Die Sonderpolizeien des Bundes - Relikte oder Zukunftsmodelle für einen modernen Bundesstaat?

von: Sören Gemmerich

Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, 2019

ISBN: 9783415067103 , 260 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 35,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Die Sonderpolizeien des Bundes - Relikte oder Zukunftsmodelle für einen modernen Bundesstaat?


 

1. Kapitel:
Einführung in die Problematik und Gang der Untersuchung


„Die Kanzlerin fordert bessere Zusammenarbeit zwischen GSG 9 und der Bundeswehr“ (Süddeutsche Zeitung, 10.05.2009)

„Karlsruhe prüft Bundeswehreinsatz im Inneren“ (Focus, 10.02.2010)

„Bundespolizei und Zoll zusammenlegen“ (Die Welt, 23.11.2010)

„Friedrich kippt Fusion von BKA und Bundespolizei“
(Der Spiegel, 15.03.2011)

„Umstrittenes BKA-Gesetz – Das Geheimnisamt“
(Süddeutsche Zeitung, 11.05.2010)

„Die Neuorganisation der Bundespolizei bleibt ohne Wirkung“
(Der Spiegel, 09.02.2013)

„Bundespolizei ist chronisch überlastet“ (Focus, 07.04.2014)

„Bundespolizei gründet neue Anti-Terror-Einheit“
(Die Welt, 09.09.2015)

„De Maizière verkündet Einführung von Grenzkontrollen“
(Spiegel Online, 13.09.2015)

„Bundespolizei durch Asylkrise schwer überlastet –
Vernünftige Grenzkontrollen kaum möglich“ (FAZ, 29.10.2015)

„Terrorangst: Politiker drängen auf Bundeswehr-Einsatz im Innern“
(Spiegel Online, 19.11.2015)

„Zu viel Macht für das BKA?“ (Tagesschau, 19.04.2016)

„Warum wir ein deutsches FBI brauchen“ (Die Welt, 09.04.2017)

„Bayern bekommt eigene Grenzpolizei“ (Die Zeit, 23.03.2018)

„Geldwäsche-Spezialeinheit des Zolls (FIU) arbeitet zu schlecht und zu langsam“ (Spiegel Online, 09.08.2018)

Schlagzeilen dieser Art kennzeichnen die fortwährende Diskussion um eine effiziente und stringente Organisation der Sicherheitsbehörden in der Bundesrepublik Deutschland.

Die Gewährung von Sicherheit für den Bürger ist die staatliche Kernaufgabe überhaupt, denn die Friedens- und Sicherheitsgewähr ist das Wesen eines modernen Staates1 – und begründet letztendlich auch die Existenz des Staates als Organisationsform an sich.2

Die Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern manifestiert sich konsequenterweise im staatlichen Gewaltmonopol. Das staatliche Gewaltmonopol, nach außen verkörpert und wahrgenommen durch die Streitkräfte des Bundes, nach innen durch die Polizeien von Bund und Ländern (sowie in der Zwangsvollstreckung durch die Gerichtsvollzieher), erscheint heute als selbstverständliche Errungenschaft eines modernen Staates.3 Der Staat ist jedoch mit einer Vielzahl von inneren und äußeren Gefahren konfrontiert, denen er, vorwiegend durch seinen Sicherheitsapparat wirksam begegnen muss.

Die Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik Deutschland sind – dem Bundesstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG entsprechend – seit dem Jahr 1945 (wieder) durch eine föderalistische Struktur und Kompetenzordnung gekennzeichnet. Sie ist Grundlage einer rationalen Staatsorganisation4 und verhindert übermäßige Machtkonzentrationen.5 Das Bundesstaatsprinzip – also der Dualismus von Bund und Ländern6 – sieht sich jedoch seit einiger Zeit zunehmender Kritik ausgesetzt. Im Bereich der Gefahrenabwehr wird bezweifelt, ob jene grundgesetzlich normierte Aufteilung der Herrschaft, für die der Bundesstaat steht, für die Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft noch hinreichend gerüstet ist.7 Diese Behauptung wird insbesondere mit der zunehmenden Globalisierung – eingeschlossen die der terroristischen Gefahren – begründet. Die Entwicklung scheint mehr und mehr dazu zu führen, dass herkömmliche gewaltenteilende Zuständigkeitsverteilungen zugunsten einer zentralistischen Konzentration von Kompetenzen aufgegeben werden.8 Dementsprechend domininiert innerhalb der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile auch der Bund die Gesetzgebung, der Katalog der Bundeszuständigkeiten wird zunehmend ausgeweitet und die bestehenden Bundeszuständigkeiten werden vor allem im Bereich der Gefahrenabwehr in extensiver Weise ausgelegt und ausgeschöpft.

Die Entwicklung des Staates von einem tradierten zu einem funktionalen Staat wird im Bereich der Sicherheitsgewährung jedoch nur durch einen grundlegenden Aufgabenumbau der Bundes- und Landespolizeibehörden zu erreichen sein. Von Politikern, Wissenschaftlern und Polizeipraktikern wird seit Jahren über diesen Aspekt diskutiert. Auf der einen Seite stehen die Befürworter einer stärkenden bundesweiten Zentralorganisation sowie einer starken bundespolizeilichen Komponente.9 Aus ihrer Reihe wird zunehmend Kritik an der eher kleinstaatlich organisierten Landespolizei in der Bundesrepublik und dem sich hieraus ergebenden vermeintlichen Kompetenzgerangel geäußert.10 Das Allheilmittel innerhalb dieser Gruppe heißt: „Stärkung durch Konzentration“. Auf der anderen Seite stehen die Befürworter eines föderativen Sicherheitsgefüges. Hier ist insbesondere die Gewerkschaft der deutschen Polizei (GdP) zu erwähnen, die vor allem an dem Ziel der Erhaltung der bestehenden Strukturen (und Arbeitsplätze) interessiert und allenfalls maßvolle Änderungen hinzunehmen bereit ist.

Außer Zweifel steht, dass die Polizeibehörden des Bundes durch den Gesetzgeber seit dem Jahr 1990 zahlreiche neue Zuständigkeiten und Befugnisse erhalten haben und sich hierdurch die Machtbalance zwischen den Polizeibehörden der Länder11 und denen des Bundes zugunsten Letzteren verschoben hat. Ob diese Entwicklung jedoch mit einer effektiveren Gewährung von Sicherheit einhergeht, bedarf einer eingehenden Untersuchung. Schon ein flüchtiger Vergleich der jeweiligen ursprünglichen verfassungsrechtlichen und politischen Aufstellungszwecke der Bundespolizeibehörden mit deren gegenwärtigen Aufgaben und Befugnissen zeigt, dass sowohl Aufgabenfelder und Strukturen als auch die Verteilung der Kompetenzen und Zuständigkeiten zwischen den Ländern und dem Bund nicht mehr dem ursprünglichen verfassungsrechtlichen Auftrag (und „Ideal“) entsprechen. Dabei sind die organisatorischen Zuständigkeitsprobleme durch eine von dem ehemaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière und dem ehemaligen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eingesetzten Kommission (sog. Werthebach-Kommission) bereits im Jahr 2009 an die Öffentlichkeit gelangt. Diese hat hierzu vorsichtig formuliert, dass Strukturen und Personalkörper infolge erweiterter Aufgabengebiete gewachsen seien, ohne dass eine Überprüfung der Zuständigkeiten und Zuordnung der Aufgaben stattgefunden habe.12 Diese Feststellung gilt heutzutage umso mehr, als das Personal der sog. Sonderpolizeien des Bundes stetig wächst und heutzutage mehr als 60.000 Beamte umfasst. Ein gegenläufiger Trend ist derzeit nicht auszumachen. Im Gegenteil. Die Aufgabe der Gefahrenabwehr wird infolge des Bedürfnisses nach umfassender Sicherheit sowie der angespannten Haushaltslage der Länder zunehmend vom Bund übernommen. Dass die Polizeihoheit und die Aufgabe der allgemeinen Gefahrenabwehr nach der Konzeption des Grundgesetzes und dem für Deutschland konstituierendem föderalen Staatsaufbau den Ländern überantwortet ist, wird zwar grundsätzlich nicht in Abrede gestellt, aber auch nicht weiter berücksichtigt.

Die Entwicklung hat Auswirkungen sowohl auf die innere Sicherheit als auch auf die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Im Bereich der inneren Sicherheit schlagen der stetige Umbau und die fortwährende Erweiterung der Aufgaben und Befugnisse der Bundespolizeibehörden sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Fachkreisen hohe Wellen. Dabei ist der eigentliche Aufstellungszweck des ehemaligen Bundesgrenzschutzes (heute: Bundespolizei), der in der Bewachung der Grenzen lag, zwischenzeitlich nahezu obsolet geworden und geriet erst aufgrund der „Flüchtlingskrise“ seit 2015 wieder in den Fokus der Öffentlichkeit.

Auch das Bundeskriminalamt ist durch Grundgesetzänderung im dem Jahr 2008 von einer Zentralstelle für Informationsgewinnung zu einer Sondereinheit der Terrorismusbekämpfung unter Leitung des Generalbundesanwalts geworden.

Der Zoll verfügt mit seinen Vollzugseinheiten über zahlreiche Schnittstellen zu den allgemeinen Polizeibehörden der Länder und des Bundes.

Im Aufgabenkreis der äußeren Sicherheit zeigt exemplarisch das Kompetenzgerangel beim gescheiterten Versuch der Befreiung des Frachters „Hansa Stavanger“ vor der Küste Somalias im Jahre 2009 durch die GSG 913 der Bundespolizei bzw. das KSK14 der Bundeswehr in aller Deutlichkeit, dass ein dringender Handlungsbedarf besteht, die sich überlagernden Zuständigkeiten und gesetzlichen Aufträge zu entwirren.15

Die vorliegende Abhandlung soll hier ansetzen und einerseits die ursprünglichen Aufstellungszwecke der Sonderpolizeibehörden des Bundes herausarbeiten, andererseits die gegenwärtigen unzähligen Parallelstrukturen, Redundanzen und doppelten Aufgabenwahrnehmungen in der deutschen Sicherheitsarchitektur aufzeigen. Dabei beschränkt sich die Untersuchung auf die Vorgaben, die das Verfassungsrecht bietet. Ein maßgebliches Erkenntnisziel dieses Projekts soll die Beantwortung der Frage sein, ob die gegenwärtigen staatlichen Sicherheitsmechanismen mit Blick auf die Verfassungslage sowie die fortschreitende Zentralisierung der Polizeigewalten auf den Bund den Herausforderungen des staatlichen Kernauftrags, nämlich...