Umweltethik zur Einführung

von: Konrad Ott

Junius Verlag, 2019

ISBN: 9783960601227 , 256 Seiten

Format: ePUB

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Preis: 12,99 EUR

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Umweltethik zur Einführung


 

1. Die Ursachen der Naturkrise


1.1 Umweltethik ist keine gleichmütige Betrachtung dessen, was geschieht. Sie ist eo ipso besorgt darüber, was aus dem Planeten Erde, dieser spektakulären Insel des Lebens im All, im Anthropozän werden möge, d. h. in einer erdgeschichtlichen Periode, in der die zahlenmäßig wachsende, zur Erschließung neuer Siedlungsräume befähigte, technisch hochgerüstete und mehrheitlich an materiellem Wohlstand orientierte Menschheit zu einer Einflussgröße von planetarischem Ausmaß geworden ist.

Erst seit kurzer Zeit beginnen Menschen, sich um Natur und Umwelt zu sorgen. Natur war in der Vergangenheit primär Grund zur Sorge, ob und wie sich in ihr einigermaßen sicher und in günstigen Fällen behaglich überleben ließe. Sorge um die Natur war bestenfalls randständig. Die Sorglosigkeit im Umgang mit Natur war der lebensweltlichen Erfahrung früherer Zeiten durchaus angemessen. Noch heute gilt, dass in einem Leben, das von vielen Sorgen und Nöten geplagt ist (Armut, Krankheit, Unterdrückung usw.), die Sorge um Natur nicht im Vordergrund stehen wird. Häufig wird diese Wahrheit so formuliert, dass Naturschutz ein Luxus sei, den sich nur die Reichen leisten können. Diese Ansicht verkennt, dass die Sorgen armer Menschen darüber, ob die Zerstörung von Natur nicht langfristig ihnen und ihren Nachkommen die Lebensgrundlagen entziehe oder sie bedrohlich schmälere, weltweit verbreitet sind (Martinez-Alier 2002). Die Umformulierung dieser Sorgen zur oberflächlichen Halbwahrheit, Naturschutz sei Luxus, wird den wirklichen Besorgnissen der Armen und der Komplexität des Verhältnisses von Armut und Umwelt daher nicht gerecht.

Punktuelle und sporadische Naturschäden hat es seit der Antike immer wieder gegeben; so klagte man bereits zur Zeit Platons über abgeholzte Berghänge und die Folgen für das lokale Klima. Bewässerungssysteme verursachten in den Alten Reichen des Orients die Versalzung von Böden. Holzknappheit drohte im 17. und 18. Jahrhundert in Mitteleuropa. Der frühe Naturschutz war besorgt über Veränderungen von Natur und Landschaft im Zeitalter des Industrialismus. Der Umweltalarmismus der 1960er Jahre beruhte auf Sorgen um die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen. Sorge um die Natur ist seither das Thema der sogenannten Ökologiebewegung, d. h. der politischen und kulturellen Strömung, die sich für einen verstärkten UTN-Schutz engagiert.

1.2 Wie ernst aber ist die Lage der Natur im Anthropozän wirklich? Die mittlerweile verbreitete Sorge um Natur und Umwelt könnte ja, wie Ökooptimisten meinen, (weit) übertrieben sein. Freilich darf man fragen, wie viele Arten pro Tag aussterben mögen, da die genannten Aussterberaten auf Schätzungen beruhen. Ebenso darf man fragen, ob die Klimamodelle das Ausmaß des Klimawandels und seiner Auswirkungen über- oder unterschätzen. Die früheren Umweltprobleme in den Industrieländern waren augenfällig (z. B. verschmutzte Gewässer und Smog), die heutigen Naturveränderungen begegnen den meisten Bürgern westlicher Staaten häufig in komplexen Formen des wissenschaftlichen assessment, das sich auf aggregierte Datensätze und prädiktive Modelle stützt. Diagnosen zur ökologischen Situation liegen vor als Ensemble von kontroversen Studien zu komplexen Problemen auf unterschiedlichen räumlichen Skalen. Die Frage, wie ernst die Sorge um die Natur sein sollte, hängt außer von empirischen Befunden aber auch von Einstellungen zu langfristigen Risiken, von Annahmen über eine mögliche Kumulation der Krisen, von Einschätzungen hinsichtlich der verfügbaren Lösungspotenziale und nicht zuletzt von Wertvorstellungen ab.

Einige frühere Warnprognosen (»stummer Frühling«, »Zerstörung der Ozonschicht«, »Waldsterben«) haben sich (glücklicherweise) nicht erfüllt, weil (durch das Verbot von DDT, FCKW, SO2) die Ursachen rechtzeitig bekämpft wurden. Aus umweltpolitischen Erfolgsgeschichten, die mit dem Ernstnehmen von Warnprognosen begannen, kann aber nicht gefolgert werden, dass die jetzigen Warnprognosen, insbesondere was den Klimawandel, die Degradation fruchtbarer Böden und den Verlust an Biodiversität betrifft, auf die leichte Schulter genommen werden dürfen. Warnprognosen sind auf Selbstzerstörung hin angelegt; d.h. sie sind erfolgreich dann, wenn nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, ob etwa ohne die SO2-Reduktion viele Wälder Mitteleuropas tatsächlich großflächig abgestorben wären. Wenn der Klimawandel durch Reduktion der Treibhausgasemissionen begrenzt wird, wird man in Zukunft nicht wissen, ob all die befürchteten Folgen eines ungebremsten Klimawandels wirklich eingetroffen wären. Aus diesem Umstand ergibt sich kein Grund, Warnprognosen auf die leichte Schulter zu nehmen.

1.3 Es wird folgende grobe Diagnose zugrunde gelegt: Im globalisierten Industrialismus der Gegenwart gerät die Biosphäre insgesamt in eine kritische Situation, worüber einzelne umweltpolitische Erfolge nicht hinwegtäuschen sollten. Die Naturkrise wird an syndromartig aufeinander bezogenen und miteinander in vielfältigen Wechselwirkungen befindlichen Problemlagen manifest. Gründe zur Sorge gibt es mehr als den meisten lieb sein dürfte: Klimawandel, Verlust biotischer Vielfalt, fortschreitende Zerstörung vor allem tropischer Wälder, Verlust und Schadstoffbelastung von Böden, Wüstenbildung, wachsender Wasserstress in (semi)ariden Regionen, Überfischung der Meere und Seen, Meeresverschmutzung, Umweltfolgen der Urbanisierung und der Intensivlandwirtschaft, insbesondere der industriellen Fleischmast usw. Die Verknappung von mineralischen Rohstoffen ist nur eine Komponente der Naturkrise; dramatischer sind die Verluste an biotischer Vielfalt, fruchtbaren Böden und die Verknappung der Süßwasserbestände. Ein Aussterben der Spezies Homo sapiens sapiens droht zwar nicht; möglich ist aber, dass das Anthropozän für viele Menschen eher leidvoll, unschön und gefährlich werden könnte, insbesondere dann, wenn sie arm und schutzlos sind. Der planetarische Naturzusammenhang, der lange als unerschöpfliche Quelle von Ressourcen und als Senke für Abfallprodukte der Zivilisation angesehen wurde, erweist sich als ein fragiles, überstrapaziertes und erschöpftes Netz lebender Strukturen, das sich aufgrund menschlicher Eingriffe an vielen Stellen aufzulösen beginnt. Auf dem geplünderten Planeten treten neue Knappheitsmuster an Naturkapitalien hervor. Damit sind die herkömmlichen Konzepte von Wohlfahrt und Entwicklung fundamental infrage gestellt.

W.W. Rostow (1960) hat das Ablaufschema wirtschaftlicher Prosperität, dessen Kern eine dauerhaft hohe Wachstumsrate des BIP ist, für den einzig gangbaren Weg zum Wohlstand für die sogenannten Entwicklungsländer erklärt. Nach dem Ende der Konfrontation zwischen westlichem Markt- und östlichem Staatskapitalismus setzte sich dieses Konzept von Entwicklung als nachholende Industrialisierung in den Schwellenländern weitgehend durch. Der ungebrochen hohe Ressourcenverbrauch im Norden und der rasant ansteigende Verbrauch in südlichen Ländern intensivieren den Druck auf die Natur und rufen immense Umweltkosten hervor.4 Viele Ökonomen argumentieren, eine solche Periode sei für Entwicklungsländer notwendig, die zunächst reich werden müssten, um sich Naturschutz später leisten zu können.5 Dies ist eine riskante Strategie, denn es könnte auch sein, dass Schwellenländer dauerhaft hohe Umweltbelastungen und Naturzerstörungen hervorrufen, ohne Massenarmut beseitigen zu können. Das herkömmliche Entwicklungsmodell ist angesichts der begrenzten natürlichen Ressourcen nicht haltbar; gleichzeitig leben nach wie vor etwa fünfzig Prozent der Weltbevölkerung in absoluter Armut. Die Anliegen des Umwelt-, Natur- und Klimaschutzes scheinen den Ländern des Südens die Option auf eine Entwicklung nach herkömmlichem Muster zu nehmen.6 Die Situation scheint fatal.

Teilt man diese Diagnose, so liegt die Dringlichkeit umweltethischer Reflexionen auf der Hand. Teilt man sie nicht, wird Umweltethik keineswegs gegenstandslos, denn dass auf einem mit bald mehr als neun Milliarden Menschen bevölkerten Planeten und mit der Verbreitung westlicher Lebensstile in großen Schwellenländern eine Verschärfung der vorhandenen Umwelt- und Ressourcenprobleme drohen könnte, wird niemand in Abrede stellen wollen. Auf der Basis freundlicherer Diagnosen nimmt die Umweltethik eine eher präventive Perspektive ein. Letztendlich bleibt die Frage, in welchen ethischen Verhältnissen Menschen zur Natur stehen, selbst dann virulent, wenn man die Plausibilitäten von Krisendiagnosen dahingestellt sein ließe. Die Krisendiagnose macht den Ernst der Lage deutlich, in der wir Umweltethik betreiben; die Sinnhaftigkeit ihrer Grundfragen ist von falliblen Diagnosen unabhängig.

1.4 Die Naturkrise der Gegenwart hat Ursachen. Diese liegen in Denkformen und in Handlungs-...