Integrierte Sozialplanung in Landkreisen und Kommunen

von: Anna Nutz, Herbert Schubert

Deutscher Gemeindeverlag, 2019

ISBN: 9783555020990 , 294 Seiten

Format: ePUB

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Preis: 34,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Integrierte Sozialplanung in Landkreisen und Kommunen


 

Kapitel 1:Integrierte Sozialplanung in Kreisen und kreisangehörigen Kommunen

Herbert Schubert


Übersicht


In diesem einführenden Kapitel werden der Kern der Sozialplanung und ihre Entwicklung in Deutschland umrissen. Besonderes Augenmerk wird auf die Anforderungen eines zwischen (Land-)Kreisen und kreisangehörigen Kommunen koordinierten Planungsprozesses gelegt. Die Eckpunkte sind: die Anfänge der Sozialplanung als eine flächendeckende Bereitstellung von sozialen Leistungen in den Kommunen, die Neubewertung der Sozialplanung im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells und schließlich die Weiterentwicklung zur integrierten Sozialplanung mit dem Fokus auf einem sozialräumlich differenzierten Angebot sozialer Leistungen und mit der Betonung einer stärkeren Beteiligung der Stakeholder sowie einer Koordination der beteiligten Gebietskörperschaften. Die dargestellten Entwicklungsstufen schließen sich nicht gegenseitig aus: So existieren die drei Formen im kommunalen Planungsalltag gegenwärtig teilweise nebeneinander und je nachdem, welches Steuerungsideal in einer Kommune Vorrang genießt, kann die Praxis der Sozialplanung unterschiedlich ausfallen.

1.1Grundverständnis der Sozialplanung


Definition


Im Jahr 1949 wurde das Sozialstaatsprinzip im deutschen Grundgesetz verankert. Es verlangt, dass staatliche Instanzen ordnungspolitisch tätig werden und die notwendige Versorgung ausgestalten, um soziale Bevölkerungsgruppen in Belastungssituationen vor einer Überforderung zu schützen – nach dem Subsidiaritätsprinzip aber nur so lange, bis sie wieder in der Lage sind, sich selbst zu helfen. Das Sozialstaatsprinzip, das dem ersten Sozialgesetzbuch (SGB I) zugrunde liegt, bildet laut § 1 SGB I auch die Grundlage der Sozialplanung. Denn dort heißt es, dass diejenigen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung gestellt werden sollen, die zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit erforderlich sind. Konkret erfolgt das, indem die Städte, Gemeinden und Kreise im Rahmen der Sozialplanung den Bestand der Einrichtungen, Dienste und Angebote mit dem Bedarf abgleichen. Innerhalb der Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit schaffen sie im Planungsprozess soziale Infrastrukturen, die für die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Versorgung und Unterstützung der Bevölkerung erforderlich sind.

 

Explizit wurde der Begriff der „Sozialplanung“ zum ersten Mal im Rahmen des Deutschen Fürsorgetages im Jahr 1969 in Essen verwendet, um die „Rationalität“ eines präventiven sozialen Planens symbolhaft als Marke eines neuen sozial- und kommunalpolitischen Handlungskonzeptes der Sozialverwaltung zu etablieren.6 Die Sozialplanung im Allgemeinen und die sozialen Fachsozialplanungen im Besonderen verfolgen das Ziel, soziale Krisen vorbeugend zu vermeiden und die vorhandenen Kapazitäten dafür rationell einzusetzen.

Ziele


Folgende Ziele bilden den roten Faden der Sozialplanung:

•  Erstens sollen Bevölkerungsgruppen sowohl in einer Not- oder Gefahrenlage wohlfahrtsstaatlich geschützt werden als auch präventiv davor bewahrt werden;

•  zweitens soll im Rahmen gezielter Interventionen soziale Gerechtigkeit gewährleistet werden und

•  drittens soll sozialgestaltend die Demokratisierung der Gesellschaft gefördert werden.7

Handlungsbereiche


Vier Handlungsbereiche kennzeichnen die Grundstruktur von Aufgaben der Sozialplanung:

•  Den ersten Handlungsbereich bildet die „soziale Infrastrukturplanung“, damit unter einer fachplanerischen Perspektive die notwendigen Dienste und Einrichtungen (flächendeckend) in den Teilräumen der Kommune zur Verfügung stehen;

•  in einer weiteren Handlungsperspektive repräsentiert die Sozialplanung eine „vorbeugend ansetzende kommunale Sozialpolitik“, um soziale Benachteiligungen von Bevölkerungsgruppen im Rahmen von Fachsozialplänen zu beseitigen bzw. zu vermeiden;

•  im dritten Handlungsbereich handelt es sich um eine „vorbeugende soziale Kommunalpolitik“, um die sozialen Belange der gesamten Bevölkerung in allen Fragen der Daseinsvorsorge (auch gegenüber anderen Ressorts der Kommunalverwaltung) zu vertreten; und

•  viertens wird die Sozialplanung als „aktive Gesellschaftspolitik“ verstanden, die Vorgaben der Bundes- und der Landesebene zur Stärkung des sozialen Zusammenhaltes und des Lebensraumes umsetzt.8

Nutzen


•  Der Wohlfahrtsstaat will „soziale Sicherheit“ gewährleisten. Die Sozialplanung leistet dazu einen bedeutenden Beitrag und schafft die Grundlagen zur Wahrung des „sozialen Friedens“ in den Städten und Gemeinden, weil in Bedarfsfällen der Bevölkerung vielfältige Versorgungs- und Unterstützungsleistungen zugänglich gemacht werden.

•  In der Praxis besteht die Funktion der Sozialplanung oftmals vorrangig darin, kommunale Sozialpolitik unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen aus der öffentlichen Verwaltung heraus zu konkretisieren und spezifische Bevölkerungsgruppen in Bedarfslagen zu unterstützen.9

Aktuelle Bedeutung


Nachdem die Sozialplanung lange ein Schattendasein in Fachzirkeln der Verwaltung von Städten und Landkreisen geführt hatte, wurde sie im Laufe des aktuellen Jahrzehnts vermehrt ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Exemplarisch unterstreichen das die Publikation sowie die landesweite Verbreitung des „Handbuches Moderne Sozialplanung“ durch das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen10, seine Fortschreibung durch das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales11 sowie die Institutionalisierung des „Kompetenzzentrums Strategische Sozialplanung“ in Thüringen12. Dass das Interesse der lokalen Öffentlichkeit an der Sozialplanung bis dahin relativ gering war, liegt wahrscheinlich an der Praxis, als Instrument der Fachplanung zur Analyse und Unterstützung sozialer Bedarfe eher im Hintergrund zu operieren. Die planerische Begründung sozialer Infrastruktur, die „Defizite benachteiligter Bevölkerungsgruppen“ ausgleichen und deren Selbsthilfepotenziale wecken soll13, findet meistens kein breites Interesse: Denn es wird im Allgemeinen erwartet, dass die Gemeinbedarfseinrichtungen wie beispielsweise Kindertagesstätten, Jugendeinrichtungen, Einrichtungen der Altenpflege, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und Beratungsstellen vorhanden sind – die öffentliche Aufmerksamkeit richtet sich selten darauf, wie die sozialen Dienstleistungen der Daseinsvorsorge geplant werden.

 

Das inzwischen gewachsene Interesse an der Sozialplanung hängt mit dem forcierten sozioökonomischen und demografischen Wandel zusammen (z. B. demografische Entwicklungen der Alterung, der Migration und des Bevölkerungsverlustes peripherer ländlicher Räume sowie die Urbanisierung und Digitalisierung). Sie wird zunehmend als Instrument erkannt, mit dem sich unerwünschte Folgen des Wandels vorbeugend abfedern lassen. Insofern steht der Bedeutungsgewinn der Sozialplanung mit einer Neuorientierung der Sozialpolitik in Verbindung, die seit den 2010er Jahren unter dem Etikett einer „vorbeugenden Sozialpolitik“ diskutiert wird. Diese Konzeption will bereits im Vorfeld von Veränderungen, die zu sozialen Problemlagen führen können, angemessen vorbeugen.14 Im Vergleich zur traditionellen Sozialpolitik, die vor allem soziale Bedarfsgruppen fokussiert, richtet sich die vorbeugende Sozialpolitik darauf, die gesamte Wohnbevölkerung in spezifischen Lebenslagen – wie zum Beispiel Eltern mit kleinen Kindern, vom technologischen Wandel betroffene Berufsgruppen oder ältere Menschen – bei der Bewältigung der Folgen der gesellschaftlichen Entwicklung zu unterstützen. Dies lässt sich so interpretieren, dass der schon in den 1980er Jahren definierte Handlungsbereich der „vorbeugenden sozialen Kommunalpolitik“ im neueren Verständnis neben einer „vorbeugend ansetzenden kommunalen Sozialpolitik“ stärker gewichtet wird. Im Rahmen der Sozialberichterstattung und der Sozialplanung werden dazu evaluativ die Folgen reflektiert, wenn nicht umfassend mit Instrumenten einer wirksamen sozialen Prävention interveniert wird.

Tabelle 2: Zum Stellenwert der Sozialplanung in der nachsorgenden und vorbeugenden Sozialpolitik15

Nachsorgende Sozialpolitik

Vorbeugende Sozialpolitik

Reparatur von negativen Folgen des sozialen und demografischen Wandels

Präventive Lösungen im Vorfeld von Entwicklungen des sozialen und demografischen ­Wandels

Orientierung an den monetären Kosten

Orientierung an infrastrukturellen Wirkungen

Kompensation von Defiziten

Förderung von Chancen

Personenzentriert: die einzelne Person im ­Fokus

Individuen in ihrer sozialen Einbettung (z. B. im Sozialraum)

Versäult: Fragmentierung nach einzelnen ­Ressorts und Politikfeldern

Vernetzt: Interdisziplinäre Kopplung und...