Jan Fedder - Unsterblich - Die autorisierte Biografie

von: Tim Pröse

Heyne, 2020

ISBN: 9783641256418 , 256 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Jan Fedder - Unsterblich - Die autorisierte Biografie


 

Als Kind schon nah an den Wolken

Da ist ein Ring an seiner Hand, der erzählt sehr viel von seinem Leben. Er sagt, woher sein Träger stammt und was ihm fehlt seit Kindesbeinen. Der Ring ist erstaunlich weiblich und zart. Geradezu verletzlich sieht er aus an seiner rechten Hand. In der Mitte ist ein Aquamarin eingefasst, und natürlich war dieser Stein einmal tiefblau. So wie das Meer, auf dem Jans Vorfahren gefahren sind. Aber mit den Jahren, gute fünfzig sind es jetzt, seit er ihn trägt, ist das Blau aus dem Stein gewichen. Mit etwas gutem Willen ist er jetzt noch so brackwasserfarben wie die Elbe im Hafen, an der sein Träger aufgewachsen ist. »Da kannst du mal sehn, wie der gelitten hat, der Stein«, sagt Jan bloß.

Der Ring stammt von seiner Mutter Gisela. Als Jan vierzehn war, bat er sie, ihn tragen zu dürfen, und die Mutter steckte ihn ihrem Sohn an. So zärtlich und innig diese Geste anmutet – leider steht sie symbolisch für das zwiespältige Verhältnis zwischen Mutter und Sohn. »Viel Liebe habe ich nicht gekriegt von ihr«, sagt Jan und streicht dabei mit dem linken Zeigefinger über den verblichenen Stein. Getrennt hat sich der Sohn niemals von diesem Geschenk. An nichts anderem hängt er so wie an diesem Ring. Er klammert sich an ihn.

Als Wolfgang Petersen beim Boot-Dreh von Jan verlangte, ihn abzunehmen, antwortete der: »Dann mache ich den Film nicht.« Der Regisseur glaubte, sich verhört zu haben, und bestand darauf. »Nee, dann steig ich aus«, sagte er nur. Das beeindruckte Petersen. Denn Quer- und Charakterköpfe suchte er für seinen Jahrhundertfilm. Und so ließ er den Rebellen gewähren. »Aber wenigstens drehst du den Stein zur Handinnenflächenseite!«

Nicht etwa von Jans Vater, sondern von dessen Vorgänger hatte Gisela diesen Ring einst geschenkt bekommen. Einem Amerikaner, mit dem sie Jans Halbbruder Olli bekam. »Für mich war und bleibt er aber mein richtiger Bruder.«

Es fällt Jan nicht leicht, über seine Eltern zu sprechen und über seine Kindheit. Aber der Ring erlaubt den Blick zurück in seine kleine Seele von damals. Ganz langsam öffnet sich sein Träger dafür. Anders klingt er dabei und gar nicht so »Hoppla, jetzt komm ich«-artig wie sonst meist.

Dabei sieht es von weitem betrachtet doch so aus, als hätte Mutter Gisela ihrem Sprössling viel Gutes getan, als sie – die Tänzerin war – ihn zum Ballettunterricht schickte. Damals war das ja noch mehr eine Sensation als heute. Und dann ging er auch noch in den Kirchenchor im Michel.

»Aber das war Vater, der war im Kirchenvorstand und wollte das so«, erinnert er sich. Sieben Jahre lang ging es jeden Dienstag und jeden Freitag zur Probe und sonntags wurde früh aufgestanden, weil um neun schon Einsingen war und um zehn der Gottesdienst. »Das heißt: Ich habe in meiner ganzen Jugend praktisch nie ausgeschlafen. Darum bin ich so ein Schlafmensch geworden und penne so lange. Auf jeden Fall bin ich so zu Gott gekommen. Für mich ist das eine große Selbstverständlichkeit, mit dem lieben Gott zu kommunizieren. Heute. Wie damals.«

Durch das Singen, das er einst so himmlisch beherrschte, ist der kleine Jan auf der Empore des Michel ganz nah an die Wolken gestoßen in seinem Empfinden. »Irgendwie kann man das so sagen. Wir durften ja auch, Gott sei Dank, immer schon vor der Predigt abhauen. Damit wir den Laberscheiß nicht noch hören mussten. Das hat geholfen.«

Gezweifelt hat der junge wie der alte Jan seit dieser Zeit nie an seinem Herrn. »Für mich war immer völlig klar, dass er existiert. Der liebe Gott ist da und der liebe Gott lenkt die Sachen und macht das alles und noch mehr.«

Gab es nicht mal ein Ringen, ein Hadern mit ihm, als er dann als junger Mann so oft mit der Nase im Dreck steckte? »Es konnte mir noch so scheiße gehen, noch so schlecht. Ob ich da lag in meinem Blut und wusste, wenn jetzt nicht bald was passiert, bin ich tot – nie hab ich gesagt: ›Lieber Gott, jetzt komm endlich mal!‹ Das ist immer automatisch passiert, ohne dass ich ihn darum bitten musste.«

Als er nach dem Stimmbruch raus war aus dem Chor, die Lehre als Speditionskaufmann beendet hatte und er zu Hause vor die Tür gesetzt wurde, ging er ans Theater Esslingen. Da war er neunzehn. Wenn er zu Heiligabend wieder heim nach Hamburg fuhr, las er sieben Jahre lang noch die Weihnachtsgeschichte im rappelvollen Michel. Weil sie dort seine Stimme, auch wenn sie jetzt tief und samtig und nicht mehr so engelsgleich tönte, so liebten.

Er trug für diese Auftritte ein grünes Samtjäckchen mit Fliege, darunter ein hellgrünes Hemd und eine schwarze Hose. In diesem schmucken Aufzug steckte dieser langhaarige Hallodri, der nun Schauspieler geworden war. Es war Mitte der Siebziger, die große RAF-Zeit, und dann tritt da im hochherrschaftlichen Michel so ein fein gemachter Rocker ans Mikrofon. Jedes Mal lag ein Raunen über den Rängen.

Jans Vater Adolf beäugte das misstrauisch. Er war ein ziemlich nüchterner Mann. Schauspielerei, Musik und Tanz, alles Künstlerische, das war ihm suspekt. Fernsehen ebenfalls. Fünfzehn Jahre Altersunterschied zu Mutter Gisela machten ihn zu einem Vater mit wenig Verständnis für Jans bunte Welt. Anerkennung für dessen Rollen am Theater gab es nicht. Er ging nicht hin. Oder doch …? Wenn, dann nur heimlich. Nie gab er Jan das Gefühl, ein guter Schauspieler zu sein und die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Ein Lob gab es nie.

Seine Mutter hatte früh ihre wilde Zeit, aus der dieses Andenken an Jans Finger stammt, hinter sich. Sie machte stets ein großes Geheimnis aus ihrer Vergangenheit vor ihrer Hochzeit mit Adolf. Nur Bruchstücke teilte sie Jan und Olli mit. Sie wollte ihr Leben für sich behalten. Irgendwann mal, beim Adventskaffee oder Familientreffen, kamen Details heraus … Im Laufe der Jahre wurden sie wie ein Puzzle zusammengesetzt. Im Krieg tourte sie mit einer Zigeunerband durch die Lande … nicht ungefährlich zu den Zeiten. Sie lernte einen groß gewachsenen, flotten GI kennen, der ihr den Ring schenkte – und Oliver.

Jan hat ihr altes Tagebuch noch, in dem sie von dieser Zeit schwärmt. Auffallend oft schrieb sie Dinge wie: »Haben zusammen wieder in den Mond geguckt.« Jan schmunzelt: »Wahrscheinlich bedeutet das, dass sie es gern mal draußen getan haben.«

Später hieß es dann, der Ami sei bei einem Verkehrsunfall mit einem Sportwagen gestorben. »Böse Zungen behaupteten, er hätte einen Abflug nach Amerika gemacht. Auf jeden Fall kam meine Mutter dann wieder nach Hamburg. Nicht verheiratet, Tänzerin und mit einem unehelichen Kind, das noch dazu von diesem Ami war …«

Um sich durchzuschlagen, arbeitete Gisela als eine der ersten Tankwartinnen Hamburgs an der Tankstelle ihres Vaters, unten am Hafen. Schräg gegenüber gab es damals einen gewissen Herrn Fedder, der war schon mittleren Alters, hatte direkt am Wasser eine Knackwurstbude aus ein paar Holzplanken gezimmert. Dort ging sie mit ihrem Vater mittags Würstchen essen. Was sicherlich der Grund dafür ist, dass Jan bis heute – obwohl Vegetarier – ausnehmend gerne Knackwürstchen isst.

Als sich Jans Eltern zusammengetan hatten, sammelte sein Vater, der gelernter Tischler war, Brett um Brett, das er im Hafen so fand, und hämmerte und zimmerte aus der Wurstbude nach und nach eine Kneipe. Nachdem Jan zur Welt gekommen war, setzte der Vater oben auf die Kneipe noch eine kleine Etage drauf. Zwei Zimmer. »Im Winter konntest du das Eis an der Wand fühlen.«

Als Jan dreizehn war, sind sie dann alle in die Wohnung auf St. Pauli gezogen, in der Jan bis heute geblieben ist. Noch einmal streicht er über den Ring an seiner Hand, der sich mit den Jahren fest in den rechten kleinen Finger gegraben hat. Sein Talisman. Sein letzter Schmuck. Vom Totenkopf-Ohrring, den er lange trug, zeugt noch das fast zugewachsene Loch im Ohrläppchen. Und an seinem Hals baumelte früher das ausgesägte Wappen eines uralten Hamburger Fünf-Mark-Stücks. »Das hat mein Vater meiner Mutter mitgebracht aus Tirol. Da hat sich einer ganz lange hingesetzt und das Wappen ganz fein ausgesägt. Es stammt aus einer Zeit, als Hamburg noch eigene Münzen hatte. 1905. ›Freie und Hansestadt Hamburg‹ stand darauf.«

Schon als Jan aus der Pubertät herauskam, sagte er zu seiner Mutter: »Ich versteh die ganze Zeit nicht so recht – du sagst immer Jan zu mir. Und ich sage Mutti. Warum soll ich eigentlich Mutti zu dir sagen? Ist doch unlogisch. Wenn du Jan zu mir sagst, dann sage ich ab heute zu dir Gisi. So lautete ihr Künstlername: Gisi Sarai. Von da an habe ich sie immer Gisi genannt.«

Mehr zu erzählen von seiner Mutter, das bringt Jan bis heute nicht richtig fertig. Seine besten Freunde aber deuten an, dass es nur wenig Liebe gab von ihrer Seite. Bis zu ihrem Tod.

Nur wenig offenbart er über seine Mutter. Etwa jene Anekdote, als er nach einem Jahr als Jungschauspieler das erste Mal wieder zurück nach Hause kommt: »Ich fahre nach Langenhorn und steige aus dem Auto. Und meine Mutter arbeitet im Garten, macht da irgendwas und dreht sich kurz um nach mir. Und ich denke noch: Jetzt fallen wir uns in die Arme und sagen: ›Das war ein schreckliches Leben ohne dich‹, oder so. Sie aber dreht sich um, guckt mich an und sagt nur: ›Sag mal, willst du nicht mal wieder zum Friseur gehen?‹ Das war ihr erster Satz nach einem Jahr. So kalt war sie.«

Von seinem Vater war auch keine Wärme zu erwarten. »Der saß all die Jahre abends da, trank seine Biere und seine Kornschnäpse. Ganz zum Schluss, auch im Hochsommer, machte er sich Grogs. Und kurz vorm...