Himmels-Körper - Der Mensch, das Universum und der ganze Rest

von: Martin Apolin

ecoWing, 2020

ISBN: 9783711052797 , 264 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 18,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Himmels-Körper - Der Mensch, das Universum und der ganze Rest


 

1 Die Bausteine des Lebens


Prolog


Ich bin mir sicher, dass alle Kinder gern mit Bausteinen spielen! Auch ich habe als Dreikäsehoch stundenlang mit den Steinen des bekannten dänischen Herstellers herumgebaut, vor allem dann, wenn ich krank das Bett hüten musste. Damals gab es nicht, so wie heute, eine unüberschaubare Anzahl von verschiedenen Steinen in allen möglichen und unmöglichen Formen. Mit wenigen Ausnahmen waren die Teile quaderförmig und unterschieden sich nur in Länge, Breite und Farbe.

Stellen Sie sich eine wirklich seeehr große Kiste mit Myriaden einfacher Bausteine vor. Es soll nur rund 20 verschiedene Typen geben. Malen Sie sich aus, dass Sie damit eine Art Homunkulus zusammenbauen, quasi einen Lego-Golem. Es wäre ein äußerst abwegiger und befremdlicher Gedanke, dass dieses zusammengefügte Ding auf einmal lebendig wird, lacht und weint, aus dem Fläschchen trinkt, pinkelt und kackt, größer wird und lesen lernt, in die Pubertät kommt und sich auch noch fortpflanzt. Es wäre bizarr, absurd und unlogisch, dass ein Ding, bloß weil es aus sehr vielen und in spezieller Anordnung zusammengesetzten Bausteinen besteht, auf einmal zum Leben erwachen sollte.

Aber genau das passiert im Prinzip mit Ihrem Körper. Sie bestehen, wie alle Menschen auf dieser Welt, ausnahmslos aus rund 20 Bausteinen, nämlich aus den verschiedenen Arten von Atomen: Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und so weiter. Ihr Körper setzt sich aus der unvorstellbaren Anzahl von 1028 Atomen zusammen. Das ist ein Einser mit 28 Nullen! 28!!! Wenn man sagt, das wären dann 10 Quadrilliarden, macht das die Sache nicht wirklich begreiflicher.

Sie bestehen also aus einem Bausatz von unpackbar vielen Teilchen, die aber nur in wenigen verschiedenen Varianten vorkommen (Abb. 1). Und sehen Sie sich mal an, was man daraus alles zusammenbauen kann. Alles, was Sie jemals in Ihrem Leben gemacht haben, alle Ihre Gefühle, Wünsche und Träume sind Produkte dieser Bausteine. Und wie unterschiedlich wir Menschen sind! Nirgendwo bekommt die Weisheit des Aristoteles, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, eine so gewichtige und nachdrückliche Bedeutung wie hier. Wenn man über den Menschen und das Leben nachdenkt, gehen einem schnell mal die Superlative aus.

Abb. 1 Jeder Mensch besteht aus unglaublich vielen Atomen, die aber nur in rund 20 Variationen vorkommen. Es ist so, als hätte man einen Baukasten mit 20 verschiedenen Typen von Steinen.

Von Mikrowellenherden und Atommodellen


Sie haben ja irgendwie eine Vorstellung von diesen Atomen. Schließlich sind die Dinger auch oft irgendwo abgebildet. Zwischen den einzelnen Szenen der beliebten Sitcom »The Big Bang Theory« eiert zum Beispiel ganz kurz ein Atom herum – achten Sie bei Gelegenheit einmal darauf –, und Sie sehen auch eines auf der Flagge der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEO (Abb. 2). Bei allen diesen Darstellungen sehen Sie einen Kern, um den was herumfliegt, ähnlich wie Planeten um die Sonne. Wenn Sie so ein Ding sehen, dann wissen Sie sofort: »Ah, ein Atom!« Das ist einerseits ein supergutes Branding, denn der Wiedererkennungswert ist verdammt hoch. Andererseits hat diese Darstellung aber einen riesengroßen Haken: Sie ist falsch.

Abb. 2 Die Flagge der IAEO: Um den Atomkern fliegt was herum. Sieht cool aus, ist aber falsch! Das Ding außen herum gehört nicht zum Atom, sondern stellt zwei Olivenzweige dar.

Solche Planetenmodell-Atome kann es nämlich gar nicht geben! Um das zu verstehen, muss ich ein bisschen ausholen. Immer wenn man eine Kurve macht, wenn man also seine Bewegungsrichtung ändert, tritt eine Beschleunigung auf. Sie brauchen nur daran zu denken, was passiert, wenn Sie mit einem Auto um eine scharfe Kurve fahren. In diesem Fall können Sie die Beschleunigung sogar spüren. Noch drastischer ist es, wenn Sie auf einer wilden Achterbahnfahrt durch die erste Senke brettern. Die Beschleunigung schlägt sich dann sogar auf Ihr Gedärm. Nicht nur die Liebe, sondern auch die Achterbahn geht durch den Magen!

Bei einer Kurvenbahn tritt also immer eine Beschleunigung auf. Bei elektrisch geladenen Teilchen kommt jetzt aber noch ein zweiter Aspekt dazu. Beschleunigte Ladungen senden nämlich immer elektromagnetische Wellen aus, sie strahlen also. Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie ein Mikrowellenherd die Mikrowellen macht? Wahrscheinlich nicht. Auf solche Fragen kommen nur Kinder, Physiker und technikaffine Nerds. Im Mikrowellenherd lässt man Elektronen, die ja negativ geladen sind, durch ein Magnetfeld fliegen und zwingt sie so auf Kurvenbahnen. Dadurch sind sie aber beschleunigt und strahlen, und diese Strahlung sind die Mikrowellen. Dass Ihr Mikrowellenherd die Speisen erwärmen kann, ist also eine direkte Folge davon, dass im Inneren die Elektronen die Kurve kratzen.

Und das bringt uns wieder zum Atom zurück. Die angeblich um den Kern kreisenden Dinger sind nämlich Elektronen. Wie im Mikrowellenherd müssten diese Elektronen daher strahlen. Die Strahlung wäre in diesem Fall sogar sichtbar, und alle Atome müssten daher leuchten. Das würde vielleicht ganz nett aussehen, aber durch das Aussenden des Lichtes würden die Elektronen stetig an Energie verlieren und spiralförmig in den Atomkern fallen, ähnlich wie ein auf die Erde stürzender Satellit. Der ganze Spuk wäre nach rund einer milliardstel Sekunde vorbei. Poff, und das Atom wäre kollabiert! Deshalb kann dieses Planetenmodell nicht richtig sein. Eine neue Erkenntnis? Ach woher, das weiß man seit Beginn des 20. Jahrhunderts, als dieses Modell noch State of the Art war. Warum werden dann Atome aber immer noch falsch dargestellt? Weil dieses Modell anschaulich ist und leicht darzustellen! Und weil es einen enormen Wiedererkennungswert hat!

Aber wie sehen Atome und somit die Bausteine unseres Körpers nun wirklich aus? Die Beantwortung dieser Frage führt uns in den mit Abstand kontra-intuitivsten Bereich der Physik, nämlich in die Quantenmechanik. Keine Angst, ich will mich dort nicht allzu lange aufhalten. Ein kurzer Besuch ist aber aus zwei Gründen interessant: Erstens, weil es sehr spannend und auch wichtig ist, die Bausteine des Lebens ein bisschen genauer unter die Lupe zu nehmen. Und zweitens, weil es faszinierend ist, wie uns die Quantenwelt schmerzlich die Grenzen unseres eigenen Vorstellungsvermögens demonstriert. Und dieser zweite Aspekt bringt uns zu einem berühmten und – wie ich meine – letztendlich auch sehr beruhigenden Zitat.

Shut up and calculate!


Richard Feynman (Abb. 3, S. 20) war nicht nur ein charismatischer Spaßvogel, Bongospieler und Hobby-Safeknacker, sondern auch einer der ganz großen Physiker des 20. Jahrhunderts. Er war ein grandioser Denker und Didaktiker und bekam den Physiknobelpreis für seine weiterführenden Theorien zur Quantenmechanik verliehen. Ich persönlich finde es sehr schade, dass er heutzutage in puncto Bekanntheitsgrad in der breiten Öffentlichkeit ein Stiefmütterchendasein führt. Eines seiner berühmtesten Zitate lautet: »I think I can safely say that nobody understands quantum mechanics.«

Abb. 3 Der Bongospieler und Nobelpreisträger Richard Feynman – einer meiner absoluten Lieblingsphysiker.

Moment mal: Der Typ bekommt also den Nobelpreis für seine Arbeiten im Bereich Quantenmechanik und sagt dann, dass diese gar niemand versteht? Na ja, man muss in diesem Zitat das Wort »verstehen« verstehen. Die Quantenphysik, die die Vorgänge in atomaren Größenordnungen beschreibt, widerspricht auf teilweise wahnwitzige Art und Weise unseren Alltagsvorstellungen. Da entstehen Teilchen aus dem Nichts, weil sie sich Energie vom Universum ausborgen können, ein eigentlich unteilbares Teilchen kann scheinbar gleichzeitig durch zwei Spalten schlüpfen und Schrödingers berühmte Katze ist gleichzeitig lebendig und tot. Das ist alles sehr absurd und auch ziemlich verstörend, und niemand weiß, wie man sich das vorstellen soll. Wir haben also in den meisten Fällen keine Bilder, oder diese sind mangelhafte Behelfskonstruktionen. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet verstehen wir die Quantenphysik also tatsächlich nicht. Und genau diesen Aspekt spricht Feynman in seinem Zitat an.

Es gibt aber auch eine zweite Seite der Medaille. Die Quantenmechanik gehört nämlich zu jenen Theorien, die experimentell am besten bestätigt sind. Und weil sie mithilfe von – zugegeben hoch komplizierter – Mathematik so hervorragende Vorhersagen trifft, die alle exakt so eintreffen, ist in Physikerkreisen auch der Spruch »Shut up and calculate!« sehr populär. Soll heißen: Wen kümmert es schon, dass das alles so abstrus ist, wenn man es doch so superexakt vorausberechnen kann?! Dieses zweite Zitat wird übrigens auch oft Feynman zugeschrieben, und es wäre auch ganz sein Stil gewesen, bloß hat er es niemals gesagt.

Was bedeutet das jetzt aber? Je nach...