Sprachphilosophie zur Einführung

von: Georg W. Bertram

Junius Verlag, 2019

ISBN: 9783960601197 , 224 Seiten

Format: ePUB

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Preis: 12,99 EUR

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Sprachphilosophie zur Einführung


 

Einleitung


Sprache steht im Zentrum des menschlichen Lebens. Menschen erzählen sich Geschichten. Sie treffen sich abends in der Kneipe und reden stundenlang. Sie verbringen Jahre und Jahrzehnte damit, an wissenschaftlichen Texten zu arbeiten, und schreiben Gedichte, Romane und Tagebuch. Sie führen aber auch belanglose Gespräche, wenn sie zusammen in der Bäckerei warten oder wenn sie gemeinsam einem Sportereignis beiwohnen.

Die Bedeutung der Sprache für das menschliche Leben kann man sich mit einem einfachen Gedankenexperiment vor Augen führen: Stellen wir uns vor, dass wir nicht über Sprache verfügen. Wenn wir unter diesen Umständen in der Bäckerei Brötchen kaufen wollen, können wir auf die Brötchen zeigen und mit Händen und Blicken klarmachen, was wir wollen. Wenn wir jemandem den Weg zeigen wollen, so können wir auch dies mit Händen und Füßen erledigen. Wir können anderen auf diese Weise allerdings nicht all das mitteilen, was wir sonst noch denken. Wenn wir zum Beispiel denken, dass die Erde schon vor unserer Geburt existiert hat, dann bedürfen wir der Sprache, um dies zu artikulieren. Aber auch für das Fassen von Plänen, die die Zukunft betreffen, ist Sprache unerlässlich. Gehen wir davon aus, dass ich mir vornehmen will, morgen zur Bank zu gehen, um Geld zu holen. Wie soll ich ein solches Vorhaben fassen, wenn ich es nicht sprachlich artikulieren kann? Auch sind viele der Institutionen, die unsere Gesellschaft ausmachen, ohne Sprache unmöglich. Man denke nur an ein Gerichtsverfahren oder eine Eheschließung ohne Sprache. Oder man stelle sich vor, wie der Unterricht in Schule oder Universität ohne Sprache vor sich gehen könnte. Nicht zuletzt ist Sprache die Bedingung für alles Erzählen. Ohne Sprache gäbe es weder Gutenachtgeschichten noch die Ilias oder Romane von Flaubert und Dostojewski. Eine Welt ohne Sprache wäre zumindest eine sehr arme Welt. Aber vermutlich mehr noch: Es wäre eine Welt, in der es vieles, was uns in unserer Lebensform als wesentlich gilt, nicht gäbe. Eine menschliche Lebensform ohne Sprache ist wohl einfach keine menschliche Lebensform.

Was aber ist das: Sprache? Sprache ist ein eigentümlicher Gegenstand des Nachdenkens. Eigentümlich ist er bereits aus dem Grund, dass alles Nachdenken sich in Sprache vollzieht. Wir denken immer in Sprache nach. Können wir auch über Sprache nachdenken? Dem ersten Augenschein nach müssen wir diese Frage bejahen. Selbstverständlich können wir über Sprache nachdenken. Ich kann zum Beispiel darüber nachdenken, ob der letzte Satz, den ich geschrieben habe, so formuliert ist, wie ich ihn formulieren wollte. Oder ich kann darüber nachdenken, was man sagt, wenn man sich für eine unangemessene Äußerung entschuldigen will. Sagt man da »Es tut mir leid«? Oder sagt man »Ich habe es nicht so gemeint«? In dieser Weise über Sprache nachzudenken ist uns vertraut. Aber wie steht es mit dem Nachdenken über Sprache insgesamt?

Es gehört zu den Rätseln des philosophischen Denkens im Abendland, dass Sprache erst spät ein ausgezeichneter Gegenstand der Philosophie geworden ist. Viele Klassiker der abendländischen Philosophiegeschichte – wie zum Beispiel Descartes, Kant und Hegel – haben ihr Augenmerk nicht in besonderer Weise auf Sprache gerichtet. Dies ist besonders deshalb rätselhaft, weil die Philosophie selbst im Medium der Sprache agiert. Seit dem Beginn der abendländischen Philosophie sind Texte geschrieben worden. Und wie nicht zuletzt Platons Texte eindrucksvoll belegen, wurde in der Philosophie immer schon diskutiert. Die Philosophie vollzieht sich geschrieben und gesprochen in Sprache. Wenn man dies bedenkt, kann es also verwundern, dass die Philosophie nicht von Anfang an auch auf Sprache als einen ausgezeichneten Gegenstand reflektiert hat. Nach der sogenannten Wende zur Sprache (linguistic turn), die die Philosophie im 20. Jahrhundert genommen hat, scheint es zwar selbstverständlich, dass Philosophie immer auch Sprachanalyse betreibt. Aber vor einem weiteren historischen Horizont kann man von einer solchen Selbstverständlichkeit keineswegs sprechen. So liegt es nahe zu fragen: Entzieht sich die Sprache in irgendeiner Weise der Reflexion? Ist die Philosophie so sehr in Sprache verhaftet, dass es ihr schwer fällt, den Blick auf die Sprache zu richten? Gesetzt, dies ist der Fall: Folgt daraus irgendetwas für die Möglichkeit, auf Sprache zu reflektieren? Und folgt daraus etwas für die Sprachphilosophie, also die philosophische Reflexion auf Sprache? Ist es dieser Reflexion eigen, dass sie ihren Gegenstand nicht gänzlich einzuholen vermag?

Die Sprachphilosophie sollte die Frage bedenken, wie es zu einer philosophischen Reflexion auf Sprache kommen kann. Sie muss dabei im Blick haben, unter welchen Bedingungen sie entstehen kann und welche Grenzen ihr gesetzt sind. Dennoch kann diese Frage nicht am Anfang einer Einführung in die Sprachphilosophie stehen. Hier stehen zunächst eher die Fragen, was Sprache ist und welche Relevanz sie hat. Wie bereits angedeutet, hat Sprache eine Relevanz für das menschliche Leben, die kaum überschätzt werden kann. Was aber ist Sprache? Und wie funktioniert sie? Die Selbstverständlichkeit der Sprache steht in einem nicht unerheblichen Missverhältnis dazu, dass ziemlich unklar ist, was Sprache ausmacht. Dabei ist schon der Begriff der Sprache selbst klärungsbedürftig. So sagen wir zum Beispiel, Deutsch sei eine Sprache. Von Sprache in diesem Sinn ist allerdings nicht die Rede, wenn man danach fragt, was Sprache ist. Es geht vielmehr um Sprache im Sinne der allgemeinen Fähigkeiten, die alle Sprachen ausmachen. Ferdinand de Saussure (1857-1913) hat entsprechend den Vorschlag gemacht, Sprachfähigkeit (language) und Einzelsprachen (langues) zu unterscheiden (Saussure 1967, 11). Wenn man grundsätzlich über Sprache nachdenkt, geht es um die allgemeine Sprachfähigkeit. Genau hier setzt die Sprachphilosophie ein. Sie hat die Aufgabe, den Begriff der Sprache aufzuklären, also grundlegende Fragen in Bezug auf Sprache zu beantworten. Eine Einführung in die Sprachphilosophie muss entsprechend den Versuch unternehmen, zentrale Fragen der Sprachphilosophie auszuweisen und Begriffe zu bestimmen, die in der Beantwortung dieser Fragen relevant sind.

Diese Einführung hat das Ziel, grundlegende Fragen und Begriffe der Sprachphilosophie unter Rekurs auf ihre historische Entwicklung zu präsentieren. Sie ist so konzipiert, dass einerseits ein grober Überblick über die Geschichte der Sprachphilosophie seit der Antike geboten wird. Andererseits sollen die unterschiedlichen philosophischen Traditionen des Sprachdenkens im 20. Jahrhundert zu Wort kommen. So ist diese Einführung nicht wie andere entsprechende Texte (vgl. z.B. Blume/Demmerling 1998, Morris 2006, Newen/Schrenk 2008) allein auf die sogenannte (sprach-)analytische Philosophie hin orientiert, sondern sucht der Vielfalt sprachphilosophischen Denkens Rechnung zu tragen. Dies kann wiederum nicht anders als exemplarisch geschehen. Die Einführung ist so nach paradigmatischen Stationen gegliedert. Sie will systematische Optionen im Rahmen der Sprachphilosophie verständlich machen, indem sie diese Optionen an einzelnen Positionen ausweist.

Die Auswahl der Positionen ist so angelegt, dass entscheidende Entwicklungen in der Geschichte der abendländischen Sprachphilosophie deutlich werden. Dies geschieht in zehn Kapiteln. Das erste Kapitel schildert in knapper Form die historische Entwicklung der Sprachphilosophie, wie sie der Konzeption des Buches zugrunde liegt, und erläutert die zentralen Fragen der Sprachphilosophie.

In den Kapiteln zwei bis neun lege ich insgesamt drei große Etappen zurück. Mit dem zweiten Kapitel beginnt die erste dieser Etappen, das historische Vorspiel. Es präsentiert antike Ausgangspunkte sprachphilosophischen Denkens bei Platon und Aristoteles und profiliert dabei den Gedanken, dass die Ordnung der Sprache aus ihrem Zusammenhang mit der Ordnung dessen, was es gibt, heraus zu begreifen ist. Im dritten Kapitel mache ich dann einen Sprung in die Neuzeit und zur Philosophie von John Locke. Hier wird Sprache aus ihrem Zusammenhang mit dem subjektiven Geist heraus verstanden. Sowohl das antike als auch das charakteristisch neuzeitliche Verständnis bringen Sprache also nicht als eigenständige Größe in den Blick.

Dies geschieht erst dort, wo Sprache aus ihrer Bindung an den subjektiven Geist wieder gelöst wurde: in den klassischen Positionen der Sprachphilosophie des 20. Jahrhunderts. Diese machen die zweite Etappe der Einführung aus. Im vierten Kapitel wende ich mich so Gottlob Frege als einem der wesentlichen Gründungsväter der analytischen Philosophie zu und erläutere von ihm her Aspekte der Sprachanalyse, wie sie von sogenannten Philosophien der idealen Sprache betrieben wird. Im fünften Kapitel präsentiere ich Ludwig Wittgenstein und mit ihm ein in gewisser Hinsicht gegenläufiges Konzept: die Philosophie der Alltagssprache. Im sechsten Kapitel komme ich auf Positionen innerhalb der analytischen Diskussion zu sprechen, die sprachliche Bedeutung doch wieder beziehungsweise noch unter Rekurs auf die Absichten einer Sprecherin erklären. Diese Positionen machen indirekt deutlich, dass Sprache...