angesprochen. Und doch braucht die Kirche gerade die aggressiven Männer. Und umgekehrt gilt: gerade den kraftvollen Männern täte eine Spiritualität gut, die sie mit ihrem wahren Wesen in Berührung bringt. Aber diese Männer suchen nach einer Spiritualität, die ihrem Mannsein entspricht, die in ihnen ihre männliche Energie weckt und sie dorthin lenkt, wo es sich lohnt, sie einzusetzen. Die Bibel erzählt uns von starken Männern. Da werden Männer nicht zu spirituellen Gurus hochstilisiert. Sie stehen mitten im Leben. Sie machen Fehler und sündigen. Aber sie gehen ihren Weg vor Gott und mit Gott. Sie machen sich auf die beschwerliche Reise des Mannwerdens.

In diesem Buch möchte ich dem Leser 18 Männergestalten aus der Bibel vor Augen führen, die einem Mann Kraft zu geben vermögen. Wenn ich mir selbst diese 18 Gestalten anschaue, dann spüre ich, wie viel Energie in diesen Männern steckt. Jeder geht seinen persönlichen Weg. Keiner ist zu Beginn seines Weges perfekt. Jeder muss über Versuch und Irrtum lernen. Er begegnet auch seinen Schattenseiten. Trotzdem sind diese...